Not feeling cold


Denn es ist unwirklich, und es ist schlecht,
es läßt das Innere erfrieren, wie es nie geschehen sollte,
und vor allem, vor allem,
es ist entstanden, um kaputtzugehen.




Oktober 2008 - Mai 2009. Ein schneller Abschied kündigt sich an.

Das "Cold Flame" war ein Club, dessen Aufmachung an die neon-dekorierten Clubs der achtziger Jahre angelehnt war, mit viel Metall und Glas. Doch man gab sich Mühe, die Einrichtung wärmer wirken zu lassen. Das Clubwahrzeichen - eine Neonleuchte in Gestalt einer Flamme - schimmerte rosé, und die gepolsterten Kunstlederbänke waren in einem tiefen Dunkelrot gehalten.
"Warm Leatherette" fiel Katharin dazu ein; das war ein Titel von The Normal, der hier auch gespielt wurde, sogar in den legendär gewordenen Versionen von Blok 57 und Rose McDowall.
Tain stand an der Theke und schrieb etwas auf einen Zettel, den er einem erwartungsvoll blickenden Mädchen gab. Das Mädchen war offenbar jünger als zwanzig Jahre; es war unbeholfen geschminkt und imitierte das Styling einer gecasteten Girlgroup. Tora hieß es, das war dem Gespräch zu entnehmen.
Katharin fiel auf, daß Tains Hände zitterten. Er konnte kaum eine Zigarette aus der Schachtel ziehen.
"Frierst du?" erkundigte sich Katharin.
Tain wandte sich um und fauchte:
"He, was willst du?"
"Tain, ich will dich warnen."
"He, was soll das jetzt?"
"Du kannst dich gerne hier vergnügen, aber denke daran, wenn mit dem Mädchen etwas passiert, wird es für dich gefährlich."
"Hast du irgendwas genommen, oder was?"
"Ich kann dir dann nicht helfen, Tain."
"Hau ab, verschwinde bloß!"
Etwas später sah Katharin Tain durch den Saal hetzen, Zigarette und Feuerzeug umklammernd. Rauchen durfte man nur noch draußen.
Kurz nach vier Uhr morgens war Tora fort. Tain kam auf Katharin zu, die neben einem von Tains älteren Weggefährten an einem Tisch saß. Tain sagte mit einem Lächeln:
"Du erträgst es nur nicht, wenn ich gewinne."
"Gewonnen hast du erst, wenn du tot bist", entgegnete Katharin.
"Warum?"
"Du willst sterben, und ich will, daß du lebst", erklärte Katharin. "Also hast du gewonnen, wenn du tot bist."
"Ich habe nicht gesagt, daß ich sterben will. Ich habe nur gesagt, daß ich nicht lange leben will."
"Das kommt doch aufs Gleiche heraus."
"Also, wenn ich sterben ... wollen ... würde, dann würde ich mich doch umbringen. Oder, Frau Hausser?"
"Du bist so lebendig, daß ich kaum fassen kann, daß du schon bald nicht mehr da sein wirst."
"Malen wir da wieder Teufel an die Wand, Frau Hausser?"
"Du nimmst solche Mengen Gift zu dir, daß es nicht mehr lange dauern kann."
"He, wenn ich nur leben würde, um mich zu vergiften, dann könnte ich doch Knollenblätterpilze essen, oder? Ich genieße ... das Leben ist dazu da, um zu genießen ..."
"Hast du schon davon gehört, daß bei einer Suchterkrankung die Fähigkeit verlorengeht, etwas zu genießen?" fragte Katharin. "Das gelingt dann nur noch mit dem Suchtmittel."
"Ja, dann reicht es doch, wenn ich rauche, und mir gehört die Welt!"
"So ist das bei Suchtkranken. Man kann nur dabei zusehen, wie der Suchtkranke sich langsam umbringt. Man kann nichts, nichts tun, um das zu verhindern."
Tain zog an seinem Hemdkragen. Ihm schien ungemütlich warm zu werden.
"Ich gehe mal eben rauchen", sagte er hastig und lief zur Treppe.

-   -   -


Katharin wußte wohl, was Staale dazu bringen würde, Tain zu entlassen. Und Tain wußte es ebenfalls.
Ein weiterer Mensch, der Tain zum Opfer fiel, ein weiterer Mensch, der körperliche oder seelische Schäden davontrug, ohne daß Tain es geheimzuhalten vermochte, das genügte.
Am Ende war es nicht Tora, die sich umzubringen versuchte. Es war eine Achtzehnjährige namens Elaine. Wie sich herausstellte, hatte Tain sowohl mit Tora als auch mit Elaine ein Verhältnis. Eine Freundin von Elaine - Georgiana - wußte zu berichten, daß Elaine kurz vor ihrem Selbstmordversuch eine Auseinandersetzung mit Tain gehabt hatte. Elaine hatte von Tain verlangt, die Beziehung mit Tora zu beenden. Als er das ablehnte, hatte Elaine ihm mitgeteilt, daß sie ein Kind von ihm erwartete.
"Das muß weg", entgegnete er sogleich. "Und wenn du meinst, du mußt das haben, dann wehe, wenn du irgendwem erzählst, wer der Vater ist - dann geht es dir schlecht."
Elaine wurde rechtzeitig von Georgiana gefunden, die sie besuchen wollte. Elaine hatte zwei Schachteln Paracetamol eingenommen und sich daraufhin übergeben, so daß man sie retten konnte.
Im Krankenhaus beteuerte Elaine, sich nichts mehr antun zu wollen, also ließ man sie gehen.
Zwei Wochen später war Elaine tot, sie lag in Stücke zerrissen auf einem Bahndamm.
Tain folgte widerwillig Staales Aufforderung, im Konferenzraum zu erscheinen. Katharin öffnete ihm die Tür.
"Es ist etwas Schlimmes passiert", sagte sie.
"Was wollt ihr?" fragte Tain. "Ich habe sie nicht umgebracht."
"Es muß sich etwas ändern."
"Wenn ihr meint ... ich kann sowieso nichts dagegen machen."
"Tain, bleib' bitte hier."
Tain hob den Kopf, schaute seltsam abwesend in die Ferne und stürzte besinnungslos zu Boden. Katharin umschlang seinen Körper. Die Kollegen Luca und Auran liefen herbei und versuchten, Tains zuckende Arme und Beine einzusammeln. Staale rief den Rettungsdienst.

-   -   -

"Ich kann dich nicht hinauswerfen", sagte Staale im Krankenhaus zu Tain. "Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich kann einen todkranken Menschen nicht auf die Straße setzen."
"Ach, das war doch nichts", winkte Tain ab. "Wenn ich die Tabletten nehme, passiert das nicht wieder."
"Die können dich nur begrenzt vor Anfällen schützen", entgegnete Staale. "Du weißt, du kannst nicht operiert werden."
"Und wenn ... ich weiß sowieso nicht, ob ich mich hätte operieren lassen wollen."
"Haben sie mit dir geredet?"
"Sie haben gesagt, das kommt von der Lunge und ist jetzt im Kopf."
Staale nickte.
"Du sollst mich nicht aus Mitleid behalten", verlangte Tain. "Ich kümmere mich um niemanden, und ich will auch nicht, daß sich jemand um mich kümmert."
"Du weißt, was am Ende steht?"
"Das weiß ich schon", sagte Tain wegwerfend. "Die wissen nicht, wie lange noch, aber ... nicht mehr so lange."
"Du kannst nicht mehr arbeiten."
"Ich weiß. Ich gehe schon von selber."
"Wir wollen nicht, daß du gehst", betonte Staale. "Du wirst bei uns bleiben, weil wir dich nicht im Stich lassen."
"Wie paßt denn das? Einerseits soll ich nicht mehr arbeiten, andererseits wollt ihr mich behalten?"
"Wir lassen dich nicht im Stich ... auch wenn dir das nicht gefällt, aber wir lassen dich nicht im Stich."

-   -   -

Tain saß auf einer Bank im Schilfrohr, das Gesicht aschfahl, die Augen leer, und zog an einer Zigarette.
"Wozu?" fragte er. "Wozu das alles? Ihr habt euch so viel Mühe gegeben, mich am Leben zu erhalten, und das war alles umsonst."
"Wenn Leen dir nicht geholfen hätte, wärst du zehn Jahre eher gestorben", gab Katharin zu bedenken.
"Zehn Jahre ... was sind schon zehn Jahre?"
"Ich finde, das ist ganz schön viel."
"Jetzt kommt es mir vor wie nichts."
"Eigentlich würde ich sagen, du brauchst Zeit, um das Leben schätzen zu lernen", meinte Katharin. "Aber du hast keine Zeit mehr. Du kannst keine Erfahrungen mehr machen, die dich das Leben schätzen lehren."
"Und wenn ich alle Zeit der Welt hätte, an mir würde sich doch nichts mehr verändern."
"Dir war es immer sehr wichtig, dich nie zu verändern."
"Nie ... bis ins Grab nicht."
"Die Sucht bedeutet dir mehr als alles auf der Welt - mehr als die Liebe, mehr als deine Gesundheit, mehr als dein Leben. So war es nur folgerichtig, daß du der Sucht alles geopfert hast."
"Vom Rauchen stirbt man nicht", behauptete Tain. "Das ist nur das Gerede von Nichtrauchern. Lungenkrebs kann man auch kriegen, wenn man nie geraucht hat. Das ist lächerlich, zu behaupten, daß Rauchen schädlich ist. Das sind nur die Leute, die sich selbst nichts gönnen und es nicht ertragen, wenn jemand sein Leben genießt."
"Sucht und Lebenslügen, das gehört untrennbar zusammen", meinte Katharin. "Wenn du ehrlich wärst, dir selbst und anderen gegenüber, dann könntest du deine Sucht nicht aufrechterhalten."
"Was willst du mir denn raten?" fragte Tain. "Das Rauchen aufzugeben? Das ist doch jetzt auch egal, oder?"
"Du wirst bald sterben, das ist sicher, mit und ohne Zigaretten. Wenn du meinen Rat hören willst, dann rate ich dir, in dem Rest deines Leben alles zu tun, was du immer tun wolltest und dir nie erlaubt hast."
"Warum sollte ich das denn? Ich komme doch zurecht, wenn ich so weitermache wie bisher. Ich brauche doch nichts außerdem."
"So ist es, Tain - das Leid kann niemanden läutern. Auch in der Not bleibt der Mensch, wie er ist, mit all seinen Schwächen und Fehlern."
"Laß mich doch so, wie ich bin."
"Ich glaube nicht, daß du so bist. Ich glaube, daß du so tust."
"Ach, du glaubst immer noch an das Gute in mir? An das goldene Herz, das unter dem Schrotthaufen vergraben ist? Echt, in welcher Welt lebst du? Besser - in welchem Traum lebst du?"
"Ich glaube, daß du ein hervorragender Schauspieler bist ... und so gut in deinem Fach, daß du dir selbst überzeugend etwas vorspielen kannst. Wahrscheinlich wird niemand, auch du selbst nicht, jemals erfahren, was sich unter dem Schrotthaufen verbirgt."
"Aber du suchst immer noch in dem Schrotthaufen herum", deutete Tain. "Du kannst nicht aufgeben."
"Ich will nicht aufgeben."
"Ich bin tot, ich bin so gut wie tot. Was willst du noch mit mir?"
"Ich will deine Nähe."
"Was bin denn ich? Eine Fassade, hinter der schon lange nichts mehr ist, nur noch Leere ..."
"Du bist da. Du fühlst dich vielleicht nicht, aber ich kann fühlen, daß du da bist."
"Mein Hologramm, das ist da", behauptete Tain. "Ich bin längst weg, mich gibt es gar nicht mehr."
"Dich gibt es noch."
Katharin legte ihre Arme um Tain.
"Weg!" rief er, sich heftig wehrend. "Weg da!"
"Siehst du? Es gibt dich noch."
"Aber ich empfinde doch gar nichts für dich."
"Wenn du das zulassen würdest, wäre das auch ... sehr hart für dich."
Tain schloß die Augen und saß eine Weile wie versteinert. Dann schaute er mit einem trüben Blick in die Ferne und fragte:
"Findest du denn nichts Besseres zu tun, als mit einem lebenden Toten auf einer Bank im Schilf zu sitzen?"
"Im Augenblick will ich gar nichts anderes."
"Ach, du bist wunschlos glücklich."
"Mir geht es nicht um Glück, sondern um dich."
"Das wird mir schon wieder alles zuviel", sagte Tain, stand auf und fingerte eine weitere Zigarette aus seiner Schachtel hervor.
Er schien sich an die Zigarette zu klammern, als könnte sie ihm Halt geben.
"Schluß für heute", brachte er mit einiger Mühe hervor.
"Bist du morgen wieder hier?" erkundigte sich Katharin.
"Klar, drinnen darf man nicht rauchen", sagte Tain hastig und verschwand zwischen dem Schilf.

-   -   -

Tain war tatsächlich am nächsten Tag wieder da, er saß auf der Bank im Schilfrohr am Klinikteich. Neben ihm saß ein Mädchen, von dem Katharin wußte, daß es noch zur Schule ging und Sarena hieß. Beide hielten die Hände abgespreizt, damit die Asche ihrer Zigaretten ihnen nicht auf die Kleider fiel.
In der Nacht war der erste Frost gefallen, das Schilfrohr stand im Rauhreif, doch das hielt die beiden nicht ab, hier draußen in der Kälte zu sitzen. Tain redete, Sarena lächelte und schien zu glauben, daß Tain nur ihr gehörte. Tain küßte Sarena, redete weiter, küßte Sarena und redete weiter.
"So ist es", dachte Katharin. "Das Leid läutert einen Menschen nicht."

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Es kamen andere Tage. Das, was von Tain noch übrig war, zerfiel mehr und mehr. Katharin schaute gelegentlich im Krankenhaus nach, wieviele Mädchen an seinem Bett standen.
"Keines?" fragte Katharin eines Abends erstaunt, als sie mit der Nachtschwester in der Kaffeeküche saß. "Ich kann es nicht fassen. Ehrlich, ich hätte gedacht, diese Mädchen himmeln Tain auch dann noch an, wenn er nur noch ein Skelett ist."
"Im Kino können die meisten Leute Grusel ertragen", meinte die Nachtschwester, "aber im wirklichen Leben sind sie damit überfordert. Die Girlies, die um Tain herumgeschwärmt sind, scheinen jedenfalls nicht damit klarzukommen, daß er eben nicht der Held ist, den sie ihn ihm sehen wollen."
"Wer besucht ihn denn überhaupt noch?"
"Vor allem die Kollegen."
"Und sein Vater?"
"Ach, das wußtest du noch gar nicht ... der ist letzte Woche an einem Herzinfarkt gestorben."
"Hat der geraucht?"
"Ja, der hat wohl geraucht."
"War der denn mal hier?"
"Der war schon krank, der hatte offene Beine, der konnte wohl nicht mehr verreisen."
"Und wollte es vielleicht auch nicht?"
"Da steckt man nicht drin."
"Ich habe so viele Menschen sterben sehen ... manche wollen allein sein, wenn sie sterben", sagte Katharin in Gedanken. "Aber Alleinsein, das ist etwas anderes als Einsamkeit. Einsamkeit ist kalt wie der Tod, das ist der Tod im Leben. Einsam kann man auch in Gesellschaft sein, wenn einen die Menschen nicht mehr erreichen."
"Das stimmt wohl."
"Ein verlöschendes Leben ist doch noch Leben. Nur kann ich nichts zurückbekommen von dem, was ich einem Sterbenden gebe. Er nimmt alles mit."
"Rauchen", sagte die Nachtschwester. "Ich muß unbedingt mal eine rauchen gehen."
"Du siehst jeden Tag die Leute hier sterben und hast noch Lust auf Zigaretten?"
"Das ist Sucht, das hat mit Lust nichts zu tun."
"Willst du denn gar nichts dagegen unternehmen?"
"Sterben müssen wir alle mal, und mir kommt es auf ein paar Jahre nicht an."
"Aber willst du die letzte Zeit deines Lebens so verbringen wie die Patienten hier, mit Siechtum, epileptischen Anfällen und Atemnot?"
"Das ist ja nicht gesagt, daß es so endet", meinte die Nachtschwester. "Außerdem, ich kann ja Schluß machen, bevor es so weit kommt."
"Das ist es, was ich mich immer noch frage - warum Tain sich nicht einen Strick genommen oder sich erschossen hat."
"Vielleicht traut er sich nicht."
"Vielleicht muß er sich auch nicht trauen, er hat ja seine Zigaretten und die vielen Mädchen."
"Was die an dem noch gefunden haben all die Zeit!" staunte die Nachtschwester. "Er ist erst achtunddreißig Jahre alt, sieht aber aus wie der Tod selbst ... verfallen ... völlig verbraucht."
"Er hat alles daran gesetzt, die Mädchen auch bei fortgeschrittener Krankheit noch zu beeindrucken", meinte Katharin. "Das hat ihm ein Gefühl von Macht gegeben, ein Gefühl der Kontrolle. Tain kann das Gefühl nicht ertragen, hilflos zu sein."
"Er hat das hier auch noch anders umgesetzt", wußte die Nachtschwester. "Er hat hier den Oberbefehlshaber gespielt."
"Das kann er jetzt nicht mehr."
"Nein, das kann er nicht mehr. Er hätte nicht einmal mehr die Kraft, sich umzubringen. Vor wenigen Tagen hat er noch verhandelt, weil er mehr Morphium wollte. Er hat den Perfusor schneller gestellt und mit den Ärzten gestritten, als er leer war. Und seit gestern kann er nicht mehr sprechen."

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Es war noch hell. Katharin stand im Krankenhaus in Tains Zimmer und betrachtete die hohe, weite Glaswand. Der Blick ging hinaus in ein verschwenderisches Grün, das leuchtete klar und satt vom Regen. Laubbäume wechselten ab mit dunklen Nadelgehölzen, umgeben von einem Wall aus Büschen und Sträuchern. Das Dach eines schwarzen Bretterhäuschens glänzte in der Nässe. Der Holunder blühte elfenbeinfarbig, die dünnen Zweige schwankten im Wind.
Die Luft draußen war regenschwer und warm. Nie wieder würde Tain hinauskommen, auch auf der Bank im Schilf würde er nie wieder sitzen können.

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Vor dem Altar stand der Sarg, ein schwarzer Kasten, auf den abstrakte Figuren gezeichnet waren. Sie ähnelten Menschen, wirkten aber schemenhaft, seltsam durchsichtig, wie überirdisch. Von Staale wußte Katharin, daß solche Figuren Gebete waren, eine Ablage für ein Zuviel an Gedanken und Gefühlen. Staale hatte erzählt von Léry Lassigue, der malte solche Figuren auf große Papierbahnen und hängte sie in Sälen und Fluren auf. An wen sich die Gebete richteten, wußte niemand zu sagen; es blieb etwas Mystisches:
"Wir wissen nicht, wer es ist und was es ist, aber da ist etwas - oder jemand."
Daß Tain nicht mehr da war, war für Katharin nicht faßbar, nicht greifbar, fremd, weit weg. Tain war für sie immer anwesend, auch jetzt noch. Sie hatte ihn immer vermißt, da sie ihn nur selten gesehen hatte, und nun würde sie ihn weiterhin vermissen, nur mit dem Unterschied, daß sie wußte, sie würde ihn nicht wiedersehen, nicht in diesem Leben.
Die sechsjährige Denise griff nach der Hand ihrer Mutter Constri. Denise trug einen weiß blühenden Jasminzweig, den sie in das Grab warf.
"Denise ist nur meine Nichte, aber sie hat viel von mir", dachte Katharin. "Sie hat die blauen Augen und die dunkelblonden Haare. Und sie hat eine Vorliebe für weiß blühende Zweige."


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