Netvel: "Im Netz" - 39. Kapitel































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Wie verabredet trafen Tyra und ich uns in dem Bistro "Always" in MI. Es lag Schnee, die Passanten liefen in der Kälte zwischen den Buden des Weihnachtsmarktes herum.
"Laß unsere Träume wahr werden", nahm Tyra Bezug auf ihren Traum, in dem sie und ich im "Always" in MI. saßen.
Tyra erzählte von ihrer Ausbildung zur Erzieherin, die sie im kommenden Jahr abschließen will. Sie empfängt Bafög und jobbt im "Keller".
Tyra erzählte, wie sie die Welt der Discotheken kennenlernte. Mit dreizehn Jahren verabredete sie sich mit einer Freundin, um bei ihr zu übernachten. Die Mädchen kletterten vom Balkon und gingen heimlich in die nahegelegene Discothek. Tyra beichtete ihrer Mutter den Ausflug. Die meinte, sie sei froh, daß die Tochter keine Geheimnisse vor ihr haben wolle, daher erlaube sie ihr, in die Disco zu gehen, stelle jedoch die Bedingung, daß sie sie hinfahren und abholen dürfe. Dagegen hatte Tyra nichts einzuwenden. Wenn Tyra in der Disco war, begegnete sie öfters ihrem Onkel, dem jüngeren Bruder ihrer Mutter. Jahre später erfuhr sie, daß die Mutter den Onkel hingeschickt hatte, um achtzugeben, daß Tyra nichts passierte.
Tyras Onkel ist eine Zeitlang mit Xenons jetziger Freundin Luna zusammengewesen, daher kennt sie Luna seit ihrer Kindheit.
Tyra erzählte, sie sei mit Rafa seit drei Jahren befreundet. Seine Musik habe sie schon vorher gekannt. Mit sechzehn habe sie Liebeskummer gehabt. Sie habe "Deine Augen" von Rafa gehört, weil ein Bekannter es im Auto abspielte, und sie war gleich von der Musik begeistert und dachte sich, der Sänger könnte einmal ihr bester Freund werden. Als sie mit neunzehn Jahren Rafa kennenlernte, sagte er ihr, daß er der Sänger von W.E ist. Sie glaubte ihm nicht, so sehr er es auch beteuerte. Da lud Rafa sie zu einem Videoabend in seinen Keller ein, und dort sah sie die vielen W.E-Plattenhüllen und Merchandize-Artikel an der Wand und glaubte ihm endlich.
Tyra betonte, Rafa und sie seien Freunde, auch heute noch. Rafas Annäherungsversuche habe sie stets abgewehrt. Das Gerücht, Rafa und sie hätten etwas miteinander, lasse sich allerdings nicht aus der Welt schaffen.
Tyra erinnerte sich, wie Darienne in Rafas "Beuteschema" hineinwuchs. Im vergangenen Jahr stritt Rafa noch jedes Interesse an Darienne ab.
"Ich habe doch keine pädophilen Neigungen", sagte er über die damals noch Minderjährige.
Später, als Darienne achtzehn war, gab Rafa vor, mit Herrn Lehmann "Herrenabende" zu veranstalten. Herr Lehmann sei jedoch nur ein Vehikel für Darienne gewesen, die Rafa besuchen wollte. Daß es um die Anbahnung einer Liebschaft ging, konnte Rafa Tyra gegenüber mit dem unzutreffenden Begriff "Herrenabend" verschleiern.
Bevor Rafa sich dieses Jahr auf seiner Geburtstagsfeier an Darienne heranmachte, sagte er zu Tyra:
"Darienne ist ein kleines, kleines Mädchen, dem will ich mal auf den Zahn fühlen."
In Rafas Sprache bedeutet das so viel wie:
"Mal sehen, ob Darienne sich gefügig machen läßt und ich sie nach meinen Vorstellungen gebrauchen kann."
Rafa hat Tyra gegenüber monatelang geleugnet, daß er mit Darienne eine Beziehung hat.
"Da ist nichts, und da war nichts", behauptete er.
Vor drei Wochen sagte Tyra ihm auf den Kopf zu, daß er mit Darienne zusammen ist. Da entgegnete Rafa unwillig:
"Ja, wenn du es so sagst, dann bin ich wohl mit ihr zusammen."
Tyra wandte ein, er habe ihr gegenüber immer abgestritten, ein ernsthaftes Interesse an Darienne zu haben. Rafa erwiderte wegwerfend:
"Was kann ich dafür, wenn meine Gefühle sich ändern?"
Rafa hielt Tyra vor, sie tratsche herum, daß er mit Darienne zusammen sei. Tyra entgegnete, das wisse doch eh längst jeder.
Übrigens soll Rafa Darienne vor Kurzem schon wieder betrogen haben - mit wem, das erzählte Tyra freilich nicht.
Was mich betrifft, scheint Rafa paranoid zu sein. Er behauptete, ich sei "irre", weil ich sage, daß ich ihn liebe. Er fühlt sich bedroht, denn:
"Hetty sagt ja, daß sie mich liebt. Aber eines Tages steht die bestimmt mit der Axt hinter mir."
Jedem seiner Bekannten, der Kontakt zu mir hat, soll Rafa den Vorwurf machen, "mit dem Feind zu kooperieren".
Von ihrer ehemalige Mitbewohnerin Charlize, die für Das P. singt, weiß Tyra Folgendes: Die Mutter einer Freundin von Charlize ist eine Kollegin von Dariennes Mutter. Dariennes Mutter habe im Mai dieses Jahres ihrer Kollegin erzählt, sie mache sich Sorgen um ihre Tochter. Seit Darienne mit Rafa zusammen sei, sei sie verändert, und sie komme an Darienne nicht mehr heran. Rafa indes scheint den Versuch unternommen zu haben, die Vorbehalte von Dariennes Mutter gegen ihn zu entkräften. Er soll sich bei Dariennes Eltern mit den Worten vorgestellt haben:
"Gestatten, Rafa mein Name. Nächstes Mal bringe ich einen Plattenvertrag mit, damit Sie sehen, was Ihre Tochter bei mir verdient."
Darienne hat Anfang Mai die Schule abgebrochen. Ein Praktikum in einem Friseursalon hat sie vorzeitig beendet. Noch in diesem Jahr soll Darienne zum ersten Mal für W.E singen, bei einem Auftritt in E.
"Vor den Auftritten hatte ich erst Angst, dann hat es mir Spaß gemacht", erzählte Tyra von ihren Erfahrungen bei W.E, "aber vor und nach den Konzerten, das war die Hölle. Rafa hat mich wie den letzten Dreck behandelt. Als wir nur miteinander befreundet waren, war er immer nett zu mir. Aber in der Band, da war ich die 'W.E-Tyra', und ich war nichts mehr wert. Einmal hat er mich angeschrien:
'Du Dreck, sieh' zu daß das Kabel da richtig aufgewickelt wird.'
Nachher habe ich ihn darauf angesprochen und ihn gefragt:
'Wo bist du?'
Er verstand nicht, was ich meinte, und ich habe ihm erklärt, daß ich den Rafa nicht mehr finden konnte, den ich vorher kannte und mit dem ich gut befreundet war.
Ich hasse 'Honey', und Rafa ist mein Freund, also - ein Freund. Ich bin aus der Band ausgestiegen, um Rafa nicht zu verlieren. Das klingt paradox, war aber der einzige Weg, unsere Freundschaft zu retten. Und jetzt ist unser Verhältnis schon wieder fast so wie früher."
Tyra erzählte, Lucy habe mit ihr gemeinsam den Ausstieg bei W.E geplant, weil sie damit rechnete, von Rafa ohnehin bald hinausgeworfen zu werden. Sie habe dem zuvorkommen wollen. Rafa sei mit Lucy nie so recht zufrieden gewesen.
Tyra bestätigte meinen Eindruck, ihr letzter Auftritt im "Zone" sei eine Abschiedsparty gewesen, die Lucy und Tyra unabhängig von den anderen Bandmitgliedern feierten.
Cyris und ich waren betroffen, als Rafa Tyras Zeugnis vorlesen wollte und Tyra öffentlich bloßstellte, indem er sich unterbrach mit den Worten:
"Ach, ich lese lieber das von Lucy vor, das ist besser."
Tyra erzählte, sie habe deswegen fast geweint. Sie habe eigentlich auch noch durchs Mikrophon einen Gruß ans Publikum sagen wollen, jedoch nach diesem Affront darauf verzichtet. Im "Zone"-Café habe sie verstört auf der Bank gesessen, und Lucy habe versucht, sie zu trösten.
Als Rafa sich später über Tyras zerknittertes Zeugnis wunderte, habe sie ihm erklärt, daß sie eigentlich vorgehabt habe, es zu zerreißen.
Tyra will Darienne nicht auf der Bühne sehen, und sie will auch keine Lieder hören, in denen Darienne singt. Einmal wollte Rafa ihr ein Lied von H.F. vorspielen, das Darienne allein singt. Tyra wehrte ab:
"Das will ich nicht hören! Ich will Darienne nicht singen hören!"
"Der Text ist aber von mir", wandte Rafa ein.
"Trotzdem will ich es nicht hören."
"Ich mache es aber an."
"Dann gehe ich jetzt."
Rafa lenkte ein und verzichtete darauf, das Stück abzuspielen.
In den letzten Monaten ihrer Bandzugehörigkeit verlangte Tyra von Rafa, daß er Darienne nicht mehr zu den Konzerten mitnahm.
"Ich trete nur auf, wenn Darienne nicht mitkommt", machte sie zur Bedingung.
Rafa beugte sich, damit die Konzerte wie geplant stattfinden konnten.
"Ich ertrage Dariennes Oberflächlichkeit nicht", meinte Tyra.
Sie gehörte zu denen, die in Dariennes Online-Gästebuch geschrieben haben. Sie nannte sich "Phylicia". Unter anderem hat sie den folgenden Eintrag verfaßt:

Also Murmel, ich glaube, du bist einer der wenigen Menschen, die hier in das Gästebuch schreiben, die versuchen, nach innen zu blicken. Das gefällt mir. Hier werden wir mit unserem Tiefsinn nur leider nicht weit kommen, da hier nichts von Besonderheit und Schönheit zu finden ist. Eigentlich ist es arm, dass wir hier ständig einen vom Stapel lassen, so ist es doch letztendlich reine Zeitverschwendung, da sich "Miss-Ich-bin-hässlich-doof-und-muss-das-übermalen" wahrscheinlich beim Lesen ins Fäustchen lacht und sich freut, dass überhaupt jemand schreibt ... wie dem auch sei, die Alte braucht ja schließlich mal für ihre verhurte Intrigenspinnerei die Retourkutsche. Also gilt es ihr klar zu machen, dass ihre Zukunft, nämlich eine Zukunft aus Plastik, keine Zukunft ist, da Plastik aus Öl hergestellt wird und das von Weil zu Weil doch immer knapper wird. Für alle anderen: HIER SPRICHT NICHT DER NEID, SONDERN TIEFSTE VERACHTUNG!!! Ich kenne sie NICHT NUR durch diese Seite. So ist es allgemein bekannt, dass man nicht unter 7 kg Schminke im eigenen Gesicht mit ihr in ein Gespräch kommen wird, denn Lady-Ich-habe-auch-nur-Plastik-im-Gehirn hält sich anderenfalls für etwas Besseres und meidet den Umgang ... sich dann so im Internetz zu präsentieren, ist das Einzige, was ihr bleibt, da der Charakter doch sehr zu wünschen übrig lässt ... Traurig. Schaut hinter die Fassade, bevor ihr eure VORURTEILE darlegt ...

Als Rafa mit W.E Ende März das Konzert im "Reentry" in BS. gab, hatten Darienne und Tyra im Backstage eine Auseinandersetzung. Tyra erinnerte sich:
"Wenn ich nicht geschminkt bin, redet Darienne mit mir überhaupt nicht. Und wenn ich geschminkt bin, redet sie immerhin mit mir über Styling und Makeup. Im 'Reentry' habe ich sie auf H.F. angesprochen:
'Na, wie fühlt man sich so als Popstar?'"
"Du weißt doch, wie das ist", soll Darienne mit eingefrorenem Grinsen geantwortet haben, "immer lächeln und 'ja' sagen."
"Da bin ich so wütend geworden, da habe ich sie geschubst", erzählte Tyra. "Und jetzt behauptet Darienne, ich wollte sie umbringen."
Tyra fühlte sich von Darienne angegriffen, weil sie den Eindruck hatte, Darienne unterstelle ihr dasselbe devote Verhalten, das sie selbst Rafa gegenüber an den Tag legte.
"Ich fühlte mich mit einer Nutte verglichen", meinte Tyra.
Dazu konnte ich beisteuern, daß Darienne sich in ihrem Profil in der Online-Szene-Kontaktbörse selbst als Prostituierte bezeichnet, als "kodak whore", also "Foto-Prostituierte".
Rafa zu Gefallen soll Darienne sich übrigens zwei ihrer Piercings herausgenommen haben. Geblieben ist ihr Piercing in der Nase, mit dem sie - laut Isis - "wie ein Hornochse" aussieht.
Rafa behandle seine Bandmitglieder ähnlich wie ein altrömischer Sklavenhalter. Er regiere nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche". Abwechselnd entwerte er seine Bandmitglieder und betone dann wieder, sie seien die Auserwählten, die die Ehre hätten, Mitglieder von W.E sein zu dürfen.
Über das Konzert Ende März im "Reentry" sagte ich zu Tyra, mir habe gefallen, wie sie kess ihr Röckchen hob, so daß man einen Schlüpfer mit einem aufgenähten roten Herz sehen konnte.
"Das war meine Idee", erzählte Tyra. "Rafa hat mich dafür voll zur Sau gemacht."
"Aber das war doch so niedlich!"
"Ja, aber er hat gemeint, das passe nicht ins Konzept. Bei W.E müßten die Menschen auf der Bühne sich wie Puppen verhalten, eiskalt, ohne Regung. Und wenn man das Röckchen heben würde, sei das eine menschliche Geste, das passe nicht."
"Ach, der kann es nur nicht ertragen, wenn jemand mehr Charisma zeigt als er selber", meinte ich. "Wenn er Puppen will, soll er doch Schaufensterpuppen auf die Bühne stellen, das hätte ich wengistens noch originell gefunden."
"Ja, aber die können nicht singen."
"Sprechpuppen können auch singen", hielt ich dagegen, "es gibt doch technische Möglichkeiten."
Ich meinte, Tyra habe ihr darstellerisches Talent bei W.E nicht ausreichend zur Geltung bringen können.
"Nein, wir waren ja nur Randfiguren, wir standen nur da", bestätigte Tyra. "Bei den Proben bin ich zwischendurch von meinem Platz weggegangen, weil ich das nicht eingesehen habe, nur wie blöd da 'rumzustehen, wenn ich sonst nichts zu tun hatte. Da war Rafa voll sauer."
Es falle Rafa sehr schwer, künstlerische Leistungen anzuerkennen, die von anderen Menschen erbracht wurden.
"'Nicht schlecht' ist das Äußerste, was er sagt", wußte Tyra.
Ich erzählte, daß er über die Bilder, die ich gezeichnet habe, geurteilt hat:
"Nicht schlecht."
"Oh, das war aber schon das allerhöchste Lob", meinte Tyra.
Berenice hat sich für immer von W.E losgesagt und verwirklicht ihre kreativen Ideen in ihrem eigenen musikalischen Projekt. Ihre W.E-Kostüme versteigert Berenice im Internet für einen guten Zweck. Darunter ist auch das rosafarbene Kleid, das sie meistens auf der Bühne trug. Tyra erzählte, Darienne habe für ihre Auftritte mit W.E Lucys rosafarbenes Kleid bekommen.
Tyra vermutete, für Berenice sei es traurig, mitanzusehen, auf welches Niveau Rafa mit der Wahl seiner Freundin und Sängerin gesunken sei.
"Für Rafa ist das Niveau egal", meinte ich. "Der hatte auch Tessa auf der Bühne, und die ist dumm wie Toastbrot und kann nicht singen. Der weiß die Fähigkeiten und Besonderheiten seiner Freundinnen und Sängerinnen nicht zu würdigen."
"Aber der will doch immer, daß die Leute mitdenken können. Der sagt doch immer:
'Benutze dein Gehirn.'"
"Ja, das sagt er, aber er will es gar nicht. Er will, daß die Leute um ihn herum wie Marionetten funktionieren. Er will, daß die Leute nur das denken, was er ihnen vorschreibt."
"Stimmt. Wenn ich so darüber nachdenke ..."
Rafa hat Tyra erklärt, weshalb er blutjunge Mädchen als Freundinnen, Geliebte und Sängerinnen bevorzugt:
"Junge Mädchen sind noch formbar."
"Der will devote Freundinnen, mit denen er machen kann, was er will", deutete ich. "Berenice hat ihren IQ doch lange Zeit gar nicht in die Waagschale geworfen. Lange Zeit hat sie sich ihm gegenüber unterwürfig verhalten, das haben auch ihre eigenen Freundinnen beobachtet."
Rafas Ansichten erinnern mich an ein Zitat von Hitler, das lautet:
"Es gibt doch nichts Schöneres, als sich ein junges Ding zu erziehen. Ein Mädel mit 18, 20 Jahren ist biegsam wie Wachs."
Vermutlich fühlen sich narzißtisch gestörte Männer erwachsenen und selbstsicheren Frauen unterlegen und weichen deshalb auf naive junge Mädchen aus. Die können sie noch beeindrucken und beherrschen. Wenn die Mädchen eines Tages erwachsen und damit auch selbstsicherer werden und sich nicht mehr unterordnen, zerbricht die Beziehung, so auch bei Rafa und Berenice.
"Bist du jetzt nicht wütender, wenn du Rafa mit Darienne siehst, als damals, wenn du Rafa mit Berenice gesehen hast?" wollte Tyra wissen.
"Rafa hatte immer nur Beziehungen, die für alle Beteiligten enttäuschend waren", meinte ich. "Er hat immer nur seine Zeit verschleudert und sein Leben weggeworfen und das seiner Freundinnen noch dazu. Das macht mich wütend, weil sich daran nichts ändert."
"Meinst du, Rafa ist wirklich verliebt?"
"Ich denke, echte Liebe kann er nicht einordnen und nicht benennen, so daß er das, was er Darienne gegenüber empfindet, mit Verliebtheit verwechselt."
Lucy soll Tyra erzählt haben, Berenice habe ihr erzählt, sie maile mir nur, um von mir Informationen zu erhalten.
"Das glaube ich nicht", kommentierte ich. "Selbst wenn Berenice das wirklich gesagt hat, glaube ich es nicht. Sie ist in ihren E-Mails zu offen und hat ein zu großes Bedürfnis, sich mitzuteilen, als daß sie es nur um der Informationen willen tun würde."
Als Rafa, Darienne und Lucy neulich in S. waren, beobachtete Lucy, wie Mayjana und Icon sich abmühten, mit Darienne ein Gespräch zu beginnen. Es soll ihnen nicht gelungen sein.
Tyra bestätigte Ivcos Vermutung, daß Darienne mehr rede, wenn das mitmenschliche Umfeld offen und zuvorkommend sei, doch sei dann auch kein nennenswerter Inhalt in ihren Worten zu finden, so daß Darienne doch besser den Mund halten solle.
Vor Tyra soll Darienne sich so fürchten, daß sie, als Tyra im "Keller" bediente, nicht hineinkommen wollte. Von dieser Begebenheit hat mir auch Sam erzählt. Rafa und Anwar seien in den "Keller" gegangen, Darienne hingegen sei vor der Tür stehengeblieben. Rafa und Anwar seien nach kurzer Zeit mit Darienne weggegangen.
Über Sam erzählte Tyra, einmal habe die Wirtin Bibian ihn beinahe aus dem "Keller" geworfen, weil er versucht habe, Rafa zu verprügeln.
"Ich mag Rafa zwar nicht, aber wenn du dem was tust, fliegst du 'raus", soll Bibian gedroht haben.
Von diesem Ereignis hat Sam mir ebenfalls erzählt. Er habe sich über Rafas endlose Predigten aufgeregt, und er habe den Wunsch verspürt, Rafa mit dem Kopf gegen die Tür zu hauen. Bibian habe ihn daran gehindert.
Laut Tyra soll Sam ansonsten ein Prahlhans sein, der es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehme.
Rafa soll in seiner Heimatstadt SHG. ziemlich unbeliebt sein.
"Der hat einen an der Waffel, der hat einen an der Mütze" - das sei es, was man über ihn sage.
"Er tut mir leid, ich will ihm helfen", sagte Tyra.
"Er hat an seiner Lage zu einem gewissen Teil selbst schuld", wandte ich ein. "Aber leid tut er mir auch, und helfen will ich ihm auch."
Laut Tyra hat sich das Verhältnis zwischen Rafa und ihr so entspannt, daß sie wieder unbefangen bei Rafa vorbeischauen kann. Tiefergehende Gespräche lasse er allerdings kaum zu, auch jetzt nicht. In seinem Bekanntenkreis gehe es ebenfalls nur um oberflächliche Themen.
"Und wenn er mit Darienne allein ist, ob das dann anders ist?" überlegte Tyra.
Ich bezweifelte das.
"Zwischen Rafa und Darienne gibt es allerhöchstens eine Pseudosolidarität", meinte ich. "Er suggeriert ihr, daß sie beide die einzigen wertvollen Menschen auf der Welt sind. Damit bindet er sie an sich und kann sie in aller Ruhe betrügen, ohne daß sie ihn verläßt. Er erklärt den Rest der Menschheit zum Feindbild und fördert so Dariennes Selbstisolation. Dadurch kann er sie beliebig manipulieren, weil sie kaum noch Vergleichs- und Kontaktmöglichkeiten hat."
Tyra erzählte, Rafa betone, daß er die Menschen hasse. Daß er sich mit Darienne scheinbar gegen den Rest der Menschheit solidarisiere, sei also denkbar.
"Haß ist eigentlich Selbsthaß, der auf andere Menschen gerichtet wird", meinte ich. "Rafa ist mit sich selbst nicht im Reinen und lenkte seine Aggressionen nach außen."
"Gilt das mit dem Selbsthaß auch für mich?" fragte Tyra. "Ich hasse Darienne, ich verabscheue sie ..."
"Wenn sie mit abgerissenem Bein vor dir liegen würde, würdest du ihr auch helfen."
"Na, da bin ich nicht so sicher."
"Du würdest sie nicht verbluten lassen."
"Nein, das nicht."
"Abscheu und Widerwillen dienen der Verteidigung", meinte ich. "Haß dient nur der Zerstörung. Haß ist ein krankhaftes Gefühl, das niemandem nützt."
Tyra hat mit Rafa mehrfach über seine Untreue gesprochen. Rafa lehnt es jedoch ab, etwas daran zu ändern. Er will weiterhin seine Freundinnen betrügen.
Tyra meinte, Rafa behandele seine Freundinnen und die Frauen in der Band - die ja zum Teil identisch mit seinen Freundinnen sind - deshalb so schlecht, weil er sich an ihnen stellvertretend für seine Mutter rächen wolle. Er werde aber niemals zu Hause ausziehen, da er seine Mutter niemals verlassen wolle.
Das Leben im Kellerloch ohne eigenständigen Haushalt mache Rafa zu schaffen, er werde aggressiv davon. Ihm sei bewußt, daß er beruflich nicht vorwärtskomme, und das mache ihm Angst. Nach der Trennung von Das P. soll Rafa zu Tyra gesagt haben:
"Mit W.E geht es auch nicht mehr lange weiter."
Laut Rafa soll sich H.F. insofern von W.E unterscheiden, als W.E einem minimalistischen, emotionslosen Stil vorbehalten sei und H.F. den "Gothic-Elementen", was immer das sein soll. Im Widerspruch zu der von Rafa betonten Emotionslosigkeit bei W.E stehen die Texte, die häufig von Liebe, Sehnsucht, Trauer und Einsamkeit handeln. Was außer Rafas Arztkittel und Herrn Lehmanns Irokesenfrisur dann noch das Besondere an H.F. ausmachen soll, bleibt der Mutmaßung überlassen. Wegweisende kreative Impulse von den übrigen Bandmitgliedern sind nicht zu erwarten; entweder werden sie gar nicht erst geäußert oder von Rafa abgeblockt. Immerhin soll sich Dolf von Rafa nicht mehr so herumschicken lassen wie einst. Früher sprang er sofort, wenn Rafa ihn scheuchte, heute bremst er:
"Ich unterhalte mich hier noch, das dauert noch einen Moment."
Dolf soll für W.E viel und erfolgreich telefonieren und organisieren, was nun allerdings mehr und mehr zur Sache von Cybers Agentur wird, mit der Rafa inzwischen einen Vertrag hat. Privat sollen Rafa und Dolf nichts mehr miteinander zu tun haben, und Rafa soll Dolf auch nicht mehr als Freund bezeichnen.
Über Rafas berufliche Situation erzählte Tyra, er sei offiziell als freier Künstler registriert und zahle in die Künstlersozialkasse ein. Jedoch könne er sich von dem, was er verdiene, weder eine eigene Wohnung noch ein Auto leisten.
Rafa ertrage es nicht, über sich und sein Leben nachdenken zu müssen.
"Rafa hört Kinder-Hörspiele", erzählte Tyra, "und ich mag die auch, deshalb gefällt mir das. Rafa hört die Hörspielkassetten die ganze Nacht, der kann sonst nicht schlafen. Der muß auch, wenn er zwischendurch aufwacht, irgendwas hören, was ihn von sich selbst ablenkt. Der will nie mit sich allein sein."
Sie habe schon öfter versucht, mit Rafa über seine Sorgen und Ängste zu reden. Allerdings wehre er Gespräche über tiefgehende Themen ab:
"Das nervt mich jetzt."
Es komme vor, daß er sich die Ohren zuhalte, um Tyra nicht zuhören zu müssen. Er wolle auf keinen Fall mit seinen Gefühlen in Berührung kommen.
"Ich habe den noch nie eine Träne weinen sehen", erzählte Tyra.
Ich erinnerte mich an mein Stelldichein mit Rafa auf der Pressetribüne in der "Halle" im Januar 1994. Damals wirkte Rafa von Gefühlen so überwältigt, daß er dem Weinen nahe schien.
"He! Genieß' nicht immer den Augenblick!" verlangte er, als ich ihn umarmte. "Du sollst nicht immer den Augenblick genießen!"
"Ich genieße aber den Augenblick", entgegnete ich.
"Das ist nicht gut", kam es von ihm.
Als ich Tyra von diesem Dialog erzählte, wunderte sie sich:
"Aber Rafa sagt doch immer, man soll den Augenblick genießen!"
"Also, damals wollte er mich unbedingt daran hindern."
Tyra überlegte, weshalb sie den Wunsch hat, bestimmten Menschen zu helfen.
"Vielleicht haben sie unbewußte Anteile von dir selbst", vermutete ich. "Es ist dir wichtig, dich um sie kümmern, um diesen Anteilen Rechnung zu tragen. So etwas passiert mir auch mit einigen Menschen, und ich habe dann Mühe, auseinanderzuhalten, inwiefern die Menschen wirklich meine Hilfe brauchen und inwiefern es nur meine eigenen Bedürfnisse und Sorgen sind, die in mir hochkommen. Einer von denen, die eine solche Übertragung in mir auslösen, ist W.O.L.F. Ich habe das Gefühl, ich muß mich unbedingt um ihn kümmern, weil er mich an irgendetwas in mir selber erinnert."
"Was könnte das denn bei mir und Rafa sein?"
"Du suchst nach Geborgenheit", vermutete ich, "und du willst sie ihm geben."
Wir waren bis viertel vor zwei im "Always" und wurden als letzte Gäste mit dem Besen hinausgekehrt. Ich brachte Tyra nach Hause, weil das auf meinem Weg lag. Als ich quer durch SHG. gefahren war, ließ Tyra mich auf dem Hof eines Getränkehandels anhalten.
"Weißt du, wo wir sind?" fragte sie.
Vor uns lag die Straße, in der Rafa wohnt. Tyra erzählte, Rafa lebe in ihrer unmittelbarer Nachbarschaft, er begegne ihr aber fast nie auf der Straße, weil er kaum aus seinem Kellerloch herauskomme. Er sei nachts auf und schlafe am Tag, ein lethargisches Dasein, isoliert, mit wenig Inspiration von außen.
"So kann er sich ja nicht kreativ weiterentwickeln", meinte ich.
Wir sprachen über Tyras Referat am kommenden Mittwoch, dessen Thema die Persönlichkeitsstörungen sind. Sie habe leider nur wenig Literatur über die narzißtische Persönlichkeitsstörung gefunden.
"Das kann daran liegen, daß die Verfasser wissenschaftlicher Literatur oft selbst eine haben", deutete ich. "Und die Erfahrung sagt, daß die Menschen oft für ihre eigenen neurotischen Anteile blind sind."
Tyra hätte gern einen eigenen Internet-Zugang, doch ihr fehlt das Geld, und in ihrer Familie findet sie wenig Rückhalt. Sie fühlt sich von ihrem Vater im Stich gelassen. Er habe neulich ihr Auto abgemeldet, um seinen Haschisch-Konsum besser finanzieren zu können.
Im W.E-Forum läßt Rafa sich wie gewohnt von seinen Fans feiern. Ich kommentierte die Huldigungen:

So ist das nun mal ... auf der Bühne ist die Fassade wichtig - das, was vorgeführt, präsentiert, verkauft wird. Die Wirklichkeit dahinter spielt keine Rolle. Daran wird sich nichts ändern lassen. Ich weiß nicht, warum ich trotzdem darüber nachdenke.

Rafa löschte den Eintrag. Ich schrieb:

Das bloße Andeuten, daß es hinter der Fassade eine Wirklichkeit geben könnte, scheint für Einige unerträglich zu sein.

Im W.E-Forum schrieb mir Cyris eine PN, die sich auf diese Einträge bezog:

Ich möchte Dich darum bitten, die Bloßstellungen von Honey im Forum, in dem wirklich JEDER DEPP mitlesen kann, zu unterlassen. Du wirst es vermutlich nicht tun, weil Du der Meinung bist, daß Du Rafa dadurch hilfst, das hast Du ja dargelegt.
Genauso bin ich aber mittlerweile überzeugt, daß die "Enttarnung" von Honey nicht in Deinem Sinne sein kann, weil damit die Kraftquelle für diesen Menschen zerstört wird.
Ich denke nicht, daß Du ihm (und W.E schon gar nicht!) damit hilfst.

Ich antwortete:

Nun ja, immerhin denke ich, kaum einer weiß wirklich, auf wen ich in dem Forumbeitrag anspiele. Rafa fühlt sich ohnehin von allen Seiten verfolgt, ob es mich gibt oder nicht. Ich vermute, es hat andere Gründe, daß er sich verfolgt fühlt; es liegt wahrscheinlich daran, daß er versucht, vor sich selbst davonzulaufen, was ja nun mal nicht geht.
Die Wahrheit ist ein bitteres Bonbon für diejenigen, die versuchen, vor sich selbst etwas zu verbergen. Und nur wenn man sich vor sich selbst versteckt, funktioniert die Maschinerie der Sucht. Das zumindest ist meine Hypothese. Und die Sucht ist mein Feind - die Sucht nach Zerstörung, die Nikotinsucht, die Sucht nach Promiskuität. Rafa betrügt seine Freundinnen suchthaft, sie werden einfach alle betrogen. Damit erzeugt er viel Leid für alle Beteiligten. Ich möchte einen Weg finden, diesen Mechanismus zu durchbrechen. Um das zu schaffen, muß ich ihn durchschauen, und das kann ich nur, wenn ich mich damit beschäftige und damit arbeite. Und besonders in einem solchen Fall hilft einem die Logik allein nicht weiter. Man ist letztlich auf Intuition angewiesen.
Ich denke, am wenigsten helfe ich Rafa, wenn ich gar nichts tue und alles so laufen lasse, wie es läuft. Er bringt sich allmählich durch das Zigarettenrauchen um, das ist eine Tatsache, der nichts entgegenzuhalten ist. Und ich will mir nach seinem Tod nicht vorwerfen müssen, tatenlos zugesehen zu haben, wie der Mann, den ich liebe, sein Leben weggeworfen hat.
Rafa und ich führen eine persönliche Auseinandersetzung auf öffentlicher Bühne, weil uns kein anderer Raum zur Verfügung steht. Daß er mich als Feind wahrnehmen muß, wenn ich versuche, sein suchthaftes Verhalten zu sabotieren, war mir von Anfang an klar. Er will mit sich selbst nichts zu tun haben, und ich bringe mich unweigerlich in eine gegnerische Position, wenn ich mich um ihn kümmere. Daran wird sich vorerst nichts ändern.
Du siehst in Rafas Musik etwas von dem Menschen hinter der Fassade durchschimmern, du erlebst sie als Kraftquelle. Mir geht es darum, diesen Menschen zu erhalten, und das bedeutet, die Fassade zumindest teilweise zu zerbrechen. Sucht - das ist meine Arbeitshypothese - gedeiht nur in Verbindung mit dem Verleugnen, Verschleiern, Verdrängen, also gehe ich darauf zu und halte die Wahrheit gegen die vorgeschobene Wahrheit.

Cyris schrieb:

Nehmen wir einmal an, wirklich jedem W.E-Hörer wäre bewußt gemacht (unterbewußt kommt es doch jedem recht schnell in den Sinn), daß Rafa hinter der schillernden Idealfigur Honey weit zurückfällt ... dann würde das Bild, welches W.E repräsentieren und wovon vermutlich ein großer Teil der Faszination ausgeht, zerstört, und es führte über kurz oder lang zum Ende von W.E. Was würde das für Rafa bedeuten?
Ich möchte meine Vermutung hierzu nicht äußern, aber ich denke, daß es für ihn nicht den Ansporn bieten würde, sich mit sich selbst zu beschäftigen und seine Sucht zu überwinden.
Ich persönlich denke, wenn Du ihm helfen willst, dann MUSST Du das unter Erhaltung von W.E tun - und das schreibe ich nicht nur aus egoistischen Motiven, sondern weil ich überzeugt bin, daß er selbst daraus und aus der Begeisterung im Publikum seine meiste Kraft schöpft. Wenn einem Menschen die "Energieversorgung" abgedreht wird, dann muss dieser sehr SEHR stark sein, um das überwinden und sein Leben umbauen zu können! Daraus ergibt sich also ein Problem ...
Ich habe bereits im Forum geschrieben, daß ich es für nahezu unmöglich halte, sich in einen anderen Menschen hineinzudenken. Daher schreibe ich hier gerade mit eher gemischten Gefühlen, und da ich ja als Außenstehende und naturwissenschaftlich Denkende gleich dreimal kein Recht dazu habe, fällt es mir noch schwerer, aber ich glaube, Rafa ist ein Künstler durch und durch, und W.E ist sein Hauptwerk. Das braucht er!

Am Samstag waren Magenta und ich in HH. im "Megamarkt", wo eine "Stahlwerk"-Party stattfand und parallel eine weitere Szene-Party. Die Outfits der Gäste waren heute besonders phantasievoll. Ein gut gebauter Gast ging ganz in Schwarz; er trug ein enges durchsichtiges Oberteil und darüber ein sehr kurzes Jäckchen, das eigentlich nur aus mehreren Gurten bestand und in Gurte auslief, die an den Handgelenkmanschetten mit Karabinern befestigt waren. Die Manschetten waren mit Metallteilen verziert. Ein langer ausgestellter Rock und ein Gürtel mit Täschchen vervollständigten das Outfit. Ein Mädchen trug ein Rehgeweih auf dem Kopf. Ein anderes trug ein rosafarbenes Lack-Korsett, an das hinten eine rosafarbene Lack-Tournüre mit mehreren Volants angeschnitten war, unter denen Volants aus lilafarbenem Tüll hervorschauten. Ein Mädchen trug ein langes geschlitztes Kleid aus Metallic-Lack in Rosenrot. An der Corsage befanden sich gerade und überkreuz geführte Träger. Ein Mädchen trug ein himmelblaues Lack-Korsett, ein himmelblaues Lackröckchen und am Rücken Engelsflügel mit echten Federn.
Minette war heute auch hier. Sie fühlte sich zu warm angezogen und "underdressed" in ihrer taillierten Jacke mit Kunstpelzkragen, die ich sehr schick finde und die sehr teuer war.
Mit Sylvain saß ich fast eine Stunde in der Sitzecke im Foyer. Sylvain betonte, wie froh er sei, endlich nicht mehr zu kiffen. Jetzt nehme er sich und seine Umwelt viel intensiver wahr. Er wolle nun herausfinden, wer er wirklich sei. Als Kind habe man bei ihm ADHS diagnostiziert. Seine Eltern hätten ihm diese Diagnose jedoch verheimlicht, auch wenn er sie gefragt habe, was denn mit ihm los sei. Wenn er zappelig gewesen sei, habe der Vater Wutausbrüche bekommen. Von keinem der Eltern habe er sich verstanden gefühlt. Höchstens fünfmal habe er in seinem Leben geweint.
"Ich will endlich Zugang zu meinen Gefühlen haben", klagte Sylvain.
In den letzten drei Jahren habe er sich immer mehr Ted zugewandt und in ihm ein Familienmitglied gefunden, bei dem er sich geborgen fühle. Als er im vergangenen Frühjahr viel Streß gehabt habe, habe er sich in Teds Armen ausweinen können.
Sylvain erzählte, er lerne erst jetzt, darauf zu achten, was in ihm selbst und in anderen Menschen vorgehe. Er habe im vergangenen Jahr eine Freundin gehabt, die er mehrfach verlassen habe, und sie habe dennoch zu ihm gehalten. Inzwischen sei sie mit einem Jungen zusammen, der ihm ähnlich sehe. Erst vor Kurzem sei ihm, Sylvain, klar geworden, was er ihr angetan habe.
Die verlassene Freundin war heute auch im "Megamarkt", ein hübsches Mädchen mit ausgeprägten Rundungen. Sie trug ein weißes Korsett und einen weißen Petticoat. Sie kam mit freundlicher Miene auf Sylvain zu und verabschiedete sich, weil ihr jetziger Freund und sie aufbrechen wollten. Der neue Freund sah tatsächlich ein bißchen wie Sylvain aus - jung, dünn, mit hoch ausrasierter Bürstenfrisur. Er trug ein durchsichtiges Oberteil und einen langen Rock, beides in Schwarz.
"Der ist so süß", schwärmte Sylvain, "den würde ich gerne knuddeln, obwohl ich nicht schwul bin."
Sylvain hat schon das 30. Kapitel von "Im Netz" gelesen, das ich vor einigen Tagen online gestellt habe. Ihm gefiel vor allem, daß Teds Großvater mütterlicherseits darin erwähnt wird, der von den Nazis ermordet wurde.
Constri hat ähnliche Sorgen wie ich. Ihr Verdacht hat sich bestätigt: Derek geht tatsächlich fremd. Constri will Derek erst nach ihrem Diplom hinauswerfen, weil sie vorher keine Zeit dafür hat. Derek hat dem vorgegriffen und versprochen, daß er im Februar auszieht.
Ivco schrieb in einer E-Mail über Darienne und Beziehungen im Allgemeinen:

Als ich so mit vierzehn die ersten Beziehungen beobachtete und auch selbst hatte, fand ich es immer sehr komisch, wenn sich ein Partner abhängig vom anderen macht und darüber sogar die alten Freundschaften und soziale Bindungen vernachlässigt. Und wenn dann die Beziehung in die Brüche ging, was damals ja praktisch immer der Fall war, standen sie auf einmal allein da und hatten Mühe, wieder ein soziales Umfeld zu reaktivieren oder sogar wieder neu aufzubauen. Darienne scheint ja nun genau das zu machen und, noch schlimmer, ihre kleinen Ansätze in ein Berufsleben ebenfalls zu opfern. Auch bei ihr ist vorprogrammiert, dass es mit Rafa in die Brüche geht, und dann wird sie ja noch weniger als "nur" fehlende soziale Kontakte haben. Was muss denn mit Darienne früher alles passiert sein, dass sie sich so bedingungslos auf Rafa einlässt und sämtliche Selbständigkeit aufgibt?

Tyra berichtete am Telefon, ein Fan habe voller Stolz im W.E-Forum gepostet, daß Darienne auf seinem C64 unterschrieben hat.
"Da muß Rafa nur irgendein weibliches Wesen geschmückt auf die Bühne stellen, schon halten die Fans sie für einen Star", meinte ich. "Die meisten Fans wollen die Wahrheit nicht wissen, sie wollen die Illusion. Es hat also wenig Sinn, die Fans gegen Rafa aufzubringen, indem man ihnen vermittelt, was sich hinter der gloriosen Fassade verbirgt."
Tyra erzählte, Rafa genieße das rauschhafte Erlebnis, auf der Bühne verehrt und idealisiert zu werden, und er halte sich dann für einen großen Star. Umso ernüchternder sei der Weg nach Hause. Wenn sie mit Rafa von den Auftritten nach SHG. zurückgekehrt sei, habe er gesagt:
"Jetzt sind wir wieder in SHG., jetzt sind wir wieder ganz normale Leute von nebenan."
Als ich mich erkundigte, warum Berenice und Tyra sich bis zum Mai dieses Jahres nie kennenlernten, erklärte Tyra, ihr Verhältnis zu Rafa sei erst so eng, seit Berenice nach ER. gezogen sei. Ich erzählte Tyra, daß Berenice im Nachhinein bedauert, Tyra nicht näher kennengelernt zu haben.
"Bei dem Fanclub-Treffen im Mai ist sie mir aus dem Weg gegangen", war Tyra aufgefallen. "Vielleicht war es die Kränkung, weil er sie so schnell durch mich ersetzt hat."
Tyra erzählte, Darienne habe bei ihrem ersten Auftritt mit W.E "Bill Gates, komm f... mit mir" singen dürfen, ein Stück, das früher Zinnia gesungen hat.
"Als wir dieses Stück gesungen haben", erinnerte Tyra an ihren Abschieds-Auftritt mit Lucy im "Zone", "da hatten wir keine Gelegenheit gehabt, uns vorzubereiten. Rafa fand das dann auch voll doof und hat gesagt, nach dem Stück hätten wir sowieso nicht mehr für ihn auf der Bühne stehen dürfen. Und jetzt läßt er Darienne das Stück singen, und sie hatte jede Menge Zeit, sich darauf vorzubereiten. Das finde ich ziemlich fies."
Mit Tyra unterhielt ich mich über die Angst, die Rafa laut eigener Angaben vor mir hat.
"Angst bedeutet, daß man auf irgendeine Art Macht über jemanden hat", meinte ich. "Nur habe ich nie herausgefunden, auf welche Art ich Macht über Rafa haben sollte."
"Doch, du hast Macht über ihn", war Tyra sicher. "Der erwähnt es immer, wenn du da bist. Meistens sagt er:
'Elobe ist auch da.'
Das wirft er mir einfach so hin, mit unbewegter Miene, so - 'Mach' was draus'. Also - der nimmt dich wahr."
"Auf welche Art sollte ich denn Macht über ihn haben?"
"Er weiß, daß du immer sagst, daß du ihn wirklich liebst. Und wenn du da bist, hat er Angst, daß die Gefühle wieder hochkommen, die er damit verbindet."
"Elobe" ist eine Kurzform meines Szene-Namens "Elektro-Betty".
Im W.E-Forum unterhielt ich mich mit Rafas Fans über Adventskalender, philosophische Inhalte und das aktuelle Zeitgeschehen. In einem Thread ging es um die Todesstrafe. Anlaß war eine heftig umstrittene Hinrichtung in Kalifornien, die Arnold Schwarzenegger als Gouverneur nicht verhindert hatte. Die Meinungen im W.E-Forum waren geteilt. Mirror Man postete eine Sammlung von Zitaten, die er zu dem Thema im Internet gefunden hatte:


Pro:

"Die Todesstrafe rettet Leben!"
George W. Bush

"Hat er aber gemordet, so muss er sterben."
Immanuel Kant, "Metaphysik der Sitten"

"Ich bin für die Todesstrafe. Wer schreckliche Dinge getan hat, muss eine angemessene Strafe bekommen. So lernt er seine Lektion für das nächste Mal."
Britney Spears

"Ich glaube, dass Menschen heute am Leben wären, wenn es die Todesstrafe gäbe."
Nancy Reagan

"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."
Hans Filbinger, 1978 zu vier von ihm ausgesprochenen Todesurteilen während der NS-Zeit

"Wir sind nicht davor gefeit, dass wir einmal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzer Prozess. Weil ich ein Humanist bin. Deshalb habe ich solche Auffassung. [ ... ] Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil - alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig, auch ohne Gerichtsurteil."
Erich Mielke


Contra:

"All die Männer und Frauen, denen ich in ihrem letzten Augenblick gegenüberstand, haben mich davon überzeugt, dass ich mit meiner Tätigkeit keinen einzigen Mord verhindern konnte."
Albert Pierrepoint, nach 25 Jahren Tätigkeit als Henker in Großbritannien

"Auge um Auge, und die ganze Welt wird blind sein."
Mahatma Gandhi

"Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt."
Hans Magnus Enzensberger, "Aussichten auf den Bürgerkrieg", 1996

"Die Existenz des Soldaten ist, nächst der Todesstrafe, das schmerzlichste Überbleibsel der Barbarei, das es unter den Menschen gibt."
Alfred de Vigny, "Knechtschaft und Größe des Militärs"

"Die Todesstrafe verhält sich zum Rest des Rechts wie Surrealismus zum Realismus. Sie zerstört die Logik des Berufsstandes."
Norman Mailer

"Die Welt ist ein großes Gefängnis, aus dem täglich einige zur Exekution geführt werden."
Walter Raleigh, Ausspruch im Gefängnis vor seiner Hinrichtung, 1618

"Kein Mensch hat das Recht, einen andern umbringen zu lassen; am allerwenigsten sollten Christen ein Todesurteil fällen, da sie doch daran denken sollten, dass der Stifter ihrer Religion, unser Herr und Heiland, unschuldig verurteilt und hingerichtet worden."
Heinrich Heine

"Mord und Todesstrafe sind nicht Gegensätze, die einander aufheben, sondern Ebenbilder, die ihre Art fortpflanzen."
George Bernard Shaw

"Um das rechte Verhältnis herzustellen, müsste die Todesstrafe gegen einen Verbrecher verhängt werden, der sein Opfer zunächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf schreckliche Weise ermorden wird, und es von diesem Moment an monatelang in seiner Gewalt gefangen hält. Ein solches Ungeheuer wird man im privaten Bereich nicht finden."
Albert Camus

"Viele, die leben, verdienen den Tod, und einige, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann sei auch mit einem Todesurteil nicht so schnell bei der Hand."
J. R. R. Tolkien, "Der Herr Der Ringe", Band 1

"Warum töten Menschen Menschen, um Menschen zu zeigen, dass Töten falsch ist?"
Amnesty International
(Original engl.: "Why do humans kill humans to show humans killing is wrong?")

"Wie kann ein Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die Aufgabe hat, die Gesellschaft zu schützen, sich selbst auf die gleiche Stufe stellen wie ein Mörder?"
Kofi Annan zum Thema Todesstrafe (Quelle: Amnesty International)

"Wo die Todesstrafe besteht, da fehlt dem Gewissen eines Volkes eine entscheidende Schranke gegen die verbrecherische Perversität, über menschliches Leben hinwegzuschreiten."
Ferdinand Kadecka


Wie man sieht, sind die, welche sich rühmen können, die dümmsten Menschen der Welt zu sein (Kant einmal ausgenommen), für die Todesstrafe ...
Ich persönlich bin ganz klar gegen die Todestrafe!
Ich meine ... sie ist sinnlos (Gibt es deswegen weniger Verbrechen? Nein!).
Es sind auch vor allem Schwarze betroffen.
Bei vielen stellt sich, nachdem (!) sie getötet wurden, heraus, dass sie unschuldig sind.
Und ganz explizit bei dem aktuellen Fall in den USA basiert die ganze Sache nur auf Indizien ...

Der Tod ist der unumkehrbare Verlust der für ein Lebewesen typischen und wesentlichen Lebensfunktionen und damit das Lebensende.

Ich schrieb:

Daß ich als Verfechter der Menschenrechte die Todesstrafe nur ablehnen kann, versteht sich von selbst. Voll und ganz stimme ich den Amnesty-International-Argumenten zu, die sich auch ganz klar gegen die Todesstrafe richten:

1. Die Todesstrafe hatte nirgends und nie eine abschreckende Wirkung.
2. Die Todesstrafe ist zu allen Zeiten mißbraucht worden.
3. Immer sind auch Unschuldige ihr zum Opfer gefallen.
4. Die Todesstrafe widerspricht dem Rehabilitationsansatz im Strafrecht.
5. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, daß der Hingerichtete unschuldig war, kann man ihn nicht mehr lebendig machen.

Und christliche Argumente, hinter denen ich voll und ganz stehe:

1. Mein ist die Rache, spricht der Herr. Es ist nicht die Aufgabe der Menschen, Unrecht zu rächen.
2. Die Menschen sollen sich nicht aufschwingen zu Herren über Leben und Tod.
3. Du sollst nicht töten. Man soll sich nicht mit den Mördern auf eine Stufe stellen!

Und noch was: Arnie the Governator ist bei mir unten durch. Und sicher nicht nur bei mir!

Tron schrieb:

Letztlich ist er auch nur Gefangener in seinem Elfenbeinturm. Denke, es gehört schon 'ne Menge Ego dazu, um in seiner Position von der Todesstrafe abzuweichen, immerhin handelt er dann gegen die, die ihn gewählt haben, laut Umfrage 68%.

Ich schrieb:

Was Arnie betrifft, so tut er immer so, als wenn er sein Ego perfekt durchsetzen kann. Wenn er nicht in der Lage ist, gegen die Befürworter der Todesstrafe Stellung zu beziehen, so gibt das, denke ich, ein schwaches Bild.

Tron schrieb:

Er ist und bleibt halt Schauspieler mit Einzeilern und dann dazu noch Republikaner.
Es ist ja nun nicht so, dass er die Gesetze da drüben gemacht hätte oder ihn eigenhändig verurteilt bzw. hingerichtet hätte, er hat halt nur nix dagegen getan.
Verurteilt wurde der Knilch ja nicht mal in seiner Amtszeit.

Ich schrieb:

Die Augen der Welt richteten sich auf Arnie, und er wurde schuldig durch Nichtstun.

Radon schrieb:

und was ist mit den menschenrechten von denen, die ihren tod nicht einmal wussten? die einfach niedergestochen werden, erschossen, totgeprügelt, die menschen, die noch nicht mal 1 jahr alt sind und sterben, die, die vergiftet werden, vergewaltigt und dann erwürgt????????
was ist mit denen???

Ich schrieb:

Im Strafrecht geht es in einer Demokratie, die die Menschenrechte achtet, eben nicht um Rache! Es geht eben nicht darum, sich mit den Tätern auf eine Stufe zu stellen.
Im Strafrecht geht es um den Schutz der Gesellschaft und um Rehabilitation. Wenn Rehabilitation nicht möglich ist, muß jemand eben leider auf Dauer weggesperrt werden. Das kann aber nicht bedeuten, daß man so jemandem die Menschenrechte aberkennt, denn die gelten nun mal um des Menschseins willen, sonst wären es keine.
Übrigens ist mir noch niemand begegnet, den Rache glücklich gemacht hätte. Sie soll süß schmecken, aber ich glaube, sie wird nach kurzer Zeit schal und dann bitter.
Es gab mal eine Doku über Eltern, deren Kind ermordet wurde (mit das Schlimmste, was man ihnen antun konnte). Ein verwaister Vater sagte (sinngemäß):
"Für mich ist der Täter kein Monster. Für mich ist er nur Herr xy."
Er verharmloste die Tat nicht; er wollte sich einfach nicht mit dem Täter auf eine Stufe stellen. Er wollte sich vom Täter abgrenzen. Für ihn ging es um Trauer um das Kind, nicht um Rachegedanken gegenüber dem Täter.

Cadmium schrieb:

Ich kann verstehen, dass sich Angehörige und Bekannte von Opfern schwerer Straftaten den Tod für den Täter wünschen. Ich selber könnte meine Abneigung gegen die Todesstrafe in einem solchen Fall bestimmt radikal ändern.
Ich denke jedoch, dass man sich mal bewußt werden sollte, was einem selber das Leben wert ist. Wenn man sich über die Umstände im Klaren ist, welcher Glücksfall nötig ist, damit Leben wie unseres zustande kommt, weiß man dieses vielleicht mehr zu schätzen. Es ist meiner Meinung nach ein einmaliges glückliches Ereignis für jeden, wenn er so aufwächst, dass seine Menschenrechte gewahrt sind.
Ich könnte es aus diesem Gedanken heraus nicht fertigbringen, dem Menschen, egal was er getan hat, alles zu nehmen und ein endgültiges Urteil zu fällen.
Die Möglichkeit einer juristischen Fehlentscheidung verstärkt diese Ansicht noch. Es sind in den USA immerhin schon einige Menschen wieder nach den Beweis ihrer Unschuld aus dem Todestrakt entlassen worden.
In einem Staat ohne Todesstrafe hat das Recht auf Leben meiner Meinung nach den Stellenwert, den es verdient. Es zeigt den Bewohnern des Staates, mit welcher Ehrfurcht sie mit den Leben anderer Menschen umzugehen haben, obwohl diese das eigentlich aufgrund schwerer Straftaten nicht verdient haben.
Ich denke, diese Einstellung prägt die Menschen und ihren Umgang miteinander zum Positiven, obwohl es auf diesem Gebiet heutzutage nicht zum Besten gestellt ist.

Rafa beteiligte sich an dem Thread nicht. Dafür meldete er sich zu Wort, als es um die Versteigerung von Berenices Bühnengarderobe ging. Sie versteigert ihre Kostüme aus der W.E-Zeit zugunsten des Tierschutzvereins. Rafa hat das rosafarbene Kleid ersteigert, das Berenice bei den meisten Auftritten mit W.E trug. Berenice schrieb im W.E-Forum:

Ich kann Euch nur danken, danken, danken!!! Mit so viel Erfolg hätte ich nie gerechnet. Ich freue mich so, dass wir gemeinsam etwas Gutes bewirkt haben!
Und das altrosa Kleid ist ja nun wieder in W.E-Besitz. Mal sehen, wer es nach mir tragen wird ...

Rafa schrieb:

Ja, da, wo es auch hingehört ; )!
So sind dann endlich nach so langer Zeit alle beiden rosa Kleider wieder zusammen.
Und für einen guten Zweck hat sich W.E noch nie lumpen lassen!

Berenice schrieb:

Ja, wie Du meinst. Es war eben auch ein Angebot an die "Fans" ... Ich bin jedenfalls überglücklich.

Ich schrieb:

Es freut mich, weil Berenice das Thema so zum Besten für alle abschließt und es auch noch einem guten Zweck dient.

Rafa hat ebenfalls etwas für einen guten Zweck getan. Er hat ein Paket mit W.E-Fan-Artikeln versteigert und den Erlös an eine Hilfsorganisation gespendet.
Im W.E-Forum bekam Berenice viele gute Wünsche von den Fans. Sie schrieb:

Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken kann für Eure Freundlichkeit! Alle Eure lieben Wünsche - sei es hier im Forum, per Mail oder in den Gästebüchern - sind angekommen und haben mich sehr berührt.
Der Ausstieg (aus rein privaten Gründen) fiel mir trotz der fast 8 Jahre, die ich erst hinter, dann auf der Bühne verbracht habe, nicht sonderlich schwer. Ich habe mich einfach weiterentwickelt und konnte dies nicht mehr mit W.E vereinen - ich habe andere Interessen und Ziele. So habe ich nun eine eigene Band gegründet, die genau diese Ziele verfolgt!
Nach der Versteigerung meiner Bühnenutensilien wird für mich W.E abgeschlossen sein, und ich werde dieses Forum auch kaum noch betreten. Diejenigen, die Kontakt zu mir haben möchten oder verfolgen wollen, was ich in Zukunft mache, werden wissen, wie.
Alles Liebe für Eure Zukunft! Und danke, dass Ihr an mich glaubt!

BBQ beschwerte sich, weil Rafa einen von Berenices Forum-Einträgen verändert hatte:

sag mal rafa, geht's noch??
ich dachte, hier herrscht meinungsfreiheit ...

Rafa schrieb:

Wenn man keine Ahnung von den Dingen hat, lieber den Mund halten!
Private Dinge über mich oder sonst jemanden aus dem Sender werden hier natürlich gelöscht, weil sie A.: niemanden etwas angehen und B.: natürlich dann auch in der Hand der betroffenen Person(en) liegen.
Mit Meinungsfreiheit hatte das hier nun überhaupt nichts zu tun, eher mit persönlicher Korrespondenz.
Und:
Ja, ich merke es noch!

Rafa und ich hackten uns in seinem "Nachtkuss"-Gästebuch, wobei ich fast den Eindruck hatte, daß es ihm Spaß machte. Als "bekannt" schrieb ich:

So, jetzt mußt du jeden Tag gucken, daß auch ja nichts von mir drinsteht.
Daß ich überhaupt noch hier reinschreibe, liegt nur (!) daran, daß ich das Geschleime einer rosafarbenen Person nicht ertragen kann. Der Mensch ist eben nicht vollkommen.

Als "N." schrieb Rafa:

DU kennst mich ja oder auch ich bin Dir näher bekannt. Und Du weisst, sobald Du mir richtig auf die Nerven gehst, gibts mal was auf die Fresse, und dann ist das Geheule wieder groß.
In diesem Sinne ; )
N.
p.s.: Aber ganz schön feige Sau ;). Musst doch hier nicht das Inkognito raushängen lassen. Müll lieber andere GBs mit Deinem Psycho-Abfall voll.

Als "Honigkuchenpferd" schrieb ich:

Traust dich doch nicht, mich zu hauen.
... und außerdem fallen mir andauernd immer mehr lustige Sachen ein ...

Nachdem Rafa unsere Unterhaltung gelöscht hatte, schrieb ich drei Einträge, in denen ich Dariennes Stil imitierte - um herauszufinden, ob Rafa darauf hereinfiel. Als "katzenfred" schrieb ich:

wurst willi denkt an dich woooooooooooooooooooohooooooooooooooooo
<3 geküsst +2-3 ;,,? love u + 3-4x5 wurst

Als "k.f." schrieb ich:

wurst willi vermisst dich wooooowooooooooooooohoooooooooooo *??* <4

Als "wurst" schrieb ich:

wooooooooooooooooooooooo<3 love geküsst+4-2

Dies alles kommentierte ich als "Goldilocks und die 3 Bären":

Ach, da sind ja schon wieder so viele geistvolle Einträge von deinem Plastikspielzeug drin. Platinum wünschte sich so sehr, daß ich nochmal darauf hinweise, wo es korrekte Rechtschreibung und zusammenhängende Sätze zu lesen gibt. Aber das dürfte angesichts des hier bevorzugten intellektuellen Niveaus für dich eher weniger interessant sein.

Im W.E-Forum regte sich Darienne über die Hausschlachtung eines Hasen auf, die im Fernsehen gezeigt wurde. Was Darienne besonders verstörte, war Folgendes:

Unten im Bild sah man eine Laufschrift, die besagte, dass Hausschlachtung in diesem Bundesland erlaubt sei!
Unglaublich ...

Sogleich meldeten sich W.E-Fans zu Wort, die auf dem Dorf aufgewachsen sind. Für sie gehörte schon in ihrer Kindheit die Hausschlachtung zum Alltag. Angeldust schrieb:

also, ich würde hasenviehscher auch nur zum essen halten ... oder halt n karnickel

Undercover schrieb:

Dazu kann ich nur sagen: "SELBER SCHLACHTEN FETZT!"
Es geht nichts über noch warme (Blut-)Wurst oder frisches Wellfleisch mit Senf! Hmmmmhmhmhm - lecker!
Was mir dazu noch einfällt:
Die Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg! <-- nicht persönl. nehmen!

W.O.L.F. schrieb:

Ja, in Sachsen ist Hausschlachten erlaubt .... also Plasti, lass dir net allzu sehr an den "Löffeln" ziehen, net dass dich noch jmd wegschnappt und dich ... wer weiss, wer weiss ...

Mirror Man schrieb:

Gegen Hausschlachtung lässt sich nix sagen.
Wenn wer Fleisch isst, sollte er das schon dürfen.
Wohnte ja mal aufm Dorf, da ist es das Normalste auf der Welt.

Weiter ging es mit der Diskussion über Tötungsmethoden. Hellhound schrieb:

... ein Karnickel mit nem Bolzenschussgerät töten is klar. Wenn man Ragout mag, is' das vielleicht sinnvoll ...

Chérie schrieb:

Es gibt spezielle Bolzenschussgeräte zum Kaninchen töten ... da ist auch nicht das ganze Kaninchen Matsche danach.

Tron schrieb:

Also, ich kenn das auch nur mit dem Knüppel hier in Niedersachsen. Halt an den Hinterläufen festhalten und ordentlich drauf hauen.

Ich schrieb:

@W.O.L.F.: Im Osten kenne ich mich ja nun nicht aus, aber ... meinst du, die essen da auch Plastikhasen?

W.O.L.F. schrieb:

Wir hier essen alles ... schließlich hatten wir früher nix und mussten mit dem leben, was uns zwischen die Finger gekommen ist.

Ich schrieb:

Na, mit Plastikhasen ist das einfach, die müßt ihr nicht ausnehmen, die sind schon innen hohl.

Wave drohte, ich solle endlich mit den bösen Anspielungen aufhören. Ich schrieb:

Bin zahm, handzahm wie ein Karnickel. Bin nur nicht aus Plastik, das ist wohl mein Fehler.

Platinum schrieb mir eine E-Mail:

Ich habe geschworen, ich gehe nie wieder auf ein W.E-Konzert, jetzt, wo das Niveau so ins Bodenlose gesunken ist ...
Ich habe die Bilder von Dariennes Auftritt gesehen ... noch peinlicher als Rafa oder Darienne oder überhaupt irgendjemanden, der je in der Band war, finde ich allerdings die Fans. Das ist auch der Grund, warum ich im W.E-Forum schon lange nichts mehr schreibe und nur ganz selten mal lese. Ich habe gesehen, Du hast auch ein paar Sätze zu verschiedenen Threads eingeworfen. Die Fans haben meiner Meinung nach so einen unglaublichen Schatten über ihrem Verstand ... na ja, was soll's. Den Pixel mag ich sehr gerne sowie Wave und seine Freundin. Na ja, und dann kommt es mir halt immer vor, als ob Titan und ich die einzigen "Fans" sind, die einigermaßen intelligent sind ...
Apropos Titan: Wir heiraten ja am 31.12. dieses Jahres :)
Mit Berenice chatte ich auch viel und habe von ihr auch schon Einiges, was Du schriebst, erfahren. Es kommt mir immer vor, als wäre ich selbst in der Geschichte drin, wenn ich das alles so lese. Es ist irgendwie so nah dran am Geschehen, man denkt, man kennt die Personen sehr gut (besonders natürlich Rafa).
Daß Rafa aber seine Ex-Freundinnen auch geschlagen hat, war mir neu. Das hätte ich nicht von ihm gedacht, weil auch in Deiner Geschichte mal stand, daß er sagte "Ich schlage niemanden" oder so ähnlich.
Oho, ich sehe gerade im Gästebuch von "Nachtkuss", daß Dein Eintrag ("... zusammenhängende Sätze ...") nicht mehr drinsteht.
Kannst ihn ja wieder 'reinsetzen, ich fand den schön :)

Ich antwortete:

Herzlichen Glückwunsch zu eurer bevorstehenden Hochzeit!
Einige von Rafas Fans mögen naiv sein, einige lassen sich manipulieren, aber für mich hat es sich bewährt, den Leuten zuerst Entwicklungsfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung zu unterstellen, denn dies beides scheinen doch mehr Leute zu besitzen, als man glauben möchte. Immerhin mußte Rafa Kritik von seinen Fans einstecken, weil er Berenices Beitrag abgesägt hat. Und es gibt ein paar Beiträge, die ziemlich hintersinnig und scharf sind. In Dariennes "Karnickelthread" zum Beispiel zerlegen sie fachmännisch Dariennes Gejammer über den Tod der Karnickel auf dem Block.
Ja, Rafa hat schon gesagt, er würde niemanden schlagen, und er hat auch schon gesagt, er würde mich nur deshalb nicht schlagen, weil er keine Frauen schlage. Stimmt alles nicht! Zwar hat er mich bisher nicht geschlagen, aber, ja, er hat schon seine Freundinnen geschlagen. Berenice erwähnt das auch in ihrem Gedicht "Kalte Liebe".

Im W.E-Forum gibt es einen Thread über Weltverbesserung. Cyris postete ein Zitat von Rafa:

Versuche, diese Welt zu verbessern, oder erschieß Dich!

Cyris meinte dazu:

Dieses "Lebensmotto" ; ) ist doch recht brauchbar.

Ich schrieb:

"Die Welt verbessern" ist relativ; es kommt auf die Frage an, für wen und wodurch. Spätestens hier wird das Motto problematisch. Nimmt man es wörtlich, wollte Hitler auch nur die Welt verbessern. (Nebenbei - als er sein "Werk" nicht vollenden konnte, erschoß er sich.)
Wer soll denn festlegen, für wen, wie und in welche Richtung die Welt verbessert werden soll? Wer soll darüber entscheiden, was mit "besser" gemeint ist?
Und sich zu erschießen, weil man eine bestimmte Meinung nicht teilt bzw. etwas Bestimmtes unterläßt bzw. nicht versucht, ist die wohl destruktivste aller möglichen "Lösungen" und eine Entwertung des Menschen an sich. Die Behauptung, daß jeder, der etwas Bestimmtes, beliebig Festlegbares nicht leistet bzw. nicht leisten will, deshalb nicht lebenswert sei und sinngemäß im Universum nur Platz wegnehme, impliziert, daß man dem Menschen den Wert abspricht, den er um seiner selbst willen hat.
Willkürlich festzulegen, was eine "Weltverbesserung" bedeutet, heißt auch, willkürlich festzulegen, welcher Mensch lebenswert ist und welcher nicht. Das hatten wir doch alles schon mal in Deutschland ...???

Chérie schrieb:

Ich glaube, es geht primär eher darum, überhaupt etwas zu tun, anstatt nur rumzusitzen und zuzuschauen, was passiert ... ist sicher irgendwo problematisch, aber ich glaube, du siehst das zu eng.

Ich schrieb:

Wenn man es so formuliert, wie du es formulierst, finde ich es ja auch vollkommen in Ordnung. Ich finde, es kommt durchaus auf die Formulierung an.

Chérie schrieb:

Stimmt, da geb ich dir Recht.

Mit Berenice unterhielt ich mich in E-Mails über Darienne, die in ihrer Beziehung mit Rafa aushält, obwohl er sie betrügt. Berenice mailte:

Was ist das denn für eine Beziehung??? Wenn mich jemand betrügt - mehrmals!!! - dann beende ich das doch, oder nicht??? Warum ist sie so??? Schlimm. Kein W.E-Ruhm der Welt ist es wert, dass man sich so verletzen lässt!

Als ich erzählte, daß Darienne sich für Rafa verfügbar hält, mailte Berenice:

Ja klar, darauf beruht wohl diese Beziehung: er befiehlt, sie gehorcht, anders geht es nicht.

Über Dariennes Sangeskünste mailte Berenice:

Rafa will keine wirklichen Sängerinnen, weil sie ihre eigene Meinung haben und auch noch Geld für ihre Leistung verlangen. Also lieber auf seine Art - und Effekte tun den Rest! Rafa will auch gar nicht, dass da Mädels sind, die (besser) singen können. ER ist der Star, die Mädels sind nur Beiwerk, um ihn zu schmücken.

Über das Verhältnis von Tyra und Rafa mailte Berenice:

Rafa sagte, Tyra würde ihn anbaggern, und er hätte keine Lust auf sie. Da waren Rafa und ich noch zusammen.

Als ich Berenice erzählte, daß Rafa seine Beziehung mit Darienne vor Tyra immer wieder geleugnet hat, mailte sie:

Das kommt mir bekannt vor. Mir gegenüber hat er es ja auch erst vor kurzem zugegeben ...

Als ich Berenice erzählte, daß Rafa glaubt, ich würde "eines Tages mit der Axt hinter ihm stehen", mailte sie:

Ja, das sagt er immer über Dich. Er sagte auch, hinter mir würdest Du eines Tages stehen, darum hatte ich auch immer Angst vor Dir - für mich warst Du eine Psychopathin. Also das, was Rafa mir zu verstehen gab.

Ich mailte:

Rafas Glaube, ich würde eines Tages mit der Axt hinter ihm und seiner jeweiligen Freundin stehen, zeigt seine Weltsicht, in der Haß und Rache regieren. Wenn ich ihn umbringen würde, hätte ich das zerstört, was ich erhalten will, das wäre also widersinnig. Ebenso widersinnig wäre es, seine jeweilige Freundin anzugreifen, denn die ist ja nicht mein Gegner. Mein Gegner ist nur die Mauer in Rafas Kopf, sonst nichts.

Als ich erzählte, daß Rafa den Leuten, die zu mir Kontakt haben, vorwirft, "mit dem Feind zu kooperieren", mailte Berenice:

Auch das kommt mir bekannt vor! Was ich mir schon anhören durfte, dass ich mit Dir schreibe ...

Als ich erzählte, wie Rafa mit Tyra umgegangen ist, als sie Mitglied bei W.E war, schrieb Berenice:

Was ist bloß los mit ihm????? Zu meinen Zeiten war er zwar auch mal launisch, aber so??? Nein! Und ich muss es wissen, denn ich habe immer Blitzableiter gespielt, damit die anderen nichts mitbekommen ... Dafür hat er sich dann auch immer bedankt, denn natürlich hatte ich den besten Draht zu ihm ...
Aber so ausfallend habe ich ihn nicht erlebt!!!! Wow.

Als ich erzählte, wie Rafa Tyra bei deren letztem Auftritt mit W.E im "Zone" auf der Bühne demütigte, schrieb Berenice:

DAS hat er getan? Und Tyra redet auch nur noch ein Wörtchen mit ihm? Wenn das ein Freund mit mir machen würde, wäre es das gewesen!!!! Was macht Rafa nur, dass die Mädels ihm nichts übel nehmen??? Ich habe Rafa aus so vielen Gründen verlassen, aber so, wie Ihr ihn schildert, hätte ich ihn nie zum Freund genommen!!!! Wahnsinn!!!!!!!!!!!!!!!

Berenice sprach Tyras Darbietung im "Reentry" an, bei der sie zu dem Stück "8 Bit Märchenland" ihr Röckchen hob und einen Schlüpfer mit aufgenähtem rotem Herz zeigte. Tyra hatte berichtet, daß Rafa sie nach dem Konzert ausgeschimpft hatte, weil ihm die Einlage nicht gefiel. Berenice mailte hierzu:

Dass Lucy und ich das sehr oft getan haben, eben mit dem Herz auf dem Slip, fällt mir da mal eben so ein. Ich wüsste also nicht, warum Rafa Tyra nun zur Sau machen sollte, wo die Idee doch weder von ihr kam, noch er sie blöd fand, wenn wir das gemacht haben. Das wundert mich doch ein wenig ...

Über Tyras "gute Freundschaft" mit Rafa schrieb Berenice:

Kein Kommentar zu Rafa und Freundschaften zu Mädels.

Über Rafas Frauenbild mailte Berenice:

Rafa verachtet alle Frauen. Zu mir sagte er immer, ich sei keine Frau, sondern seine Freundin.

Über Rafas Rolle bei W.E schrieb Berenice:

W.E hat einen Chef, und der heißt Rafa. Ich habe das immer so gesehen (er macht ja auch was für die Band, außer mir sehe ich sonst kaum noch jemanden, der etwas für W.E getan hätte) und habe ihm das auch immer wieder gesagt, bis er es mittlerweile ebenso sieht.

Zu Rafas häufig geäußerter Aufforderung "Benutze dein Gehirn!" mailte ich, in Wahrheit zeige Rafa kein Interesse daran, daß seine Fans selbständig denken und handeln. Berenice mailte:

Ja, es stimmt ;) Wie mich das auch heute noch annervt, wenn ich irgendwo was über Rafa lese - so ergeben und huldigend.

Über Rafas Verhalten nach Konzerten und Tourneen mailte Berenice:

Rafa hat sich immer gefreut, nach einem anstrengenden Wochenende einen schönen Sonntagabend mit mir zu Hause zu verbringen - das haben wir immer ganz groß zelebriert!!!!

Über Rafas Versicherungssituation mailte Berenice:

Die Künstlersozialkasse ist eine Krankenkasse, in die ich Rafa damals gebracht habe, weil er keine Versicherung hatte. So habe ich diese Kasse ausfindig gemacht und ihn dort angemeldet und den Schriftkram für ihn erledigt.

Ich mailte:

Wenn du Rafa nicht in der Künstlersozialkasse angemeldet hättest, wäre er überhaupt nicht versichert, oh je ... Rafa verhält sich so, als sei sein Leben nichts Wertvolles, nichts Schützenswertes. Er hat ja in dem Chat im Mai 2003 gesagt, er habe keine Lust mehr zum Leben, wenn seine "Mission" erfüllt sei, was immer das für eine Mission sein sollte.

Berenice meinte dazu:

Wichtigtuerisches Gelaber - er ist ja so toll, und das soll auch jeder wissen!!!

Zu Rafas Äußerung, mit W.E gehe es nicht mehr lange weiter, mailte Berenice:

Solche Töne eines Berufsoptimisten??? Ich entdecke ja immer mehr neue Seiten an meinem Ex ;)

Über Dolfs Rolle bei W.E mailte Berenice:

Seit Cybers Agentur Dolfs Arbeit übernommen hat, sieht Dolf seine Felle wegschwimmen, denn nun macht er ja gar nichts mehr in der Band, als live die Lichter aufzubauen.

Zu meinem Mißtrauen gegenüber Dolf mailte Berenice:

Ich traue Dolf nicht, seitdem ich ihn kennengelernt habe.

Abschließend riet Berenice:

Lach' nicht so viel über das, was Dolf ins Forum gegen Dich geschrieben hat.

In einer weiteren Mail schrieb Berenice:

Zum Einen habe ich gesehen, dass sowohl Deine Nachricht als auch Dolfs Kommentar dazu gelöscht wurden :) Bescheuert, oder? Zum Anderen hat Rafa eine meiner Nachrichten editiert, als ich Deinen Namen ("fractal") erwähnte. Er schrieb nämlich, dass sich W.E für einen guten Zweck nicht lumpen lassen, und ich meinte nur, na klar, soviel zum Thema "fractals Fassade" - wortwörtlich weiß ich es nicht mehr, aber sinngemäß war es so.
Ist doch einfach unglaublich, dieses Inszenieren einer eigenen Wirklichkeit, oder nicht??? Ich habe Icon gebeten, mich aus dem W.E-Forum 'rauszunehmen. Für mich ist W.E endgültig gestorben - schade, dass Außenstehende von all dem nichts mitbekommen ...
Magst Du nicht etwas dazu schreiben - einen kleinen Aufsatz allgemein zu diesem Thema - oder so ... Dann stelle ich ihn auf meine Seite und bekunde so mein Einverständnis damit. Wenn ich selber dagegen rede, heißt es vielleicht nur, ich sei neidisch oder so ein Blödsinn. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist - sie kam mir erst jetzt beim Schreiben ...
Vielleicht bereue ich es gleich auch, dies geäußert zu haben, wer weiß. Schreib mir doch bitte mal Deine Meinung dazu :)

Ich mailte:

Ja, ich war schon sowas von neugierig, was Dolf geschrieben hat!
Und dann fand ich keinen Beitrag von ihm im Forum und nahm an, daß Rafa den gelöscht hat, weil er sich auf den meinigen bezog. Was hatte Dolf denn geschrieben?

Berenice mailte:

Ich denke auch, dass Rafa den gelöscht hat - wer sonst?
Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihn kopiert :(((( Dolf hat Dich sehr scharf angegriffen, von wegen, dass Du ihm einzig auf die Nerven gehst - aber es war ein längerer Text, der mir leider nicht weiter einfällt! Zudem war es der erste Beitrag von Dolf überhaupt im Forum, was seine Aussage noch enorm unterstützt hat ...

Ich mailte:

Oh ja, wenn Dolf nur deswegen erstmals im W.E-Forum präsent ist, weil er über mich herziehen will, dann muß seine Motivation hierzu recht stark sein. Was bringt ihn nur gegen mich auf? Getan habe ich ihm schließlich nichts. Und in eine Konkurrenzsituation bringe ich ihn auch nicht. Nur Dolf ist Dolf, und bisher scheint niemand versucht zu haben, ihm die Rolle streitig zu machen, die er für Rafa spielt - ich am allerwenigsten.
Dolf und die Frauen ... liegt hier eine mögliche Antwort? Früher haben Rafa und Dolf sich gegenseitig die Frauen hin- und hergeschoben. Daß bei diesen Spielchen die jeweiligen Freundinnen (falls vorhanden) betrogen wurden, verstand sich von selbst.

Berenice mailte, sie sei sicher, daß Dolf für immer bei W.E bleiben werde, da es außer seiner Mitgliedschaft bei W.E nichts gebe, mit dem er bei den Mädchen punkten könne.
Über Rafas Verhältnis zur Wirklichkeit mailte ich:

Gigantisch, wie sehr Rafa darauf angewiesen ist, eine Wirklichkeit abseits von der tatsächlichen zu inszenieren.

Berenice mailte:

Erschreckend!!!!!

Ich mailte:

Rafa ist abhängig davon, eine künstliche Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Und ich suche und suche die Schraube, an der ich drehen muß, um das Gebäude zum Einstürzen zu bringen ... es wäre doch nur zu aller Nutzen, auch zu dem seinigen!
Ja, so ist das: er hat (paranoide? panische?) Angst davor, daß jemand an seiner Fassade kratzt. Ich denke, innerlich ist er schon so weit, zu erkennen, daß diese Fassade keinen dauerhaften Schutz vor der Realität bietet. Aber er will sich um keinen Preis damit abfinden, und er entwickelt Aggressionen, die er gegen die gesamte Menschheit richtet, obwohl sie sich eigentlich gegen ihn selber richten. Ich bin Feind Nr. 1 für ihn, weil ich mir zum erklärten Ziel gemacht habe, die Mauer einzureißen, die sich zwischen Rafas bewußter Wahrnehmung und seinen Gefühlen befindet. Diese Mauer, nur sie ist mein (und sein wahrer) Feind.

Berenice mailte:

ICH verstehe das sehr gut. Aber ich denke, damit brauchst Du weder ihm zu kommen noch den Forummitgliedern (habe eben erst Deinen Beitrag gelesen zur Fassade und Wirklichkeit).

Ich mailte:

Rafa mußte, wie du weiter unten im Thread schon lesen konntest, auch von seinen eigenen Fans Kritik dafür einstecken, daß er deinen Beitrag abgesägt hat. Er quittierte das mit einem giftigen "Ja, ich merke es noch."

Berenice mailte:

Ja, mich wundert es, dass es jemand bemerkt hat! Leider habe ich auch meinen Beitrag nicht kopiert ...
Ich finde es unmöglich, dass Rafa so eingreift! Das ist in keiner Weise berechtigt - würde gerne wissen, was er sagt, wenn ihn jemand fragt, warum er Deinen und Dolfs Beitrag gelöscht hat. Ich habe ihm eben schon geschrieben, was ich davon halte und ihn gefragt, warum er weder dazu stehen kann, was er liest, noch sich damit mal auseinandersetzt ...

Ich mailte:

In Rafas Ersatz-Wirklichkeit werde ich wahrscheinlich dauernd vaporisiert, tauche wieder auf und werde wieder vaporisiert.

Berenice mailte:

DAS kann sein :)

Ich erkundigte mich, wie Berenice sich einen Text zum Thema "Fassade" vorstellte. Berenice mailte:

Eher ein objektiver, neutraler Text, zu dem Cyris die Gegenseite darstellt ...

Sie schlug den Titel "Wieviel Zweck heiligt die Mittel?" vor.

Dariennes Forum-Beiträge gegen die Hausschlachtung von Kaninchen weckte bei Berenice und auch bei Cyris den Verdacht, daß Darienne versuchte, Berenices Engagement für den Tierschutz nachzuahmen. Berenice konnte sich auch vorstellen, daß Rafa Darienne zu Werbezwecken als Tierschützerin präsentieren wollte.

Über Rafas Verhalten in Gesprächen mailte Berenice:

Dass er nur über Themen spricht, die ihm wichtig sind, ist mir klar. Alles andere blockt er gerne ab ;) Ausnahme ist nur, wenn ihn eine Person aus was für Gründen auch immer interessiert ...

Ich mailte, Rafa schlage viel Ablehnung entgegen, die er sich freilich zum Teil selbst zuzuschreiben habe; das allerdings mache er sich nicht bewußt. Berenice mailte:

Das stimmt wohl. Er sucht die Schuld nie bei sich, immer bei anderen ...

Ich mailte:

Wenn Rafa kritisiert wird, wehrt er dies fast immer ab, indem er schweigt, wegläuft, vom Thema ablenkt oder aggressiv wird.

Über Rafas Nikotinabhängigkeit und seinen antizyklischen Schlaf-Wach-Rhythmus mailte Berenice:

Beides finde ich extrem gefährlich für ihn!!! Ich habe aber genug gepredigt, recherchiert etc. - er kann (will!!!!) es nicht ändern. Für mich ist es damit abgeschlossen, ich kann ihn nicht an die Hand nehmen - er muss es selber wollen. Spätestens bei einem Schlag auf seine Gesundheit wird er sehen, was er sich angetan hat und auch, wer noch zu ihm steht, wenn die Leute sich keine Vorteile mehr von ihm erhoffen können ... Was kann ich mehr tun, als es ihm immer wieder gesagt zu haben? Ich habe meine Schuldigkeit getan.

Ich mailte:

Viele Raucher denken erst über ihre Gesundheit nach, wenn es zu spät ist, und andere denken noch nicht einmal dann darüber nach. Ein Herzinfarkt oder Schlaganfall bedeutet irreversiblen Gewebe-Untergang, also es fehlt ein Stück von einem Menschen, das nicht ersetzt werden kann. Und Lungenkrebs führt in fast hundert Prozent der Fälle innerhalb weniger Monate bis Jahre zum Tode. Weil ich aber Rafa wie einen Teil meiner selbst wahrnehme (auch wenn das objektiv betrachtet Unfug ist) und weil mir Rafas Leben - deshalb - genauso wichtig ist wie mein eigenes, ist mir diese Vorstellung ein Graus. Es-darf-einfach-nicht-passieren. Um es zu verhindern, würde ich in Kauf nehmen, daß Rafa bis an sein Lebensende wütend auf mich ist. Nur - wie es schaffen?
Meine Hypothese lautet, daß das Suchtverhalten ganz allgemein nur in Verbindung mit Selbstbetrug gedeiht. Wird dieser Selbstbetrug durch eine Konfrontation mit der Wirklichkeit durchbrochen, die der Betroffene nicht verhindern kann, wird auch der Mechanismus des Suchtverhaltens durchbrochen. Inwiefern diese Hypothese der Praxis standhält, bleibt zu überprüfen. Bisher gibt es keine Therapie gegen die Sucht, die auch dann eine Chance hat, wenn der Betroffene an seinem Selbstbetrug festhält.
Verkürzt formuliert würde meine Hypothese lauten:
"Wer die Lüge bekämpft, bekämpft die Sucht."
Darienne scheint die Abhängigkeit ebenso zu suchen wie Rafa; sie scheint auch nikotinabhängig zu sein, und die beiden scheinen eine abhängige Beziehung (Kollusion) zu führen, in der jeder den anderen für sein Ego verwendet. Sie tut, was er will, das scheint die Rollenverteilung zu sein.

Berenice mailte:

Ich würde Dir gerne widersprechen - aber die Tatsache, dass sie weiß (!!!!!!!!!), dass Rafa sie betrogen hat, mehrmals, ist schon ein Indiz dafür, dass Du vollkommen recht hast :( Armes Ding! Ich mag keine Frauen, die sich über ihren Freund definieren ...

Ich mailte:

Eindrucksvoll fand ich Rafas Aufrichtigkeit, als er Ende 2003 in einem Interview auf die Frage, wem er niemals begegnen möchte, geantwortet hat:
"Mir selbst."

Berenice mailte:

Vielleicht hat er da unbewusst mehr Wahrheit gesprochen, als er jemals verstehen wird ... Ich weiß es nicht. Vieles an dem, was er so verbreitet, ist nicht echt, dient vor allem dem Zweck des Inszenierens ...

Ich erzählte von meinen Gesprächen mit Rafa über Kinder:

Daß er Kinder will, darüber reden Rafa und ich immer wieder. Er spricht das Thema an, ich mache weiter und betone, daß es mein wichtigster Wunsch ist, mit ihm Kinder zu haben. Er ist dann ziemlich schnell ziemlich gerührt und sagt, daß er Angst hat oder daß er schwach wird. Und dann läuft er weg, wie gewohnt.

Berenice mailte:

"Mein" Rafa!!!! Lach! Weißt Du, noch vor einem Jahr war ich felsenfest davon überzeugt, dass Du spinnst und Dir alles einredest. Aber langsam beginne ich zu glauben, dass da doch mehr hinter steckt. Wieso hat er mich (und alle anderen) angelogen - wieso verleugnet er Dich so??? Wahnsinn ... Mach' weiter so, irgendwann bricht er zusammen, und Du wirst die Scherben aufsammeln und "richtig" zusammenbasteln müssen. Vielleicht wird er dann mal er selbst.
Heute habe ich auch keine Angst mehr vor Dir - doch jahrelang hatte ich es!!!! So sehr hat mich Rafas Erzählung beeinflusst über Dich ...

Ich mailte:

Rafa ist eifersüchtig, er ist immer argwöhnisch, wenn irgendeiner sich mit mir versteht. Und wenn es Frauen sind, sieht er im Geiste ein Tratschnest, in dem etwas gegen ihn ausgeheckt wird. Er kann nicht vertrauen, am wenigsten mir. Und hinter seinem Rücken wähnt er ein Spinnennetz aus Intrigen, gesponnen von Leuten, die ihn vernichten wollen. Daß es Leute gibt, die ihm helfen wollen, kann er sich nicht vorstellen.

Berenice mailte:

Ja, leider ist es genauso!!! Ich gebe Dir die ganzen Infos (die Du allerdings selber größtenteils schon kanntest) nur noch, weil ich denke, Du wirst ihm eines Tages damit helfen können! Meine Liebe zu ihm ist erloschen, Rachsucht empfinde ich nicht wegen des Betrügens (sofern es überhaupt stimmt), und auch sonst hege ich keinen Groll gegen ihn. Ich kann mich schon kaum noch an unsere Zweisamkeit erinnern, so weit weg ist alles von mir ...

Über Rafa als "Berufsoptimisten" mailte ich:

Pessimistisch ist Rafa im Hinblick auf die Zukunft, den technischen Fortschritt, die Großindustrie, zwischenmenschliche Beziehungen, die Weltwirtschaft, die Informationsgesellschaft, die Umweltzerstörung und ... und ...
Optimismus mag Rafa zeigen hinsichtlich der Entwicklung seiner eigenen musikalischen Projekte, aber ich erlebe seinen Optimismus insgesamt als brüchig und überschattet von pessimistischen Visionen. Daß er bezüglich W.E trübe Ahnungen hat, kann mit dem Vertrag bei seinem Label zusammenhängen, der nach dem nächsten Album ausläuft (ob er verlängert wird, weiß ich nicht) und dem Rückgang seines kreativen Outputs.

Berenice mailte:

Optimismus ist nicht mehr das richtige Wort. Sogar das schlechteste Konzert von W.E war in Rafas Augen immer noch "sehr gut" - ich habe nicht einmal in all den Jahren erlebt, dass er ein Konzert auch nur annähernd als schlecht empfunden hätte!!!!!!!!!!!!

Ich mailte:

Tyra hat mir gesagt, daß Rafa fremde kreative Leistungen allenfalls mit "nicht schlecht" quittiert, das sei sein höchstes Kompliment. Seine eigenen Konzerte hingegen bezeichnet er immer als "sehr gut" ... Ja, Optimismus ist nicht das richtige Wort, Schönreden eher. Rafa biegt seine Wirklichkeit nach Bedarf zurecht.
Na ja, als ich auf seiner Geburtstagsparty Karaoke gesungen habe, hat er mitgefilmt und immer gerufen:
"Super! Super!"
Vielleicht hat er das aber im Nachhinein auch relativiert.

Über Dariennes W.E-Bühnenpremiere mailte ich:

Die Fans akzeptieren Darienne wie irgendein Dekorationsobjekt, das Rafa ihnen vorführt, so scheint es mir.

Berenice mailte:

Na ja, aber sind die W.E-Mädels denn mehr??? Ich habe mich immer als Bühnenstück gesehen ... W.E ist nur eine Person: Rafa. Der Rest drumherum ist Deko, um ihn zu schmücken.

Ich mailte:

Daß dich Rafas Aggressivität, die er Tyra gegenüber zeigte, so überrascht, kann heißen, daß er aggressiver geworden ist ... ja, vielleicht ist er aggressiver als früher?

Berenice mailte:

Ich erkenne ihn wirklich nicht wieder in all diesen Erzählungen - er scheint auf jeden Fall aggressiver geworden zu sein.

Ich mailte:

Wenn Rafa den "Chef" in der Band spielt, ist das, finde ich, etwas Neutrales, doch wenn er diese Rolle benutzt, um andere zu entwerten, ohne den Mut zur Selbstkritik aufzubringen, hat sie ihren Sinn verfehlt.

Berenice mailte:

W.E ist SEIN Produkt, sein Werk. Wer sollte das Recht haben, ihm da 'reinzureden??? Natürlich holt Rafa Meinungen ein ("Wie gefällt dir das?" etc.), aber im Endeffekt muss er seine Ideen durchsetzen ...
Dass er Tyra und auch Lucy so behandelt hat, tut mir sehr, sehr leid!!! Wie gesagt, ansonsten war ich sein Blitzableiter, und so haben die anderen seine Launen nicht abbekommen.

Über Rafas Frauenbild mailte ich:

Wenn Rafa dich zwar als Freundin, nicht aber als Frau bezeichnet hat, ergibt das einen Widerspruch. Wenn Rafa dich geheiratet hätte, hätte er dich als seine Frau, aber keine Frau bezeichnet, oder wie? Und jetzt, wo du nicht mehr mit ihm zusammen bist, bist du wieder eine Frau und damit zu verachten?

Berenice mailte:

Mir war das egal, soll Rafa doch über Frauen herziehen ... Ich habe, was meine Intelligenz und Weiblichkeit betrifft, keine Komplexe, und somit sind seine Sprüche bei mir abgeperlt ...

Ich mailte:

Rafa scheint nicht darauf vertrauen zu können, daß ausgerechnet eine Frau ihn aus seinem Kellerloch der Selbstzweifel befreien könnte. Frauen sind für ihn Dekoration und Nutzgegenstände, keine Individuen. Stärke ist in Rafas Augen den Männern vorbehalten, sowohl betreffend die körperliche als auch die geistige.

Berenice mailte:

Na, das glaube ich nicht! Gerade weil ich geistige Stärke gezeigt habe, musste Rafa mit seiner körperlichen dominieren ... Und das habe ich ihm auch oft genug an den Kopf geworfen, woraufhin er noch wütender wurde!

Ich mailte:

Oha, Rafa hat seine körperliche Überlegenheit in die Waagschale geworfen, wenn du ihm durch deine Argumente überlegen warst? Wie soll so eine "Diskussion" aussehen ...

Für Berenice verfaßte ich das gewünschte Essay zum Thema "Wieviel Zweck heiligt die Mittel?". Es lautete folgendermaßen:


Wieviel Zweck heiligt die Mittel? (Fassade vs. Wirklichkeit)

Wozu ist ein Forum da?
Wenn ein Künstler ein Forum einrichtet und dort auch selbst präsent ist, zeigt er dadurch seinen Wunsch, mit seinem Publikum in Kontakt zu treten und sich ihren Wünschen und Fragen, aber auch ihren Meinungsäußerungen zu stellen. Ein Forum gilt als Marktplatz, das heißt, jeder kann posten, was er will, solange dies nicht der gängigen "Netiquette" widerspricht. Zur "Netiquette" gehören der Verzicht auf Diffamierung von Minderheiten, extremistische und sexistische Äußerungen, verfassungsfeindliche Embleme, sittenwidrige Beiträge wie z. B. pornografische Reklame und grobe Beleidigungen ("Tiernamen"). Alles andere ist allgemein in Foren erlaubt! Wenn ein Künstler Äußerungen zensiert oder löscht, nur weil sie sachlich formulierte Kritik enthalten oder weil Menschen darin erwähnt werden, an die er nicht erinnert werden möchte, so entspricht sein Verhalten nicht den allgemein üblichen Regeln. Falls der Künstler sehr kränkbar ist, Kritik schlecht verträgt beziehungsweise dazu neigt, sich von den Äußerungen anderer Menschen angegriffen zu fühlen, so steht ihm die Möglichkeit offen, mit den betreffenden Personen über eine PN oder E-Mail in Kontakt zu treten. In einem sachlichen Dialog können Mißverständnisse geklärt werden und Kompromisse entwickelt werden. Mit einem solchen Verhalten würde der Künstler Verantwortungsbereitschaft, soziale Kompetenz und Selbstsicherheit zeigen.

Soll man über sich und andere nachdenken?
Man kann gar nicht genug über sich und andere nachdenken, finde ich. Wenn man leben würde, ohne über das, was man erlebt, nachzudenken oder sich damit zu beschäftigen, würde man seine eigene Weiterentwicklung blockieren und die der anderen noch dazu.

Soll man über sich und andere reden?
Man kann gar nicht genug über sich und andere reden, finde ich. Gemeint ist nicht die reine Selbstdarstellung oder das reine Lästern. Gemeint ist die sachliche Auseinandersetzung mit dem, was man mit sich und anderen erlebt. Im Gespräch kann es aufgearbeitet werden, die Gedanken können geordnet werden, Lösungen für Konflikte können gefunden werden.

Darf man verbreiten, was man mit sich und anderen erlebt?
Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort, finde ich. Freie Meinungsäußerung, künstlerische Freiheit und Schutz des Individuums können miteinander in Konflikt geraten. Jedenfalls sollte dieses Thema fallbezogen betrachtet werden, Prioritäten sollten individuell gesetzt werden. Ein Konfliktfall müßte unter den betreffenden Personen im Dialog geklärt werden, unter Verzicht auf gegenseitige Vorhaltungen. So können Mißverständnisse aus dem Weg geräumt werden, und Kompromisse können entwickelt werden.

Soll eine Band ihre vorgegebenen Meinungen leben? Reicht es, daß sie so tut, als ob?
Wenn man anderen etwas beibringen will, sollte man es selbst beherrschen, finde ich. Wenn man eine moralische Haltung predigt, sollte man diese verinnerlicht haben. Sonst bleibt die Präsentation lückenhaft, überzeugt nicht ... und kann peinlich wirken.


Rafa hat unterdessen im W.E-Forum einen neuen Thread begonnen mit dem Titel "Schließung des Forums". Er schrieb im Pluralis majestatis:

Sehr verehrte Damen und Herren,
das Maß ist voll!
Der Sender hat keine Lust, das Forum, welches unter seinem Namen präsentiert wird, als Plattform für hirnlose Sticheleien, Beleidigungen und irgendeinen anderen Schwachsinn herzugeben.
Geschweige denn für pseudoprivates Gesülze oder Subjekte, die meinen, ihre Schnauze basierend auf totalem Unwissen hier aufreissen zu müssen.
Nachdem wir bislang solche Einträge manchmal gelöscht haben, um das Forum, welches uns eigentlich sehr am Herzen liegt und auf das wir auch sehr stolz sind, von solchem Pöbel rein zu halten ... und uns normalerweise auch nicht von einigen Vollidioten unter knapp 1000 Mitgliedern in die Suppe spucken lassen ... sehen wir hier im Sender momentan leider keine andere Möglichkeit, als das komplette Forum zum Jahresanfang zu schließen!
MfG
W.E

Nun gab es - wie zu erwarten war - reichlich Klagen, Bedauern und Kritik von den Fans. Ich überließ das Klagen, das Bedauern und die Kritik den Fans.
"Rafa schließt das Forum nicht", war Tyra sicher, als ich ihr von Rafas neuem Einfall erzählte. "Das ist eine Drohung, weiter nichts. Der schließt das schon deshalb nicht, weil er so eine gute Gelegenheit, sich selbst darzustellen, anderswo nicht findet."
"Die Fans erleben das Forum als Plattform, wo sie untereinander Kontakte knüpfen können", meinte ich. "Und Rafa benutzt seine Fans als Schachfiguren."
"Rafa macht die Musik nicht für seine Fans. Er macht sie nur für sich selbst. Die Fans braucht er nur für sein Selbstwertgefühl, das nicht vorhanden ist."
"Ich habe den Eindruck, Rafa versucht durch seine Drohung, das Forum zu schließen, einen Keil zwischen mich und seine Fans zu treiben", vermutete ich. "Er kommt nicht damit zurecht, daß ich unter den Fans Kontakte geknüpft habe."
Rafa will sein Universum kontrollieren. Wenn die Forummitglieder untereinander Kontakte knüpfen, auf die er keinen Einfluß hat, fühlt er sich ausgeschlossen und hilflos. Er tritt ihnen aggressiv und mit Herrscher-Allüren entgegen. Ähnlich geht Rafa mit seinen Partygästen um: er will kontrollieren, was wann passiert und wer mit wem worüber redet. Deshalb wird den Gästen eine starre Abfolge von Ritualen auferlegt, die so lange andauern, bis die Party vorbei ist.
Normalerweise ist es bei Parties gerade umgekehrt: Der Gastgeber sorgt dafür, daß alle etwas zu trinken und zu essen haben und daß es an nichts fehlt, er nimmt Geschenke entgegen, begrüßt und verabschiedet die Gäste und hält sich ansonsten im Hintergrund.
In Rafas "Nachtkuss"-Gästebuch stehen meine Einträge noch. Darunter gibt es einen neuen, lyrisch gestalteten Eintrag von Isis:

ich lese ... küsse fliegen durch die standardmässigen leitungen ...
nicht hintergründig aufschlüsselnde worte ...
geistige eruptionen und doch ...
was sagt es im geiste ... abwesend dessen, was ist real?
virtuelle welten, doch hintergründe der menschen, die sie erschufen ...
es sind gedanken eines jeden selbst, die durch mitteilungen anregungen schaffen ... doch was in den köpfen steckt ...
nun, der geist des einzelnen wird ewig in einer anderen welt leben ...
verwirrend? nein
es sagt nur, dass jedes individuum ein recht hat, sich selbst zu verwirklichen und das zu äussern, was es möchte ...
ob alles ein richtiger weg ist, bleibt jedem selbst überlassen ...
warum?
es ist das leben, und jeder sollte seine persönlichen erfahrungen machen, denn nur aus ihnen lernt man und ist in der lage, sich seinen ängsten zu stellen ...
man ...
sollte es tun ...
denn wenn man seine meinung nicht zu 100 prozent herüberbringt und dabei ehrlich ist, belügt man sich selber und wird zu einem opfer.
... und eine opferrolle übernimmt niemand freiwillig ...
man wird zum opfer gemacht und zerhackt.
... leider fehlt es einfach vielen menschen an toleranz ... und dabei wird diese doch angeblich von allen so hoch gepriesen ...
menschen lieben menschen ... jeder auf seine art ... doch: wenn man jemanden mag, sollte man grundsätzlich darüber nachdenken, dass man den menschen glücklich sehen möchte und nicht in ein gewitter schmeisst ... weil man nicht mit der denkensweise zurechtkommt ...
warum auch?
denn wie gesagt ... jeder ist sich selbst der nächste ... oder wie war's noch?
genau ...
kritik sollte ausgeübt werden, wenn einem etwas 100prozentig bekannt ist ... das ist berechtigt.
gerüchte aber werden länger und verändern sich bis zur absoluten mutation ... am ende ist alles anders als die realität ...

;-) Isis

Ich mailte an Isis:

Coool, was du ins "Nachtkuss"-Gästebuch geschrieben hast!!!

Inzwischen gibt es im "Nachtkuss"-Gästebuch wieder einen neuen Eintrag:

Ist ja interessant ... bin durch Zufall hier gelandet. Kunst, Kultur und Sinnlichkeit in allen Auslegungen, finde ich. Wirklich, was du wohl für einer bist??? Schade, dass es hier anscheinend noch nicht ganz fertig zu sein scheint. Vielleicht bin ich mit dieser Seite auf jemanden gestossen, der sein Herz und seinen Verstand geöffnet hat und sich auf gelegentliche Brainstormings einlassen möchte ...
Also, auf diesem Wege unbekannte Grüsse an einen scheinbar sehr kreativen Menschen.
Lizanne das Herz

Ich schrieb als "n.n.":

Lizanne, du bist auf jemanden gestoßen, der sein Herz und seinen Verstand vergessen hat und sich um Himmels willen nicht darauf einlassen will, über sich selbst nachzudenken.

Rafa hatte es eilig, den Beitrag zu löschen. Damit "Lizanne" dennoch von mir hörte, schrieb ich an die von ihr angegebene E-Mail-Adresse:

Hinter der "Nachtkuss"-Website verbirgt sich Rafa, über den es viel zu erzählen gibt, aber ich halte mich hier lieber mal zurück. Ich empfehle nur, ihm nicht einfach zu glauben, was er vorgibt.
(Daß er die Band "W.E" ist, stimmt übrigens.)

Diese E-Mail wurde von "Lizanne" sogleich an Rafa weitergeleitet. Er mailte mir daraufhin:

1. off. Abmahnung
Du musst ja sehr naiv sein, um zu glauben, dass ich solche klaren Angriffe auf meine Privatsphäre mir von irgendjemandem gefallen lasse (siehe unten), ohne strikte Massnahmen zu ergreifen. Weiter Deinen Psychoerguß im W.E-Forum.
Ich weiß zwar nicht genau, was Du damit bezwecken willst, aber wenn es mein absolutes Desinteresse Dir gegenüber ist, dann hast Du Dein Ziel bereits erreicht. Das Maß ist VOLL!!!
Ich habe angemessene Aktionen bereits in die Wege geleitet, und wenn nicht mit SOFORTIGER Wirkung ALLE Aktionen Deinerseits SOFORT aufhören, werden diese Aktionen in Kraft treten!
Beantworte diese Mail nicht, ich rufe hier eh keine Post ab. Des weiteren will ich von Dir IN MEINEN GANZEN LEBEN auch nichts mehr hören.

"Ist das süß!" rief Tyra entzückt, als ich ihr Rafas E-Mail vorlas. "Darauf antwortest du doch, oder?"
"Nein, denn er schreibt ja, daß er sein Postfach sowieso nie leert."
"Ach, natürlich leert der das Postfach! Was erzählt der denn da ..."
"Also, ich schreibe:
'Fröhliche Weihnachten und ein gesegnetes neues Jahr!'
Und ich nehme 'Fröhliche Weihnachten' als Überschrift. Dann liest er wenigstens die Überschrift, wenn er die E-Mail schon nicht öffnet."
Als ich Constri erzählte, was für eine E-Mail Rafa mir geschickt hat, kommentierte sie:
"Was glaubt der eigentlich, wer er ist?"
Rafa bekam seine Weihnachts-E-Mail von mir. Ob er sie gelesen hat, werde ich wohl nie erfahren.
"Lizanne" jedenfalls antwortete auf meine E-Mail:

Ich wage es ja kaum, dir zurückzuschreiben, denn woher soll ich wissen, dass du nicht auch über mich solch waghalsige Parolen verbreitest??! Was gibt dir denn das Recht, den Nachtkuss in seiner Identität so dermassen zu verraten? Der Mann scheint dir ja nicht besonders am Herzen zu liegen ...
Warum ist diese Welt so voller Hass?? Warum gibt es Menschen, die sich darum bemühen, die Wege anderer Menschen auf so eine Art zu verbauen? Deinen Nächsten sollst du lieben, so wie du dich selber liebst! Nicht: Wie du mir, so ich dir, oder so'n Quatsch.
Wie gut kennst du denn diesen Menschen schon, dass du angeblich so viel über ihn zu erzählen hättest?????
Ich bin immer offen. Für jegliche Art der Kommunikation, aber solche Warnungen fasse ich schon fast als eine Art von Freiheitsberaubung auf. Ich bin frei! Ich habe einen freien Willen! Ich DARF selbst entscheiden, wem ich was glaube und was nicht.
Warum steuerst du auf diese Weise direkt auf mich zu???

Ich mailte:

Da hast du mich gründlich mißverstanden. Hier handelt es sich um einen Hinweis, weiter nichts.

"Lizanne" mailte:

Ich glaube, ich habe dich ganz gut verstanden, nur dass ich es eben einfach nicht fair finde, einer entstehenden Bekanntschaft schon vor Beginn den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich hätte früher oder später doch eh herausgefunden, um was für einen Menschen es sich hier tatsächlich handelt.
Da braucht sich doch nun wirklich niemand Fremdes dazwischen drängen, oder wie siehst du die vorliegende Situation???
Ist ja irgendwie recht nett, falls du tatsächlich irgendwelche Erfahrungen mit diesem Mann gemacht haben solltest, da du aber nichts weiter gesagt hast, gehe ich schlicht und ergreifend davon aus, dass du ihn überhaupt nicht, genauso wenig wie ich, persönlich kennst! Und dann ist ein solcher Hinweis doch wirklich fehl am Platz!
Ich habe es ja schließlich nicht auf den sehr verehrten Nachtkuss abgesehen oder Ähnliches, aber die Neugierde, ihn kennenzulernen, hast du mir auf eine ganz gewisse Weise zu Beginn echt verdorben. Das finde ich einfach schade, denn er hat sich, seitdem ich ihm von deiner Mail geschrieben habe, nicht mehr zurückgemeldet.
Ich fand es aber ungerecht, ihm gegenüber damit hinterm Berg zu halten, denn schließlich ist es sein Ruf, den du durch den Kakao gezogen hast, nicht meiner. Und noch dazu vollkommen unbegründet.
Was hat dein Herz so erkalten lassen, dass du solch gemeine Züge tätigst?
Eifersucht???

Ich mailte:

Also, lern' Rafa am besten selbst kennen! Heiligabend legt er im "Keller" in SHG. auf. Am besten ist es, du machst selbst deine Erfahrungen mit ihm.
Bisher haben mich alle vor ihm gewarnt. Und viele haben nur noch schlimme Worte für ihn. Ich nehme ihn durchaus in Schutz gegen pauschalisierende Verurteilungen, auch wenn ich seine Schwächen bestens kenne.
Rafa und ich kennen uns äußerst gut seit 1993. Sonst würde ich bestimmt nichts über ihn schreiben.
Anscheinend hast du die E-Mail, die ich dir zuerst geschickt hatte, an Rafa weitergeleitet. Vielleicht wär's günstiger gewesen, du hättest zuerst mir gemailt. So kann man Mißverständnisse abfangen.
Nun isses so, da reg ich mich dann auch nicht drüber auf.
Und deine Neugierde auf ihn ist berechtigt, aber eine gewisse Skepsis ist es ebenso. Vielleicht findest du ihn sehr interessant ... das wäre nicht zu Unrecht.

Rafa schaffte es durch seine Schließungs-Ankündigung, einige seiner Fans gegen mich aufzubringen. Insgesamt waren es vier Fans: Wave, Hellhound, Mayjana und Tron. Sie behaupteten, ich sei schuld an der Schließung des Forums. Dies schien Rafa zu genügen. Kurz vor Weihnachten begann er einen neuen Thread namens "Das Forum wird unsterblich!" und schrieb im Pluralis majestatis:

Sehr verehrte Damen und Herren,
wir hätten gar nicht gedacht, daß so viel Interesse und so viel Herzblut der Forums-Nutzer an und in diesem Forum liegt. *stolz*
Mit einer solchen Resonanz, nicht nur hier im Forum, haben wir nicht gerechnet!
So haben wir uns die Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen ...
Ab 2006 müssen wir uns leider von einigen fractalen Subjekten hier im Forum trennen b.z.w. diese des Forums verweisen.
Es folgen Verhaltensmaßregeln für die verbleibenden Mitglieder und das abschließende groß und fett gedruckte Versprechen:
Das W.E-Forum ist ab heute unsterblich!!!

Die erwarteten Jubelrufe ließen nicht lange auf sich warten. Die Fans bedankten sich überschwenglich für das "Weihnachtsgeschenk". Rafa konnte sich als Sieger fühlen. Er hatte erreicht, daß die Fans sich wieder um ihn kümmerten, anstatt sich über allerlei Themen zu unterhalten und untereinander Kontakte zu knüpfen. Außerdem lieferten ihm die Äußerungen von Wave, Hellhound, Mayjana und Tron genügend Unterfutter, um mich - "Fractal" - als Ursache allen Übels darzustellen.



Heiligabend kam ich zu meiner Mutter und erkundigte mich, wo die Pyramide geblieben war, die sonst immer zu Weihnachten auf dem Flügel stand.
"Die ist eben abgebrannt", berichteten meine Mutter und Constri. "Denise hat Papier 'reingehalten."
Wilf hatte den Brand bemerkt und meine Mutter und Constri herbeigerufen, so daß der Schaden auf die Pyramide beschränkt blieb. Die Weihnachtsfeier konnte beginnen.
Für meine Mutter brachte ich ein frisch gebackenes "Apfelmännchen-Mandelbrot" mit, eine Neuschöpfung. Dabei handelt es sich um einen klassischen Apfelkuchen aus Mürbeteig und Boskops, der mit Zitronensaft verfeinert und mit Mandeln und Streuseln belegt wird. Obenauf wird mit Kakao-Dekor das Apfelmännchen gestreut. Es ist Teil der Mandelbrot-Menge, eine ins Unendliche reichende fraktale Funktion, die grafisch darstellbar - und sehr dekorativ ist.
Nachts fuhr ich zum "Keller". Am Eingang standen Alt-Punker Iro, Gebirgsjäger Ares und der dicke Rolle Ronsal und lächelten mir entgegen. Auch Highscore und Ivon begrüßten mich. Ich erzählte, daß ich mir nicht sicher sei, ob Rafa mir gestatten werde, mein Wichtel-Geschenk in den Knecht-Ruprecht-Sack zu legen. Iro, Rolle und Ares versprachen, wenn Rafa das nicht erlaube, bekomme er von ihnen was auf Maul.
"Rafa erklärt mich zur Inkarnation des Bösen", erzählte ich. "Er hat einen extremen Haß auf mich."
"Haß kann nur entstehen, wo Liebe ist!" rief Ares.
"Ja, echt?" fragte ich die beiden anderen.
"Ja!" riefen die.
Zu Rafas Hetzkampagne im W.E-Forum meinte Ivon:
"Das verstehe ich alles nicht, ich weiß nur, daß ich Rafa nicht mag."
Im Tanzraum stand Rafa am DJ-Pult, mit schwarzer Weihnachtsmütze, Spiegelbrille und Uniformjacke. Der Knecht-Ruprecht-Sack stand so weit von ihm entfernt, daß ich bequem mein Päckchen hineinlegen konnte.
Ich trug ein paillettenumsäumtes Bolero aus dunkelrotem Samt, ein sehr tief ausgeschnittenes schwarzes Samtbustier mit Zierschnürung, die schwarzen Tüllröcke in verschiedenen Längen, ein Samthalsband mit silbernem Ankh und lange Abendhandschuhe. Die Haare trug ich aufgebunden, mit den langen Kunsthaarzöpfchen daran, und ich hatte Spitzenbänder und Satinbänder in die Frisur gesteckt.
Herr Lehmann unterhielt sich mit Ivco, beide begrüßten mich freundlich, und wir umarmten uns. Ich war erstaunt, daß Herr Lehmann sich mir gegenüber so nett und gar nicht reserviert verhielt. Ich hatte damit gerechnet, daß Rafa ihn auch gegen mich aufgehetzt hatte.
Darienne war heute nicht im "Keller".
Tyra begrüßte mich auf der Tanzfläche, und wir tanzten zu "The sun always shines on TV" von A-ha.
Als das Wichteln begann, spielte Rafa Weihnachtsmusik und moderierte die Bescherung in Stile eines routinierten Entertainers.
"Ou Mann, wird das gemütlich hier!" rief er. "Soo, jetzt mache ich das Licht an, dann packen hier vorne alle ihre Geschenke aus, und die, die keines abgegeben haben, müssen zugucken und sehen, wie schön das ist, ein Geschenk auspacken zu dürfen."
Was ich bekam, war ein rosafarbenes Sonnenschirmchen, das ein Katzengesicht trug und oben Katzenohren hatte und an einem Ohr ein Schleifchen, und dazu gab es eine Klorolle in einem Klorollenüberzug aus pinkfarbenem Nickistoff, oben garniert mit dem Plüschkopf eines Comicschweinchens. Rolle erzählte mir später, daß seine Freundin es war, die dieses Geschenk in den Sack gelegt hatte. Pink sei das neue Schwarz, die kommende Farbe.
Mein Geschenk bekam Rolles Freundin, ein Bienenwachs-Teelicht in einem sternförmigen Halter.
Rafa bekam eine kleine Figur aus Stoff, eine Brockenhexe. Tyra erhielt ebenfalls eine Brockenhexe. Ares bekam drei weihnachtliche Zierkerzen. Highscore bekam das Geschenk, das Rafa in den Sack gelegt hatte, zwei CD's von W.E und ein T-Shirt von H.F.
"Bisher hatte ich noch keine CD's von W.E", erzählte Highscore. "Ich habe mir alles aus dem Internet gebrannt, auch die drei Videos."
Rafa kam kurz nach der Bescherung hinterm DJ-Pult hervor und stellte sich an das Tischchen in der Nähe das Durchgangs zum Schankraum. Er sprach mit Ivco und Anwar.
Als ich hinüberging in den Schankraum, kam ich an Rafa so dicht vorbei, daß ich ihn zweimal am Arm streicheln konnte, mit dem Handrücken, wie aus Versehen.
An der Theke holte ich mir Kirschsaft mit einem Schuß Glühwein. Ich begrüßte Minette. Im Tanzraum unterhielt ich mich mit Ceno. Er berichtete, in CE. habe er Anfang Dezember wie geplant am Samstagmorgen seinen Sohn besucht. Weil das Wetter so schlecht war, mußten sie drinnen spielen. Weil Ceno im "Mute" und im "Nachtbarhaus" gewesen war und nicht geschlafen hatte, nickte er beim Spielen auf dem Teppich dreimal ein.
Während ich auf der Tanzfläche war, ging Rafa einige Male zwischen dem DJ-Pult und dem Tischchen am Durchgang zum Schankraum hin und her. Einmal blieb er im Gespräch mit einigen Leuten kurz stehen, so dicht vor mir, daß ich ihn an Arm streicheln konnte und dann auch noch am Rücken, ohne daß er sich wehrte, und ich streichelte ihn dieses Mal offensichtlich, nicht wie aus Versehen. In meiner Wahrnehmung war es ein Toter, den ich streichelte, eine Erinnerung, die herumlaufen konnte, aber kein lebendiges, erreichbares, spürbares Wesen mehr war. Inzwischen betrachte ich Rafa als jemanden, dem es gelungen ist, alle wahrhaftigen Gefühle in sich selbst zu löschen wie Daten von einer Festplatte. Er ist nun das Hologramm mit Spiegelbrille, das er immer sein wollte. Er ist als Mensch nicht mehr vorhanden, nur noch als Fassade. Wenn die zerbröckelt ist, bleibt nichts mehr übrig.
Rafa ging zum DJ-Pult, schulterte seinen Knecht-Ruprecht-Sack und marschierte zum Ausgang, nicht ohne kurz an einem Tischchen stehenzubleiben und sich zu verabschieden. Es war noch nicht halb zwei, als er fort war. Tyra erzählte, daß er von vornherein angekündigt habe, nur von 23.00 bis 1.00 da zu sein. Vorher habe er mit seiner Familie gefeiert, jetzt treffe er sich wahrscheinlich mit Darienne.
Rafa soll Weihnachten sehr hoch halten, weil ihn das Fest an der Tod seines Vaters erinnert, dessen Beerdigung vor einundzwanzig Jahren an Heiligabend stattfand. Außerdem hat er seinen ersten C64 an einem Heiligabend geschenkt bekommen. In der Kirche spreche der Pfarrer zu Weihnachten immer mit der Familie. In meinen Augen bilden Rafas Andächtigkeit und seine Gewissenlosigkeit einen seltsamen Kontrast.
Tyra und ich machten in der Altstadt von SHG. einen nächtlichen Spaziergang. Tyra erzählte, daß sie vorgestern mit ihrer Schwester Lani nachts in SHG. unterwegs war. Sie begegneten Rafa, Ivco und einigen anderen Leuten. Im "That's Life" spielten sie Tischfußball im Doppel. Tyra spielte mit Rafa im Team. Rafa maulte, sie solle endlich mal ein Tor schießen. Sie entgegnete, man sei ein Team, und da komme es auch auf seine Mitarbeit als Teamkollege an. Rafa entgegnete, wenn sie nicht die von ihm erwartete Leistung bringe, könne sie von ihm auch keine Team-Mitarbeit erwarten. In diesem Zusammenhang nannte er sie wieder einmal "Du Dreck". Da übergab Tyra ihre Plastik-Fußballer an Ivco und ging ohne Kommentar nach Hause.
Ivco berichtete ihr später, Rafa habe nach ihrem Weggang so verbissen gewirkt, als hätte er an etwas zu "knabbern".
Am nächsten Tag schrieb Tyra eine SMS an Rafa, in der sie ihn fragte, weshalb er sie so verletzt habe. Rafa antwortete sinngemäß, das habe nur am Spiel gelegen und sei nicht so gemeint gewesen. Er entschuldigte sich nicht.
Nun, als Tyra ihm im "Keller" begegnete, begrüßte er sie nicht und bedankte sich auch nicht, als sie ihm ein Weihnachtsgeschenk ans DJ-Pult legte. Als er in einem Durchgang ihren Weg kreuzte, hatte er nur ein "Fröhliche Weihnachten" für sie. Er beachtete sie nicht weiter und verabschiedete sich auch nicht von ihr, als er ging. Allerdings soll er sie öfters wie aus Versehen angerempelt haben, als suche er den Kontakt zu ihr.
"Rafa war ein guter Freund", sagte Tyra. "Ich will, daß er wieder ein Freund ist. Ich mag ihn, obwohl er mich immer wieder verletzt. Ich verbringe gerne den Abend mit ihm und lasse mir Kartentricks zeigen, auch wenn es dieselben sind, die er schon seit fünfzehn Jahren vorführt."
"Rafa hat so viele Freundschaften zerstört", meinte ich. "Und viele hat er dann zerstört, wenn sie gerade besonders gut liefen. Er macht Beziehungen gerne dann kaputt, wenn es besonders gut läuft."
"Warum macht er das nur?"
"Wenn eine Beziehung nah und persönlich wird, verunsichert ihn das, weil dann Gefühle in ihm hochkommen, die er nicht kontrollieren kann. Er will aber alles kontrollieren. Deshalb will er Gefühle vernichten und persönlichen Kontakt vermeiden."
"Aber zu Darienne hat er doch persönlichen Kontakt."
"Wenn man mit einer Schaufensterpuppe im Bett liegt, hat man zu der auch persönlichen Kontakt, aber nicht im Sinne von emotionaler Tiefe."
"Aber Darienne kümmert sich doch so um Rafa."
"Sie kümmert sich um eine Illusion", deutete ich. "Den Menschen dahinter sieht sie nicht, und den will sie auch nicht sehen. Deshalb fühlt sich Rafa in der Beziehung auch so wohl. Es gibt keine Gefühle darin."
"Meinst du, er glaubt, daß er Darienne liebt?"
"Ja. Er kann nicht zuordnen, was Liebe ist, vermute ich."
Tyra erzählte, daß sie mit Rafa schon öfter über seine verletzenden Äußerungen geredet hat. Er rechtfertigte sich:
"Das war nicht so gemeint, also kann es dich auch nicht verletzen, weil es ja nicht so gemeint war."
Dadurch hat er Tyra den Eindruck vermittelt, selbst daran schuld zu sein, daß sie sich verletzt fühlte, denn er hatte sich ja angeblich nichts vorzuwerfen.
"Rafa übernimmt keine Verantwortung für das, was er tut", urteilte ich. "Und er versucht auch noch, seine Schuldgefühle auf diejenigen abzuwälzen, an denen er sich schuldig gemacht hat. Vielleicht ist er umso aggressiver, je mehr Schuldgefühle er hat. Wenn das so ist, müßte er mir gegenüber jede Menge Schuldgefühle haben."
"Stimmt, er redet einem die Schuldgefühle nur ein, er müßte sie eigentlich selber haben", bestätigte Tyra. "Aber man fühlt sich trotzdem so klein, so wertlos, als ein Nichts."
Sie erinnerte sich an den Beginn ihrer Zeit bei W.E:
"Als ich letztes Jahr Berenices Part übernehmen sollte, die so lange dabei war und die voll beliebt war, war ich natürlich nicht perfekt. Ich habe das Schild auf dem Kopf gehalten, aus Versehen ..."
Es handelte sich um eines der Schilder, die Rafa bei Konzerten von den weiblichen Bandmitgliedern in die Höhe halten läßt. Auf diesem Schildern stehen die Aufforderungen "Kaufen!", "Schlaf weiter!" und einige andere. Das soll eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und der Reklame darstellen. Als Tyra ihr Schild nicht gleich so hielt, wie Rafa es sich vorstellte, begann er sie in einer Weise zu beschimpfen und zu beleidigen, die sie von ihm nicht gewohnt war und niemals von ihm erwartet hätte. Er zeigte ein menschenverachtendes, haßerfülltes Gesicht, das ihn ihr fremd werden ließ.
Für Rafa finde ich es beschämend, daß seine Musik vielen Menschen als Quelle von Lebensenergie und Freude dient, während er selbst hinter den Kulissen seine Mitmenschen beleidigt, entwertet, angreift, belügt und betrügt. Allein, er wird sich dessen nicht schämen, weil er die Verantwortung für sein Verhalten von sich weist.
Tyra meinte, Rafa sei gegen mich wahrscheinlich deshalb so aggressiv, weil ich über ihn nachdenke, obwohl er dies eigentlich selbst tun müßte.
Drinnen im "Keller" unterhielt ich mich mit Ares über Rafas Hetzkampagne im W.E-Forum.
"Ist das Forum wichtig?" fragte Ares.
"Das frage ich mich auch", überlegte ich. "Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, wie ich denke. In dem Forum sind zwar über tausend Mitglieder registriert, aber diejenigen, die wirklich aktiv dabei sind, füllen noch nicht mal den 'Keller'. So ein Häuflein Leute ... das ist Rafas engster Fankreis. Man muß sich die Dimensionen vergegenwärtigen. Rafa spielt sich in seinem Forum auf als Gottkönig, und in Wahrheit herrscht er über ein Trüppchen, das noch nicht mal den 'Keller' füllt ..."
Ares legte reichlich gern den Arm um mich und zog mich an sich. Er meinte, ich sei dumm; das mit Rafa könne doch nicht alles in meinem Leben gewesen sein.
"Wenn Rafa mir nichts bedeuten würde, hätte ich ihn längst zu den Akten gelegt", erklärte ich. "Er wäre abgeheftet unter 'ferner liefen'. Daß ich mich überhaupt noch mit ihm befasse, liegt nur daran, daß ich meine Gefühle ernst nehme, und die habe ich mir nicht aussuchen können. Von Anfang an habe ich mich darüber aufgeregt, daß ausgerechnet so einer der Mann ist, nach dem ich über dreizehn Jahre lang gesucht hatte. Da hatte ich ihn endlich gefunden, und dann war es so ein Casanova, der niemals bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Das konnte ich mir nicht aussuchen. Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt. Und Liebe ist unabhängig von Gut und Böse."
"Du läufst dem doch nach."
"Nachlaufen wäre es, wenn ich versuchen würde, so zu sein, wie er es von seinen Freundinnen erwartet", meinte ich. "Das werde ich aber niemals tun. Erstens verleugne ich mich nicht, um keinen Preis. Und zweitens hat es den Freundinnen, die versucht haben, es ihm recht zu machen, auch nichts genützt. Er hat sie doch alle betrogen, und die Beziehungen waren nur scheinbar glücklich."
"Du gibst dich auch einer Illusion hin", meinte Ares. "Du denkst immer noch, irgendwo in seinem Inneren ist Rafa ein guter Kerl, er hat halt nur Probleme in der Kindheit gehabt."
"Nein, Rafa ist kein guter Kerl", widersprach ich. "Er ist untreu, verlogen, hinterhältig, unzuverlässig und aggressiv. Und für das, was er anderen Menschen antut, ist er voll verantwortlich - Kindheit hin, Kindheit her. Wenn Rafa und ich je eine Beziehung hätten, würde ich Bedingungen stellen, anstatt mich Rafas Vorgaben zu unterwerfen. Ich wäre nicht bereit, eine Beziehung mit Rafa zu führen, wie er sie mit seinen Freundinnen führt. Ich würde nicht Tag für Tag bei ihm in seinem Kellerloch herumsitzen. Ich habe Wichtigeres zu tun."
Highscore erzählte, am letzten Donnerstag sei Rafa in den "Keller" gekommen und habe Badges der Band H.F. verteilt. Highscore verließ den "Keller", als Rafa erschien.
Iro erzählte, er habe vor längerer Zeit einen Text geschrieben und Rafa gefragt, ob er die Musik dazu machen könnte. Rafa habe abgelehnt; der Text sei nicht sein Fall. Dabei seien Rafas Texte auch nur irgendwelche Liebeslieder.
Iro betrachtet Rafa als wahren Künstler, als intelligenten Menschen, jedoch verfüge Rafa über eine mangelhafte soziale Kompetenz.
Tyra erzählte, Rafa habe neulich in einer Runde von vier Leuten ein Stück von H.F. vorgespielt, in dem Darienne singt. Rafa lobte sein Werk und meinte, das Stück sei echt gut. Drei der Zuhörer waren der Ansicht, mit diesem Stück werde Rafa nicht die Charts erobern. Nur einem von ihnen gefiel das Stück. Da habe Rafa eingeschränkt:
"Singen kann Darienne nicht, aber die Effekte sind gut."
Rafa läßt sich durchaus verunsichern und zum Zweifeln bringen, begrenzt sich dabei aber selbst und hält Kritiker von sich fern.
Gegen Morgen versuchte Ares mit mir einen Engtanz. Er entschuldigte sich; er könne eigentlich nicht tanzen. Er meinte, mir fehle vor allem ein Mann im Bett.
"Leider kommt es darauf an, wer es ist", seufzte ich. "Leider gibt es nur einen, auf den ich Appetit habe, und das ist Rafa. Leider."
Gegen halb sechs fuhren Tyra, Ivco und ich zu Ivcos Haus. Er beschwor uns, leise zu sein, weil weihnachtlicher Besuch im Hause war. Ivco backte uns Brötchen auf und servierte Tee und Kaffee. Er wollte, daß wir nicht über Rafa redeten, damit das Frühstück nicht zu lange dauerte. Ein bißchen kamen wir dann aber doch auf das Thema, sogar Ivco selbst kam nicht ganz darum herum. Er erzählte, wie er vor etwa zehn Jahren Rafa und Dolf zu ihren Auftritten in die neuen Bundesländer gefahren hat, wo sie schon damals ihre meisten Fans hatten. Man habe sich monatlich mit einigen Fans getroffen. Auf einer längeren Reise wechselten Ivco und Rafa sich am Steuer ab, wurden schließlich aber so müde, daß sie auf einem Parkplatz schliefen. Ich erzählte, daß ich häufig auf Raststätten schlafe, wenn ich nachts weitere Reisen mache.
Tyra erzählte von dem Referat über Persönlichkeitsstörungen, das sie kürzlich gehalten hat. Als sie Applaus bekam, sei sie rot geworden, und die Lehrerin habe bemerkt:
"Oh, Sie glühen ja richtig, ist das süß."
Tyra fragte Ivco, weshalb Männer ihre Frauen betrügen. Das sei doch der schlimmste Vertrauensbruch in einer Beziehung.
"Was ihr nur immer habt", sagte Ivco kopfschüttelnd, "so schlimm sehe ich das gar nicht."
"Das ist aber so schlimm", widersprachen Tyra und ich. "Das ist das Schlimmste, was ein Mann einer Frau antun kann. Damit macht man eine Beziehung kaputt."
"Das würde ich aber nicht sagen, daß man damit eine Beziehung kaputtmacht."
"Guck' mal, man heiratet doch, weil man jemanden liebt ...", gab Tyra zu bedenken.
"Ein Seitensprung hat ja mit Liebe nichts zu tun", war Ivco überzeugt.
"Ja, genau das ist es", entgegneten Tyra und ich, "daß ihr mit Frauen schlafen könnt, ohne etwas für die zu empfinden."
"Na ja, ein bißchen Sympathie muß schon da sein."
"Ja, aber wenn ihr eine Frau habt, die ihr liebt, wozu braucht ihr dann den Seitensprung?"
"Ein Seitensprung kann immer mal vorkommen, das ergibt sich aus der Gelegenheit."
"Aber ihr verletzt doch die Frau damit."
"Wichtig ist natürlich vor allem, daß sie davon nichts mitkriegt. - Psst, meine Schwiegereltern sind da ..."
Sie schliefen auf der anderen Seite des Flurs im Gästezimmer.
"Ich verstehe das nicht ...", seufzte Tyra. "Wenn man mit einer anderen ins Bett gehen will, dann kann man doch gleich einen Schlußstrich ziehen und sich von seiner Frau trennen."
"Aber ein Seitensprung heißt doch nicht, daß man sich von seiner Frau trennen will", versuchte Ivco die Wirrnisse in den Köpfen der Männer zu erklären.
"Die Männer haben mit ihrer Frau etwas aufgebaut", versuchte ich die Gedankengänge untreuer Ehemänner nachzuvollziehen, "die haben Haus und Kinder und Auto und einen sozialen Status, und das wollen die nicht aufgeben, außerdem hängen sie eben auch an ihrer Frau."
"So ist das", bestätigte Ivco.
"Stell' dir einen Bäckerladen vor", veranschaulichte ich, "da kannst du dir das schönste Tortenstück aussuchen und das heiraten ..."
"Vorausgesetzt, daß das schönste Tortenstück dich will", wandte Ivco ein und plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen. "Stell' dir vor, man bekommt nicht das erste Tortenstück, sondern nur das zweite. Dann sind in der Ehe vielleicht 95 % der Optionen erfüllt. Aber die restlichen fünf, die fehlen, und dann ..."
"Echt - rechnet ihr so?" fragte Tyra interessiert. "Betrachtet ihr Männer das so mathematisch?"
Ivco erklärte im Wirtschaftsdeutsch die Kosten-Nutzen-Relation und führte aus:
"Wenn ein Mann auf Brautsuche ist, investiert er etwas dafür: Spritkosten, Disco-Eintritt, die obligatorische Cola, die man ausgibt ... und irgendwann sagt man sich, für die Mühe, die man sich gemacht hat, muß auch mal was an Land kommen."
"Und wenn man das schönste Tortenstück nicht bekommt, nimmt man das zweitschönste, und um das, was einem dann fehlt, wieder auszugleichen, geht man dann und wann in den Bäckerladen und holt sich eines der anderen Tortenstücke", schlußfolgerte ich.
"Also - Probleme mit der Brautsuche hat Rafa nie", wußte Tyra.
Ivco vermutete, Rafa werde irgendwann genug davon haben, andauernd die Frauen zu wechseln, und dann bleibe er bei der, die er gerade habe, und heirate die.
"Also - Entschuldigung, aber in deinem Bekanntenkreis nennt man das 'Reste-F...en'", bemerkte Tyra. "Das ist doch traurig, sowas. Rafa heiratet Darienne am Ende nur, weil er keine Lust mehr hat, die Freundin zu wechseln."
Tyra erklärte, für sie sei es etwas Besonderes, mit jemandem ein intimes Verhältnis zu haben. Deshalb könne sie nicht verstehen, weshalb man mit Menschen schlafen könne, für die man nichts empfinde.
"So geht es mir auch", pflichtete ich ihr bei. "Ich kann das auch nicht verstehen. Das kann ich nicht fassen."
Laut Tyra hat Rafa ein Computerspiel, das er besonders häufig spielt, seit er mit Darienne zusammen ist. Die Hauptfigur des Spiels ist ein Schaf. Es geht darum, daß das Schaf mit so vielen anderen Schafen wie möglich Sex haben muß, und für jeden Orgasmus gibt es Punkte.
Ivco hat den Eindruck, daß Rafa in mir das ultimative Feindbild sieht. Zu Rafas Verhalten im W.E-Forum meinte Ivco, vermutlich wäre es egal gewesen, was ich in dem Forum gepostet hätte, Rafa hätte sich auf jeden Fall daran gestört, einfach nur, weil es von mir stammte.
"Letztlich steht das, was Rafa mir gebracht hat, auf der 'Haben'-Seite", überlegte ich. "Seinetwegen habe ich so viele Menschen kennengelernt und Freunde gefunden, die mir auch unabhängig von ihm erhalten bleiben - und das, obwohl er selbst mich mit den Leuten nicht zusammengeführt hat. Und Freundschaften kann man nicht genug wertschätzen, denke ich. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es um die Leute, die bisher aus meinem Freundeskreis verschwunden sind, auch nicht wirklich schade. Daria zum Beipiel ..."
Ivco kann sich noch an Daria erinnern. 1994 hat er sie öfters mit nach H. genommen, zum Ausgehen. Ich erzählte, daß Daria im Sommer 1994 von einem Tag zum anderen nichts mehr von mir wissen wollte und daß ich erst Jahre später erfuhr, woran das wahrscheinlich lag, nämlich daran, daß sie sich von Rafa hatte verführen lassen. Das Ergebnis war, daß Daria sowohl mit Rafa als auch mit mir nichts mehr zu tun haben wollte.
Tyra freute sich, weil ihr zwei Mitglieder des W.E-Forums Weihnachtsgrüße gesandt haben. Sie ist also nicht aus der Erinnerung der Fans verschwunden.
Ivco zeigte uns ein Foto der Filmschauspielerin Sarah Jessica Parker und meinte, Tyra sehe ihr ähnlich. Das meinten Tyra und ich auch.
Als ich Tyra nach Hause fuhr, leuchtete sie mit einer kleinen Lampe auf der Klappe des Handschuhfachs herum.
"In Wien habe ich damit den MiniDisk-Player beleuchtet", erinnerte sie sich. "In Wien war ich allein, weil Lucy nicht konnte. Da war ich allein mit den beiden Männern. Fünf Minuten von dem Konzert hat Rafa mich voll angeschrien. Da bin ich ins Klo und habe gekotzt. Rafa war gleich ganz nett und fragte, ob ich was trinken will. Ich habe gesagt, daß ich es nicht vertrage, daß er mich so behandelt. Er hat gesagt, er hat es nicht so gemeint. Entschuldigt hat er sich nicht."
"Rafa übt sich darin, andere zu verletzen, ohne Mitgefühl oder Reue zu empfinden, das ist meine Hypothese", sagte ich dazu. "Er verletzt immer wieder seine Mitmenschen, um sich zu vergewissern, daß er wirklich keinerlei Mitgefühl oder Reue spürt. Und es verschafft ihm Befriedigung und Lust, frei von diesen Gefühlen zu sein."
"Warum nur?"
"Er hat ein ganz negatives Bild von den Menschen. Er traut ihnen nichts Gutes zu. Er möchte die Menschen verletzen, bevor sie ihn verletzen, weil er nichts anderes von ihnen erwartet, als daß sie ihn verletzen, sobald er Gefühle zeigt."
Tyra schilderte, auf welch sadistische und hinterhältige Weise Rafa seine Mitmenschen bloßstellt. Sie nannte ein Beispiel, das sich in ähnlicher Form schon einige Male zugetragen hat:
Rafa überredet Tyra, mit ihm und einigen anderen Leuten in die Stadt zu gehen. Tyra zögert, weil ihre Haare noch nicht richtig sitzen. Rafa ermuntert sie:
"Ach, das ist doch nicht schlimm. Komm' jetzt mit. Auf die Haare guckt eh keiner."
Ist man dann in der Stadt, betrachtet Rafa Tyra mit abschätzigem Blick und fragt:
"Sag' mal, wie siehst du denn aus?"
Rafa greift die Menschen typischerweise da an, wo sie am meisten verletzbar sind. Er sucht nach Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl anderer Menschen zu beschädigen. Diese Suche hat etwas Suchthaftes: die Entwertung und Erniedrigung seiner Mitmenschen berauscht ihn, und er bekommt nie genug davon.
Tyra klagte, ihr falle es so schwer, Rafa etwas entgegenzusetzen, wenn er sie angreift.
"Rafa übt sich Tag für Tag im Entwerten anderer Menschen", meinte ich. "Er hat Übung, er ist ein Profi im Entwerten. Er kann das natürlich besser als wir, die das nicht so gewohnt sind wie er. Also ist er uns im Entwerten überlegen."
"Das muß doch ganz schön anstrengend sein", vermutete Tyra.
"Du meinst, immer zu zerstören."
"Ja."
"Er hat eine Sucht nach Zerstörung, die treibt ihn an."
"Kann es sein, daß du ihn einfach nur retten willst?" fragte Tyra. "Daß du ihn gar nicht heiraten willst?"
"Doch, das leider auch. Das leider auch."
"Meinst du, irgendetwas hat sich geändert, das dich deinem Ziel näher gebracht hätte?"
"Bei Rafa nicht, bestimmt nicht", war ich sicher. "Da hat sich überhaupt nichts geändert. Aber es steht kein Axiom im Himmel geschrieben, daß Rafa sich nie ändern kann. Es ist in keinem Gesetzbuch festgelegt. Deshalb kann man es nicht wissen. Nur muß ich es allein herausfinden, denn es gibt niemanden, der es mir vormachen könnte. Ich muß allein auf alles kommen. Alles wurde irgendwann zu ersten Mal entdeckt. Immer mußte jemand etwas schaffen, das vor ihm keiner geschafft hatte. In so einer Situation bin ich auch."
Marius und ich unterhielten uns in E-Mails über eine Kinder-Krimi-Reihe namens "TKKG", deren Held "Tarzan" wunderliche Eigenschaften aufweist. "Tarzan" ist immer vierzehn Jahre alt und schafft es, mit Hilfe eines Fahrrades und seiner Kampfsport-Künste auch die gefährlichsten Verbrecher zu jagen und zu überwältigen, ohne je nennenswerte Blessuren einstecken zu müssen. Die anderen drei Mitglieder der "TKKG"-Bande sind Beiwerk. Das blonde Mädchen wird regelmäßig entführt, bleibt aber immer unversehrt. Der Junge mit der Brille gilt als besonders klug, ist aber nie so klug wie "Tarzan", und der dicke Junge hat nur die Aufgabe, Schokolade zu essen und sich verspotten zu lassen.
Marius beschreibt auf seiner Website die ehernen Gesetzmäßigkeiten der Figuren und der Handlungsmuster bei "TKKG". Die Krimi-Reihe "TKKG" ist gekennzeichnet durch eine reaktionäre Grundhaltung, minderheitenfeindliche Klischees, Verharmlosung realer Kriminalität und Welt- und Wirklichkeitsfremdheit. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat Marius seine eigenen Versionen der "TKKG"-Geschichten auf seine Website gestellt. Eine Geschichte handelt davon, wie es dem Jungen mit der Brille gelingt, endlich den Absprung von der "TKKG"-Bande zu schaffen, in der er nie über die Position einer Hilfskraft hinauskam.
Ich schrieb Marius, daß Constri und ich in unserer Kindheit viel Spaß mit den "TKKG"-Geschichten hatten:

Wir haben uns ausgemalt, wie diese altklugen, nur aus Klischees bestehenden Kinder auf ihren Fahrrädern hinter Mafia-Autos hersausen und wie Tarzan im Maschinengewehrhagel nur mit T-Shirt und Jeans bewaffnet einen Gangster nach dem anderen vermöbelt, ohne auch nur eine Schramme abzubekommen.

Constri und ich zeichneten damals eine Comic-Serie namens "TKKR", gebildet aus den Anfangsbuchstaben der vier Mitglieder: Tönnchen, Klößchen, Klöpschen und Röllchen. Die vier dicken Kinder schafften es, die gefährlichsten internationalen Verbrecherbanden zu zerschlagen.
Per E-Mail erzählte ich Marius von weiteren selbstgezeichneten Comics:

Noch älter sind die "Geisterhefte", an denen Constri und ich etwa zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr gearbeitet haben. Es waren karierte Schulhefte, die mit roten und schwarzen Tintenstiften bemalt und beschrieben wurden. Leider waren die Stifte teuer und schnell alle, aber dafür waren die Farben sagenhaft intensiv. Die Geschichten, Comics und Artikel handelten ausschließlich von Gespenstern und Skeletten. Dort gab es z. B. das Rezept fürs "Menschenfleischragout", das ich in der Schule vorgelesen habe, als wir als Hausaufgabe ein beliebiges Kochrezept aufschreiben sollten.
Wenn es die Gothic-Szene in den Siebzigern schon gegeben hätte und jemand dagewesen wäre, der mir sagt, in welche Discotheken man gehen kann, ich wäre schon mit zehn Jahren in der Schwarzen Szene gewesen.

An Cyris mailte ich:

Berenice hatte die - wie ich finde - gute Idee, etwas über die Regeln in Foren auf ihre eigene Homepage zu stellen. Rafa hatte ja einen Text, den sie in seinem Forum gepostet hatte, einfach aus dem Grund gekürzt, weil sie darin meinen Namen erwähnte. Dieses selbstgerechte Verhalten machte sie ziemlich wütend.
Ob man über sich und andere nachdenken soll oder nicht, ist Ansichtssache. Ich habe den Standpunkt, daß andere einem das Denken abnehmen, wenn man es nicht selber tut, und ich lasse mir das Denken nicht abnehmen.

Ich bin gespannt, ob Cyris ebenfalls einen Text zu dem Thema verfassen wird.
Mit Azura unterhielt ich mich in E-Mails über das alljährliche Dekorations-Wettrüsten zu Weihnachten. Manch einer sieht zu, daß er an seinem Haus immer ein bißchen mehr weihnachtlichen Zierat anbringt als der Nachbar. Azura schickte mir URL's, die zu Bildern von Häusern führten, die man vor lauter Dekoration kaum noch sehen konnte.
Mit der Winterzeit kommt die Erkältungszeit. Als Constri ihre Tabletten einnehmen wollte und gerade nichts zu trinken da hatte, reichte Denise ihr fürsorglich ihre Nuckelflasche mit Apfelsaft.
Tyra rief an und berichtete, Herr Lehmann sehe seine Freundschaft mit Darienne dahinschwinden. Er habe den Eindruck, Darienne hebe langsam ab, sie werde immer hochmütiger.
"Wahrscheinlich suggeriert ihr Rafa, sie sei etwas ganz Besonderes, weil sie in seinen Bands singen darf. So macht er sie von sich abhängig, und sie fällt darauf herein, weil es ihr an Selbstbewußtsein fehlt. Und zu anderen Leuten sagt er, daß sie gar nicht singen kann."
"Ja, Rafa behauptet immer, daß das eine besondere Ehre sei, bei W.E zu singen. Zu mir hat er gesagt, tausend andere würden mit mir tauschen wollen. Ich habe gesagt, er kann gerne die anderen tausend nehmen, ich gehe. Zu Anfang lobt er einen, und dann schreit er einen nur noch an. Echt, mir hat das so viel Spaß gemacht, da mitzumachen, ich habe das echt bedauert, da wegzugehen, aber es ging nicht mehr. Wie Rafa mich vor den Auftritten angeschrien hat, das war nicht mehr auszuhalten. In Wien war auch Kitty, und wir bekamen im Backstage Sekt ausgegeben, weil es den Leuten so gefallen hat. Da wurde Rafa gefragt, warum die Sängerinnen alle die Band verlassen - Kitty, Berenice, Lucy und ich. Rafa ist erst ausgewichen und hat gemeint, die eine ziehe dahin, die andere dorthin. Dann hat er gesagt:
'Aber vielleicht bin ich auch ein A...loch.'
Danach ist er aber gleich wieder ausgewichen und hat behauptet, es liege daran, daß die eine hierhin und die andere dorthin zieht."
"Da hat er einen Hauch von Selbstkritik und Introspektionsvermögen durchblicken lassen und sich dann gleich wieder verschlossen", deutete ich. "Das macht er immer so. Im Forum hat er in den letzten Monaten ein Bild in seinem Profil gehabt, wo er ein offenes Gesicht hatte, ohne Spiegelbrille. Und jetzt, wo er wieder voller Haß ist, hat er nur noch so ein W.E-Symbol als Bild in seinem Profil."
"Ja, das ist mir auch aufgefallen."
Tyra überlegte, woher Rafa weiß, daß sie und ich uns treffen und uns unterhalten. Eine Woche vor Heiligabend habe er ihr vorgehalten, "mit dem Feind zu kooperieren".
"Genau das hat er Ivco schon im Frühjahr vorgeworfen", erinnerte ich mich. "Rafa weiß, daß wir Kontakt haben, weil er gesehen hat, daß wir uns unterhalten haben, als wir Mitte Oktober im 'Zone' in der Runde saßen."
"Ja, da hat er mir das zum ersten Mal vorgehalten."
"Ach, da hat er dir das schon mal vorgehalten."
"Ja. Und jetzt wieder. Deshalb frage ich mich, woher er das jetzt weiß."
"Rafa betrachtet mich als den Feind schlechthin", meinte ich. "Dabei ist sein einziger wirklicher Feind er selbst."
Merle, Elaine, Constri und ich schauten uns kurz vor der Jahreswende die Kinderoper "Hänsel und Gretel" an. Für die elfjährige Elaine war es das erste Mal, daß sie im Opernhaus war. Sie hatte sich ein durchsichtiges schwarzes Chasuble von ihrer Mutter ausgeliehen und trug Haircuffs aus buntem Metall. Wir fanden die Aufführung wunderbar. Ein besonderer Effekt war die explosionsartig aus dem Kamin hervorschießende Hexe.
Draußen auf dem Boulevard gab es neue Kunstwerke zu bestaunen. Es handelt sich um eine Reihe transparenter Parkbänke, deren Inneres im wechselfarbigen LED-Licht erstrahlt, von Pink über Türkis, Orange und ... und.
Meine Schulfreundin Odette berichtete am Telefon, daß sie wieder schwanger ist. Dies wiegt umso schwerer, als sie jahrelang um ihr erstes Kind getrauert hat, das sie nicht austragen konnte. Jetzt hoffen wir alle mit Odette, daß ihr Kind gesund zur Welt kommen wird.
Am Tag vor Silvester telefonierte ich mit Tyra. Sie erzählte, sie habe einen unruhigen Schlaf und werde immer wieder von Träumen geplagt, in denen sie wütend auf Darienne ist und sie anschreit. Wenn sie Darienne verhauen will, werden ihre Arme auf einmal schwach, so daß es nicht gelingt. Tyra nimmt an, daß diese Träume mit ihren Schuldgefühlen zu tun haben, die sie empfindet, weil sie zu Ostern im "Reentry" beinahe auf Darienne losgegangen wäre. Sie habe noch nie jemanden geschlagen. Um reinen Tisch zu machen, habe sie Darienne eine SMS geschickt, in der sie sich bei ihr entschuldigte.
"Die Schuldgefühle haben einerseits damit zu tun, daß du dir vorwirfst, gegen deine moralischen Prinzipien gehandelt zu haben", meinte ich, "andererseits neigst du ohnehin dazu, dir Selbstvorwürfe zu machen. Und das hat mit dem Selbstwertgefühl zu tun."
"Das hat Rafa ja so schön zerschlagen."
"Rafa weiß genau, wie er jemanden angreifen kann, weil er selber eine schwere Selbstwertstörung hat. Erst entwertet er einen, so daß man wütend wird. Jeder sollte wütend werden, wenn man ihn entwertet, denn wenn nicht, stimmt etwas nicht. Und wenn man wütend ist und sich verteidigt, tut er so, als wäre man allein derjenige, der aggressiv ist, nicht er. Er tut zum Beispiel so, als hätte ich dadurch, daß ich meiner Wut Ausdruck verliehen habe, alles zwischen uns zerstört."
"Genauso hat er es mir vorgeworfen!" erinnerte sich Tyra. "Er hat gesagt, daß ich mich zwischen ihn und Darienne gedrängt hätte, hätte alles zwischen uns zerstört."
"Dabei ist er derjenige, der aggressiv ist, aber das merkt er nicht. Er muß unentwegt auf anderen Menschen herumtrampeln, um sich wertvoller zu fühlen. Er zerstört, wo er geht und steht."
"Aber warum macht er das?"
"Weil er davon ausgeht, daß die Menschen nichts anderes wollen, als auf ihm herumzutrampeln. Also trampelt er auf den anderen Menschen herum, weil er glaubt, dadurch verhindern zu können. daß sie auf ihm herumtrampeln. Jedenfalls ist dein Selbstwertgefühl nicht durch ihn allein beeinträchtigt, solche Störungen hat man immer schon vorher. Und Darienne ist eine Symbolfigur. Sie ist nicht der eigentliche Aggressor. Der Aggressor ist Rafa."
"Ich bin so eifersüchtig auf Darienne."
"Warum denn?"
"Weil sie mir Rafa weggenommen hat, Rafa als guten Freund."
"Das konnte sie gar nicht."
"Ja, ich weiß, Rafa hat sich für sie entschieden."
"Eben."
"Und sie tut mir ja auch leid."
"Mir tut sie auch leid."
"Und deswegen habe ich ihr die SMS geschrieben."
Ich erzählte, daß ich oft nicht weiß, wo ich mit der Wut hinsoll, der Wut auf ein zynisches Schicksal, das entschieden hat, daß der Mann, den ich liebe, für eine Beziehung nicht geeignet ist. Am Ende wähle ich immer den Weg der Kreativität. Das neueste Ergebnis ist die Kurzgeschichte "Stille Nacht". Sie handelt von einer Schänke, in der es hoch hergeht.
Tyra erzählte von der vergangenen Nacht. Sie hat im "Keller" bedient. Rafa erschien dort mit Anwar. Rafa begrüßte Tyra mit einem kurzen:
"Hallo, na?"
Tyra trug die Biergläser an seinen Tisch und bemühte sich, so nett wie möglich zu sein.
Ivco war ebenfalls im "Keller", und Tyra unterhielt sich mit ihm. Im Laufe des Abends lief Tyra Rafa im vorderen Flur über den Weg. Rafa begrüßte sie ein zweites Mal, ohne jedoch ein Gespräch mit ihr zu beginnen.
Gegen Morgen, als nur noch Bibian, Tyra, Rafa, Anwar und ein Bekannter von Tyra im "Keller" waren, fragte Rafa so laut in den Schankraum, als habe er eine Menschenmenge vor sich:
"Kommt noch jemand mit ins 'Chipie's'?"
Als niemand antwortete, wiederholte Rafa diese Frage noch dreimal. Einer antwortete schließlich, er müsse am nächsten Tag arbeiten und werde nicht mitkommen. Nun fragte Rafa Tyra, was sie jetzt machen werde. Sie erwiderte, sie werde nach Hause gehen. Rafa fragte sie nicht, ob sie mit ins "Chipie's" kommen wollte, und er verließ auch nicht gemeinsam mit ihr den "Keller", wie er es sonst getan hatte.
Tyra empfing ein weiteres Gespräch und stellte mich für einige Minuten in die Warteschleife. Als sie sich wieder meldete, berichtete sie, daß Rafa sie soeben angerufen hatte. Unwirsch habe er gefragt:
"Was schickst du Darienne für eine SMS?"
Tyra antwortete, sie habe sich damit entschuldigen wollen. Rafa erkundigte sich voller Argwohn, warum sie das tue und warum per SMS. Tyra erklärte, sie habe die Sache im "Reentry" aus der Welt schaffen wollen. Eine SMS sei die einzige Möglichkeit gewesen, denn sie sehe Darienne fast nie. Außerdem rede Darienne nicht mit ihr und lege auf, wenn sie anrufe.
Rafa erzählte, Darienne habe ihn angerufen und gefragt, was die SMS von Tyra zu bedeuten habe.
"Warum ruft sie nicht mich an?" fragte Tyra. "Soll sie doch mich anrufen, wenn sie das wissen will."
Rafa konnte oder wollte dazu keine Erklärung abgeben.
"Und nur deshalb rufst du an?" fragte Tyra ungehalten. "Sonst hast du keinen Grund, mich anzurufen?"
"Na ... wie sieht's sonst aus?" fragte er etwas verlegen. "Alles fit?"
"Na ja ..."
"Warum warst du denn gestern so komisch?"
"Ich war nicht komisch, ich war supernett zu dir."
"Doch, du warst komisch."
"O.k., ich wünsche dir einen guten Rutsch ..."
"Ja, bis nächstes Jahr."
"... du weißt ja, wer dir wichtig ist."
"Das weiß ich nicht", kläffte Rafa.
Tyra schilderte mir den Ablauf dieses Gesprächs und klagte:
"Das ist von meiner Freundschaft mit Rafa übrig. Nur noch wegen sowas ruft er mich an. Früher hat er mich jeden Tag angerufen, einfach nur so. Ach, unsere Freundschaft war so schön. Warum hat er sie kaputtgemacht?"
"Weil er alles kaputtmacht, was ihn emotional berührt."
"Weil er denkt, daß er dann von anderen abhängig wird."
"Ja, er glaubt, wenn er sich emotional an andere Menschen bindet, nutzen die das aus, um ihm zu schaden. Er glaubt, daß Gefühle schwach machen und daß andere Menschen diese Schwäche ausnutzen. Da macht er lieber alles kaputt und läuft weg. Er kann ja auch nur deshalb mit Darienne zusammen sein, weil er niemals Gefahr läuft, sich in sie zu verlieben."
"Aber er ist doch in sie verliebt."
"Er bildet es sich vielleicht ein, aber er ist es nicht", war ich sicher. "Denn wenn er ernsthaft in sie verliebt wäre ..."
"... würde er weglaufen."
"Genau", nickte ich. "Er konnte mit allen bisherigen Freundinnen auch nur deshalb zusammen sein, weil er sie nicht geliebt hat."
Ich erzählte von den oberflächlichen Beziehungen, durch die Rafa Steine zwischen sich und mich legt:
"Jedes beliebige Mädchen hat er eher genommen als mich, das hat er ausführlich demonstriert. Das habe ich auch als Aggression gegen mich empfunden, und es hat mich wütend gemacht. Und diese Wut ist heute noch so wie damals, und die will ich nicht in mich hineinfressen. Wenn ich sie aber ausspreche, wird Rafa äußerst aggressiv und tut so, als hätte er sich nichts zuschulden kommen lassen, hingegen hätte ich alles zwischen uns kaputtgemacht."
Tyra will Rafa ein Feuerzeug schenken, das die Form eines weiblichen Torsos hat. Wenn man Feuer schlägt, leuchtet der Slip rot auf, und das Feuerzeug ruft:
"I love you! I love you!"
Tyra möchte Rafa dieses Geschenk so erklären:
"Es kann nicht denken, es sagt nur, was du hören willst, und es entflammt immer für dich. Das müßte dir doch gefallen."
Auf der Internet-Präsenz von H.F. beschreibt Rafa die Band als Projekt, das dazu dient, einen "neuen Menschen" zu erschaffen. Was er jedoch mit dem "neuen Menschen" meint, bleibt vage. Zu Silvester schrieb ich als "neutralizer" in das Gästebuch von H.F.:

Zitat H.F.:
"Es geht um den wirklichen Prozess der Erschaffung. Einen Vorgang, der (...) einen Angriff auf den menschlichen ICH-Komplex und den Menschen an sich als Abbild seines eigenen Gottes erfordert. (...) Die Texte zu dieser Musik verlangen nach einer konsequenten Infragestellung des eigenen Egos."
Wenn Honeys Ego wirklich infrage gestellt wird, reagiert er mit Hetzkampagnen, Drohgebärden und Beleidigungen, die ihresgleichen suchen.
Zitat H.F.:
"Am Abend dann nimmt das Schicksal seinen Lauf
Dort macht ein Vollidiot die Schnauze auf
Und alle glauben ihm"
Kein Kommentar.

Rafa löschte den Eintrag. Ich schrieb:

Siehste.

Dies löschte Rafa nicht.
Silvester feierte ich wie gewohnt bei mir zu Hause. In gemütlicher Enge saßen wir um den Tisch und tunkten die Brotstückchen ins Käsefondue. Constri und ich zitieren beim Käsefondue immer aus "Asterix bei den Schweizern". In diesem Heft findet eine römische Orgie in Genf statt - mit Käsefondue, landestypisch. Doch bei dem römischen Statthalter gibt es für jedes Brotstückchen, das in den Topf fällt, drastische Strafen: erst fünf Stockhiebe, dann zwanzig Peitschenhiebe, dann den Tod im Genfer See mit einem Gewicht an den Füßen. Der arme Teufel, den es trifft, überlebt, weil er sich von dem Gewicht befreien kann.
Unter den Gästen waren Sam und seine Freundin Magdalena. Sam ist unlängst mit Magdalena in eine Wohnung gezogen. Ceno ist in dem Haus zurückgeblieben, auf dessen Zwangsversteigerung er wartet.
Als Sam die Bilder von Rafa an meinen Wänden entdeckte, sagte er:
"Hilfe, ich werde blind."
Er erzählte von seinem Verhältnis zu Rafa:
"Mir fallen immer fiese Sprüche ein, wenn ich Rafa sehe. Ich kann gar nichts dafür, sie rutschen mir einfach 'raus."
"Daß du den immerzu neckst, liegt vielleicht auch daran, daß du Rafa eben doch irgendwie magst", vermutete Constri.
"Na ja ...", überlegte Sam, "mögen ... Er kann nett sein, wenn er will. Nur wenn er will. Wenn ich zu ihm sage:
'Rafa, jetzt sei mal Mensch.'
- dann kann man sich manchmal mit ihm ganz vernünftig unterhalten. Denn doof ist der nicht, auf keinen Fall."
"Wo trefft ihr euch denn?"
"Wo wir uns zufällig begegnen. Daß er anruft und fragt, ob wir mal wieder was miteinander machen wollen, kommt nicht mehr so oft vor."
Als ich von Rafas Hetzreden gegen mich im W.E-Forum erzählte, staunte Sam:
"Solche literarischen Glanzleistungen hat er zustandegebracht?"
"Nein, Rafas Text war nicht kongruent", erklärte ich. "Ich gebe ihn nur kongruent wieder, weil ich nicht anders kann."
"Das war mal wieder eine richtig böse Spitze", bemerkte Sam.
Magdalena hat mit Rafa Unerfreuliches erlebt. Sie gehörte zu den blau angemalten "Schaufensterpuppen", die Rafa 2004 beim Sommerfestival in HI. auftreten ließ. Rafa habe sich nicht darum gekümmert, daß seine blauen Komparsen Backstage-Ausweise bekamen. Er sei nach dem Konzert einfach ins Backstage marschiert und habe seine "Schaufensterpuppen" sich selbst überlassen, die zusehen konnten, wie sie an ihre Backstage-Ausweise kamen.
Magdalena war auch dabei, als Rafa und Darius mit Sten 2003 im "Zone" das Video für Das P. drehten. Rafa versprach allen Darstellern ein großes Buffet, mit so viel Essen, daß sie gar nicht alles schaffen konnten. Dieses Buffet gab es aber nicht. Stattdessen bekamen die Komparsen von Rafa Anweisungen im Befehlston, als sie sich abmühten und den lieben langen Tag im "Zone" für das Video tanzten. Nicht einmal ein "Danke" habe Rafa für seine Statisten übrig gehabt. Darius hingegen sei sehr nett und höflich gewesen und habe sich viele Male bedankt.
Magdalena lauschte amüsiert, als ich von den Katastrophenkeksen erzählte, die ich jedes Jahr backe. Clarice wollte unbedingt einen Globalen Verdunklungskeks haben. Ich reichte ihr einen. Als Magdalena ein Atomkraftwerkchen verspeiste, bemerkte ich:
"Du hast den Reaktor zerstört, jetzt sind wir alle verstrahlt."
Clarices Freund Angus kann viele Gedichte auswendig und sagte "Die Bürgschaft" auf. Er kennt dazu die folgende Verballhornung:

"Was willst du mit dem Dolche? Sprich!"
"Kartoffeln schälen, verstehste nich'?"

Derek verbrachte Silvester bei seiner Geliebten. Sie heißt Juno. Er kennt sie von seiner Arbeit in einem Seniorenheim.
Constri erzählte, als Derek sich von ihr am Silvesterabend verabschiedet habe, um zu seiner Geliebten zu fahren, habe er Constri so fest umarmt, wie sie es gar nicht mehr von ihm gewohnt sei. Zur Zeit höre er dauernd Musik, die er 1993 gehört habe, in dem Jahr, als er mit Constri zusammenkam.
"Es tut ihm schon leid", vermutete Constri. "Das habe ich kommen sehen. Aber ich gucke trotzdem nach einem Mann, der Verantwortung übernimmt, verläßlich ist, nicht säuft und genügend Geld verdient ... nach einem, mit dem ich nicht dauernd Streß habe."
Am Neujahrstag telefonierte ich mit Barnet. Er erzählte von Nancy, die an Chorea Huntington leidet. Ihr Befinden habe sich seit dem Sommer nicht wesentlich verschlechtert. Nach wie vor schotte sie sich gemeinsam mit ihrem Freund sehr ab. Ihr Freund möge zwar Depeche Mode, doch er gehe nicht gern auf Parties, und sie verzichte nun ebenfalls darauf. Sie habe erzählt, sie sei mit ihrem Freund immer noch glücklich und mache Radtouren mit ihm.
Barnet und Heloise haben Nancy angeboten, sie abzuholen, so daß sie sie besuchen kann und der Kontakt auch ohne Ausflüge in Discotheken aufrechterhalten werden kann. Nancy ging jedoch nicht darauf ein und hinterließ den Eindruck, auf ihre Freundschaft mit Barnet und Heloise keinen Wert mehr zu legen. Heloise hat über Joujou Neues von Darienne und Rafa gehört. Joujou telefoniert häufig mit Darienne. In einem der Telefongespräche ging es wieder einmal darum, daß Darienne an Rafas Seite nicht glücklich ist und sich fragt, ob sie sich von ihm trennen soll. Kurz nach diesem Telefonat stand Rafa abends bei Joujou unten vor der Haustür und begehrte in aggressivem Tonfall, Joujou zu sprechen. Joujou saß oben mit ihrem Baby im Arm und wollte keine abendliche Störung. Joujous Freund Marian ging hinunter zu Rafa und erklärte ihm, daß er zum jetzigen Zeitpunkt nicht willkommen sei. Rafa soll wütend und beleidigt abgezogen sein.
Anfang Januar waren Constri, Denise und ich zur Weihnachts-Nachfeier bei meinem Vater. Einen Weihnachtsbaum hat er nie. Jedoch holt er aus seinem Garten immer Zweige ins Haus und stellt sie in großen Vasen in der Stube auf. So kommt es, daß es auch mitten im Winter bei ihm blühende Zweige gibt. Zur Jahreswende ist es meistens die Hamamelis. Im Garten stehen rot und gelb blühende Hamamelis-Bäume.
Mein Vater erzählte, daß ein alter Freund von ihm an Krebs gestorben ist, mit sechsundsiebzig Jahren. Ich sagte dazu, nun habe seine Tochter, die in meinem Alter ist, schon keinen Vater mehr. Ich sei froh, meine Eltern noch beide zu haben.
"Meine Mutter ist auch zu früh gestorben", sagte mein Vater. "Ich hätte sie gerne noch vieles gefragt, auch über meinen Vater. Sie hat fast nie über ihn gesprochen. Alle Briefe, die sie von ihm bekommen hat, hat sie verbrannt."
"Ich finde das schlimm. Sie hat private Erinnerungen vernichtet, persönliche Botschaften."
"So war meine Mutter. Die wollte nie etwas Persönliches preisgeben."
"Damit hat sie auch euch Kinder um die Erinnerungen an euren Vater gebracht."
"Von meinem Vater habe ich kein einziges geschriebenes Wort."
"Zum Glück gibt es von dir viele persönliche Aufzeichnungen."
"Ja, mal sehen, vielleicht verbrenne ich sie, vielleicht aber auch nicht."
"Also, ich bin da ganz anders. Ich stelle alles ins Internet. Ich bin das genaue Gegenteil von deiner Mutter."
Am Donnerstag war ich mit Tyra, Magdalena und Sam in MI. in der "Spieluhr". Im Gedränge lief der Schöne Robin an mir vorbei. Weil ich ihn aus Versehen am Arm erwischte, bat er:
"Schlag' mich doch nicht dauernd."
"Oh, Verzeihung", sagte ich.
Das war das erste Mal seit Jahren, daß Robin wieder mit mir redete. Im Übrigen war seine ehemalige Freundin, "Rhinozeros-Rina", nicht zugegen. Auch keine andere Freundin von ihm schien da zu sein. Tyra gefiel Robin. Ich erzählte ihr, daß ich ihn seit Jahren kenne und daß er narzißtisch ist und sicher kein einfacher Mensch.
"Oh, schon wieder so einer", seufzte Tyra.
Sie wollte Robin gerne näher kennenlernen. Ich schlug vor, daß ich sie mit ihm bekannt machte, wenn wir wieder einmal im "Zone" waren. An sich finde ich Robin ganz nett. Ich vermute, er hat sich jahrelang den Eifersüchteleien von Rina untergeordnet und deshalb kaum noch mit anderen Frauen geredet.
Magdalena gesellte sich zu uns.
"Sam und Ivon singen wieder 'Alle, die mit uns auf Kaperfahrt gehen, müssen Männer mit Bärten sein'", berichtete sie. "Und wenn die einmal damit angefangen haben ..."
"Ivon hat gar keinen Bart", merkte ich an. "Der darf nicht mit!"
Ceno tanzte auf einem Kasten.
"Jetzt geht das wieder los", freute sich Tyra. "Das ist immer voll lustig, wenn er tanzt. Silvester hat er sich auf den Boden geworfen und auf den Knien getanzt."
In der "Spieluhr" liefen vorwiegend Klassiker aus den achtziger Jahren, darunter "Big man restless" von Kissing the Pink und "Let me go" von Heaven 17.
Joujou erzählte, daß sie in Dariennes Auftrag ein Geburtstagsgeschenk für Rafa besorgt hat, eine Gesamtausgabe der Fernsehserie "Die Zwei" als Multi-DVD-Box. Rafa wünsche sich diese Box seit Langem.
"Es hat mir zutiefst widerstrebt", gestand Joujou. "Wenn Rafa wüßte, daß ich die Box besorgt habe, würde er sie wohl nicht haben wollen."
Tyra erzählte, in den vergangenen Jahren habe sie für Rafa stets teure und aufwendige Geschenke besorgt, während er sie recht sparsam bedacht habe. Sie schenkte ihm Musical-Karten, er hingegen machte ihr lediglich Geschenke wie eine Flasche Prosecco, eine selbstgebrannte CD oder eine Hörspielkassette, die er doppelt besaß - oder das Abonnement einer C64-Zeitschrift, die sie nie erhielt.
Joujou erzählte von Dariennes Geburtstagsfeier im vergangenen Sommer. Rafa habe ausführlich mit seinen Bands geprahlt. Joujou habe ihn gebremst:
"Also, erstens - ich finde deine Musik echt zum Kotzen. Und zweitens ist heute Darienne wichtig und nicht deine Musik."
Rafa habe nur große Augen gemacht. Seither könne er sie wohl nicht leiden.
Darienne habe Joujou darauf angesprochen, daß sie Kontakt zu mir hat. Joujou habe erwidert, sie unterhalte sich mit mir über sie, und beide seien wir zu demselben Ergebnis gekommen, nämlich daß sie mit Rafa nicht glücklich sei.
Darienne hat ihr Praktikum in einem Frisiersalon nach nur einem Monat abgebrochen. Sie wollte Joujou aber nicht erzählen, warum.
Joujou schilderte jenen Vorfall, von dem mir Heloise neulich am Telefon berichtet hat: Rafa klingelte zu später Stunde bei Joujou. Marian ging hinunter und schaute durch den Spion. Er sagte zu Rafa, er sei nur eine Lachnummer und solle verschwinden. Joujou war besorgt, weil oben die kleine Jeanne wach wurde.
"Ist Darienne so doof, Rafa meine Adresse zu geben?" kommentierte Joujou die Ereignisse. "Bei mir sollte doch eigentlich ihre Zuflucht sein, wo sie vor ihm sicher ist."
"Darienne hat ihm bestimmt deine Adresse gegeben", meinte ich.
Neulich rief Darienne gegen zwei Uhr nachts Joujou an und bat sie, sie bei Rafa abzuholen. Sie wolle "unter lieben Menschen sein". Darienne schlich sich aus Rafas Haus und kam mit zu Joujou. Bereits um halb vier Uhr morgens bat Darienne darum, zurückgebracht zu werden - angeblich, weil ihre Sachen noch bei Rafa waren.
"Die hättest du gleich alle mitnehmen sollen", mahnte Joujou.
Vielleicht wollte Darienne in Wahrheit verhindern, daß Rafa von ihrer Flucht erfuhr.
Joujou hat gehört, daß Rafa eine seiner früheren Freundinnen schwer mißhandelt hat. Er soll sie regelrecht zusammengeschlagen haben. Darienne könnte von Rafa etwas Entsprechendes befürchtet haben, als sie es so eilig hatte, zu ihm zurückzufahren.
Zu den Texten auf meiner Domain sagte Joujou, die Inhalte seien so verstörend und beklemmend, daß sie beim Lesen immer wieder unterbrechen müsse. Sie fühle sich an eigene Erfahrungen erinnert.
Tyra erzählte, daß sie Darienne noch eine versöhnliche SMS geschickt hat. Sie wolle nicht mehr mit Darienne verfeindet sein.
Tyra sprach immer wieder von einer Zweitfreundin, mit der Rafa Darienne betrogen habe. Inzwischen habe die Zweitfreundin ihre Affäre mit Rafa beendet, weil sie daran zerbrochen sei. Bei der Zweitfreundin handelte es sich angeblich um eine Bekannte von Tyra. Mich würde es nicht wundern, wenn Tyra und die Zweitfreundin ein und dieselbe Person sind. Nur so ließen sich die Widersprüche und Ungereimtheiten in Tyras Schilderungen aufklären. Ich kenne Rafa inzwischen gut genug, um zu wissen, daß er mit jedem Mädchen etwas anzufangen versucht, das seinem Beuteschema entspricht. Eine Freundschaft zwischen Rafa und einem hübschen jungen Mädchen kann es nicht geben, weil Rafa immer versuchen würde, eine Bettgeschichte daraus zu machen. Tyra könnte also nicht einmal dann mit Rafa befreundet sein, wenn sie es wollte. Rafa würde sie entweder ins Bett ziehen oder fallenlassen, wenn sie nicht mitspielte.
In der Hochschule fand vor Jahren eine Vorlesung über Folter statt. Der Vortragende erzählte aus seiner Erfahrung mit Folteropfern, daß viele von ihnen zunächst nicht erzählen, daß sie selbst gefoltert wurden. Stattdessen erzählen sie, ein Freund von ihnen sei gefoltert worden. Erst nachdem sie Vertrauen zu den Mitarbeitern der Beratungsstelle für Folteropfer gefaßt haben, gelingt es ihnen, die Wahrheit auszusprechen, nämlich daß sie selbst die Opfer waren.
Rafa kündigte im W.E-Forum eine neu gestaltete Website für die Band H.F. an. Er werde alle fehlenden "Frakmente" online stellen und sich am Abend der Eröffnung mitsamt seinen Bandmitgliedern im Chatroom von H.F. aufhalten.
Ich schrieb:

Es heißt "Fragmente".

Als "Moonsoon" begann ich einen Thread mit dem Titel "Der neue Mensch" und schrieb:

Mit H.F. ist, wie ich verstanden habe, ein neuer Mensch gemeint. Damit ich mir den besser vorstellen kann: was hat der denn für Eigenschaften?

Wave zitierte aus Rafas Text über den "neuen Menschen" und meinte, aus diesen Textstellen lasse sich alles Wesentliche entnehmen. Ich schrieb:

Das klingt wenig konkret und wenig sachlich. Außer "Etwas, was endlich mit Natur und Umwelt auf gleicher Stufe und im Einklang steht!" finden sich in dem Text und in den Songtexten keine Hinweise auf Eigenschaften des "neuen Menschen".

Am Freitag war ich mit Magdalena und Sam im "Mute". Peter Spilles war heute Gast-DJ, und sein Programm gefiel mir sehr. Ivco ließ sich von ihm ein Tape signieren. Peter Spilles gehört zu den Vorreitern der Elektro- und Wave-Szene, er ist seit den achtziger Jahren dabei. Meine Jugenderinnerungen sind mit ihm und seiner Band Project Pitchfork verknüpft.
Auf der Tanzfläche faßte ein Junge meine Hände, der trug ein T-Shirt mit der Aufschrift:

Spezialist
Experte
Kenner

Als Tyra und ich durch die Menge im Tanzsaal liefen, wunderte sich Tyra:
"Wir gehen hier einmal durch, und ich höre dreimal, wie einer ruft:
'Elektro-Betty!'"
"So ist das eben, mich kennt hier jeder."
Louis erzählte, Pattex habe es sich endgültig mit ihm verscherzt. Der aufdringliche Pattex sei vor einiger Zeit betrunken zu ihm gekommen und habe ihm eigenartige Vorwürfe gemacht, da habe es ihm gereicht, und er habe den Kontakt zu Pattex abgebrochen. Louis ist jahrelang mit Pattex befreundet gewesen, und ich glaube, er hatte den Wunsch, dem linkischen und wenig beliebten Pattex zu helfen. Pattex wird besonders rücksichts- und taktlos, wenn er Alkohol getrunken hat.
Tyra berichtete im Foyer, Dolf habe ihr soeben erzählt, bei Auftritten schimpfe Rafa unentwegt hinter den Kulissen. Darienne tue so, als bekomme sie davon nichts mit und verharre in Schweigen.
Dolf soll in Eden sehr verliebt gewesen sein, sie jedoch bei Weitem nicht so sehr in ihn. Er habe sich viel Mühe gegeben, er habe ihr rote Pumps geschenkt mit weißen Punkten und sich wie ein Kavalier verhalten, das jedoch habe Eden nicht auf Dauer an ihn binden können. Hinzu sei gekommen, daß Dolf sehr an ihr geklammert habe.
Tyra erzählte von Rafas Schlafstörungen:
"Rafa schläft keine zwei Stunden durch. Der muß beim Schlafen immer Hörspielkassetten hören, und wenn eine zuende ist, wacht er auf und legt die nächste ein."
Tyra ist das bei gemeinsamen Hotelübernachtungen aufgefallen.
"Das war früher anders", wußte ich.
Tyra hatte ihre Schwester Lani mitgebracht, die zwanzig Jahre alt ist. Tyra erzählte, kurz vor Weihnachten sei Lani im "Keller" gewesen, und dort habe Rafa die erste E-Mail vorgelesen, die ich an Lizanne geschrieben habe und die Lizanne an Rafa weitergeleitet hat.
"Das Maß ist voll!" habe Rafa sich entrüstet.
Dem ebenfalls anwesenden Ivco habe Rafa lautstark vorgeworfen:
"Du kooperierst mit dem Feind!"
Ivco habe daraufhin entgegnet, er werde sich etwas zurückhalten. Von dieser Zurückhaltung war freilich nicht viel zu merken; sowohl Heiligabend als auch heute führten Ivco und ich lange Gespräche, und zwischendurch tauschten wir E-Mails aus.
"Ivco will Konflikte mit Rafa vermeiden", deutete Tyra. "Das kann daran liegen, daß Rafa für ihn sowas wie ein Vorbild ist."
"Ja, was das Abschleppen von Frauen betrifft", meinte ich. "Dabei finde ich nicht, daß es ein erstrebenswertes Ziel ist, ein Beziehungsleben zu führen wie Rafa."
Ivon soll Rafa letztens ordentlich herausgegeben haben. Als Ivon im "Keller" bediente, soll Rafa im Befehlston gefragt haben, wann er endlich sein Getränk bekomme.
"Hatten wir Sex miteinander, daß du so mit mir umspringst?" fragte Ivon.
Da soll Rafa nichts mehr gesagt haben.
"Ivon hat es auf den Punkt gebracht", meinte ich. "Rafa ist besonders mies zu den Frauen, mit denen er etwas hat."
Als Rafa Tyra vorhielt, "mit dem Feind zu kooperieren", weil sie mit mir Kontakt hat, fragte Tyra ihn, was er damit meine. Er erwiderte, das werde sie schon selber wissen. Sie entgegnete, das wisse sie keineswegs, deshalb werde sie sich so verhalten wie sonst auch. Rafa soll darauf nichts mehr erwidert haben.
Tyra hat Rafa darauf angesprochen, daß er Darienne im August einen Heiratsantrag gemacht hat. Entrüstet fragte Rafa:
"Woher hast du denn das schon wieder?"
"Das hört man um drei Ecken", gab Tyra zurück. "Ist dir klar, daß man sich bei der Hochzeit Treue und gegenseitige Achtung verspricht?"
Rafa wollte das nicht näher erklären und war für mehrere Tage beleidigt.
Mit Ivco unterhielt ich mich darüber, daß ich einen Menschen liebe, der mich nicht verdient. Ivco fragte:
"Wenn er so viele schlechte Eigenschaften hat, wie kannst du den lieben?"
"Für Liebe gibt es keinen Grund", meinte ich. "Sie ist da oder sie ist nicht da."
"Aber man liebt doch jemanden, von dem man begeistert ist, den man bewundern kann ..."
"Oh nein, ich bewundere Rafa nicht! Den bewundere ich nicht!"
"Was liebst du dann aber an dem?"
"Ich liebe ihn als Mensch, es gibt aber keinen logischen Grund dafür", erklärte ich. "Früher hätte ich nicht gedacht, daß es möglich ist, einen Menschen zu lieben, der so schlechte Eigenschaften hat. Wenn man die Erfahrung nicht selbst gemacht hat, kann man das wohl auch nicht glauben. Ich habe gedacht, der Mann, den ich liebe, ist aufrichtig, verantwortungsbewußt und hat Achtung vor seinen Mitmenschen. Und was ist er wirklich?"
Ivco vertrat die Ansicht, daß man selbst entscheiden kann, ob man jemanden liebt oder nicht und wie lange und wie sehr man jemanden liebt. Außerdem sei Liebe zeitlich begrenzt. Alles verändere sich, daher gehe auch die Liebe eines Tages vorbei.
Ivco erzählte von Ennica, mit der er vor mehr als zehn Jahren in Brasilien zusammen war. Als er mit ihr ein gemeinsames Leben planen wollte, habe Ennica sich zurückgehalten und nicht zu ihm ziehen wollen. Daher habe er nach einigem Hin und Her die Beziehung aufgegeben und sich Carole zugewandt.
"Ich könnte Rafa nicht aufgeben, ohne mich zu belügen", erzählte ich. "Ich denke vierundzwanzig Stunden am Tag an ihn, seit ich weiß, daß ich ihn liebe."
"Wie ist das denn bloß passiert?"
"Es war auf einmal da."
"Na, vielleicht war meine brasilianische Freundin doch nicht die große Liebe ..."
"Wer weiß? Vielleicht war sie es wirklich nicht."
"Jedenfalls denken wir Männer da wohl rationaler."
Ivco meinte, enge blutsverwandte Angehörige liebe man grundsätzlich mehr als den Partner. Ich entgegnete, das sei nicht mehr oder weniger, sondern eine andere Form von Liebe.
Während Ivco und ich uns unterhielten, machte Isis ein Foto von uns. Sie fragte mich, in welchem Forum sie das posten sollte. Ich entgegnete, das könne sie sich aussuchen. Sie kicherte und zog in Erwägung, das Bild im W.E-Forum zu posten, um Rafa zu ärgern.
Ivco möchte Rafa an seinem Geburtstag besuchen. Ich bat Ivco, Rafa auszurichten, daß ich ihm erst wieder zum Geburtstag gratulieren kann, wenn er "freundinfrei" ist und daß er sich darum selbst zu kümmern habe; das könne ich ihm nicht abnehmen.
Als ich Tyra erzählte, daß Ivco glaubt, Männer würden rationaler denken als Frauen, meinte Tyra:
"Wenn es um Gefühle geht, hilft einem der Verstand nicht weiter."
Sie erzählte, weil sie so gefühlsbetont sei und dazu noch klein und blond, würden viele Leute sie nicht ernst nehmen. Das verletze sie sehr.
Tyra erzählte von ihrer Wohnung. Sie hat eine Ein-Zimmer-Wohnung, die farbenfroh eingerichtet ist, das Bett in Rot. Sie empfindet die Farbe Rot als beruhigend.
"Das einzige Schwarze in der Wohnung bin ich", sagte sie.
Tyra ist mit zwanzig Jahren zu Hause ausgezogen. Ich erzählte, daß ich ebenfalls mit zwanzig ausgezogen bin und daß meine Mutter mich hinausgeworfen hat, weil ich ihrem zweiten Mann ein Dorn im Auge war.
"Sowas würde meine Mutter nie machen", war Tyra sicher.
Ich erzählte, daß ich für einen Monat bei meinem Friseur Henk in einer chaotischen WG in BS. lebte. Das war im November 1986. Im Dezember kam ich bei meiner Großmutter unter, ebenso wie Constri, die es zu Hause auch nicht mehr aushielt. Im Frühjahr 1987 zogen Constri und ich in unsere erste gemeinsame Wohnung. Die Wohnung war seit den fünziger Jahren nahezu unverändert geblieben und hatte einen Kohleofen. Tyra findet Kohleöfen romantisch:
"Das ist schön, wenn man gemeinsam daran arbeitet, daß es warm wird."
Als meine Mutter neulich bei Henk im Friseursalon war, sagte er zu ihr:
"Hoffentlich vergißt Hetty den Rafa endlich. Andere Mütter haben auch schöne Söhne."
Das will ich nicht in Abrede stellen. Leider habe ich mich bislang noch in keinen dieser Söhne verliebt.
Bei Denise gab es Alarm im Puppenhaus. Unten war das Krokodil, also mußten alle Puppen und Plüschtiere ins Obergeschoß. Als es im Obergeschoß zu voll wurde, löste sich das Dach ab.
Weil Constri viel für ihr Diplom tun muß, ist Denise oft bei meiner Mutter. Beim Abschied legt Denise die Arme um Constri und sagt:
"Mußt du ganz viel arbeiten. Und wir helfen dir."
In fürsorglichem Tonfall verspricht Denise:
"Musst du nicht traurig sein. Ich komme ja bald wieder."
Am Samstag war ich bei "Stahlwerk". Sasso erinnerte sich an die Vorläufer-Parties, "Klangwerk". Er kenne mich noch von damals; für ihn sei ich immer nur "die Ballerina" gewesen.
Sylvain klagte, er wolle nicht so betrunken sein, wie er sei. Es sei ein Fehler gewesen, am Abend eine ganze Flasche Wein zu trinken. Allerdings müsse er sich von seiner Reise nach Norwegen erholen. Dort hat er seinen Vater besucht, und der soll cholerisch und entwertend sein. Sylvain hält es mit seinem Vater nicht lange aus. Die Winterlandschaft in Norwegen sei aber sehr schön. Sein Vater habe viele Fotos von ihm gemacht, auch einige, auf denen Sylvain einen Eiszapfen wie eine Waffe in der Hand hielt.
Sylvain wünscht sich, Rafa persönlich kennenzulernen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Deshalb möchte er nach H. kommen, wenn Rafa dort auftritt. Besonders gern mag Sylvain Rafas Stück "Schweben, Fliegen und Fallen".
"Ted fand das gar nicht gut, daß ich Silvester gleich dreimal 'Schweben, Fliegen und Fallen' gespielt habe", erzählte Sylvain. "Aber die Musik gefällt mir, sie baut mich auf."
Rega war heute nicht da. Seine Freundin Casyle und er zogen um, näher an seinen Arbeitsplatz. Irvin erzählte, daß Rega Heilpraktiker werden wollte und das letztlich nicht geschafft hat. Doch hatte Rega schon vorher einen kaufmännischen Beruf erlernt, und jetzt ist er bei einem Sportartikel-Hersteller beschäftigt. Die Stellung sei gut, Rega fahre sogar einen Firmenwagen.
Darien erzählte, sein Familienleben sei anstrengend, aber das sei nichts gegen Constris Ärger mit Derek.
"Derek hat ein besonderes Talent, immer dann, wenn alles stimmt, alles selbst kaputtzumachen", meinte ich.
Darien vermutete, Derek ertrage es nicht, wenn etwas zu schön sei und zu gut laufe, das sei nichts Vertrautes, damit komme er nicht zurecht.
KiEw-Kopf T.D. war heute auch da. Ich erkundigte mich, wo er seine Zwangsjacken herbekommt. Er erzählte, daß die Zwangsjacke, die er auf der Bühne trägt, von einem Bekannten genäht wurde. Außer seiner weißen Zwangsjacke hat er noch eine in Rot. Das Mädchen, dessen Kleid im Zwangsjacken-Stil ich vor zwei Jahren in der "Unterwelt" bewundert habe, hat sich dieses Kleid selbst genäht.
T.D. erkundigte sich, ob Derek sich über die CD freut, das neue KiEw-Album, dessen erstes Stück ein Remix von Derek ist.
"Auf jeden Fall freut er sich", konnte ich berichten.
Im "Rondo" traf ich mich Anfang der Woche zum Abendessen mit Sylvie, der besten Freundin des Travestie-Künstlers Carla. Sylvie und ich haben uns im Gästebuch auf Carlas Website kennengelernt. Sylvie konnte mir ein Video von Carlas Aufführungen besorgen. Sie erzählte, wie sie Carla - eigentlich Karel - kennengelernt hat. Anfang der neunziger Jahre sei sie wegen des Golfkriegs aus Persien zurückgekehrt, mit Mann und Kindern. Es sei so schön gewesen in Persien, doch wenn sie nicht zurückgekehrt wäre, hätte sie Carla nie kennengelernt. Sie eröffnete daheim in H. eine Damenboutique. Eines Tages fragte ein Kunde, ob er ein Frauenkleid anprobieren dürfe. Das durfte er. Wie sich herausstellte, war er Travestie-Künstler. Von nun an kamen immer mehr Travestie-Künstler in die Boutique. So bekam Sylvie Kontakt zur Travestie-Szene. Im "Alcantara" bewunderte sie Carlas Auftritte. Nach der Show lernte sie ihn kennen. Sie wurden rasch enge Freunde. Wenn Sylvie mit dem attraktiven jungen Mann ausging, wurde ihr Ehemann eifersüchtig. Es dauerte eine Weile, ehe er begriff, daß von Carla keine Gefahr für seine Ehe ausging.
Berenice mailte, sie habe mein Essay zum Thema "Wieviel Zweck ..." erhalten und bat mich, den Text auch an Cyris zu senden. Ich hatte in meiner letzten E-Mail an Berenice geschrieben:

Ich denke, was Cyris schreibt, wird zu einer sinnvollen Ergänzung, die zum Nachdenken anregt, und daß nachgedacht wird, wollen wir ja erreichen.

Berenice mailte dazu:

WIR schon, andere nicht. Ja, das wollen wir, aber ich befürchte, die meisten Menschen sind dazu einfach nicht in der Lage - wenn ich ab und an noch mal ins Forum schaue, überkommt mich doch nur noch das Grausen. Eine Anhängerschar von Ja-Sagern ... :((((
Ach, Dolf. Rafa hat ja alle gegen Dich angestachelt - ich weiß ja nicht, wie gut Dolf Dich kennt. Aber wenn es nur über Rafas Erzählungen ist, dann ja, wird er Dich ungefähr so mögen, wie es bei mir der Fall war ;)
Keine Ahnung, was ihn da gebissen hat - warum er diesen Text gegen Dich gerichtet hat ...

Zu Rafas und Dolfs gemeinsamer Pirsch auf Frauen Anfang der neunziger Jahre bemerkte Berenice:

Das hört sich schon mal nicht nach dem Menschen an, den ich kenne! Traurig. Aber Rafa hat mir diese Geschichte in einer etwas abgewandelten Form erzählt ...

Zu Rafas Umgang mit Kritik mailte Berenice:

Ich finde es so schade, dass die Chance der Kritik nicht genutzt wird. Immer nur dieses "ich bin nicht schuld" - "ich will nichts lernen" - so furchtbar. Keiner wird gerne kritisiert - ich spreche aus eigener Erfahrung - aber es muss doch in einem gewissen Alter möglich sein, auch etwas Positives an Kritik zu finden, oder????

Über Rafas Suchtverhalten mailte Berenice:

Rafa braucht seine Zigaretten wie die Luft zum Atmen - er ist eben wie so viele andere Menschen auch einfach süchtig. Und Süchtige können nur ihre Sucht bekämpfen, wenn sie es selber wollen. Da kannst Du nichts machen, er ist ja nicht dumm, er weiß, was er sich damit antut ...

Auf der Website von H.F. besuchte ich den Chatroom und unterhielt mich mit Tron. Ich chattete unter dem Nickname "ice-q". Tron hatte eine Frage zu Tyra:

⟨Tron⟩ wieso is die eigentlich jetzt gegangen?
⟨ice-q⟩ weil rafa sie dauernd beschimpft hat ("du dreck") und so
⟨ice-q⟩ und das wollte sie sich nicht bieten lassen
⟨Tron⟩ wieso DAS denn?
⟨ice-q⟩ er hat launen, es hatte keinen grund
⟨Tron⟩ lol
⟨ice-q⟩ er laesst seine launen an anderen leuten aus
⟨Tron⟩ na ja jetzt ist die welt ja erstmal wieder in ordnung hehe
⟨Tron⟩ ich frag mich, wie lange dolf das mitmacht
⟨ice-q⟩ fuer immer
⟨Tron⟩ meinste?
⟨ice-q⟩ ja
⟨ice-q⟩ der hat schon so viel hingenommen
⟨Tron⟩ ihn kann und konnte ich nie einschaetzen
⟨ice-q⟩ den kann keiner einschaetzen
⟨Tron⟩ auf den geburtstagen wirkte er immer wie das 5te rad
⟨ice-q⟩ das isser vielleicht auch
⟨ice-q⟩ rafa schiebt den hass-film auf mich
⟨ice-q⟩ fuer ihn bin ich die incarnation des boesen
⟨Tron⟩ siehst gar nicht so boese aus ;)
⟨ice-q⟩ danke
⟨ice-q⟩ ja, man wird eben bestraft, wenn man jmd liebt, der sich selbst nicht liebt
⟨ice-q⟩ und alle welt hasst bzw verachtet
⟨Tron⟩ na ja, er steht halt auf kunststoffe, hehe
⟨ice-q⟩ eben
⟨ice-q⟩ rafa will glaub ich kein mensch sein
⟨ice-q⟩ er will nur kuenstlich sein
⟨Tron⟩ wie kann man wissen, wie etwas ist, was man nie war?
⟨ice-q⟩ du meinst, er war nie echt?
⟨Tron⟩ du sagtest doch, er will nicht echt sein
⟨ice-q⟩ ja, aber vielleicht hat sich das erst mit den jahren entwickelt
⟨ice-q⟩ irgendwann im teenageralter
⟨Tron⟩ der gesang wird jedenfalls immer kuenstlicher
⟨ice-q⟩ findest du?
⟨ice-q⟩ woran merkst du das?
⟨Tron⟩ ja, wie ein schauspieler in der schulvorstellung
⟨ice-q⟩ ja, das koennt sein ... meinst du, ein schueler, also ein laiendarsteller?
⟨Tron⟩ es ist etwas anderes, ob man ein buch vorliest oder etwas wirklich sagt
⟨ice-q⟩ oh ja!!
⟨ice-q⟩ du meinst, er lebt nicht, was er singt
⟨ice-q⟩ also, es wirkt abgelesen
⟨Tron⟩ also, er ist schon mal kein heppner ;)
⟨ice-q⟩ nein, auf keinen fall
⟨ice-q⟩ er hat das talent, aber er will es nicht nutzen
⟨Tron⟩ na ja, er versucht, alles zu sein
⟨Tron⟩ in den songs
⟨ice-q⟩ alles, nur nicht echt
⟨Tron⟩ also, wenn man die neuen songs oefters hoert, ist da leider keine tiefe drin, nix zu entdecken
⟨ice-q⟩ oh, das klingt duester
⟨Tron⟩ ich meine - einen walkman zu besingen ;)))
⟨ice-q⟩ wohin das fuehrt?
⟨ice-q⟩ na ja, den elektrosmog hat er schon vor jahren besungen
⟨ice-q⟩ und den kaefer
⟨ice-q⟩ landet der irgendwann in einer sackgasse?
⟨Tron⟩ weiss nicht, ist den meisten ja auch egal
⟨ice-q⟩ ja, das stimmt
⟨ice-q⟩ das ist nur ganz wenigen leuten nicht egal
⟨Tron⟩ ich meine, die meisten seiner fans hielten roy black auch fuer echt
⟨ice-q⟩ oh ja
⟨ice-q⟩ und merkten die tragoedie nicht
⟨Tron⟩ mir gefaellt rafas album 'tanzpalast 2000' noch am besten
⟨ice-q⟩ ja, damals hatten rafa und ich noch kontakt
⟨ice-q⟩ damals hat er bei mir diese 20-30 telefonstreiche gemacht
⟨Tron⟩ ?
⟨ice-q⟩ und das lied w-38 ist entstanden
⟨ice-q⟩ ja, ich habe ihn mit einer fangschaltung enttarnt
⟨Tron⟩ loool
⟨ice-q⟩ da hat er sich voll aufgeregt, weil ich das allen erzaehlt habe
⟨ice-q⟩ und er wollte, dass ich mitkomme zum konzert nach wr.
⟨ice-q⟩ und ich hab gesagt, nur wenn er solo ist
⟨ice-q⟩ und er hatte nadine, also gings nicht
⟨ice-q⟩ aber fiel dann eh aus
⟨Tron⟩ wie singt plastik eigentlich, schon mal gehoert?
⟨ice-q⟩ rafa findet jedenfalls, sie kann nicht singen
⟨ice-q⟩ und ich hab sie beim karaoke gehoert, war nix
⟨ice-q⟩ nix besonderes
⟨Tron⟩ na ja, die guten saengerinnen laufen ja alle weg, hehe
⟨ice-q⟩ eben!!
⟨ice-q⟩ man muss devot sein, um zu bleiben
⟨Tron⟩ tessa gefiel mir noch am besten
⟨ice-q⟩ die war labil
⟨ice-q⟩ und aggressiv
⟨ice-q⟩ und konnte nicht singen
⟨Tron⟩ macht sich als saenger gut, wenn man das mit rein bringt
⟨ice-q⟩ find ich nich
⟨Tron⟩ lol
⟨ice-q⟩ ich fand die nur armselig
⟨ice-q⟩ und tat mir irgendwie leid, weil so armselig
⟨ice-q⟩ die wollte mich im 'elizium' die treppe runterschmeissen
⟨Tron⟩ du weckst halt den teufel in den freundinnen von rafa ;)
⟨ice-q⟩ ja, rafa denkt immer sehr amuesiert daran
⟨Tron⟩ is klar
⟨Tron⟩ aber er war nicht amuesiert, als berenice ihm den laufpass gab
⟨ice-q⟩ ja, er mags vielleicht, wenn seine freundinnen auf mich losgehen wie gut dressierte kettenhunde, und er mags nicht, wenn diese kettenhunde ihre ketten sprengen
⟨ice-q⟩ und einfach gehen
⟨Tron⟩ na ja, er hats nicht kommen sehen
⟨Tron⟩ ich aber schon
⟨ice-q⟩ eigentlich hätt er sichs denken müssen, er wollt wohl nicht wahrhaben, dass die beziehung am ende ist
⟨Tron⟩ na ja, dann muesste man zugeben, nicht herr der lage zu sein
⟨ice-q⟩ und parallel hat er sogar mit der damaligen freundin von darius angebaendelt
⟨Tron⟩ lol echt ;)
⟨ice-q⟩ da war er mit berenice noch zusammen
⟨ice-q⟩ im sommer 2004
⟨Tron⟩ was sagte darius dazu?
⟨ice-q⟩ ich weiss nicht, ob er es weiss
⟨ice-q⟩ aber sie haben sich ja im januar 2005 endgueltig zerstritten
⟨ice-q⟩ ja, rafa will immer alles kontrollieren
⟨ice-q⟩ aber das kann er nicht
⟨ice-q⟩ er kann ja auch nicht kontrollieren, wie oft ich in seinem forum vertreten bin
⟨Tron⟩ niemand kann das
⟨ice-q⟩ eben
⟨ice-q⟩ ich habe sowieso mehrere pseudonyme
⟨Tron⟩ ?
⟨ice-q⟩ die verrat ich nich
⟨Tron⟩ schade
⟨ice-q⟩ zumal immer wieder neue erfunden werden
⟨ice-q⟩ rafa kann mich nicht mehr kontrollieren, wenn ich immer wieder unter anderen namen erscheine
⟨Tron⟩ wie lange war tyra dabei eigentlich
⟨ice-q⟩ tyra war in der band von 12/2004 bis 10/2005
⟨ice-q⟩ und sie kennt rafa seit 3 jahren
⟨Tron⟩ wollt der mal was von ihr
⟨ice-q⟩ rafa graebt fast jede an!
⟨ice-q⟩ so isses nun mal
⟨Tron⟩ warum bist du damals nicht bei ihm geblieben?
⟨ice-q⟩ er ist immer weggelaufen, wenn eindeutig war, dass etwas zwischen uns ist, das war jedesmal so
⟨ice-q⟩ er hat sich nie zu mir bekannt
⟨ice-q⟩ so z.b. hat er mich gekuesst, ist weggelaufen und mit tessa ins bett gegangen
⟨Tron⟩ ist aber nicht die feine art
⟨ice-q⟩ nein!!
⟨ice-q⟩ das ist eine katastrophe
⟨Tron⟩ ists da nicht fast verschwendung, dich so lange fuer ihn aufzuheben?
⟨ice-q⟩ ja, isses. ich rege mich auf, weil ich jmd liebe, der mich nicht verdient
⟨ice-q⟩ aber fuer liebe kann man nichts
⟨ice-q⟩ wenn ich ihn nicht lieben wuerde, haett ich ihn laengst vergessen
⟨ice-q⟩ er waer bedeutungslos fuer mich
⟨ice-q⟩ eine unperson
⟨Tron⟩ ist grausam, wie das schicksal so spielt
⟨ice-q⟩ er beluegt und betruegt sich und andere
⟨ice-q⟩ das schicksal hat sich mit mir einen schlechten scherz erlaubt
⟨Tron⟩ vieleicht hat er irgendwann das junge gemuese satt ;)
⟨ice-q⟩ na, ich glaub nicht, die jungen maedels kann er benutzen, wie er will
⟨ice-q⟩ deshalb sucht er die doch aus
⟨ice-q⟩ praktisch und stumm
⟨ice-q⟩ devot und hilflos
⟨ice-q⟩ er muesste sich selbst begegnen, wenn er eine echte beziehung haette
⟨ice-q⟩ und er will sich nicht begegnen
⟨Tron⟩ vieleicht hat er angst, sich nicht zu moegen
⟨ice-q⟩ oh ja
⟨ice-q⟩ angst ist fuer ihn das einzige gefuehl, das er noch merkt, abgesehen vom hass

Die Eröffnung der neuen Website von H.F. fiel zusammen mit Rafas Geburtstagsparty. Er feierte in seinen Geburtstag hinein. In der Nacht war ich auch im Chatroom und traf dort einige W.E-Fans, darunter Tron. Ivco und Xenon meldeten sich von Rafas Geburtstagsfeier. Sie chatteten unter Dariennes Nickname "Plastik". Wie sich herausstellte, hatte Darienne sich vorhin eingeloggt und war eingeloggt geblieben, ohne weiterzuchatten. Ivco berichtete, daß auf der Party wie jedes Jahr Silvesterböller gezündet wurden.
Im "Nachtkuss"-Gästebuch hinterließ ich für Rafa als "n.n." eine Nachricht:

Tja, dieses Mal wird nicht gratuliert.

Am Nachmittag telefonierte ich mit Tyra. Sie berichtete, sie sei nicht auf der Party gewesen. Stattdessen habe sie Rafa gegen ein Uhr nachts angerufen und ihm gratuliert. Er habe sich bedankt und hinzugesetzt, er habe gerade viel zu tun. Es entstand nicht der Eindruck, daß Rafa sie auf seiner Party dabeihaben wollte. Im Hintergrund hörte Tyra die Gäste singen. Sie wollte nicht stören und beendete ihr Gespräch mit Rafa.
Über die mysteriöse "Lizanne" erzählte Tyra, sie habe mit ihr E-Mails ausgetauscht. "Lizanne" habe ihr geschrieben, sie habe das Gefühl, in ein abgekartetes Spiel hineingerutscht zu sein. Sie habe eigentlich nur jemand Nettes kennenlernen wollen. Rafa habe ihr auch zunächst eine nette E-Mail geschrieben. Doch nachdem sie meine E-Mail an ihn weitergeleitet habe, habe er ihr nicht mehr zurückgeschrieben. Sie wolle mit der ganzen Angelegenheit nichts mehr zu tun haben. Angeblich soll "Lizanne" im richtigen Leben Katharina heißen und es ablehnen, ihren Wohnort zu verraten. Um ihre "Lizanne"-Identität zu löschen, habe sie ihren Nickname und ihre E-Mail-Adresse an Tyra abgegeben. Inwiefern "Lizanne" jemals wirklich existiert hat oder doch nur eine weitere von Tyras virtuellen Identitäten gewesen ist, werde ich wohl nicht herausfinden.
Tyra erzählte, Sten sei seit Längerem in sie verliebt. Deshalb sei Sten mit Rafa aneinandergeraten. Rafa habe behauptet, Tyra sei ihm wichtiger als Sten. Er werde eher mit Sten brechen, als es sich mit Tyra zu verderben. Allerdings soll Rafa während seiner Geburtstagsfeier bei Sten angerufen und ihn hergebeten haben. Sten habe abgelehnt mit der Begründung, er sei müde.
Tron berichtete am Telefon, er habe gehört, daß Rafa einen Zettel an seiner Haustür angebracht habe, als er seinen Geburtstag feierte. Auf dem Zettel sei ein Foto von mir zu sehen gewesen. Darunter habe Rafa sinngemäß geschrieben:
"Kein Zutritt für Hettys."
Rafa soll übrigens auch bei Tron angerufen und ihn gebeten haben, auf seiner Geburtstagsfeier zu erscheinen. Tron lehnte das ab, der Weg war ihm zu weit.
Bei Ivco erkundigte ich mich in einer E-Mail nach Rafas Geburtstagsfeier:

Wie fandest du Rafas Party? Waren viele da? Tyra hat Rafa gegen 1.00 angerufen und ihm gratuliert, und anstatt sie einzuladen, auch vorbeizukommen, war er kurz angebunden und hat behauptet, keine Zeit zu haben, was sicher gelogen war, denn Tyra hörte Rafas Gäste, wie sie irgendwelche Lieder sangen und augenscheinlich gut beschäftigt waren. Rafas abweisendes Verhalten hat Tyra sehr getroffen.

Ivco mailte:

Die Feier war wieder super, aber nicht so gut wie vor einem Jahr. Das war bisher die Krönung. Der Unterschied war aber nicht groß, und etwas sehr Gutes ist ja schwer zu übertreffen.
Rafas Reaktion auf Tyras Anruf fand ich übrigens angemessen. Ich finde es unhöflich den anwesenden Gästen gegenüber, wenn Anrufer - ob nun Tyra oder andere - bevorzugt werden.
Gut, ob Rafa nun abweisend gewirkt hat oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Eventuell hätte er sich Tyra gegenüber freundlicher verhalten können.

Ivco hat nicht den Eindruck, daß Rafa gegen mich hetzt. Rafa tue einfach nur kund, daß er mich nicht leiden könne, das sei alles.
An Berenice mailte ich eine Schilderung von Rafas Schließungs-Kampagne im W.E-Forum:

Hier konnte man deutlich sehen, daß es Rafa keineswegs um Netiquette geht! Es geht ihm vielmehr darum, daß die Leute beleidigt werden, die er auswählt. Er inszeniert sich selbst als totalitärer Gottkönig. Er erfindet seine eigenen Forum-Regeln und mißachtet viele allgemeingültige Umgangsformen.

Berenice mailte:

Was da gelaufen ist, konnte ich gar nicht mehr verstehen. Also - klar - natürlich verstehe ich, was Rafa bezweckt (noch mehr Ja-Sager in seinem Leben - oh, wie haben wir uns immer über dieses Thema gestritten!!!!!!!!!! Mich regt das schon so lange auf, Wahnsinn! Und noch jetzt bin ich erbost darüber.). Aber die Sache jetzt fand ich schon ziemlich heftig. Dass er einen Beitrag von mir editiert, o.k., wenn er meint. Aber das jetzt ... :(((
Mich hat vor allem ein Beitrag sehr geschockt. Jemand schrieb, dass das Forum nicht geschlossen werden darf, weil er ja sonst niemand mehr ist und keinen mehr kennt (ist jetzt ein wenig überspitzt - weiß auch den genauen Text nicht mehr). Da hat es bei mir einfach aufgehört.
Wie kann man sich nur über Foren definieren und darüber, ein W.E-Fan zu sein??? Haben die wirklich kein eigenes Leben???
Diese Hündchen-Mentalität ist mir extrem zuwider. Ich habe es noch nie verstanden, aber Rafa sammelt solche Menschen ganz einfach ein. Er muss nicht mal danach suchen ...
Dass sie das nicht mal merken - aber wahrscheinlich reicht es solchen Menschen, sagen zu könnnen: ich kenne Rafa und mache alles, um sein Wohlwollen zu erhalten. Ich habe diese Leute um ihn herum immer schon verachtet. Entschuldige, ich trage nur dieses Thema schon so lange mit mir 'rum - ich musste so oft und jahrelang ertragen, wie diese Speichellecker um Rafa herum agieren, das hat seine Spuren hinterlassen.
Und die Krönung war ja nun wirklich Rafas Gnade, das Forum leben zu lassen - und alle halten ihn nun für den großzügigen und verständnisvollen Retter. Mir fehlen die Worte dazu ....
Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dieses verlogene Theaterspiel nicht mehr ertragen zu müssen. Wie befreit ich mich in meinem Leben fühle, wie sicher und behütet in der Ehrlichkeit, die mich nun endlich wieder umgibt. Immer noch wäre es ein Schreckensgedanke, dass die letzte Zeit nur ein Traum gewesen sei und ich zurück müsste ...

Berenice erinnerte sich, daß Anwar jedes neue W.E-Lied lobte, das Rafa ihm vorspielte. Sie selbst betrachtete die Werke kritischer:

Ich habe mich immer hingesetzt, habe konzentriert zugehört, habe Kritikpunkte gefunden und geäußert, und wir hatten jedes Mal (!!!!) Streit deswegen. Ich musste mir Sachen vorwerfen lassen ...
Es gab sogar eine Zeit, in der habe ich aus lauter Frust überlegt, ebenfalls einfach ja und amen zu ihm zu sagen. Aber ich bin so froh heute, dass ich es nie getan habe. Ich wusste, wir würden uns streiten, aber ich habe immer meine Meinung geäußert und vor allem auch gesagt, was mir nicht gefällt!
Ich bin sicher, Rafa redet nicht gut über mich, wenn er an all diese Sachen denkt - denn er spricht gut über die Menschen, die ihm nach dem Mund reden ...
Eine Falle ist es natürlich, die jeweilige Freundin in die Band zu integrieren. Er kann Darienne nicht hinauswerfen - es gab schon zu viele Personalwechsel in den Bands ... Aber - sein Problem!!!! Heute bin ich mal wieder extrem froh über die Entscheidung, seinen Ballast nicht mehr mit mir tragen zu müssen.
Auch wenn ich mich wiederhole: was bin ich froh, da 'raus zu sein!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Berenice erkundigte sich, ob Rafa Tyra verboten hat, mit mir zu sprechen. Ich erzählte, daß Rafa es ihr zwar nicht verboten hat, jedoch ihr vorgeworfen hat, "mit dem Feind zu kooperieren". Berenice schrieb:

Ja, das dachte ich mir! Rafa mag es überhaupt gar nicht, wenn man über ihn mit anderen Menschen spricht. Ich habe ihm dann immer entgegengehalten, dass ich mit meinen Freunden nicht über ihn rede, sondern über mich und mein Leben, in dem er nun mal auch vorkommt!

Ich schrieb:

Das Argument, daß du nicht über ihn, sondern über dich und dein Leben redest, wenn du über Rafa sprichst, weil er ja in deinem Leben vorkommt, finde ich überzeugend, und es trifft auch auf mich zu.

Berenice schrieb:

Aber so ist es doch einfach. Ich laufe nicht umher und erzähle Intimes über Rafa - nein, ich rede über mich und über das, was ich erlebt habe, was mich bewegt. Rafa hat es nie verstanden und wird es auch niemals tun - er wird dieses Verhalten immer als weibisch abtun ...

Ich schrieb:

Daß es Menschen gibt, die über ihre Erlebnisse und ihre Gefühle reden, mag Rafa als "weibisch" verachten, letztlich ist es jedoch eine Kraftquelle, die er sich versagt.
Daß Rafa die Konsequenzen seines Verhaltens tragen muß, ist meiner Meinung nach nicht nur gerechtfertigt, sondern auch hilfreich für seine persönliche Weiterentwicklung. Er soll spüren, was er tut. Er soll Grenzen spüren. Ich denke, das ist eine wichtige Erfahrung - für ihn.

Berenice schrieb:

Ich befürchte, auch wenn Du ihm diese Ansicht eintrichterst, wird er sie nicht verstehen - nie!!!!! Es scheint mir ein sinnloses Unterfangen zu sein ...
Rafa hasst Dich, wahrscheinlich. Aber das liegt an dem, was Du getan und gesagt hast - nicht daran, dass er sich selber hasst. Oder???

Bereits im Sommer 1996 hat Rafa erstmals (zu Aimée) gesagt, daß er mich haßt. Dem war ein ausgedehntes, durchweg friedliches Telefongespräch von Rafa und mir vorausgegangen und ein sich anschließendes wochenlanges Telefon-Stalking von Rafa gegen mich. Mein Erfolg mit der Fangschaltung hatte damals noch nicht stattgefunden, meine Domain mit der Geschichte von Rafa und mir war noch nicht online - keiner der Gründe, die Rafa später für seinen Haß gegen mich angab, hat damals schon bestanden. Rafas Haß gegen mich entwickelte sich im Gefolge einer Straftat, die Rafa an mir verübte, dem Telefon-Stalking nämlich. Er begann mich zu hassen, nachdem er sich an mir schuldig gemacht hatte. Hier könnte (wieder) eine Verbindung zwischen Rafas Aggressionen und seinen Schuldgefühlen zutage treten: Rafa rückt Aggressionen an die Stelle seiner Schuldgefühle, weil Aggressionen für ihn leichter zu ertragen sind. Gewissermaßen tritt Rafa auf seine eigenen Opfer ein, um zu überdecken, daß er sich schuldig fühlt.
An Ivco mailte ich:

Stimmt das eigentlich, was Tron über drei Ecken gehört hat, nämlich daß Rafa an seinem Geburtstag ein Schild an seine Tür gehängt hat mit der Aufschrift "Kein Zutritt für Hettys"? Wenn er bisher nicht über mich gehetzt haben sollte, so wäre dies eindeutig Hetze, nichts anderes.
Was Tyras Anruf an Rafas Geburtstag betrifft, so ist sie sicher nicht sauer, weil er den Anruf kurz gehalten hat. Dafür hätte sie ja Verständnis. Als verletzend empfand sie seinen doch recht geschäftsmäßigen, keineswegs herzlichen Tonfall - und vor allem (!) die Tatsache, daß er sie, die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnt, nicht gefragt hat, ob sie vorbeikommen will. Hingegen hat er allerlei Leute gefragt, ob sie vorbeikommen wollen, darunter auch Sten und Tron. Was Sten betrifft, so soll Rafa ihn noch vor wenigen Monaten als Feind gehandelt haben, mit dem er nie wieder etwas zu tun haben will, d. h. er stand ihm ungefähr so feindselig gegenüber, wie er mir gegenübersteht. So viel ist also davon zu halten, was Rafa über andere Leute und zu anderen Leuten sagt. Es ist Rafas Launen unterworfen.

Ivco mailte:

Was Tron über drei Ecken gehört hat ("Kein Zutritt für Hettys") stimmt so nicht. Das ist wohl wieder ein typisches Stille-Post-Phänomen.
Zu Tyras Einladung zu Rafas Geburtstag stelle ich mir gerade vor, wenn es sie wirklich gegeben hätte und auch angenommen worden wäre. Na, das wäre ja ein Spaß geworden: Tyra und Darienne auf engstem Raum zusammen!
Nee, nee, war wohl ganz gut, dass er nur eine von beiden eingeladen hat.

Ich mailte:

Also hat Rafa an seinem Geburtstag doch kein Plakat an seine Tür gehängt? Oder hat er irgendwas anderes drangehängt? Oder ist das alles frei zusammengesponnen, und er hat gar nichts an der Tür hängen gehabt?
Ja, Tyra hat später selbst zu Rafa gesagt, Darienne und sie auf derselben Party, das hätte nicht gutgehen können. Was sie aber verletzt hat, das war, daß Rafa sie einfach nicht eingeladen hat, anstatt mit ihr über das Thema zu reden. Eine Woche nach der Party hat Rafa Tyra angerufen und sich beschwert, weil sie nicht auf seiner Geburtstagsparty war. Sie verwies darauf, daß er sie nicht eingeladen hatte. Das wollte er nun nicht so verstanden wissen.

Mitte Januar war ich in BS. und besuchte Deon zum Abendessen. Er hatte wie immer schön den Tisch gedeckt mit Brötchen, Wurst, Salaten und Honig-Gürkchen. Ich erzählte, mir sei der Tag immer zu kurz. Deon erzählte, ihm sei der Tag immer zu lang. Mit seinem Lebensgefährten Gerard sei er seit achtzehn Jahren zusammen und durchaus glücklich. Daß das Leben in einförmigen Bahnen laufe, störe ihn nicht.
Gerard ist initiativlos auf allen Ebenen, was auch mit seinem Cannabiskonsum zusammenhängen könnte. Er lebt dösend vor sich hin. Die einzige Abwechslung ist der Kontakt zu Deon, der im selben Mietshaus wohnt. Deon ist wegen Gerard vor einigen Jahren in das Haus gezogen. Einen Bekanntenkreis hat Gerard nicht, Kontakt zu Angehörigen ebenso wenig. Mit Mühe schafft es Gerard, das Notwendigste im Alltag zu regeln. Er läßt sich vom Sozialamt finanzieren und tut nichts, um daran etwas zu ändern.
Deon hat sich mit seiner chronischen Krankheit - Schizophrenie - gut arrangiert, ist aber dauerhaft wenig belastbar. Er möchte gerne arbeiten, findet aber nur selten eine Stelle, die ihn nicht überfordert. Am besten bekommt ihm eine Halbtagsstelle als Landschaftsgärtner.
Deon ist früher viel mit der persönlichkeitsgestörten Berry herumgezogen, an die ich mich auch noch erinnere. Berry ist das, was man umgangssprachlich als "Kampflesbe" bezeichnet: eine homosexuelle Frau mit beeinträchtigter Impulskontrolle. Berry hat mit achtzehn Jahren die Schule abgebrochen und war damals schon drogenabhängig. Sie hat inzwischen mehrere Haftstrafen verbüßt. Wenn Berry je gearbeitet hat, dann nur für kurze Zeit. Aus einer Spielhalle wurde sie nach zwei Wochen hinausgeworfen, weil sie sich aus der Kasse bedient hatte. Berry hat inzwischen eine Wohnung in einem Hochhaus zugewiesen bekommen, das als sozialer Brennpunkt gilt. Deon sieht sie nur noch selten. Als sie ihm das letzte Mal begegnete, wirkte sie über die Jahre gealtert. Der Suchtmittelkonsum hat seine Spuren hinterlassen.
In der Kantine im "Reha-Bunker" wurde wieder jede Menge Klatsch und Tratsch ausgetauscht. Kollege Ingvar gab zum Besten, bei Glatteis habe ihn ein aggressiver Drängler überholt und beim Einscheren geschnitten. Danach sei der Drängler verschwunden - vor ihm über die Straße hinweg in den Graben. Er habe angehalten und nachgesehen, was mit dem Verunfallten sei, aber "nur, um zu gucken, wie er reagiert."
"Und wie komme ich jetzt weiter?" fragte der Drängler im Graben.
"Also, mit dem Auto nicht mehr", erwiderte Ingvar.
Kollege Wilson ist Motorrad-Freak. Er erzählte von einem Motorrad, dessen Motor ursprünglich für einen Betonmischer konzipiert worden war.
Im W.E-Forum stieß es auf Verwirrung, daß Forum-Mitglied Danthem dort für ein Konzert von Das P. Werbung machte. Danthem erklärte zu dem Thema:

Im Vordergrund steht doch die Musik, und ich habe Das P. darum für mein Festival engagiert, weil Darius wohl einer der ehrlichsten Menschen ist! Und mir SEINE Musik sehr gut gefählt ... also kommt und macht euch selber ein Bild.
Was H.F. angeht, sind wohl noch einige Dinge zu klären, aber nicht hier!

Valerien schrieb:

Gut, wenn die Leute schon zum Das P. kommen sollen, dann laßt H.F. im nächsten Satz außen vor. Das macht die Leute nur durcheinander, denn gerade war's geklärt, daß eins mit dem anderen nix mehr zu tun hat ...
Außerdem: Was ist eigentlich H.F.??? Kein Mensch kennt das, und die Band hatte gerade mal einen einzigen Auftritt, der zudem auch noch völlig verschneit war ... Nur nicht überbewerten, und die Allgemeinheit muß auch nicht alles haben / wissen, denn ... die Erkenntnis kommt noch früh genug ...*)

*) eventuell mit zeitlicher Verzögerung bei uns unterschiedlich entwickelter Spezies)

Am Samstag besuchten Gesa und ich eine Ausstellung über Trauerkultur und tranken danach Kaffee im "Rondo". Als ich Gesa fragte, was sie zu Constris Zukunftsplänen meine, antwortete sie, bei Constris gewöhnlichem Arbeitstempo sei es wenig wahrscheinlich, daß es ihr gelingen werde, sich selbständig zu machen. Zu Carls Lebenswandel meinte Gesa, er sei wohl noch immer der "fröhliche Arbeitslose". Ich meinte, Carl führe ein Dasein, das sich mit dem eines Rentners vergleichen lasse: "Was ihn beschäftigt, sind Banalitäten wie Folgendes: 'Da ist unten jemand im Haus, der poltert immer so 'rum. Und es liegt schon wieder so viel Werbung im Briefkasten.' Lebensaufgabe? Fehlanzeige!"
Im Gegensatz zu Gerard ist Carl mit seinem Lebensstil unzufrieden. Er möchte etwas verändern, aber die Veränderungsmöglichkeiten, die er zur Verfügung hat, gefallen ihm nicht. Also bleibt alles, wie es ist, und Carl bleibt unzufrieden.
Nachts war ich im "Radiostern". Power-Elektro und Industrial werden dort inzwischen nur noch selten gespielt. Früher war der "Radiostern" für diese Musikrichtung ein Geheimtip, heute nutze ich die Parties im "Radiostern" vorwiegend zum Kaffeeklatsch. Daß sich das Musikprogramm so verändert hat, liegt daran, daß Cyra sich für harte rhythmische Musik nicht mehr begeistern kann und diese Musik auch nicht mehr für ihr Publikum spielt. Je eintöniger die Musik im "Radiostern" wird, desto leerer wird es dort.
Als ich Imo erzählte, wie Rafa sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält, fragte Imo:
"Haut dem nicht mal jemand aufs Maul?"
"Das hat schon einer versucht", erzählte ich, "der wollte Rafas Kopf gegen die Tür einer Kneipe schlagen, wurde aber von der Wirtin daran gehindert."
"Na, verdient hätte er es."
"Rafa richtet seinen Selbsthaß nach außen", meinte ich. "Er haßt sich selbst und wandelt diesen Haß um in Haß gegen die gesamte Menschheit."
"Das ist mir schon aufgefallen, als er im 'Restricted Area' aufgetreten ist", erinnerte sich Imo an das W.E-Konzert im Herbst 2002. "Erst dachte ich, er zieht nur über den Westen her, dann zog er aber auch über den Osten her, und schließlich hatte ich den Eindruck, er guckt auf das gesamte Publikum herab."
"Rafa hat mich auf keinen Fall verdient. Er ist mich nicht wert. Er steht moralisch tief unter mir."
"Ja, der ist dir völlig unterlegen."
Imo fragte mich, weshalb ich mich nicht verabschiede von einem Menschen, der mich nicht wert ist. Ich erklärte, daß meine Liebe zu Rafa unabhängig von dessen Verhalten und dessen Charakter besteht und daß ich keinen Einfluß darauf habe, wen ich liebe. Imo meinte, er sei froh, vor bedingungsloser Liebe sicher zu sein. Er werde niemals jemanden so sehr lieben, daß diese Liebe unabhängig von dessen Verhalten besteht.
Ich erzählte von Ivo Fechtner und daß dieser einen noch schlechteren Charakter habe als Rafa:
"Rafa hat Gefühle, verdrängt sie aber erfolgreich. Er ist blind vor Haß und spürt keine anderen Gefühle mehr. Ivo Fechtner hingegen hat außer seinem Haß gar nichts."
Imo erzählte, daß immer mehr Menschen im Laufe der Jahre einen Bogen um Ivo Fechtner machen und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Imo erinnerte sich, wie er einmal aus Versehen in einer Nazi-Kneipe gelandet ist. Sie soll "Yggdrasil" heißen und sich in der Nähe der "Neuen Sachlichkeit" befinden. Imo ergriff die Flucht, als er erkannte, was für eine Gesellschaft sich dort versammelte. Doch sein bloßes Erscheinen genügte den Nazis offenbar schon, um ihm einen Autoreifen zu zerstechen. Ich hoffe, daß dieses Nest inzwischen ausgehoben wurde.
Als ich Solvar erzählte, daß Rafa in seinem Forum willkürlich Einträge löscht, sagte Solvar dazu, das erinnere ihn an totalitäre Systeme.
Solvar meinte, Rafas menschenverachtende Äußerungen im W.E-Forum und auf der "H.F."-Seite erinnerten an den Nazi-Jargon. Rafa müsse aufpassen, daß ihm nicht eines Tages der Verfassungsschutz auf den Fersen sei.
"Rafas Äußerungen sind allgemein menschenverachtend", meinte ich. "Er diskriminiert nicht eine bestimmte Gruppe, sondern er verachtet die Menschheit an sich. Deshalb wird er nichts mit dem Verfassungsschutz zu tun kriegen."
"Wenn er die Menschheit vernichten will, kann er gleich bei sich selbst anfangen."
Am Sonntag waren Tyra, Gesa und Sator bei mir zu Besuch. Wir unterhielten uns über Schuld und Rache.
"Mir geht es nicht um Rache", betonte ich. "Rache ist sinnlos."
"Als ich mich an Darienne gerächt habe, hat mir das auch nichts geholfen", erzählte Tyra. "Dadurch wird doch nichts ungeschehen. Mir ging es nur noch schlechter als vorher."
"In der Bibel gibt es eine Stelle: 'Mein ist die Rache, spricht der Herr.' Ich denke, daß bringt es auf den Punkt", sagte ich. "Rache ist nicht die Aufgabe der Menschen."
Sator konnte sich nicht vorstellen, daß man auf einem Menschen wütend sein kann, den man liebt. Er meinte, man könne traurig sein, aber nicht wütend, denn wenn man wütend sei, liebe man ihn nicht. Ich entgegnete, Rafa habe für seine Taten selbst die Verantwortung, daran ändere meine Liebe zu ihm nichts. Ebenso werde durch Rafas Taten an meiner Liebe nichts geändert. Sie bestehe unabhängig von seinem Verhalten. Für meine Liebe könne ich ebenso wenig wie für Rafas Verhalten.
Tyra war sicher, daß Rafa in seinem selbst erschaffenen Universum keineswegs glücklich ist:
"Dem geht es nicht gut, das sagt er selber auch. Er fühlt sich einsam."
"Er hat mich", sagte ich. "Aber er sieht das nicht, er ist blind vor Haß."
Tyra meinte, der Haß, den Rafa mir gegenüber empfinde, sei zugleich Ausdruck von Angst. Er fürchte sich von der Konfrontation mit sich selbst. Rafa habe einmal gesagt, er wolle nichts über sich wissen. Wenn er an der Tür stehe und die Klinke anfasse, drücke er sie nicht herunter, sondern gehe weg.
Mit Kritik könne Rafa schlecht umgehen. Wenn Tyra ihn kritisiert habe, habe er ihr so lange das Wort im Munde herumgedreht, bis sie nichts mehr zu erwidern wußte.
Rafa habe Magenprobleme, manchmal krümme er sich vor Schmerzen. Zum Arzt gehe er deswegen nicht. Er nehme ein pflanzliches Mittel, von dem er inzwischen fast eine Flasche auf einmal leertrinke. Wegen eines Bandscheibenleidens sei er vor Kurzem endlich einmal beim Arzt gewesen.
Tyra erzählte von Rafas Geburtstagsfeier. Sie hat sich berichten lassen, wie es dort zuging. Rafa hatte zehn Gäste. Er übertrug Darienne die Aufgabe, den Gästen ein Spiel am C64 zu erklären. Darienne nahm diese Aufgabe sehr ernst und erklärte das Spiel sehr ausführlich, gerade als wenn sie sich freute, eine Aufgabe zu haben. Die übrige Zeit daß sie nur da und schwieg - ähnlich wie eine Sprechpuppe, die nur auf Befehl etwas von sich gibt.
Tyra erinnerte sich, daß Berenice vor zwei Jahren für Rafa an seinem Geburtstag eine Überraschungsparty gab. Tyra war nicht eingeladen, weil Rafa erfolgreich verhindert hatte, daß Tyra und Berenice sich kennenlernten. Rafas Geburtstagsparty im vergangenen Jahr war die einzige, die Tyra miterlebt hat, obwohl sie Rafa seit fast vier Jahren kennt.
Die Beziehung zwischen Tyra und Rafa scheint eine Achterbahnfahrt zu sein, wobei die Täler bei Weitem überwiegen. Tyra erzählte, sie habe so viele gute Gespräche mit Rafa geführt, man stehe sich so nahe, doch immer wieder enttäusche er sie. Und weil er sie so häufig enttäusche, habe sie ihm sein Geburtstagsgeschenk - das Feuerzeug - nun doch nicht gegeben.
Tyra hat in der letzten Nacht Folgendes geträumt:

Sie war auf meiner Geburtstagsfeier und mußte eine große Treppe hinaufgehen zu meiner Wohnung, die sich ja tatsächlich im Dachgeschoß befindet. Ivco, Rafa und Herr Lehmann kamen auch zu der Party. In meinem Hinterzimmer war Darienne. Rafa ging dort hinein und beschimpfte Darienne lautstark. Tyra stellte sich in den Türrahmen. Rafa entdeckte sie und grüßte:
"Na, kleine Frau?"
Dann ging Rafa an Tyra vorbei. Wenig später begegneten sie sich im Vorderzimmer, wo Tyra an einem Stehtisch auf einem Barhocker saß. Sie sagte zu Rafa:
"Dir geht es nicht gut."
Er bestätigte das, indem er den Kopf schüttelte.
"Wir müssen uns unterhalten", meinte Tyra.
Ivco schlug vor, daß man noch woanders hingehen könne. Er nahm Tyra und Rafa im Auto mit. Tyra saß neben Ivco, Rafa saß hinten links auf der Rückbank.

Weil Tyra aufwachte, erfuhr sie nicht mehr, wie das anschließende Gespräch verlief.
Tyra war erstaunt, weil an meinem Kronleuchter eine Stoff-Fledermaus hängt. Rafa soll an seinen Kronleuchter auch eine Fledermaus gehängt haben. Rafa und ich müssen unabhängig voneinander auf die Idee gekommen sein, weil Rafa meine jetzige Wohnung nie gesehen hat und ich sein Schlafzimmer zum letzten Mal gesehen habe, bevor er dort die Fledermaus aufhängte.
Als Tyra die Bilder von Rafa in meiner Wohnung sah, meinte sie, das sei wie eine Reise in Rafas Vergangenheit.
Von Berenice erzählte Tyra, Charlize habe sie einmal nach ihrem Alter gefragt, da habe Berenice - sinngemäß - geantwortet:
"Wenn ich an Kommunikation interessiert bin, werde ich selbst auf dich zukommen. Ansonsten denke ich nicht, daß eine Zahl viel aussagt."
Berenice habe ihren Intellekt betont und beispielsweise in eine Runde gefragt, was ein Schneller Brüter sei. Das habe keiner beantworten können.
Rafa habe immer Berenices Intellekt hervorgehoben und sie gelobt, wenn sie im Studium gute Noten hatte. Ansonsten soll Rafa dem Wissen und der Intelligenz zwiespältig gegenüberstehen; er unterhalte sich nicht gerne mit Menschen, die "zu viel wissen". Das wundert mich nicht. Er würde dann ja mit seiner eigenen Unwissenheit konfrontiert. Ich denke, es nagt an ihm, daß er nicht studiert hat.
Daß Rafa angeblich nur Leuten "ab 180 I.Q." den Zutritt zu seinem Keller gestattet, entspricht ungefähr dem, was man in der Konsumwelt als "Mogelpackung" bezeichnet: Schein statt Sein. Wenn Rafa bei der Wahrheit bleiben würde, müßte über seiner Kellertür stehen:
"Vor dem Eintreten Verstand abschalten."
Tyra erzählte, Rafa vermittle seinen Freundinnen und Bandmitgliedern, daß sie mehr wert seien als andere, weil sie ihm zugehörig seien. Er vermittle ihnen, daß es ihnen zukäme, auf andere Menschen herabzusehen. Tyra kennt ein Mädchen, das bei H.F. als Statistin auf der Bühne steht. Das Mädchen bilde sich furchtbar viel darauf ein, Rafa als Statistin zu dienen.
Tyra erzählte Sator, daß sie fast ein Jahr lang Mitglied bei W.E war: "Rafa war mein bester Freund. Aber als ich bei W.E mitgemacht habe, hat er mich nur noch angeschrien und beschimpft, ohne Grund." Sie habe sich klein gefühlt, ungeliebt und wertlos.
Zuerst sei die Freundschaft mit Rafa aufbauend für sie gewesen. Durch seine Beschimpfungen jedoch habe sie sich verunsichert und kraftlos gefühlt. Rafa ziehe anderen Menschen Energie ab, indem er sie entwerte. Er versuche, sich selbst dadurch aufzuwerten. Im ausgehenden Winter des vergangenen Jahres sei es ihr wegen Rafas Verhalten so schlecht gegangen, daß sie eine ganze Schachtel Paracetamol geschluckt habe. Ihr sei davon schlecht geworden, und sie habe gleich fast alles wieder ausgebrochen. Ihre Mutter habe sie im Badezimmer gefunden und auch die Tablettenschachtel entdeckt, und sie habe die widerstrebende Tyra ins Krankenhaus gebracht, wo ihr der Magen ausgepumpt worden sei. Auf dem Weg zum Krankenhaus, das kaum einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt sei, habe sie mehrmals aus dem Auto steigen und sich übergeben müssen.
Die besorgte Mutter nahm Tyra für einige Monate wieder zu sich und brachte sie zu ihrem eigenen Psychotherapeuten.
"Die Dosis hätte tödlich sein können", sagte ich zu Tyra. "Dein Schicksal wollte, daß du die Tabletten wieder ausbrichst. Nur das hat dich gerettet."
Tyra versicherte, sie werde sich nichts mehr antun, weil sie nicht wolle, daß es ihr wieder so schlecht gehe wie nach ihrem Selbstmordversuch mit Paracetamol. Allerdings wünsche sie sich manchmal, sie wäre doch umgekommen. Das Leben mache ihr keinen Spaß.
Rafa wisse von Tyras Selbstmordversuch bis heute nichts.
Tyra erzählte von einer Freundin, die sich vor etwa einem Jahr umgebracht hat, weil sie glaubte, an der Scheidung ihrer Eltern schuld zu sein. Tyra befürchtet, Rafa werde sich eines Tages auch wegen Selbstanschuldigungen das Leben nehmen. Ich meinte dazu, Rafa lenke seinen Selbsthaß nach außen, so daß er sich über den Haß auf andere Menschen stabilisieren könne. Dies könne ihn vor dem Selbstmord schützen - freilich zum Schaden für diejenigen, die zum Opfer seiner Aggressionen werden, wie Tyra.
Sator meinte, die Endlos-Geschichte von Rafa und mir müsse man eigentlich verfilmen. Ich meinte, das könne dann nur eine Fernseh-Dauerserie sein.
Tyra berichtete, Sam habe Magdalena vor den Kopf gestoßen. Magdalena habe Sam am letzten Freitag nur deswegen in die "Spieluhr" mitgenommen, weil er ihr vorher versprochen habe, keine hochprozentigen Alkoholika zu sich zu nehmen. Er habe sie jedoch hinters Licht geführt und Hochprozentiges in Bierflaschen gegossen. Sam sei unausstehlich, wenn er Hochprozentiges getrunken habe.
Sam vertrinke sein Geld und sei schon aus einer Wohnung hinausgeworfen worden, weil er die Miete nicht bezahlt habe. Ceno sei der Letzte gewesen, der ihn bei sich aufgenommen habe, jedoch habe Sam Textilien und CD's an sich genommen, die Ceno gehörten und die er angeblich nur ausleihen wollte, aber nicht mehr zurückgegeben habe. So mußte Sam nun auch gehen und zog bei Magdalena ein. Sie haben jetzt die neue Wohnung, und Sam will im Wohnzimmer eine Bar einrichten, um dort seine Freunde zu bewirten, was Magdalena aber gar nicht recht ist. Magdalena soll am Freitag in der "Spieluhr" vor Enttäuschung geweint haben.
Sator erzählte von dem Tod seiner engen Familienangehörigen. Nur noch seine Schwägerin und deren Sohn - Sators Neffe - seien übrig, und die Schwägerin leide an einem bösartigen Tumor, sogar einem, von dem man nur die Metastasen gefunden habe, nicht aber den Primärtumor.
"Das ist ein CUP", vermutete ich. "Das gehört zum Bösartigsten, was es gibt. Die Zellen sind so entartet, daß man nicht mehr zuordnen kann, aus welchem Gewebe sie stammen."
Berenice und Tyra wollen zueinander Kontakt aufnehmen. Ich versorgte sie mit den jeweiligen E-Mail-Adressen, und sie begannen, sich zu schreiben.
Berenice mailte mir, Rafas Magenkrämpfe seien nichts Neues, das habe er früher schon gehabt, es hänge wahrscheinlich mit seinem Alkohol- und Zigarettenkonsum zusammen. Zu Rafas Klagen über Einsamkeit schrieb Berenice:

Ja, das mit der Einsamkeit hat er mir auch gesagt im Sommer. Und ich weiß, dass er das ernst gemeint hat ... :((((

Berenice geht davon aus, daß Rafa im Grunde eine Frau braucht, die ihm ebenbürtig ist, nicht eine, die sich unterordnet. Umso mehr ist sie verwundert, daß Rafa mich im W.E-Forum nicht mehr haben wollte.
Cyris mailte über die Idee, zwei Essays zu dem Thema "Wieviel Zweck heiligt die Mittel?" auf Berenices Website zu stellen, sie wolle dazu vorerst nichts sagen, denn sie befürchte noch immer, daß ich Rafa mitsamt seiner Band W.E vernichten will, anstatt ihm zu helfen. Sie warf mir vor, Rafa die Energieversorgung abzudrehen, indem ich mich gegen ihn und seine musikalischen Projekte wende. Ich schrieb:

Mir geht es nicht darum, Rafa zu schaden oder an ihm Rache zu nehmen. Ich habe keinen Haß auf Rafa. Es geht mir darum, etwas Erstarrtes in Bewegung zu versetzen. Es geht mir darum, mich zu schützen und auch andere zu schützen. Wenn ich Rafa auf der Bühne sehe, sehe ich immer zugleich das, was er verbergen will, und der Widerspruch zwischen "Rafa" und "Honey" löst in mir eine Wut aus, die ich nicht genau einordnen kann. Sie hat etwas mit Rafas Unehrlichkeit und seiner Verantwortungslosigkeit zu tun, was ich aus meinen Erfahrungen mit ihm reichlich kenne. Ich schütze mich selbst, indem ich die Wut nicht in mich hineinfresse, sondern darüber spreche. Und mit wem ich darüber spreche, werde ich jedenfalls selbst entscheiden. Die freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht des Menschen, das Rafa in seinem Forum mißachten kann, weil er diesen "Parastaat" als "Herr im Hause" regieren darf. Außerhalb des Forums jedoch gilt dieses Recht, und ich nutze es.
Wenn Rafa sich angegriffen fühlt, weil ich mit anderen Menschen über ihn rede, so sei dazu bemerkt, daß er meines Wissens stets ungehalten ist, wenn irgendwer mit irgendwem über ihn spricht. Es ist meiner Ansicht nach aber etwas Natürliches, daß man über das redet, was einen beschäftigt, um es zu verarbeiten und die Resonanz der anderen zu hören. Und Rafa wird wissen, daß über jeden Menschen irgendwann einmal irgendwer redet; er bildet keine Ausnahme, soll er doch sogar schon seit Jahren über mich hetzen und versuchen, andere Leute gegen mich aufzuwiegeln (das hat mir Berenice erzählt). Mir geht es jedenfalls nicht darum, Rafas Fans gegen ihn aufzubringen. Mir geht es darum, Rafa mit der Wirklichkeit zu konfrontieren.
Daß Rafas musikalische Projekte zugrundegehen, nur weil - durch wen auch immer - die Wahrheit über ihn bekannt wird, glaube ich nicht. Wenn jemand in einem Haus aus Lügen lebt, ist dieses niemals sicher. Sicher ist nur, wer vor sich selbst nichts zu verbergen hat. Rafa, der seine gesamte Persönlichkeit vor sich selbst zu verbergen sucht, wird sich schon allein darum niemals sicher fühlen, auch wenn ich tot wäre. Er wittert überall Verrat und Feindseligkeit und umgibt sich mit Ja-Sagern, die ihn nicht infragestellen. Was er sich dadurch einhandelt? Eine fragwürdige "heile Welt", die er kontrollieren kann, die aber zugleich auch ohne Inspiration und Auseinandersetzung ist. So höhlt er seine eigene Kreativität immer weiter aus, und nicht nur mir fällt auf, daß Rafa schon seit etlichen Jahren allmählich die Ideen ausgehen, unabhängig von mir und meiner möglichen Einflußnahme. Und mir wird von mehreren Seiten berichtet, daß Rafa in seinem selbstgeschaffenen Universum keineswegs glücklich ist. Ihm ist bestimmt nicht gedient, wenn man nur zusieht und nichts tut.
Wenn ich für Rafa nichts empfinden würde, hätte ich mich längst von ihm abgewendet. Dafür, daß ich ihn liebe, kann ich nichts. Daß er mich nicht verdient hat, ist mir bewußt. Daß ich mich trotzdem um ihn kümmere, liegt nur an meiner Liebe zu ihm, der ich Rechnung trage.
Wenn Rafas Lügengebäude einstürzt, könnte dieses mancherlei Entwicklungen zur Folge haben, die sich, so vermute ich, durchaus positiv für Rafa und seine Bands auswirken können. Vielleicht wäre es seine einzige Chance, Kraft zu schöpfen.
Daß Rafa sich selbst die Energieversorgung abdreht, ist ihm sicher nicht bewußt. Er beschädigt seine zwischenmenschlichen Beziehungen, indem er andere Menschen beleidigt, entwertet, belügt und betrügt, und dadurch bringt er sich selber um lebenserhaltende soziale Bezüge.
Die anderen Menschen, diejenigen, denen Rafa Leid zufügt, indem er sie beschimpft, entwertet, versetzt und verletzt ... auch diese Menschen möchte ich schützen. Sogar von einem Beinahe-Todesfall weiß ich, über den ich jetzt nichts Näheres schreiben will, weil es mir vertraulich erzählt wurde. Jedenfalls muß Rafa in diesem Fall die Verantwortung zugewiesen werden (übrigens weiß er davon nichts). Wenn ich daran denke, daß Rafa beinahe ein Menschenleben auf dem Gewissen hätte, wird mir schwindelig. Und ich werde furchtbar wütend.
Nun ... ich hoffe, ich konnte wenigstens ein Stück weit deine Fragen beantworten. Ich denke aber weiter darüber nach. Die Situation ist so komplex, daß es - finde ich - nahezu unmöglich ist, sie mit Worten zu beschreiben.

Im Internet habe ich ein begeistertes Konzert-Review für H.F. gefunden. Über Darienne heißt es, sie sei ein Augenschmaus, und ihr ausdrucksloses Vor-sich-hin-Trommeln liefere Stoff für Männerphantasien.
Offenbar hat Rafa bei dem Konzert mehrere Titel gespielt, die er gemeinsam mit Darius für Das P. kreiert hat - die Journalisten konnten das nicht wissen und schrieben die Titel H.F. zu. Was Darienne betrifft, so heißt es, sie habe den weiblichen Gesang übernommen - oder, laut Rezension:

- vielmehr den Playback-Part. Doch leider klappt das Playback-Singen bei ihr noch nicht völlig, da helfen auch nicht die Blätter vor ihr, denn kleinere textliche Unsicherheiten werden nicht nur einmal offensichtlich. Dem Erfolg an dem Abend schadet das jedoch überhaupt nicht.

Berenice verlinkte diese Rezension mit ihrer Website und mailte an mich:

Das musste einfach sein. Dieses ewige Vorgeben von Mädels, die so tun, als ob ...

Am Freitag war ich im "Fusion" in LG. bei der 15-Jahre-KiEw-Jubiläumsparty. Dort spielten mehrere Bands, unter anderem Rotersand, von denen mir außer "Electronic World Transmission" vor allem "Storm" besonders gefiel. Anschließend gaben KiEw ein zweieinhalbstündiges Jubiläumskonzert. T.D. war in weißer und in roter Zwangsjacke zu sehen. Einige Bandmitglieder trugen Arztkittel, dann wieder spielten sie Psychiatrie-Patienten, die über Kopfhörer eine sogenannte "Audiotherapie" erhielten. T.D. zeigte Klischees, mit denen die Psychiatrie auch heute noch belegt ist. Trotz der Klischeehaftigkeit fand ich die Bühnenshow lebendig und unterhaltsam.
Hal stand einige Schritte entfernt von mir, und als er mich sah, knuddelte er mich zur Begrüßung und meinte, es sei schön, mich hier zu sehen. Ich erzählte, daß ich vorhin noch auf der Arbeit war und nach kurzer Unterbrechung zu Hause direkt hierher gefahren war.
Hal hatte seine Freundin Zouzou mitgebracht, die ein Oberteil und ein Täschchen mit schrägen Manga-Motiven trug, wie sie in der Cyber- und Industrial-Szene angesagt sind. Cyra war auch im "Fusion". Wir unterhielten uns längere Zeit. Cyra erzählte, daß sie gerne Leute beim Tanzen beobachtet und am Tanzstil zu erraten versucht, wo sie wohnen. In der Szene in MD. tanze man beispielsweise anders als in HH.
Während des Konzerts von KiEw holte T.D. mehrere Ex-Bandmitglieder auf die Bühne und schließlich auch Hal, der ein Stück mit den Elektro-Sounds seiner Band VNV Nation untermalte.
T.D. verkaufte auf der Party eine Jubiläums-CD-Sonderedition namens "Visite". Er freute sich, nach acht Jahren wieder einmal in seiner Heimatstadt auftreten zu können.
Am Samstagabend fuhr ich nach HB., wo Rufus seinen Geburtstag nachfeierte und zugleich die Einweihung des Reihenhäuschens gefeiert wurde, das Geneviève und er vor Kurzem bezogen haben.
Giulietta trug ein verwegenes Oberteil, auf dem war vorn ein Flicken festgenäht mit der Aufschrift "Deranged". Sie hatte diesen Flicken hergestellt, indem sie den Schriftzug auf eine Bügelfolie druckte und ihn auf den Stoff bügelte. Die Idee war ihr gekommen, weil sie die T-Shirts nicht mag, auf denen "Slut" oder "Bitch" steht.
Ein Gast erzählte, daß die Musik von Derek aka Missratener Sohn sogar in Techno-Clubs gut ankommt, beispielsweise "Destroy Commando (Fidel Castro Edit)". Derek veröffentlicht nach wie vor bei dem Label von Rufus. Er hat jedoch niemanden für die Promotion und kümmert sich selbst nur wenig um Reklame, also bleibt die Bekanntheit begrenzt.
Marianna war heute nur gemalt anwesend. Vom Erdgeschoß bis zum Dachboden hängen überall großformatige Bilder, die ihr früherer Freund Ciril gemalt hat, in seinem typischen experimentellen Stil. Auf mehreren Bildern ist Mariannas Portrait zu sehen.
Ciril ist schwer psychisch krank und kommt immer weniger mit seinem Leben zurecht. Seine Kunstwerke finde ich epochal. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für den verbreiteten Glauben, Genie und Wahnsinn seien miteinander verknüpft. Bei Ciril allerdings besteht beides gleichzeitig.
Am Dienstag traf ich Tyra im "Departure", einem Bistro in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude. Das "Departure" ist urig eingerichtet mit viel Holz und vielen Hinweisschildern aus der Zeit, als sich dort noch ein Bahnhof befand.
Tyra trug einen Blazer mit der Aufschrift "Tyra Productions" und ein W.E-Fan-Shirt. Auf dem T-Shirt waren Sendemaste abgebildet, darunter stand:
"Ich bin dabei!"
Tyra berichtete, daß Rafa sie in der Nacht zum Donnerstag um zwei Uhr angerufen hatte.
"Wie gehts?" fragte er, statt sich wie sonst mit "Tach auch!" zu melden.
"Ganz gut", antwortete sie, "und dir?"
"Nachdem du dir an meinem Geburtstag gerade mal einen Anruf aus den Rippen gepreßt hast ...", zeigte er sich vorwurfsvoll. "Du hättest ja wenigstens mal vorbeischauen können."
"Es war dein Tag, und es sollte ein guter Tag für dich werden", erklärte Tyra. "Es wäre ohnehin nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um zu dir zu kommen, wenn du mit deiner Porzellan-Püppi auf dem Sofa sitzt und Küßchen austauschst."
"Das verstehe ich nicht", erwiderte Rafa mit einem Lächeln in der Stimme.
"Wieso, was gibt es denn da nicht zu verstehen?" gab Tyra zurück. "Außerdem hast du mich nicht eingeladen."
"Zum Geburtstag lädt man niemals ein."
Tyra verwies darauf, daß Rafa zwei gemeinsame Bekannte sehr wohl eingeladen hatte.
"Die wußten ja auch nicht, wann ich Geburtstag habe", rechtfertigte sich Rafa. "Aber du weißt das."
"Dein Tonfall am Telefon klang nicht so, als wenn du mich sehen wolltest."
"Also, wenn du jetzt nur 'rumnerven willst, lassen wir das lieber ganz."
"Ach so, erst lädst du mich ein, und dann lädst du mich wieder aus."
"Wie wäre es denn, wenn du jetzt bei mir vorbeikommen würdest?"
"Jetzt? Um diese Zeit?"
"Nein, ich wollte nur sagen", wurde Rafa lauter und wirkte hektisch und gekränkt, "wenn dir zu Hause die Decke auf den Kopf fallen sollte, daß du dann ruhig mal vorbeischauen kannst."
Tyra entgegnete, sie wisse nicht, was sie davon halten solle, und außerdem sei es mitten in der Nacht.
"Hast du Lust, ein bißchen Werbung zu machen?" fragte Rafa.
Tyra sagte zu, für die nächste Party im "Keller" Flyer zu verteilen. Dann beendete sie das Gespräch.
Im Bett wischte sie sich zwei Tränen aus den Augen und schlief ein.
Morgens um fünf Uhr klingelte es. Tyra dachte, es sei ihr neuer Freund Bruce. Sie öffnete lächelnd die Tür, und ihr Lächeln erstarb, als Rafa dastand. Sie bat ihn herein. Rafa hatte die Werbung für die Party im "Keller" nicht mitgebracht, weil diese noch gar nicht gedruckt war. Stattdessen hatte er Computerprogramme für Tyra dabei, und er bot ihr an:
"Wenn du du anfängst, Musik zu machen, kannst du dich immer an mich wenden, und wenn du Computerspiele und Videospiele brauchst und wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich immer an mich wenden."
Er installierte auf Tyras Rechner Computerspiele für den C64, die sie sich gewünscht hatte. Dann setzte er sich auf einen Stuhl. Tyra legte sich wieder ins Bett. Rafa setzte sich auf die Bettkante und reparierte einen Wecker, der ihm kaputtgegangen war. Dann schaute er Tyra an, als wenn er etwas Besonderes von ihr wollte.
"Guck' mal, ich hab' eine neue Lampe", versuchte Tyra ihn abzulenken.
Rafa blickte auf, sah die Lampe und erkundigte sich:
"Woher hast du die?"
"Von einem Kumpel."
"Wer hat die dir denn angebracht?"
"Ein Kumpel."
"So, ein Kumpel", ahmte er sie nach, voller Eifersucht und Argwohn. "Hast 'n Freund?"
"Ja."
Rafas Gesichtszüge entglitten ihm. Er stand auf, verließ Tyras Wohnung und warf die Tür so heftig ins Schloß, daß die Klinke abfiel. Gleich darauf kam er zurück und entschuldigte sich: er habe da etwas kaputtgemacht. Gemeinsam schraubten Tyra und Rafa die Klinke wieder an. Danach ging Rafa heim.
Abends war Tyra mit Lani und Ivco im "Keller". Rafa meldete sich auf Tyras Handy. Tyra fragte ihn, was es gebe. Er fragte sie, ob sie Zeit habe - wegen der Werbung für die Party. Tyra bejahte und schlug vor, er könne zu ihr in den "Keller" kommen und ihr die Poster und Flyer bringen. Rafa erschien jedoch nicht.
Um zwei Uhr nachts klingelte Rafa bei Tyra, und sie ließ ihn herein. Als er feststellte, daß jemand in Tyras Bett lag, schlug er vor, daß Tyra und er in die Küche gingen. Dort sagte er:
"Ich wußte ja nicht, daß dein Freund hier ist."
"Das ist doch meine Schwester", erwiderte Tyra.
"Ach so", kam es von Rafa.
"Dir geht es doch nicht gut, oder?" zeigte Tyra sich besorgt. "Irgendwas ist doch."
"Nein, da ist nichts."
"Aber ich sehe doch, daß da was ist."
"Nein, da ist nichts."
Als Rafa die Wohnung verließ, fiel wieder die Klinke von der Tür ab.
Tyra hat inzwischen neue Schrauben besorgt.
Rafa scheint sich die Rechte eines Paschas herauszunehmen. Er soll trotz seiner Beziehung mit Darienne eifersüchtig sein auf jeden Mann, dem Tyra sich annähert. Als er in Tyras Wohnung ein weißes Plüschkaninchen mit rotem Herz mit der Aufschrift "I love you" entdeckte, forschte er sogleich:
"Von wem ist das?"
Tyra erklärte ihm, daß sie das Kaninchen von ihrem langjährigen Bekannten Aiden geschenkt bekommen hat.
Aiden verehrt Tyra, doch laut eigener Aussage stört es ihn nicht, daß Tyra sich bisher nicht für ihn entschieden hat. Er behauptet, ihre Unerreichbarkeit mache sie für ihn noch attraktiver. Aiden half Tyra sogar dabei, mit Bruce zusammenzukommen. Aiden und Bruce sind eng befreundet.
Was Tyra an ihrer Beziehung mit Rafa nicht gefällt, ist die Unausgewogenheit. Sie hat den Eindruck, daß Rafa von ihr wesentlich mehr bekommt und sich wesentlich mehr herausnimmt, als er ihr zu geben bereit ist. Er erwarte von ihr wesentlich mehr Rücksicht auf seine Bedürfnisse, als er Rücksicht auf die ihrigen nehme. Tyra erinnerte sich, daß Rafa sie vor längerer Zeit nachts anrief und sie bat, ihm etwas aus der Apotheke zu holen, weil er krank war. Sie brachte ihm sogleich das Gewünschte. Immer sei sie für ihn da gewesen, jahrelang. Doch als sie ihn einmal gebraucht habe, habe er keine Veranlassung gesehen, ihr zu helfen. Damals sei er noch mit Berenice zusammen gewesen. Es sei an einem Wochenende gewesen. Rafa habe die Wochenenden immer für Berenice reserviert, während er innerhalb der Woche auf Tyra zurückgriff. So hatte er an jedem Tag der Woche eine Frau zur Verfügung.
An jenem Wochenende nun war Tyra mit zwei Freundinnen unterwegs gewesen. Betrunken stieg Tyra mitten in der Nacht aufs Fahrrad, fuhr aufs Geratewohl los und stellte schließlich fest, daß sie sich auf dem Weg zu Rafa befand. Sie rief ihn an und teilte mit:
"Rafa, ich bin gerade auf dem Weg zu dir. Ich kann dich ja mal eben besuchen."
"Das geht nicht", wehrte er ab.
Da fiel Tyra ein, daß Berenice bei ihm sein mußte, weil Wochenende war. Sie war wütend, weil es Rafa nicht zu stören schien, daß sie betrunken und allein durch die Nacht fuhr. Am Montag danach versuchte Rafa sechzehnmal, sie telefonisch zu erreichen. Sie ging jedoch nicht ans Telefon und bat ihre Mutter, sie zu verleugnen. Das tat die Mutter auch.
"Tyra ist am Samstag ganz allein nachts durch die Gegend gefahren", erzählte Rafa der Mutter. "Und jetzt kann ich die nicht erreichen!"
Am Dienstag ging Tyra endlich ans Telefon.
"Was ist denn mit dir los?" wollte Rafa wissen. "Ich habe mir voll die Sorgen um dich gemacht."
"Am Samstag hast du dir jedenfalls keine gemacht", hielt sie ihm vor.
"Doch, doch", wand sich Rafa, "aber ich hatte da keine Zeit!"
"Der wollte doch bloß seine zwei Eisen im Feuer behalten", deutete ich. "Deshalb wollte er auch nicht, daß ihr euch begegnet, Berenice und du. Er hat nur sich gesehen. Deine Belange waren für ihn nicht wichtig. Für Rafa gilt das Prinzip: 'Erst ich und dann die anderen.'"
"Das stimmt wirklich", meinte Tyra. "Rafa mag ja auch das Lied gerne: 'Erst komm' ich, und dann kommst du.'"
"Mit der Haltung bleibt Rafa natürlich einsam. Christliche Werte scheinen für ihn nicht viel zu gelten. An die zehn Gebote hält er sich nicht."
"Nein, er nicht. Aber er legt großen Wert darauf, daß die anderen sich daran halten."
"Dann mißt er mit zweierlei Maß. Das ist nicht christlich."
"Rafa glaubt nicht an Gott, sondern nur an eine höhere Macht."
Tyra berichtete, am vergangenen Freitag sei Rafa morgens gegen acht Uhr von Darienne abgeholt worden. Sie habe Rafa mit dem Auto ihrer Eltern abgeholt. Rafa lasse sich gern von anderen Leuten abholen, wenn es ihm schlecht gehe. Er habe auch Tyra schon gebeten, ihn abzuholen. Tyra sei mit ihm zu Lani gefahren. Rafa habe dort übernachten dürfen. Tyra erzählte, sie habe ab und zu in Rafas Keller übernachtet, während er oben in seinem Kinderzimmer schlief. Tyra betonte, sie habe nie etwas mit Rafa gehabt. Dennoch habe Rafa es immer abgelehnt, Berenice und Tyra miteinander bekannt zu machen.
Tyra erinnerte sich an die Nacht im "Byzanz" vor einem Jahr. Damals hatte Rafa bereits damit begonnen, sich an Darienne heranzumachen, deutete nun jedoch an, Tyra als Freundin haben zu wollen. Sie machte zur Bedingung, daß er sich keine weiteren Freundinnen hielt. Rafa sagte nichts dazu, verlieh aber seinem Unmut über meine Anwesenheit Ausdruck:
"Ähhh ... Elobe ist da."
Rafa bemängelte, daß Tyra sich mit mir unterhielt:
"Was redest du mit der?"
"Ich mag schlaue Menschen."
"Ich mag auch schlaue Menschen", krächzte Rafa. "Aber wieso muß die das jetzt sein?"
Tyra ließ sich davon nicht beeindrucken. Kurz darauf fuhr Rafa fort, Tyra zu umwerben, und er küßte sie auch. Zwischendurch sagte Tyra zu Rafa:
"Ich lasse euch jetzt allein, dann kannst du das mit ihr ausmachen."
Sie zog sich zurück und beobachtete, daß ich Rafa über den Rücken streichelte.
"Ich bin nicht eifersüchtig", sagte Tyra zu sich selbst. "Ich habe eigentlich keinen Grund dafür."
Immerhin hätte ich ihr nichts getan und stets die Regeln der Höflichkeit eingehalten. So habe sie den Kontakt zugelassen und allmählich Vergnügen daran gefunden.
Tyra wurde eine Woche später von Darius gewarnt, daß Rafa mit Darienne etwas anfangen wollte. Rafa gab sich Mühe, dieses Gerücht zu entkräften, indem er sich mehr und mehr mit Tyra befaßte. In der ersten Februarwoche des vergangenen Jahres sahen Tyra und Rafa sich fast täglich.
"Wir beide haben echt so einen Super-Start miteinander", schwärmte Rafa, "das kann echt so eine tolle Beziehung werden."
Wenig später meinte Rafa, sie hätten sich jetzt so oft gesehen, daß er etwas Zeit für sich selbst brauche. Eine Woche lang sahen sie sich nicht. Tyra zeigte sich verständnisvoll - bis sie erkannte, wozu Rafa die Zeit genutzt hatte, die er angeblich für sich selbst brauchte: er traf sich mit Darienne. Das war in der Woche vor der Tanzveranstaltung im "Keller".
Ich schilderte Rafas widersprüchliches Verhalten mir gegenüber. Tyra erzählte, Rafa habe sich ihr gegenüber ähnlich verhalten: immer dann, wenn es gerade besonders harmonisch zwischen ihnen gewesen sei, habe Rafa das Weite gesucht.
Rafa soll öfters über mich reden. Er werfe mir vor, lauter falsche Sachen über ihn zu verbreiten.
"Wenn ich etwas über ihn verbreite, dann ist es die Wahrheit", sagte ich dazu. "Und mit der steht er halt nicht auf gutem Fuß."
"Ich glaube, Rafa liest heimlich deine Geschichte."
"Das glaube ich nicht", meinte ich. "Das kann ich mir nicht vorstellen. Er hat gesagt, er hat Angst vor mir, und er hat Angst vor meiner Internet-Seite."
"Was für eine Offenbarung", meinte Tyra, "daß er das zugegeben hat."
"Ja, aber es ändert doch an seinem Verhalten nichts. Solche Offenbarungen ändern nichts, sie bewirken nichts. Es bleibt dabei: Es gibt niemanden, den Rafa so sehr haßt wie mich."
"Doch - sich selber. Und wenn er dich nicht hassen würde, würde er sich noch viel mehr hassen."
"Das ist es ja", nickte ich. "Er leitet seinen Selbsthaß an mir ab. Es gibt zwei Menschen, mit denen Rafa nie im Leben etwas zu tun haben will: das ist er selber, und das bin ich. Mit uns beiden will Rafa nie im Leben etwas zu tun haben. Das kann daran liegen, daß Rafa mit Gefühlen nichts zu tun haben will."
Tyra erzählte, Rafa habe den Anspruch, seine Musik müsse immer ganz gefühlsfrei sein. Inhalt dürfe es nur in den Texten geben.
"Ja, gefühlsfrei", konnte ich bestätigen, "und vor allem manchmal peinlich."
Als ich erzählte, daß Rafa schon einige Male mit offenem Hosenstall auf der Bühne stand, konnte Tyra beisteuern, sie habe auch schon erlebt, daß Rafa mit offenem Hosenstall auf die Bühne gehen wollte. In der Pause zwischen zwei Liedern habe sie ihn darauf hingewiesen. Er habe schroff entgegnet:
"Was sülzt du mich denn so voll?"
Nach dem Lied wiederholte Tyra den Hinweis, daß sein Hosenstall offen sei.
"Oh", machte er, als er feststellte, daß sie recht hatte.
Er zog den Reißverschluß zu.
"Das hättest du auch schon ein Lied eher haben können", merkte Tyra an. "Da hättest du dich weniger lange blamiert."
Tyra und ich unterhielten uns über Rafas Kleidung. Ich meinte, Rafas Bühnen-Outfit sei unerträglich langweilig. Er sollte lieber im durchsichtigen schwarzen T-Shirt auftreten, dann hätte man wenigstens etwas zu gucken. Tyra erzählte, Rafa besitze tatsächlich ein durchsichtiges schwarzes T-Shirt, das sei aber so eng, daß er sich darin kaum bewegen könne. Übrigens stimme es, daß Rafa unter seinem langen schwarzen Rock nichts anzieht, es sei denn, es gibt Frost.
Tyra erzählte, daß Rafa manchmal auf den Sockenschuß zu sprechen kommt, der mich von 1988 bis 1993 im Liebeswahn verfolgt hat. Rafa sage über den Sockenschuß, der sei genauso, wie er heiße. Ich erzählte, daß Rafa den Sockenschuß im Sommer 1993 für mich unschädlich gemacht hat.
"Was für ein Liebesbeweis", staunte Tyra.
Sie hatte bisher nicht gewußt, daß Rafa es war, der mich von dem Sockenschuß befreit hat. Immerhin hat Rafa ihr erzählt, daß er mich 1994 an dem kriminellen Türsteher Lennart Brehler vorbei ins "Nachtlicht" geschleust hat.
"Rafa hat es überhaupt nicht vertragen, daß ich mich bedankt habe", sagte ich.
"Ja, sowas kann er nicht leiden", bestätigte Tyra.
Tyra erzählte, daß Rafas Mutter nicht mehr im Reisebüro arbeitet.
"Das ist klar, sie ist ja auch längst im Rentenalter", wußte ich. "Sie ist Jahrgang 1934."
Tyra begegnet Rafas Mutter manchmal auf der Straße. Sie grüßt dann freundlich:
"Na, hallo, Tyra, wie geht's?"
"Irgendwann habe ich eine Wut auf Rafas Mutter entwickelt", gestand Tyra, "weil mir aufgefallen ist, daß sie zu allen Mädchen, die Rafa anschleppt, gleich freundlich ist - und weil es ihr anscheinend völlig egal ist, was Rafa mit den Mädchen macht und was er überhaupt mit seinem Leben macht."
Tyra äußerte die Absicht, irgendwann aus ihren Erlebnissen mit Rafa ein Buch zu machen.
"Mach' es", riet ich. "Das kann sich mit 'Im Netz' ergänzen."
Ivon gesellte sich zu uns, später auch Aiden. Aiden erzählte von seinem Camping-Urlaub mit Bruce auf Fehmarn. Im dortigen Supermarkt seien fast keine Mittel gegen die Mückenplage mehr zu haben gewesen außer zwei Sprühflaschen mit einer sehr giftig aussehenden Substanz, einer "chemischen Keule" aus der Produktion der ehemaligen DDR. Nur dieses Mittel sei in der Lage, etwas gegen die Mücken von Fehmarn auszurichten. Aiden und Bruce setzten sich ins Zelt, und die Mücken kamen herein. Als das Gift versprüht wurde, flogen sie eilig wieder nach draußen. Eine kam noch, die entfernte sich aber schon nach einem kurzen Sprühstoß wieder. Erst allmählich wurde Aiden und Bruce bewußt, warum die Mücken sich so sehr beeilten, das Zelt zu verlassen. Dort breitete sich nämlich ein beißender, die Atemwege verätzender Gestank aus. Aiden und Bruce mußten ebenfalls aus dem Zelt fliehen. Sie beschlossen allerdings, sich an den Gestank zu gewöhnen. Die Mücken wagten sich nicht mehr in das Zelt zurück und nahmen schon Reißaus, wenn sie nur die Flasche mit dem Gift erblickten.
Am Donnerstag war ich in der "Spieluhr". Les legte auf. Unter anderem spielte er "Hammer" von Boob, "04.08" von Störfunk und "Vater unser" von Combichrist.
Joujou berichtete, Darienne habe sich bei einer Schauspielschule beworben und habe in zwei oder drei Wochen das Vorstellungsgespräch.
"Die hat kein Talent", meinte ich. "Die hat keinen Ausdruck, kein Charisma. Wenn es nur darum geht, eine Rolle in einer Serie zu besetzen, wo sie nur dekorativ aussehen muß und sonst nichts, dann könnte sie genommen werden, aber wenn es darum geht, wirklich zu schauspielern, hat sie keine Chance."
Joujou kann sich nicht vorstellen, für Rafa auf der Bühne zu stehen.
"Da muß man immer top aussehen", meinte sie, "und das wäre mir zuviel."
"Mit einer Rolle, wie Rafa sie den Frauen auf der Bühne zuweist, wäre ich nicht zufrieden", sagte ich dazu. "Mir würde es nicht ausreichen, nur dazustehen und auf irgendein Schlagzeug einzuhauen."
Joujou erzählte, in früheren Beziehungen sei Darienne der dominante Part gewesen. Sie könne nicht verstehen, weshalb Darienne sich Rafa gegenüber so devot verhalte.
"Wahrscheinlich hat er Dariennes Schwachstelle erwischt", vermutete ich. "Jeder hat irgendwo eine Sollbruchstelle."
Joujou findet, daß Rafa schon ziemlich verbraucht wirkt. Außerdem lasse seine Kreativität mehr und mehr nach. Sie merke das daran, daß sein Stil sich nicht weiterentwickelt. Was er mache, sei immer dasselbe.
Immerhin läßt Rafa sich von Joujou Industrial- und Elektro-Stücke brennen, um als DJ seinem Publikum ein abwechslungsreiches Programm zu bieten.



Am Samstagabend brachte ich Derek sein Geburtstagsgeschenk, den von ihm gewünschten Zehn-Euro-Schein, verpackt in einer roten Schmuckschatulle. Derek riet, ich solle mir jetzt einen neuen Fernseher kaufen, die seien günstig zu haben.
"Du kaufst mir einen Fernseher", sagte Constri zu Derek. "Von dir kriege ich ja sowieso noch ein zünftiges Abschiedsgeschenk."
"Bist du bescheuert, wo willst du den denn noch hinstellen?" fragte Derek.
"Na, ich hab' doch jetzt Platz", entgegnete Constri. "Der Mann ist weg, der Platz ist da."
"He, ich krieg' fünfhundert Euro im Monat, wie soll ich da noch 169 Euro für einen Fernseher ausgeben?"
"Oh, ich nehm' auch deinen", sagte Constri großmütig.
Derek will sich mit Ray eine Wohnung nehmen, die wenige Straßen von Constris Wohnung entfernt liegt.
Nachts war ich im "Keller". Vorne im Schankraum begrüßte ich Ceno und Ivco. Dann kam mir W.O.L.F. mit ausgebreiteten Armen entgegen, und wir begrüßten uns stürmisch.
"Na, Große?" sagte er.
"Na, Kleiner?" sagte ich.
"Na, Große?"
"Na, Kleiner?"
Während ich meinen Mantel auf eine Bank legte, erschien Rafa und redete mit Ivco. Ich sah zu den beiden hinüber. Rafa trug ein weißes Rüschenhemd, eine Uniformjacke - und keine Brille. Er hatte mich vermutlich entdeckt, war aber stets bemüht, mir nicht in die Augen zu sehen. Rafa wurde von mir im Vorbeigehen am Rücken gestreichelt.
Ich trug eine Corsage in kühlem Graurosé, den langen Tüllrock in Dunkelrot und Schwarz, das dunkelrote kurzärmelige Samtbolero mit rosalila Pailletten, die langen schwarzen Abendhandschuhe und die Frisur mit den langen Kunsthaarzöpfchen.
An der Theke begrüßte mich die Schwedin, mit der ich mich im Backstage des "Megamarkt" unterhalten habe, als Rafa dort im Oktober ein Konzert gab.
Hinten im Tanzraum traf ich Cyris, die freundlich lächelte und dankbar schien, weil ich mit ihr nicht über Rafa redete, sondern nur über alles mögliche andere. Cyris erzählte, daß sie nach ihrem Biologiestudium in OL. eine Doktorandenstelle bekommen hat. Weil der Bus so teuer sei, sei sie kürzlich bei klirrender Kälte mit dem Fahrrad zwanzig Kilometer zur Arbeit gefahren. Demnächst möchte sie sich eine Monatskarte kaufen.
Mitten im Tanzraum stand Darienne, bemalt wie ein Tuschkasten und beklebt mit mehreren Lagen überlanger künstlicher Wimpern. Im Dutt trug sie rosa Plastikblümchen. Das restliche Outfit war schlicht und kindlich. Darienne hatte eine enge Hose und Turnschuhe an.
Rafa befaßte sich kaum mit Darienne. Anwar übernahm die Rolle ihres Kavaliers und blieb die ganze Nacht an ihrer Seite. Vielleicht hatte Rafa ihm die Aufgabe übertragen, Darienne bei Laune zu halten. Darienne wirkte jedenfalls gut gelaunt und schien sich Mühe zu geben, diesen Eindruck aufrechtzuerhalten.
Dolf war auch im "Keller", ich sah ihn aber nicht mit Rafa sprechen.
Die Bühne war dort aufgebaut, wo sonst das DJ-Pult steht, am hinteren Ende des Tanzraums. Vor der Bühne traf ich Tyra. Während ich mit ihr sprach, stellte Rafa sich neben mich und piekte Tyra in den Bauch. Als sie sich ihm zuwandte, begrüßte er sie mit:
"Servus."
Ich streichelte Rafas Arm und kraulte ihm den Rücken. Rafa lief zur Bühne und kümmerte sich um die Technik für den Auftritt der ersten Band, System.
Darienne ging auf Tyra zu und gab ihr eine Haarspange. Ein Mädchen hatte Darienne in KS. diese Haarspange für Tyra gegeben. Darienne wirkte Tyra gegenüber betont höflich.
Rafa half der Band System beim Aufbauen. W.O.L.F. und ich standen vorne und schauten zu. W.O.L.F. meinte:
"Es kommt darauf an, wofür man sich entscheidet - Aussehen oder Charakter."
"Der Charakter ist schlecht", sagte ich mit einem Blick auf Rafa, "und auf das Aussehen kommt es mir nicht an; es ist also noch etwas anderes, das sich unserer Kenntnis entzieht. Rafa merkt jedenfalls nicht, daß ich ihn liebe. Der sieht sich nur von Haß umgeben. Er ist paranoid."
Xenon meinte, System seien so gut wie Kraftwerk. Verglichen mit System, könne man W.E glatt vergessen.
Rafa machte die Zwischenansagen. Über System sagte er in Entertainer-Manier durchs Mikrophon:
"Wenn ich richtig liege, ist das die erste Band aus Skandinavien, die jemals in SHG. aufgetreten ist. Und so kann ich mit Sicherheit sagen, daß das auch die beste Band ist, die jemals in SHG. aufgetreten ist. Applaus für System!"
Die Musiker trugen Arztkittel - die bei Musikern anscheinend groß in Mode sind - und nannten sich "Herr A." und "Herr B." Die Videos fand ich ansprechend. Es waren Computeranimationen. Die Musik fand ich eingängig, die Musiker sympathisch.
W.O.L.F. filmte die Konzerte und zwischendurch das Publikum.
Rafa saß links vor der Bühne auf einer Bank und regelte das Licht. Darienne stellte sich zwischen Rafa und mich. Später setzte sie sich neben Rafa, ließ aber zwischen ihm und sich einen Platz frei. Dort setzte sich Xenon und später Anwar. Rafa stand mehrmals von seinem Platz auf und lief an mir vorbei, so daß ich ihn noch öfter streicheln konnte.
Es war auffällig, daß Rafa so häufig in meine Nähe kam und daß ich so häufig die Gelegenheit hatte, ihn zu streicheln. Zuletzt hatte ich im Oktober im "Zone" so häufig die Gelegenheit. Damals regte Rafa sich auf und schleuderte mir seinen grenzenlosen Haß entgegen. Dieses Mal aber nahm er alles hin und tat, als sei nichts geschehen.
Tyra erzählte, daß Rafa versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören - allerdings vergeblich. Heute rauchte er sehr viel. Manchmal kniff er die Augen zusammen, als wenn ihn irgendetwas beschäftigte.
Nach dem Konzert von System stellte Rafa sich in meine Nähe, so daß ich ausführlich an seinem Rücken entlangstreicheln und ihn kraulen konnte. Darienne tuschelte mit Anwar.
Weil Tyra am nächsten Morgen arbeiten mußte - sie hat Schichtdienst in einem Behindertenheim, wo sie ein Praktikum macht -, fuhr ich sie nach Hause. Auf dem Weg durch den Schankraum kam ich an Rafa vorbei und schob mich an ihm entlang, wie er es schon öfter mit mir gemacht hat, nur nicht so heftig, wie er es zu tun pflegt.
Im Schankraum war ein Merchandize-Tisch aufgebaut. Ein Junge mit Pferdeschwanz betreute ihn, der begrüßte mich freundlich, wollte mir aber seinen Namen nicht verraten. Ich vermutete, daß es Wave war; ich kann mir aber Gesichter schlecht merken. Schließlich behauptete der Junge, er heiße Max, und das glaubte ich ihm nicht. Er meinte, ich solle Tyra fragen, die wisse es. Sie wußte es aber auch nicht, denn zu ihr hatte er ebenfalls gesagt, er heiße Max. Und das glaubte ich ja nicht.
Im Auto fragte mich Tyra, was ich für einen Eindruck von Rafa hatte. Ich antwortete:
"Auf mich wirkt er wie ein Mensch, der keinen Kontakt zu seinen Gefühlen hat. Er spürt sich nicht. Er merkt nicht, was in ihm vorgeht. Er ist blind und taub."
"Auf mich wirkt er tieftraurig", erzählte Tyra. "Dem geht es richtig schlecht. Er klagt in letzter Zeit immer öfter über 'Weltschmerz', das ist sein Ausdruck für 'Depressionen'."
In der vergangenen Nacht hatte Rafa achtmal versucht, Tyra anzurufen. Sie hatte jedoch ihr Handy ausgeschaltet.
"Der ruft dich achtmal nachts an", wunderte ich mich, "obwohl er doch Darienne hat. Wie paßt das zusammen?"
Tyra vermutete, daß Rafa sich inzwischen seltener mit Darienne trifft.
Als wir uns dem Haus näherten, wo Tyra im ersten Stock ihre Wohnung hat, zeigte sie mir ihr Küchenfenster und staunte:
"Guck' mal, Bruce hat mir eine Kerze ins Fenster gestellt."
Sie genieße es, daß Bruce sich so um sie kümmere.
"Der sagt mir andauernd, wie toll ich bin", freute sie sich. "Das tut so gut, nachdem ich mir immerzu anhören mußte, wie schlecht ich bin."
Vor dem Haus fuhr ich auf den Parkplatz eines Getränkehandels. Tyra erzählte, sie wolle gern am Dienstag zu Constris Diplom-Präsentation kommen, wisse aber nicht, ob sie Bruce mitlocken könne, weil dieser so menschenscheu sei. Als Tyra ausgestiegen war und zum Haus ging, erschien Bruce am Fenster. Ich winkte ihm zu, und er winkte zurück. Dann fuhr ich wieder zum "Keller".
Als File not found auftraten, standen W.O.L.F. und ich wieder vorne. Rafa half beim Aufbauen und lief einmal mehr so dicht vor mir entlang, daß ich bequem und ausführlich seinen Rücken streicheln konnte. Einmal, als Rafa auf der Bühne am Mischpult bastelte, trafen sich unsere Blicke; er schaute aber gleich wieder weg.
Maylin erkundigte sich, wie es mir ging.
"Wie immer", antwortete ich. "Krankhaft optimistisch. Solange ich Stroh zu Gold spinnen kann, geht's noch."
Zu W.O.L.F. sagte ich mit einem Blick auf Rafa:
"Solange ich das Stroh in den Köpfen der Menschen zu Gold spinnen kann, geht's noch."
Als das Konzert begann, übernahm Xenon die Steuerung des Lichts, und Rafa setzte sich neben ihn auf die Bank. Darienne sah ich dort nicht. Rafa blieb nur etwa zehn Minuten auf seinem Platz, dann ging er weg, und ich sah ihn während des Konzerts nicht mehr.
File not found hatten allerlei elektronisches Spielzeug auf der Bühne: einen zum Saiteninstrument umgebauten C64, einen Kinder-Kassettenrekorder, ein kleines elektronisches Piano und einen historischen Sprachsynthesizer, dessen Sound mich an das erinnerte, was Tron bei der "Salix" mit einem Sprach-Programm gemacht hat. Je nachdem, welche Taste man drückte - und W.O.L.F. und ich drückten auch einige Tasten - hörte man:
"Alle ... kaputt ... alle ... schwarz ... alle ... krank ..."
Diese Wörter gehören zu dem Stück "Schwarz". Vor allem Ivco zeigte sich hell begeistert von File not found. Er ließ sich eine CD signieren. Zuletzt waren nur noch wenige Zuschauer da, mit denen die Band regelrecht abfeierte. Die Jungs von File not found sagten später an der Theke, es seien zwar viel zu wenig Leute da gewesen, aber Spaß gemacht habe es, und allein darum habe sich das Konzert schon gelohnt.
Hinten im Schankraum, nahe des Durchgangs zum Tanzraum, setzte ich mich neben W.O.L.F. auf eine Bank. W.O.L.F. kraulte mich im Genick und fragte, ob mir das gefalle.
"Irgendwo auch", antwortete ich. "Ich kann mir halt nicht aussuchen, wen ich liebe. Und ich will niemanden belügen, indem ich ihm vorgaukle, daß ich ihn liebe."
"Aber du mußt doch mal glücklich sein", meinte W.O.L.F. "Du mußt doch mal einsehen, daß das mit Rafa keinen Sinn hat."
"Das hatte nie einen Sinn", war ich sicher, "von Anfang an nicht."
"Aber dann mußt du dich doch endlich mal von Rafa lösen."
"Das Wichtigste ist für mich, daß ich mit mir selbst im Reinen bin", erklärte ich, "und das heißt für mich, daß ich meine Gefühle nicht verleugne. Und ich kann nun einmal nichts dafür, daß ich Rafa liebe - der mich überhaupt nicht verdient hat."
"Nein, für Liebe kann man nichts", bestätigte W.O.L.F. "Und Gefühle kann man nicht ändern, man kann sie nur verdrängen."
"Eben, und ich verdränge sie nicht, denn dann würde ich mir selbst gegenüber unehrlich sein, und das kommt für mich nicht in Frage." "Mensch, du kannst fast jeden haben", meinte W.O.L.F. "Da muß doch mal einer für dich dabei sein."
W.O.L.F. berichtete, daß es ihm inzwischen besser geht und daß er keine Selbstmordgedanken mehr hat, seit er eine Freundin hat. Es sei ein anderes Mädchen als das, welches er im letzten Herbst ansteuerte.
"Ich hoffe, daß das mit euch gut wird und lange hält", sagte ich.
"Rafa ändert sich nicht", war W.O.L.F. sicher. "Er würde sich auch nicht ändern, wenn ihr zuammenwärt."
"Stimmt, er ändert sich nicht", sagte ich mit Nachdruck. "Es gibt nichts, wodurch er sich ändern könnte."
Rafa kam aus dem Tanzraum und stellte sich in unserer Nähe an die Theke.
"Er ist egozentrisch und asozial", fuhr ich fort. "Er betrügt alle, quer durch den Garten. Er betrügt jede mit jeder."
Rafa ging langsam an uns vorbei und wieder dorthin, wo die Herren von File not found standen.
"Er hat kein Gewissen", setzte ich hinzu, "keine Moral und kein Verantwortungsgefühl."
Wieviel Rafa davon mitbekommen hat, kann ich nicht beurteilen.
"Wenn du mit dem zusammenwärst, würde er dich genauso schlagen wie die Berenice", sagte W.O.L.F. mit bedenklicher Miene. "Und Gewalt hat niemand verdient."
"Da hast du vollkommen recht", nickte ich. "Gewalt hat niemand verdient."
"Du hast was Besseres verdient als Rafa."
"Da hast du recht."
"Du brauchst einen Mann, der zuverlässig ist und Verantwortung übernimmt."
"Da hast du vollkommen recht."
"Also, was willst du da noch mit Rafa?"
"Der Charakter ist schlecht", sagte ich und betrachtete Rafa, der zehn Schritt entfernt an der Theke stand und sich immer noch mit den Herren von File not found unterhielt. "Auf das Aussehen kommt es nicht an, also ist es etwas anderes, was unabhängig ist von Aussehen und Charakter."
W.O.L.F. versuchte weiter, mich zu überzeugen, daß Liebe endlich sei und das die Menschen, die man liebt, austauschbar seien.
Rafa ging an uns vorbei, so dicht, daß ich sein Bein streicheln konnte, und stellte sich in unserer Nähe an die Theke. W.O.L.F. fiel auf, daß seine Zigaretten alle waren.
"Frag' Rafa", riet ich, "der hat welche."
"Der mag mich nicht."
"Das glaube ich nicht. Probiere es nur aus."
W.O.L.F. ging hin, und wenig später ging Rafa mit einer nicht angezündeten Zigarette im Mund weiter vorne an die Theke. W.O.L.F. bekam eine Zigarette von Bibian und erzählte mir, daß Rafa selbst keine Zigaretten mehr hatte.
Der Junge mit dem Pferdeschwanz gesellte sich zu uns, der behauptet hatte, Max zu heißen. Ich fragte W.O.L.F., wie er wirklich hieß, und der sagte mir, daß es sich um Wave handelte. Wave guckte mich mit großen Augen an und schien zu erwarten, daß ich ihm die kalte Schulter zeigte. Er erzählte, Tron habe ihm gesagt, daß ich ihn nicht besonders leiden könne. Ich erklärte, daß mich der Unsinn, der in Foren gepostet wird, wenig kümmert und daß ich mich erkundigen wollte, wie es ihm ging und wo seine Freundin Shannon steckte. Wave erzählte, daß sie krank sei und außerdem für ihr Studium lernen müsse, daher habe sie heute nicht mitkommen können.
Als ich an einen Rost stieß, der einem Heizkörper aufsaß und nun herunterfiel, riefen Wave und W.O.L.F. immer wieder im Chor:
"Hast du kaputtgemacht! Hast du kaputtgemacht!"
Auf diese Weise hielten sie eine lebhafte Kommunikation aufrecht. Ich lernte die beiden Mädchen kennen, die sie heute mit hierhergenommen hatten - als Ersatz für die Freundinnen, die verhindert waren -, und ich erfuhr auch, was es mit Max auf sich hatte. Max ist ein Pferd aus DD. Es ist verschwunden, deshalb gab es in der lokalen Presse viel Wirbel. Jeder hatte eine andere Vermutung, wo Max sein könnte - vielleicht längst in der Wurst? Wenn man in DD. und Umgebung auf dem Markt an einem Roßbratwurst-Stand vorbeikommt, kann man die Leute raunen hören:
"Da ist Max!"
Mit einem Stammgast im "Keller" unterhielt ich mich über die Punk-Musik der achtziger Jahre. Ein typisches Beispiel ist "Pogo in der Straßenbahn" von Fasaga mit dem folgenden Text:

Pogo, Pogo, macht kaputt, was vorher unbeschädigt war!
An der nächsten Haltestelle sind die Türen nicht mehr da.
Und so wird in dieser Nacht
die Bahn dem Boden gleichgemacht ...

Ein anderer Titel von Fasaga heißt "Ich hab' kein Gehirn mehr":

Ich hab' kein Gehirn mehr,
mein Kopf ist völlig leer.
Der Doktor hat's entfernt,
doch das merkt keiner sehr.
Du wirst es nicht glauben, aber ich hab' kein Gehirn. Hey! Hey! Hey!
Du wirst es nicht glauben, aber ich hab' kein Gehirn.

Und die im Krankenhaus
räumen mir den Schädel aus.
Keiner merkt den Unterschied,
weil's keiner von außen sieht.
Du wirst es nicht glauben, aber ich hab' kein Gehirn. Hey! Hey! Hey!
Du wirst es nicht glauben, aber ich hab' kein Gehirn.

Mitte der achtziger Jahre haben Constri und ich ein Punk-Konzert nach dem anderen angeschaut. In H. gab es fast jeden Monat eines zu sehen - für einen "Heiermann", also fünf Mark.
Im Tanzraum lief das DJ-Programm. Während ich zu "25 years" von The Catch tanzte, saßen Rafa und Darienne auf der Bank. Anwar überredete Darienne mit einiger Mühe, ihm auf die Tanzfläche zu folgen. Rafa habe ich noch nie mit Darienne tanzen sehen. Gegen halb fünf verließ Rafa mit einem Metallkoffer in der Hand und Darienne im Schlepptau den "Keller". Der DJ spielte als letztes Stück "Vienna" von Ultravox, Ivcos Wunsch. Ivco tanzte dazu mit Minette, das ist eine "Keller"-Tradition.
Bei Ivco gab es Frühstück. Ivco bestätigte auf meine Nachfrage, was Tron mir berichtet hatte, daß Rafa nämlich an seinem Geburtstag ein Plakat an seiner Tür kleben hatte mit einem Foto von mir und darunter dem Satz:
"Wir müssen leider draußen bleiben."
Ivco deutete, Rafa habe mir auf "nette Art" mitteilen wollen, daß er mich nicht zu sehen wünsche.
"Das ist keine 'nette Art'", widersprach ich, "das ist übelste Hetze. Niemand hängt sowas an seine Tür, nur weil er jemanden nicht sehen will. Wer sowas macht, tut das, um Leute gegen jemanden aufzuhetzen."
Ivco wirkte etwas betreten.
Das Foto auf dem Plakat soll Rafa übrigens vor einem Jahr während meiner Karaoke-Show gemacht haben, die ihn so sehr begeisterte.
Für Rafa scheinen Begeisterung, Verehrung, Sehnsucht, Verlangen, Gleichgültigkeit, Paranoia und Haß keinen Widerspruch darzustellen. Er kann mir gegenüber alles empfinden, im Wechsel, kurz hintereinander und parallel. Diese Widersprüchlichkeit kann auf einem inneren Konflikt beruhen. Ein Konflikt ist die Spannung, die entsteht, wenn zwei unvereinbare Ziele gleichzeitig verfolgt werden. Es kann sein, daß Rafa seine eigene Zerrissenheit auf mich überträgt und mich als Projektionsfläche für seinen Konflikt verwendet. Rafas Konflikt könnte etwas mit Vertrauen und Enttäuschung zu tun haben. Geborgenheit kann ohne Vertrauen nicht entstehen. Rafa verbietet sich jedes Vertrauen, weil er nur mit Enttäuschungen rechnet. Er muß also auf Geborgenheit verzichten, obwohl er eigentlich danach sucht. Hierin könnte der Konflikt bestehen.
Ivco hatte W.O.L.F., Wave und ihre Begleiterinnen als Übernachtungsgäste. Ich bekam ein Nachtlager auf dem Sofa gerichtet. Vormittags versammelten sich alle um den Tisch im Eßzimmer, auch Carole mit den Kindern Dina und Lucian. Für die Nachtschwärmer war es das zweite Frühstück.
Wave erinnerte sich an die DDR. Während W.O.L.F. beim Mauerfall erst drei Jahre alt war, war Wave schon sechs und hat die DDR-Zeit noch bewußt miterlebt. Er kennt FDJ-Lieder, die den Kindergartenkindern beigebracht wurden.
Wave hat seinen Vater als lieblos in Erinnerung. Der Vater nahm auf die Bedürfnisse und auch auf die Gesundheit der anderen Familienmitglieder keine Rücksicht. Ihm war nur wichtig, nicht ins Visier der Stasi zu geraten.
Wave erzählte, gestern habe er für Rafa eine FDJ-Platte mitgebracht. Rafa habe sich gefreut und versprochen, er werde sie ihm bald zurückgeben. Wave habe erwidert, die Platte schenke er ihm. Da habe Rafa sich nett bedankt.
Wave merkte an, er sei froh, daß Rafa dieses Mal länger als fünf Minuten mit ihm geredet habe.
Wave meinte, er sei blöd, weil er so viel Geld für W.E-Raritäten ausgebe. Ich entgegnete, es sei eben sein Hobby, und für Hobbies gebe man viel Geld aus und zahle auch Liebhaberpreise.
W.O.L.F. sagte über Darienne:
"Da ist irgendwie nischt dran."
Carole sagte:
"Streichholzbeinchen."
Wave stellte fest:
"Rafa hat immer noch kein Lied über Bulimie gemacht."
Wave erzählte vom vergangenen Nachtmittag. Vor dem Beginn der Veranstaltung im "Keller" halfen Wave, W.O.L.F., ihre Begleiterinnen, Xenon, Rafa und Darienne beim Herrichten des Lokals. Zwischendurch aßen sie bei "McGlutamat". Wave habe Darienne geneckt und sie als "Plastikpuppe" bezeichnet. Da habe Darienne ihm seinen Burger ins Gesicht gedrückt. Seither sei Darienne bei ihm abgemeldet.
Dariennes Aggressivität erstaunt mich immer wieder. Sie verbirgt ihre Regungen hinter mimischer Starre und mehreren Schichten Makeup, doch wenn sie sich ausreichend gekränkt fühlt, bahnen sich ihre Aggressionen einen Weg durch den Panzer und brechen impulsartig hervor.
Das Gespräch am Frühstückstisch kam auf selten gespielte Titel von W.E. "Ganz in Weiß" ist bei vielen Fans beliebt, Rafa spielt es aber seit 1994 nicht mehr live. Ich erinnerte mich an den Auftritt in der "Halle", als Rafa die Bühne mit weiß blühenden Zweigen dekorierte. Ivco erzählte, daß er diese Zweige von den Sträuchern gebrochen hat, weil Rafa ihn beauftragte, möglichst viele weiße Blüten zu besorgen. Ivco wußte, wo er um diese Jahreszeit - es war Juni - weiß blühende Sträucher finden konnte.
Im Gegensatz zu Rafa liest Ivco meinen Online-Roman "Im Netz". Allerdings läßt Ivco die blauviolett markierten Passagen aus, in denen ich Träume erzähle. Er lese die nie, weil er von Träumen nichts halte. Das hat Ivco mit Rafa gemeinsam.
Wenn jemand partout nicht wissen will, was Menschen träumen, scheint er bestimmte Themen vermeiden zu wollen. Vielleicht sind es die Abgründe der menschlichen Natur, die er fürchtet - vielleicht die eigenen Abgründe, das Unausgesprochene, die Tabus. Die Konfrontation damit kann einen Menschen dazu bringen, Lebensentwürfe zu hinterfragen, auch den eigenen.
Mein Kollege Dero erzählte am Telefon, daß seine bisherige Lebensgefährtin Tracy ausgezogen ist. Wenigstens hat Dero Kontakt zu der Tochter, die er mit Tracy hat.
"Ich lasse mich immer wieder übervorteilen", seufzte er.
An meinem Geburtstag empfing ich meinen Vater zum Frühstück und war mittags bei meiner Mutter. Sie hütete Denise bis zu Constris Diplom-Präsentation. Denise zeigte mir ihre Spielsachen. Sie spricht schon verständlich in ganzen Sätzen. Einige Wörter kann sie noch nicht richtig aussprechen. Statt "Luftballon" sagte sie zuerst "Littabaume", jetzt sagt sie "Luftabaume".
"Littabaume" hat Constri ihre Diplomarbeit genannt, die davon handelt, wie sie Denise bekommen hat und wie sich ihre Liebe zu dem Kind entwickelt hat. Da sie heute nachmittag ihre Diplomarbeit präsentieren sollte, hatte sie keine Zeit, mit mir Geburtstag zu feiern. Sie hatte in der vergangenen Nacht nicht geschlafen, nur ununterbrochen an ihrer Präsentation gearbeitet. Nachmittags holte ich Tyra vom Zug ab. Danach holten wir Merle und Elaine ab. Tyra erzählte, sie sei aufgeregt und erschöpft, weil sie vorhin eine E-Mail an Berenice geschrieben habe. Berenice habe ihr gemailt, sie habe wegen Rafa noch viel aufzuarbeiten, obwohl sie seit mehr als einem Jahr von ihm getrennt sei. Tyra meinte, auch sie selbst habe noch viel aufzuarbeiten. Ihr Verhältnis zu Rafa belaste sie sehr.
"Das geht vielen Frauen so, die mit Rafa zu tun hatten, daß die danach viel aufarbeiten müssen", meinte Tyra. "Warum hat Rafa bloß so eine Macht?"
"Die Macht hat nicht Rafa", meinte ich. "Die Macht liegt nicht bei ihm, weil er sie nicht selbst in der Hand hat. Was die Menschen verstört, ist Rafas Verhalten. Rafa ist zwar für sein Verhalten in jeder Hinsicht voll verantwortlich, aber er gibt vor allem etwas Erlerntes weiter, und dieses Erlernte hat es schon lange vor ihm gegeben und nicht nur in seiner eigenen Vergangenheit. Durch sein Verhalten triggert Rafa bei anderen Menschen negative Erinnerungen, und die wirken so verstörend. Mir geht es darum, Rafa als Person nicht überzubewerten. Er ist in diesem Zusammenhang weniger wichtig, als es scheint. Das Problem ist nicht Rafa selbst, sondern das, was er vermittelt bekommen hat und weitergibt."
Tyra zeigte mir die Haarspange, die Darienne ihr im "Keller" gegeben hat. Das Mädchen, das die Spange an Tyra weitergeben ließ, hat sie selbst verziert. Es ist eine "Jack"-Haarspange. Solcher Zierat ist in der Elektro-, Wave- und Cyber-Szene sehr in Mode. Jack ist eine Figur aus dem Trickfilm "Nightmare before Christmas" von Tim Burton. Die Haarspangen sind geschmückt mit dem bleichen Schädel von Jack, der umringt ist von Blütenblättern in Pastellfarben, so daß das Gebilde aussieht wie eine makabre Blume.
Darienne soll sich bemüht haben, ihre Stimme sanft klingen zu lassen, als sie Tyra die Spange reichte.
Tyra fiel auf, daß Dariennes Makeup Sprünge bekam, wenn sie lachte.
Tyra, Elaine, Merle und ich fuhren zur Fachhochschule aufs Expo-Gelände. Die Diplom-Präsentationen im Fach Multimedia-Design fanden am gestrigen und am heutigen Tag statt. Constri war als Letzte an der Reihe. Denise, meine Eltern, ich und viele Freunde und Bekannte waren dabei, als Constri im Hörsaal der Fachhochschule ihr Diplom präsentierte. Im Foyer hatte sie - wie jeder Diplomand - eine Installation aufgebaut. Es handelte sich um einen schwarzen Kasten mit mehreren quadratischen Öffnungen, hinter deren jeder Filme in Pastellfarben abliefen, Meereswogen in Endlosschleife. Näherte man sich dem Kasten, hörte man Teile aus Interviews, die Constri mit jungen Müttern geführt hatte.
Constri erklärte im Hörsaal ihre Filme und schilderte die Suche nach den Drehorten und Absonderliches bei den Dreharbeiten. Dann zeigte sie "Schlafe, schlaf mein Kindelein" und "Bis zum 3. Februar".
Während Constri am Mikrophon stand, rief Denise, die neben meiner Mutter im Zuschauerraum saß:
"Da ist Mama!"
Meistens jedoch plapperte Denise nur leise vor sich hin.
Nach Constris Präsentation zogen sich die beiden Prüfer kurz zur Beratung zurück, dann lobten sie Constri überschwenglich und gaben ihr eine Eins. Sie klopften ihr auf die Schulter. Von mehreren Leuten bekam Constri Blumen. Schließlich rannte Denise, heimliche Hauptperson der Diplomarbeit, in Constris Arme. Constri war in Rot gekleidet und hatte ihre edle Spitzen-Strickjacke an. Auch Denise trug Rot. Die beiden Gestalten verschmolzen miteinander, als Constri Denise in die Höhe hob und an sich drückte. Wochenlang hatte Denise ihre Mutter kaum gesehen, nun endlich hatte Constri wieder Zeit für sie.
Gegen Abend ging ich mit Tyra durch den Hauptbahnhof und kaufte Torte beim Konditor und Krapfen beim Bäcker. Tyra erzählte, daß sie mit Bruce nicht mehr glücklich ist. Er sei krankhaft eifersüchtig und wolle sie dauernd bewachen. Ähnlich erging es Lucy mit ihrem Freund, von dem sie sich mittlerweile getrennt hat. Er soll Lucy auf Schritt und Tritt kontrolliert haben und ihr sogar verboten haben, das Haus zu verlassen, wenn sie nicht bestimmte Auflagen erfüllte.
Bei mir daheim lud ich zum Kaffee. Lana, ihr Freund Caspian, Constri, Denise, Leander und Tyra waren meine Gäste. Es war Lanas Idee gewesen, nach Constris Diplompräsentation wenigstens ein bißchen meinen Geburtstag zu feiern. Lana erzählte, daß sie Caspian seit der Schulzeit kennt. Erst jetzt machte sie bekannt, daß sie sich schon vor zwei Jahren von ihrem Mann Jules getrennt hat und mit Caspian zusammen ist. An dem Haus der Familie ist Jules nicht beteiligt; Lanas Eltern haben es für Lana und deren Tochter Raya erworben, um die beiden abzusichern. "So viele Ehen in unserem Bekanntenkreis sind schon wieder kaputt", sagte Constri nachdenklich. "Irgendwie halten nur die Ehen, die nicht aus Liebe, sondern aus Vernunft geschlossen wurden."
"Was lernen wir daraus?" fragte ich. "Niemals aus Vernunft heiraten, sonst besteht die Gefahr, daß die Ehe ewig hält."
Tyra betrachtete das Foto, das Constri vor zehn Jahren von Rafa gemacht hat und auf dem er schelmisch durch gelbe Brillengläser guckt.
"Der sieht mit Brille nicht gut aus!" fand sie. "Der meint, wenn er eine Brille aufhat, wirkt er interessanter, aber ich finde, das sieht einfach nur blöd aus."
"Das finde ich auch", pflichtete ich ihr bei. "Ich mag es überhaupt nicht, wenn er eine Brille trägt. Dann kann man nämlich seine Augen nicht sehen, und mir sind die Augen doch gerade wichtig."
Tyra blieb so lange, daß sie ihren letzten Zug nicht mehr schaffte. Sie gab mir Spritgeld, und ich fuhr sie nach Hause. Sie erzählte, in der Nacht zum Montag habe sie Folgendes geträumt:

Wie in einem Film sah sie, daß Rafa in seinem Keller auf dem Sofa saß und versuchte, sich umzubringen, indem er sich in den Hals schnitt. Er traf aber keine größere Schlagader, so daß die Verletzung nicht sofort tödlich war.
Nachdem Tyra dieses gesehen hatte, betrat sie Rafas Keller und fand ihn dort tatsächlich auf dem Sofa sitzend, blutend, und er guckte sie aus trüben Augen an. Tyra sorgte dafür, daß Rafa ins Krankenhaus kam, wo die Wunde genäht wurde. Dann rief Tyra mich an, und ich setzte mich mit ihr an das Bett, wo Rafa lag. Er schlief lange, und als er aufwachte, redete er davon, wie allein er sei.

Als Tyra aus diesem Traum erwachte, war sie sehr aufgewühlt und besorgt und schrieb Rafa eine SMS:

Heut hab ich dich im Traum gesehen.
Es ist was Schreckliches geschehen.
Wie stehts mit deinem Wohlergehen?
Der Traum war ziemlich real. Lebst du noch?

Rafa antwortete auf Tyras SMS, entgegen seiner Gewohnheit. Er schrieb:

Lebe noch.

Tyra berichtete mir, Rafa träume lebhaft, erzähle diese Träume aber fast nie. Einmal habe er Tyra erzählt, er habe schlecht geschlafen, und in einem seiner Träume sei er seinem Vater begegnet. Genaueres erzählte er nicht. Tyra nimmt an, daß Rafa sich vor seinen Träumen fürchtet. Er soll seine Schlafphasen so einrichten, als wenn er vor seinen Träumen davonlaufen will. Er schläft mit Licht und Hörspielkassetten, und er schläft zweimal, zu wechselnden Zeiten über Tag und Nacht verteilt, entgegen dem Rhythmus der meisten Menschen.
"Dadurch isoliert er sich", meinte ich. "Außerdem verbringt er viel Zeit im Bett, ohne sich wirklich zu erholen. Beides fördert Depressionen."
Mich wundert, daß Rafa und Ivco alle beide eine Abneigung gegen Träume haben und keinesfalls darüber nachdenken oder gar sprechen wollen. Traumerlebnisse könnten bei ihnen etwas wachrufen, mit dem sie sich nicht beschäftigen wollen.
Über Bruce erzählte Tyra, er habe ihr eine Szene gemacht, als sie in der Samstagnacht heimgekommen sei. Er habe mit in den Händen vergrabenem Gesicht am Küchentisch gesessen und ihr vorgeworfen, daß sie ihr Versprechen gebrochen habe, nur eine Stunde im "Keller" zu bleiben.
Hinzu kommt, daß Bruce Tyra auf der Arbeit hinterhertelefoniert und sie sogar gebeten hat, mit den Behinderten, die sie betreut, spazierenzugehen, damit er sie auf diesen Spaziergängen begleiten kann. Außerdem soll Bruce Tyras SMS-Nachrichten gelesen und während ihrer Abwesenheit die Wände ihrer Wohnung über und über mit seinem Konterfei behängt haben. Er soll sogar am heutigen Tage verlangt haben, sie solle spätestens um zehn Uhr abends zu Hause sein. "Das sind Übergriffe auf dein Privatleben, die nicht hinnehmbar sind", meinte ich.
"Das habe ich auch schon gedacht", erzählte Tyra. "Heute hat er sogar gesagt, daß ich zu ihm sagen soll, daß ich ihn liebe. Ich habe gesagt, daß das schlecht paßt, weil wir uns erst seit vierzehn Tagen kennen. Bruce hat gemeint, unsere Bekannten würden uns für verrückt halten, wenn wir auf einmal heiraten würden. Ich habe gemeint, das wäre ja auch verrückt. Da hat er gesagt:
'Ist Scherz.'"
"Das war aber kein Scherz", vermutete ich.
"Das glaube ich auch nicht", sorgte sich Tyra. "Zu seinen Eltern hat er sogar schon gesagt, daß ich seine zukünftige Frau bin."
In seiner Eifersucht soll Bruce angedroht haben, wenn Tyra mit einem Mann Brüderschaft trinke, werde er den zusammenschlagen.
Bruce hat sogar Gegenstände mitgenommen, die Tyra gehören: einen Ring und eine Schlafanzughose - angeblich, um sich immer an Tyra zu erinnern.
Daß Bruce so viel Zeit hat, um Tyras Privatleben zu vereinnahmen, liegt daran, daß er kein Berufsleben hat. Er soll dies und das versucht haben, aber nichts zuendegebracht haben, und nun lebt er mit seinen sechsundzwanzig Jahren von Sozialhilfe und kümmert sich nicht mehr um eine berufliche Perspektive. Das verschwieg er Tyra zunächst und rechtfertigte sich schließlich damit, er sei eben ein "Träumer" und brauche eine "Traumwelt". Zu seinen Träumen gehöre es, eines Tages mit Tyra in eine Villa zu ziehen.
Ich empfahl Tyra, Bruce ihren Wohnungsschlüssel abzunehmen und ihm mitzuteilen, daß sie keine Übergriffe auf ihr Privatleben mehr wünscht, egal welcher Art. Letztlich habe diese Beziehung keine Zukunft. Es gehe nur noch darum, Bruce zu entfernen, ohne daß er anschließend zum Stalker wird. Am ehesten sei dieses möglich, wenn Bruce sich einbilde, er sei derjenige, von dem die Trennung ausgegangen sei.
Tyra simste mir am nächsten Tag, als sie nach Hause gekommen sei, habe Bruce vor einem Stuhl mit in den Händen vergrabenem Gesicht auf dem Boden gekauert. Ich simste: "Der Bruce hat irgendwie nicht alle."
Heloise berichtete am Telefon, mit Das P. gehe es gut weiter, nachdem Rafa die Band verlassen habe. Sie habe gehört, das Konzert von Das P. im Januar in MD. sei beeindruckend gewesen. Es seien anspruchsvolle sozialkritische Stücke dabeigewesen, auch eines über sogenannte "Ehrenmorde" - Verbrechen, die häufig heruntergespielt und selten bestraft werden.
Am Donnerstagabend rief Tron an. Er war während unseres Telefongesprächs im W.E-Chatroom. Er bestätigte meine Vermutung, daß Rafa sich im Chatroom so gut wie gar nicht mehr zeigt.
Tron hat im Chatroom Konflikte mit Icons Freundin Mayjana. Er erlebt Mayjana als aggressiv. Icon nehme Mayjana in Schutz.
Als ich von Rafas Hetzkampagne gegen mich erzählte, wirkte Tron eher amüsiert. Ich berichtete, daß das, was Tron über das Plakat an Rafas Haustür gehört hatte, offenbar den Tatsachen entsprach. Ivco habe dies nach längerem und sehr gezieltem Nachfragen schließlich bestätigt. Rafa habe tatsächlich ein solches Hetzplakat an seine Tür gehängt, als er seinen Geburtstag feierte. "Dann scheinst du für ihn irgendwie eine besonders wichtige Bedeutung zu haben", vermutete Tron.
"Im negativen Sinne", ergänzte ich. "Ich bin sein Feindbild Nummer eins."
Tron erkundigte sich, wie alt Rafa geworden sei.
"Fünfunddreißig", antwortete ich. "Und er lebt in diesem Alter immer noch im Keller bei seiner Mutter."
"Ich habe zwei Bilder von Rafas Geburtstagsparty aus zwei aufeinanderfolgenden Jahren gesehen", erzählte Tron, "und auf den Bildern hatte sich sein Zimmer überhaupt nicht verändert. Da sah immer noch alles genau gleich aus."
"In seinem Leben verändert sich ja auch nicht viel", meinte ich. "Und seine Kreativität erlahmt mehr und mehr ..."
"Das ist ja wohl kein Geheimnis. Das ist ja wirklich für jedermann zu erkennen. Rafa macht doch immer dieselbe Show, seit Jahren. Auf der Bühne wirkt der wie ein Roboter. Und die anderen machen so gut wie nichts ... Mich erinnert das an eine Schultheater-Inszenierung."
"Mich auch. Bei der Show verändert sich fast nichts. Schon seit Jahren fällt Rafa kaum noch etwas Neues ein."
"Woher sollte die Kreativität denn auch herkommen?" fragte Tron. "Rafa geht nicht arbeiten, er kommt nicht unter Leute, woher soll er seine Inspirationen kriegen?"
Tron erkundigte sich, wie Kappa als freiberuflicher Veranstalter zurechtkommt. "Kappa kommt zurecht", meinte ich, "im Gegensatz zu Rafa, der von der Hand in den Mund lebt. Seit Edaín da ist, kommt Kappa zurecht. Die beiden organisieren ihre Veranstaltungen planvoll, so daß einigermaßen sicher ist, wieviel Geld sie im Monat haben. Außerdem hat Edaín wieder eine Stelle, und wie ich gehört habe, ist es eine Vollzeitstelle."
"Na ja, Kappa hat Familie ..."
Tron ließ sich meine Begegnung mit Wave schildern und erkundigte sich, wie das gewesen sei mit Darienne und dem Burger. Tron konnte berichten, daß Wave und Darienne sich inzwischen wieder vertragen haben.
Tron meinte, nach wie vor könne er nicht fassen, daß Rafa mit einem Mädchen wie Darienne zufrieden sei. Ich entgegnete, für Rafa sei sie eine günstige Wahl, da er nie Gefahr laufe, sich ernsthaft in sie zu verlieben. Es gehe ihm nicht um Liebe, sondern um Kontrolle.
Tron erkundigte sich, was Ivco über Darienne denkt. Ich erzählte, daß Ivco von Dariennes Aussehen fasziniert ist und sich über den Rest wenig Gedanken macht.
Auf meiner Geburtstagsfeier hatte ich 56 Gäste, in einer Wohnung mit 57 Quadratmetern. Daß nicht Chaos, sondern gemütliche Enge herrschte, lag zum Einen an der Auswahl der Gäste, die sich weder Orgien lieferten noch aneinandergerieten. Es wurde sogar Rücksicht genommen auf die anwesenden Kinder; geraucht wurde auf dem Balkon. Zum Anderen lag es am Arrangement - Buffet mit Selbstbedienung, Bottleparty-Prinzip, viele kleine Knabbereien statt üppiger Speisen, Getränke überall in der Wohnung verteilt, gut zugängliche Müllkörbe, häufig gewechseltes Händehandtuch, viele Klappstühle statt einer voluminösen Sitzgruppe, kleine Tische - und nicht zuletzt: Musik auf Gesprächslautstärke, so daß Unterhaltungen auch über mehrere Meter Entfernung möglich waren. Wie immer wurde das Gästebuch herumgegeben. Ich lobte Onno sehr für seine Idee mit dem Gästebuch, die er vor zehn Jahren gehabt hatte.
Elaine war erkältet, Merle kam mit ihr aber doch für drei Stunden vorbei. Elaine schrieb in mein Gästebuch:

Bin zwar krank, aber ich versuch, mit aller Kraft dazusein. Heute ist ja richtig Big Party, sonst wars mäusestill. Na ja, andere wollen auch reinschreiben, also mach ich jetzt Schluß.

Sie malte ein Mädchen mit Haarschleifchen, das nieste:
"Hatschi! Hatschi!"
Henk erschien auch und schenkte mir ein Kreppeisen, was ich mir schon länger gewünscht hatte. Er erzählte den anderen Gästen, daß er mich seit zwanzig Jahren kennt. Es sei eine besonders innige Freundschaft, und er habe mich so lieb. Von seiner Mutter brachte er mir auch ein Geschenk mit, eine Hämatit-Kette mit Herzanhänger, die ich mir gleich umlegte. Die Mutter hatte die Kette auf einer Mineralienmesse entdeckt und entschieden, sie mir zu schenken, weil das genau mein Stil sei. Blutsteine finde ich wirklich sehr hübsch.
"Das freut mich sehr", sagte ich zu Henk "Sie scheint mich doch lieber zu mögen, als sie dir gegenüber behauptet."
"Na, sie ist exzentrisch."
"Sie ist dabei aber nett."
"Oh, nicht immer."
"Auf jeden Fall ist sie für ihre Jahre ganz schön jung geblieben."
Cory staunte, als er Henk bei mir traf. Er erzählte, daß er immer bei Henk zum Haareschneiden war, als der noch in einem anderen Frisiersalon arbeitete.
Talis und Janice schenkten mir ein Bild, auf dem sie an ihrem Hochzeitstag zu sehen sind, in Rot und Schwarz. Rikka erschien mit Domian. Sie beteiligten sich am Tequila-Trinken. Rikka sieht zur Zeit etwas durchsichtig aus. Ich hoffe, daß es ihr nicht schlechter geht, als sie behauptet.
"Dein Geschenk ist noch nicht fertig", sagte Tyra, als sie erschien. "Aber du bist die geilste Torte, die es gibt."
Sie gab mir ein Teelicht in Form einer Torte.
Sator hatte es geschafft, seine Nachtschicht wegzutauschen. Er gab Tyra eine CD der Gruppe Tok Tok, die er für sie gebrannt hatte, und verabredete sich mit ihr.
Barnet und Heloise erschienen mit Joujou und deren kleiner Tochter Jeanne. Das Kind ist jetzt sieben Monate alt, ein süßes Baby mit rosa Mützchen und nachtdunklen Augen. Mit dem hellen Teint und den dunklen Augen geht Jeanne nach Joujou.
Tyra befürchtete, Joujou könnte sie hassen, weil Joujou mit Darienne befreundet ist. Ich versicherte, Joujou habe bestimmt nichts gegen sie. So war es auch; Tyra konnte feststellen, daß sie Joujou bereits kannte, aus der Zeit, als Joujous Freund Marian eine Wohnung über dem "Keller" hatte.
Joujou fotografierte, wie ich die Kerzen auf meiner Geburtstagstorte auspustete. Die Torte war Clarices Geschenk, so groß wie ein Kuchenblech und ebenso rechteckig, eine pastellfarbene Sahnetorte mit einer "40" darauf, besteckt mit vierzig Puppenlichtchen.
Morris brachte die berühmten Blätterteigtaschen mit, die schneller alle wurden, als man sie anschauen konnte. Seine Mutter zaubert diese Leckereien. Morris hatte es geschafft, für mich einen Eisblock zu kreieren, in dem Glückscents zu einer "40" angeordnet sind. Gelungen ist ihm das, weil er das Eis in Schichten schockgefrostet hat. Ich legte das Geschenk ins Eisfach, um es zu erhalten.
Constri amüsierte sich über den Bart, den Brinkus sich hat stehen lassen. Ivon, Ceno, Tyra und die anderen Gäste aus SHG. saßen im Hinterzimmer und fingen an zu singen:
"Ohohoho ... ohohoho ... Alle, die mit uns auf Kaperfahrt gehen, müssen Männer mit Bärten sein. Hein und Per und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte, Hein und Per und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit."
"Du hast doch gar keinen Bart", sagte ich zu Ivon.
"Na, ich fahre ja auch nicht mit", entgegnete er.
Weil Denise auf meinem Bett einschlief, konnte Constri länger auf der Party bleiben als geplant. Joujou legte Jeannes Babydecke über Denise und ließ sie ihr da, als sie mit Jeanne nach Hause fuhr. Denise schlief eine Zeitlang mit dem Kopf auf Levins Bein. Um Denises Schlaf nicht zu stören, blieb Levin auf seinem Platz und ließ sich den Tequila herbringen, als ich die Runde einschenkte.
Als Constri und Denise heimfuhren, sagte Tyra zu mir:
"Deine Schwester ist so süß! Ich liebe sie über alles und weiß nicht, warum."
Tyra erzählte von der Szene, die Bruce ihr in der Dienstagnacht gemacht hat. Er habe behauptet, sich entsetzliche Sorgen gemacht zu haben, und das, obwohl Tyra ihm angekündigt hatte, spät nach Hause zu kommen. Sie war wütend über seine Vorwürfe und sein theatralisches Verhalten und warf Bruce hinaus. Einige Tage später ließ sie ihn wieder herein, unter der Voraussetzung, daß er aufhörte, ihr Vorschriften und Vorhaltungen zu machen.
Tyra und Minette erkundigten sich, wann Ivco seinen Geburtstag feiert. Ich erzählte, daß Ivco sich noch nicht festgelegt hat. Tyra fragte, ob ich hingehen wolle, falls Ivco eine Party gebe. Als ich das bejahte, wandte sie ein: "Du wirst Rafa und Darienne begegnen."
"Das kümmert mich nicht", erwiderte ich. "Ich besuche Ivco, und ob Rafa da ist oder nicht, hat damit nichts zu tun. Außerdem kann Rafa sowieso nur zu Ivcos Party kommen, wenn Ivco 'reinfeiert, denn an Ivcos Geburtstag legt Rafa in L. im 'Memento Mori' auf."
"Dann kann Rafa aber nicht lange auf Ivcos Party bleiben", überlegte Tyra. "Der fährt doch am Samstag schon mittags nach L."
"Aber der legt doch da nur auf, der gibt doch kein Konzert."
"Ja, trotzdem, ich weiß, wie das abläuft. Der fährt mittags hin, macht Soundcheck ..."
"Soundcheck?" wunderte ich mich. "Auch wenn er nur DJ ist?"
"Ja, der ist doch Perfektionist."
Mir fällt dazu ein, daß Rafa bei seinem Auftritt mit Darius im November 2003 in BO. erst fünf Minuten vor Konzertbeginn in der Location eintraf.
"Rafa macht Soundcheck", beschrieb Tyra den gewohnten Ablauf, "dann ißt er noch was, macht sich schön, und dann nochmal schnell Darienne vögeln ... alles für sein Ego."
"Ach, und der poppt vor seinen Auftritten immer noch mal schnell Darienne. Ist ja toll."
"Ja, ich habe doch mitbekommen, wie das abläuft. Das macht der alles nur für sein Ego."
"Ach, und im letzten Jahr, wenn du mit ihm zu Konzerten gefahren bist, hat der immer noch schnell vorher Darienne gepoppt."
"Nein, mich."
"Ach, ich dachte schon, das geht gar nicht, weil, die Darienne kam ja dann gar nicht mehr mit", rechnete ich nach. "Also, dann war das so ... Rafa war zusammen mit Darienne, hat aber mit dir gepoppt, wenn er einen Auftritt hatte ..."
"Na ja, der war dann ganz aufgedreht und hat gerufen:
'Heute geht's mir gut, los, komm' her!'"
"Ach, dann hatte der im Jahr 2005 also gleich drei Beziehungen parallel ...?" überlegte ich.
"Im September 2004 war zwischen Rafa und Berenice Schluß", erzählte Tyra. "Und ab da war ich mit ihm zusammen."
"Ende September 2004 hat Rafa im Internet bekanntgegeben, daß er gemeinsam mit Berenice das Spiel 'Gehirnanalyse' fertiggestellt hat", erinnerte ich mich.
"Da waren die aber schon nicht mehr zusammen", versicherte Tyra. "Berenice hat zu dem Spiel nicht viel beigetragen. Rafa hat fast alles alleine gemacht. Im September hat nur noch er daran gearbeitet. Da saß ich bei ihm, während er am Computer 'rumgetippt hat."
In Gedanken ging ich Tyras Berichte durch und das, was ich selbst mitbekommen habe. Es blieben viele Fragen offen. Auch die Rolle, die Tyra in Rafas Leben spielte, blieb unklar.
Laut Tyra hat Rafa Berenice unentwegt betrogen. Einmal soll er mit einem Mädchen in einer Damentoilette verschwunden sein. Als Tyra hinterherging, hörte sie durch die Kabinentür die entsprechenden Geräusche.
Tyra erzählte, schon länger sei sie in Rafa verliebt gewesen, ehe er sich von Berenice trennte. Rafa förderte dies, indem er Tyra den Hof machte. Daß er zu jener Zeit eine Freundin hatte, schien ihn nicht zu kümmern.
Tyra zeigte mir auf ihrem Handy ein Foto von einem Auge, das Rafa über Tyras Bett an die Wand gemalt hatte, als Tyra noch mit Charlize in einer WG lebte. Dieses Auge soll über einen Meter breit sein und mehr als einen halben Meter hoch. Ich fand, es war virtuos gepinselt. Tyra erzählte, als Rafa das Auge malte, hatte sie ihn in ihrem Zimmer zurückgelassen, als sie zur Arbeit ging. Bei ihrer Rückkehr warf sie kurz einen Blick in ihr Zimmer, sah Rafa auf ihrem Bett liegen und ging in die Küche. Auf einmal stand Rafa hinter ihr und warf ihr vor, nicht richtig hingeguckt zu haben.
"Wieso, ich habe dich doch gesehen", erwiderte Tyra.
Rafa zeigte ihr seine Hände, die schwarz befleckt waren, und fragte:
"Und was ist das hier?"
"Weiß ich nicht ... Dreck ...?"
"Nein, das ist Farbe!"
Er zeigte ihr das Auge und erklärte:
"Das ist mein Auge. Jetzt werde ich dich immer beobachten."
Das Auge ist blau. Rafas Augen sind grau; freilich steht "blau" in seinem Personalausweis.
Über Tyras Bett befand sich eine Dachschräge. Als Rafa das Auge an die Tapete malte, tropfte die Farbe auf ihr Bettzeug, ein Umstand, den Rafa entweder nicht wahrnahm oder der ihm gleichgültig war.
Charlize hat nach Tyras Auszug das Auge an der Wand gelassen. Tyra hat Charlize neulich besucht und es mit ihrem Handy fotografiert.
Tyra störte Rafas ungezügeltes Beziehungsverhalten. Einmal habe er im "Keller" ein Liebesgedicht von einer Polizistin erhalten, mit der sei er zu sich nach Hause gegangen. Tyra, die damals ein Auto hatte, parkte vor seiner Haustür und schaute in den Seitenspiegel, bis sie die beiden auf sein Haus zugehen sah. Dann stieg sie aus und folgte den beiden, die gerade durch Rafas Haustür gingen. Rafa drehte sich um und fragte:
"Was machst du denn hier?"
"Kann ich mal deine Toilette benutzen?" fragte Tyra.
Er ließ sie auf die Toilette im Eingangsbereich des Hauses, und dort rauchte sie hastig eine halbe Schachtel Zigaretten, während er sich unten im Keller mit seiner "Beute" befaßte. Nach einer Weile klopfte Rafa an die Toilettentür. Tyra rief:
"Besetzt!"
Rafa entgegnete:
"Egal, ich komm' jetzt trotzdem 'rein."
Da es keinen Schlüssel gab, konnte Rafa ungehindert die Toilette betreten und fand Tyra aufgelöst und zigarettenrauchend vor.
"Was soll'n das hier? " fragte er kurz angebunden. "Bist wohl eifersüchtig?"
Er versicherte, zwischen ihm und seiner Eroberung sei "überhaupt nichts". Tyra glaubte ihm nicht. Sie sagte, sie wolle ihn nicht mehr sehen, und ging weg. Schon am nächsten Tag kam Rafa zu Tyra und jammerte und weinte gar, wenn auch ohne Tränen und recht theatralisch. Er beteuerte, mit der Polizistin nichts gehabt zu haben. Tyra glaubte ihm nicht.
Rafa soll seine Eroberungen auf seinem Sofa im Keller genießen, wo es furchtbar eng sein soll und umständlich; erst müsse man die Kissen weg- und dann wieder hinräumen. Außerdem soll Rafa mit dem Händewaschen ebenso nachlässig sein wie Tessa. Daß dort unten im Keller kein Bad, sondern nur eine Toilette auf halber Treppe zur Verfügung steht, soll Rafa nicht stören, und seine Eroberungen nehmen die wenig komfortable und nicht eben hygienische Ausstattung seiner Räumlichkeiten anscheinend ohne größere Widerstände in Kauf. Vielleicht liegt hierin einer der Gründe, warum Rafa bevorzugt junge Mädchen auswählt. Sie lassen sich aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung nicht nur leichter blenden, sie sind auch meistens weniger anspruchsvoll, in jeder Hinsicht. Was Rafa ihnen auf dem Sofa tatsächlich bieten kann, bleibt der Spekulation überlassen.
Zu dem Widerspruch, daß Tyra bis dato betont hat, mit Rafa nie zusammengewesen zu sein, und nun berichtete, mit Rafa Ende 2004 bis Anfang 2005 zusammengewesen zu sein, erklärte Tyra, sie erzähle nicht alles auf einmal, aber nach und nach. Und da komme auch noch mehr. Sie könne das nicht alles auf einmal erzählen, weil sie es erst verarbeiten müsse, um darüber sprechen zu können. Auch Berenice habe viel zu verarbeiten. Gewiß sei Berenice sich im Klaren darüber, daß Rafa sie betrogen habe, jedoch wolle sie es bisher nicht wahrhaben. Tyra erzählte, sie habe von Berenice wieder eine E-Mail erhalten, deutlich länger als die vorige, und sie habe Berenice auch wieder eine E-Mail geschrieben, in der sie unter anderem geschildert habe, wie und mit wem Rafa Berenice betrogen habe.
Nun frage ich mich, weshalb Tyra im Dezember im "Always" so nachdrücklich betonte, mit Rafa kein Verhältnis gehabt zu haben, ja sogar klagte, das Gerücht, sie habe etwas mit Rafa gehabt, werde sich wohl nie aus der Welt schaffen lassen. Es kann sein, daß Tyra ihr Verhältnis mit Rafa nicht nur vor ihren Mitmenschen verleugnete, sondern ein Stück weit auch vor sich selbst.
"Für mich waren es drei Jahre, und jetzt ist die Sache mit Rafa abgeschlossen", erklärte Tyra. "Jetzt bin ich mit Bruce zusammen, denn Bruce ist süß - wenn er sich benimmt."
Drei Jahre, das wäre ein Verhältnis mit Rafa von Anfang 2002 bis Anfang 2005. Vielleicht läuft es auch seit Anfang 2003 und läuft noch immer.
Tyra erzählte, daß Rafa sie in der vergangenen Nacht schon wieder angerufen hat. Freilich hatte Tyra ihr Handy ausgeschaltet, denn Bruce war bei ihr.
"Mich erstaunt, wie sehr Rafa andere Menschen beschädigt", sagte ich nachdenklich. "Bisher habe ich das vor allem aus meiner eigenen Sichtweise betrachtet. Mir kann Rafa nichts anhaben. Und jetzt wird mir klar, wieviel Schaden er anderen Menschen zufügt. Wenn ich mit ihm eine Beziehung hätte, könnte er mir nichts tun, er kommt gegen mich nicht an, er rennt gegen eine Wand. Gegen sein Gift bin ich immun."
"Du hast ihm von Anfang an Grenzen gesetzt."
"Ja, weil ich von Anfang an wußte, was er für einer ist."
"Und ich wußte es nicht."
"Du konntest es nicht wissen", meinte ich. "Du konntest es nicht ahnen."
"Ich dachte, das ist einfach ein netter Typ, der mich kennenlernen möchte."
"Das hat er dir ja auch vorgespielt. Rafa ist ein hervorragender Schaupieler. Er macht den Frauen phantasievoll den Hof und vermittelt ihnen, sie seien etwas ganz Besonderes. Und wenn sie es dann glauben, verletzt und entwertet er sie. Er kann dadurch scheinbar sein Selbstwertgefühl anheben, aber halt nur scheinbar. Das ist wie beim Alkoholrausch, wenn sich einer wie der Herrscher der Welt fühlt, nur weil er betrunken ist. Wenn der Rausch verfliegt, ist nichts mehr davon übrig. Rafa ist ein Süchtiger, der das vermeintliche Hochgefühl immer wieder erzeugt, indem er eine Frau nach der anderen umlegt. Mit echter Erfüllung hat das nichts zu tun. Dieses System funktioniert bei mir nicht, aber bei anderen funktioniert es. Rafa kann mich nicht demontieren. Aber mit anderen kann er es machen."
Es wurde Morgen. Endera kochte Kaffee für die Partygesellschaft.
Am Montag simste Tyra:
"Ich finde gerade meinen Kalender vom letzten Jahr wieder ... Mein Gott, was hat dieser Mann mir angetan, daß ich das Buch verängstigt wegwerfe und zu weinen beginne, daß ich keine Luft mehr bekomme. Es zerreißt mir Herz und Verstand. Ich bringe den Kalender ins 'Departure' mit. Allein verkrafte ich es ja doch nicht."
Ich simste, es sei eine gute Idee, den Kalender ins "Departure" mitzubringen, wo wir uns wiedertreffen wollten. Tyra hatte Terminschwierigkeiten, also telefonierten wir. Ich erzählte, daß ich über den Mechanismus nachdenke, der hinter Rafas Verhalten steckt:
"Rafa hat dir vermittelt, daß er dich sehr schätzt und daß du in seinem Leben eine besonders wichtige Rolle spielst. Und in dem Augenblick, wo er dich als wichtigste Person in seinem Leben darstellt und für euch beide die Vision einer gemeinsamen Zukunft aufbaut, geht er mit Darienne ins Bett. Erst lobt er dich in den Himmel und betont, wie wichtig du ihm bist ..."
"... und dann löscht er mich einfach."
"Genau, er löscht dich wie Daten von einer Festplatte. Von einem Tag zum anderen bist du ihm nichts mehr wert."
"Ich bin immer noch wütend auf mich selbst, weil ich auf ihn hereingefallen bin wie eine Münze in einen Gully."
"Du konntest nichts dafür", versicherte ich. "Rafas gespielte Umwerbungen waren von ernst gemeinten Umwerbungen nicht zu unterscheiden. Ich glaube, er spielt seine Umwerbungen deshalb so überzeugend, weil er in dem Moment selbst daran glaubt. Er betrügt sich selbst ebenso wie die anderen. Er betreibt das wie eine Sucht, immer wieder umwirbt er Frauen und läßt sie dann eiskalt fallen, für ein zweifelhaftes Rauscherlebnis."
"Stimmt, wenn ich mir deine Geschichte so durchlese, ist das eigentlich fast dasselbe."
Tyra erzählte, daß sie einen Buchkalender wie ein Diarium führt und sich täglich Notizen macht, also könne sie alles nachlesen, was in den letzten Jahren passiert sei, auch die Ereignisse um Rafa. Und genau jene Seiten habe sie gestern aufgeschlagen, wo niedergeschrieben sei, wie Rafa ihr im Januar 2005 versicherte, ihnen beiden stehe eine wunderbare Beziehung bevor, und wie sie kurz danach von Darius erfuhr, daß Rafa bereits mit Darienne ein Verhältnis angefangen hatte. "Eiskalt", urteilte ich. "Es ist Rafa völlig egal, was sein Verhalten für Folgen hat."
Tyra erzählte, als sie Rafa auf sein Verhalten angesprochen habe, habe er sich gerechtfertigt:
"Wieso, das ist doch mein Leben. Ich kann doch tun, was ich will."
"Das kannst du nicht", widersprach Tyra. "Du verletzt andere Menschen."
"Du siehst doch, daß ich es kann. Ich tue doch, was ich will."
Ich erzählte, daß Rafas Verhalten in mir grenzenlose Wut und Traurigkeit auslöst, daß mir aber nie der Gedanke gekommen ist, mich deswegen umzubringen. Ich nahm Bezug auf die Lehrmeinung, daß Selbstmordgedanken vor allem nach schweren Kränkungserlebnissen auftreten; somit vermutete ich, daß Tyra schwer in ihrem Selbstwertgefühl verletzt war, als sie versuchte, sich umzubringen. Das bestätigte Tyra sogleich:
"Ich hatte das Gefühl, ich bin nichts mehr wert."
"Das ist wohl der Grund, warum ich nie an Selbstmord denke", überlegte ich. "Egal, wie Rafa sich verhält, mein Selbstwertgefühl bleibt unangetastet, das kann er nicht angreifen. Das ist ihm niemals gelungen. Aber andere Menschen kann er erheblich beschädigen, indem er sie kränkt und entwertet. Und das macht mich so wütend. Ich möchte diese anderen Menschen schützen. Du hast durch einen Zufall überlebt, weil du das Paracetamol wieder ausgebrochen hast. Aber nicht auszudenken, wenn es geklappt hätte ... deine Mutter wäre ihres Lebens nicht mehr froh geworden. Und stell' dir mal vor, ein anderes Mädchen stirbt bei einem Selbstmordversuch, weil Rafa es verletzt hat ..."
"Oh je."
"Um sowas zu verhindern, würde ich ihm gerne das Handwerk legen; ich weiß nur nicht, wie."
Ich meinte, Rafa sei ein besonders bösartiger Mensch, weil sein Verhalten zum Tode anderer Menschen führen könne. Dabei verstoße er gegen kein Gesetz. Man könne durchaus Menschen umbringen, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen. Allerdings sei ich mir nicht sicher, ob Rafa merkt, was er anderen Menschen antut.
"Doch, ich glaube, der weiß, was er tut", vermutete Tyra. "Der weiß, daß er die Emotionen von Frauen ansprechen muß, wenn er sie 'rumkriegen will. Einmal hat er gesagt:
'Man muß nur zu einer Frau sagen: 'Ich liebe dich.' Schon hat man sie.'"
"Der hat wohl schon zu vielen Frauen gesagt: 'Ich liebe dich.'", vermutete ich. "Ich frage mich, wievielen er schon einen Heiratsantrag gemacht hat."
"Also, mir nicht."
"Berenice und Darienne hat er einen gemacht."
"Darienne nicht."
"Joujou hat erzählt, daß Darienne ihr erzählt hat, im August im 'Keller', als Rafa ihr gesagt hat, daß er sie betrügt, hat er ihr zugleich einen Heiratsantrag germacht."
"Das glaube ich nicht", erwiderte Tyra. "Das hat Darienne bestimmt nur erzählt, um Rafa zu entlasten."
"Wir werden nie erfahren, wie es war. Jedenfalls hat Rafa nie zu mir gesagt: 'Ich liebe dich.' Auch als unverkennbar war, daß er in mich verliebt war, hätte er sich lieber die Zunge abgebissen, als das zu sagen."
"Vielleicht war das zwischen ihm und dir etwas anderes als das zwischen ihm und den anderen."
"Ich weiß es nicht. Jedenfalls muß ich noch viel über sein Verhalten nachdenken. Ich will ihn als Mensch dabei nicht zu wichtig nehmen. Ich will sein Verhaltensmuster abstrahieren."
"Es ist doch traurig, wie nötig er es hat, in anderen Menschen Selbstzweifel zu erzeugen, um seine eigenen Selbstzweifel zu vermindern."
"Genau das ist es", bestätigte ich. "Das ist ein wichtiger Punkt. Man kann es auch 'Containing' nennen - er bringt seine Selbstzweifel in anderen Menschen unter, er benutzt andere Menschen als Behälter für seine Selbstzweifel, als Container."
Rafa hat inzwischen eine Warnung für alle verfaßt, die das W.E-Forum betreten wollen:

Bevor Sie dieses Forum betreten, sollten Sie sich folgende Zeilen gut durchlesen!
Dies ist das Forum von W.E und als Plattform für Gleichgesinnte bzw. Interessierte gedacht.
Bitte achten Sie auf eine ordentliche, höfliche Umgangsform. Selbstverständlich können Sie Ihre ganz persönliche Meinung kundtun, allerdings hat Folgendes in diesem Forum NICHTS zu suchen: Persönliche Beleidigungen, rechte oder rassistische Äußerungen, Gesülze vom untersten Niveau, pornographische Inhalte und alles weitere, was dem für dieses Forum erforderlichen IQ nicht gerecht wird!
Leider ist es nun auch so, dass sich (ohne dass man es verbieten könnte / wollte) auch hier ab und an Geschmeiß ansammelt, das glaubt, seinen Beitrag für dieses Forum leisten zu müssen ... Nun, alles Positive hat auch eine negative Kehrseite, und wer sich als solches Geschmeiß entpuppt, werden Sie innerhalb kürzester Zeit selbst erfahren! (Nur betroffene Hunde bellen!)
Nur: SIE stehen drüber, lassen Sie sich also nicht die Laune verderben bzw. lassen Sie sich nicht aufziehen! Das sind (wenn überhaupt) Einzelfälle und absichtliche Störversuche, die von Personen hervorgerufen werden (wollen), die keinen Bezug zur Gemeinschaft haben und andere (interessierte) Leute gegeneinander auszuspielen versuchen.
Give a shit on it!
Für das Geschmeiß bzw. für alle Bewusst-Provokateure:
Die Moderatoren dieses Forums haben das grundsätzliche Recht, Beiträge, die gegen unsere Prinzipien verstoßen, ohne Rücksprache zu löschen und betreffende angemeldete Mitglieder ohne Verwarnung zu sperren bzw. aus der Gemeinschaft zu entfernen! Und abschließend noch folgender Hinweis: Alle hier Beteiligten haben ein Recht auf Privatsphäre! Niemand ist des anderen Eigentum! Und man muß auch nicht unbedingt auf jedes VERKAUFSANGEBOT eingehen, welches von windigen Gestalten in den Raum gestellt wird (meist gibt es offiziellere und günstigere Wege)!
Augen auf!
In diesem Sinne ...
Beweg dein Gehirn ... JETZT!

Rafas Rechtschreibfehler sind hier korrigiert. Die beleidigenden Ausdrücke, die er verwendet, habe ich unverändert gelassen. Ich frage mich, ob Rafa aufgefallen ist, daß er bereits im Eingangstext seines Forums selbst gegen die von ihm verlangte Netiquette verstößt. Vielleicht ist er zu verblendet, um es zu merken.
In der Online-Szene-Kontaktbörse, die mit Rafa und W.E nichts zu tun hat, meldete sich W.E-Forummitglied Aramis bei mir:

Auch wenn man im W.E-Forum Differenzen hat, wollte ich mal schnell nen Gruß rüberschicken. "Im Netz" ist verdammt lang. Habs bis Kapitel 13 geschafft und werde weiterlesen.

Ich schrieb:

Klar, egal was in Foren gepostet wird, es liegt oft ein gutes Stück entfernt von der Wirklichkeit, man sollte es nicht auf die Goldwaage legen.
Schön, daß du "Im Netz" schon bis Kapitel 13 geschafft hast, das freut mich ehrlich, gibt es mir doch einen Hinweis darauf, daß die Geschichte zumindest nicht langweilig ist.

Denise hat zu ihrem dritten Geburtstag von Constri Ernie-und-Bert-Hausschuhe bekommen. Als Denise sie abends auszog, erklärte sie den Schuhen, daß sie sie am nächsten Tag wieder anziehen werde. Als ich Constri und Denise besuchte, zeigte Denise mir ihr "Rienkater-Buch", in das sie Collagen klebt. Das Buch hat Constri so genannt, weil Marienkäfer darauf sind, und die hat Denise "Rienkater" genannt, als sie "Marienkäfer" noch nicht aussprechen konnte.
Denise zeigte auf die Knöpfe ihres Kinder-Keyboards und nannte deren Farben. Über die gerade nicht leuchtenden Anzeigelämpchen sagte Denise:
"Da kommt rot raus."
Sie wollte, daß ich ihr immer wieder ihr Farbenbuch zeigte, in dem sie die abgebildeten Gegenstände benannte. Und ich mußte ihr die Lieder in ihrem Weihnachts-Liederbuch vorsingen. Als ich wieder zu Hause war, rief Constri mich an und erzählte, daß Denise weinte. Denise wollte nicht zu Bett gehen, ehe ich ihr "Schlaf, Kindlein, schlaf" vorgesungen hatte. Constri holte Denise ans Telefon, und ich sang ihr das Lied vor und fragte sie, ob sie jetzt zu Bett gehen wollte.
"Ja", antwortete sie mit ihrem unschuldigen Stimmchen.
Am Donnerstag war ich bei Deon in BS. zum Abendessen. Er hatte seine Rose von Jerichow gewässert, so daß sie sich entfaltet hatte. Den Tisch hatte Deon mit "richtigen" Rosen dekoriert.
Am Freitag war ich bei Reesli, der seinen Geburtstag nachfeierte. Später am Abend war ich bei Talis und Janice. Janice feierte ebenfalls Geburtstag. Sie erzählte von ihrer Jugend in VEC. VEC. ist eine Reiterstadt und bevölkert von Scharen weiblicher Teenager, die in ihrer Freizeit fast nur in engen Hosen und Reitstiefeln unterwegs sind.
"Sie sind sich für jeden zu fein, der nicht so ist wie sie und mindestens ein Pflegepferd hat", erzählte Janice. "Du konntest dazugehören oder sie hassen, und auf mich traf das Letztere zu."
Tyra erzählte in einer E-Mail, Rafa habe sich mehrmals bei ihr gemeldet, ohne daß sie ans Telefon ging. Sie wisse also nicht, was Rafa wollte, aber:

Eines ist klar. Und zwar, dass es ihm hundsmiserabel geht, denn immer, wenn es ihm besonders schlecht ging, suchte er verstärkt meine Zuwendung. Und wer ist da, wenn ich wen brauche??? - Er jedenfalls nicht.

Ich schrieb:

Daß Rafa dich schon wieder angerufen hat ...! Der ruft ja fast jeden Tag an.
Rafa hat dich so selbstverständlich konsumiert wie die Atemluft, nur daß du auch ein Mensch bist und auch Bedürfnisse hast, scheint ihn nicht zu kümmern. Von sozialer Verantwortung scheint er keinen Begriff zu haben. Daß er sich ausgerechnet an einen Menschen anlehnen will, den er beinahe auf dem Gewissen gehabt hätte! ... auf dem nicht vorhandenen Gewissen, möchte ich sagen.

Tyra schrieb:

Zu Rafa: Ja, das stimmt, es ist ziemlich dreist, ausgerechnet bei mir das Zuhause aufzusuchen, das er woanders nie finden konnte. Dennoch finde ich es gut. Denn das ist ja schließlich eine Form von Vertrauen. Sicherlich mag es manch einem so vorkommen, als wollte er mich lediglich für eigene Zwecke aus- / benutzen, dennoch muss man auch die andere Seite sehen!
Es tut mir weh, Rafa leiden zu sehen, und wenn ich ihm helfen kann, tue ich das herzlich gern, ganz gleich, was er mir angetan hat. So selbstlos bin ich.
Andere würden das BESCHEUERT nennen, ich weiss ... ;)
Ich bin nun einmal der Meinung, dass dieser Mann eine 2. Lebenschance verdient.

An Berenice mailte ich:

Tyra hat erzählt, daß sie sich freut, sich mit dir austauschen zu können, und daß sie dadurch viel verarbeiten kann.
Und wieviel das ist ... ich finde es geradezu beängstigend, welchen Schaden Rafa anderen Menschen bereits zugefügt hat.
Rafa greift gezielt das Selbstwertgefühl anderer Menschen an. Er bevorzugt junge Mädchen, weil die sich besonders leicht blenden und verunsichern lassen. Er geht gerne so vor, daß er diesen Mädchen zuerst vermittelt, daß sie etwas besonders Wertvolles sind und in seinem Leben eine besonders wichtige Rolle spielen. Dann, übergangslos (!), entwertet er sie, auf vielerlei Weise - durch Bloßstellen, Kränken, Beschimpfen, Betrügen, Gewalt. Er tunkt sie in ein Wechselbad aus Hochachtung und Verachtung, alles ist gespielt und dient nur dazu, seine eigenen Selbstzweifel auf andere Menschen zu übertragen und sich dadurch vorübergehend ein trügerisches Hochgefühl zu verschaffen, ein Vorgehen, das einem Suchtverhalten entspricht. Reue und Gewissen sind ihm entweder fremd, oder dieses Element seines Selbst ist ihm so entfremdet, daß davon nichts mehr zu merken ist.
Rafa ist nicht harmlos. Es gab seinetwegen beinahe einen Todesfall, das habe ich kürzlich erfahren, beiläufig mehr, zufällig. Es hat mich entsetzt und sehr wütend gemacht. Suizidalität entsteht in der Mehrzahl der Fälle durch Kränkungserlebnisse, die bei Menschen mit instabilem Selbstwertgefühl auf fruchtbaren Boden fallen und ein Gefühl der völligen Vernichtung auslösen können. Kränkungen und Entwertungen sind Rafas Spezialität, vergleichbar mit Imkerhonig oder Marmelade aus dem heimischen Keller. Und ich glaube, er ist stolz darauf! Sie gehören ja zu den Dingen, die er "akkurat" und "perfekt" beherrscht (Lieblingsbegriffe von ihm).
Meine Hypothese lautet, daß Haß immer umgelenkter Selbsthaß ist, und bisher konnte ich diese Hypothese mit jedem Fall von Haß, der mir begegnet ist, zur Deckung bringen. Nach dieser Hypothese ist Haß ein pathologisches Gefühl, das nur der Zerstörung dient, bezogen auf fremde Personen und letztlich auch die eigene Person (man "verzehrt" sich in Haß). Im Gegensatz dazu dienen Gefühle wie Wut und Abscheu der Verteidigung der eigenen und fremder Personen und sind damit konstruktiv, also sinnvoll für den Selbst- und Fremderhalt.
Haß ist, nach der Hypothese, stets irrational, also nicht sachlich begründbar; er hält sich nicht an sachgegebene Grenzen und die Grenzen der Sachdienlichkeit.
Der Haß, den Rafa gegen mich aufgebaut hat, ist - da bin ich mir sicher - ebenfalls umgelenkter Selbsthaß. Es gibt ja zwei Menschen, mit denen Rafa partout nichts zu tun haben will und von denen er partout nichts wissen will: er selbst und ich. Solange Rafa sich selbst nicht spürt und demzufolge auch keinen Funken Selbstliebe in sich entdecken kann, wird es mit seiner Liebe zu anderen Menschen auch nichts. Er lebt in einer emotionalen Wüste. Sein innerer Unmut über diese verkeilte Lage entwickelt sich pathologisch - zu Haß.

Berenice mailte:

Ich bin froh, dass ich damals den Mut gefunden habe, Dir die Hand zu reichen ;) Dass Tyra und ich uns schreiben, ist es eine wichtige Sache - anscheinend für uns beide! Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen wegen Rafa, weil ich ihn verlassen habe und seitdem von den unterschiedlichsten Seiten Geschichten über ihn höre, die überhaupt nicht zu ihm passen! Ich dachte schon, ich sei daran schuld! Aber Tyra nimmt mir jegliches Schuldgefühl :) Ich schulde Rafa nichts.
Und Dir verdanke ich es, dass ich Rafa mal aus einer vollkommen anderen Perspektive sehe - es ist zwar nicht der Rafa, den ich kennengelernt habe in all den Jahren, aber doch passt es zu ihm!
Rafa wollte mit mir alt werden, malte unsere Zukunft mit Bildern aus (zusammen auf der Veranda in Schaukelstühlen auf die Natur vor uns blickend), und ich ließ mich fallen in diese Gedanken (nur beim Thema Kinder gingen unsere Vorstellungen auseinander, ich möchte keine bekommen).
Danach ging es so weit abwärts, dass ich oft neben ihm saß, ihn ansah und mich fragte, warum ich noch mit ihm zusammen bin. Das ging eine lange Zeit so. Ich fand ihn kein bißchen mehr attraktiv.
Rafa gab mir das Gefühl der Geborgenheit, er war für mich da. Er gab mir das Gefühl, für ihn wichtig zu sein.
Und letztendlich habe ich Schluss gemacht. Das war Zeitpunkt, wo ich eigentlich nur noch Mitleid für ihn empfand - was mir Tyra aber gerade nimmt ;) Ich hatte schon meinen jetzigen Freund eine Zeitlang, bevor ich Rafa sagen konnte, dass ich Schluss mache - ich habe mich einfach nicht getraut ...
Dass Rafa mich betrogen hat, macht mir immer noch nichts aus. Ich habe so lange mit Baryn (meinem Freund) darüber geredet, aber es kommen keine Gefühle hoch. Nur das Mitleid mit Rafa stirbt gerade auch noch. Und darüber bin ich froh, Rafa wird gerade vollständig aus mir verbannt :)))
Aber was mir wirklich, wirklich weh tut, das ist Tyras Geschichte! Mit ihr leide ich, weil sie Rafa mehr geliebt hat als ich in all den Jahren. Weil sie furchtbar verletzt wurde und das vorsätzlich. Weil mit ihr ein hässliches Spiel gespielt wurde!
Rafa hat auch mir anscheinend in unserer Zeit etwas vorgespielt, denn diesen Rafa habe ich nie kennengelernt, der so schrecklich handeln kann.
Ich habe mir bis dahin nicht vorgestellt, wie sehr Rafa anderen Menschen weh tun kann. Aber ich hätte es wissen können, denn ich habe ja auch den Rafa in Höchstform kennengelernt, charmant etc. Doch ist all dies verblichen vor dem Rafa, der er wirklich ist im Alltag und nach so vielen Jahren - er ist ein eher unsympathischer, kleinkarierter, festgefahrener, dummer und ungepflegter Mann. Zudem überschätzt er sich maßlos und unterschätzt vor allem Frauen, die er zutiefst verachtet. Diesen Menschen vermisse ich nicht!!!! Und ich bin unendlich dankbar, dass ich ihn so genau kennenlernen durfte, so dass ich ihm keine Träne hinterherweine! Aber wie gesagt, ich verstehe, dass Frauen, die nur seine Oberfläche kennen, von ihm beeindruckt sein können! Denn ich war es anfangs ja auch ...

Daß Rafa dazu neigt, das Selbstwertgefühl anderer Menschen anzugreifen, bestätigte Berenice:

Das ist richtig! Ich wundere mich oft über mich selbst, dass Rafa es in all den Jahren nicht geschafft hat, mich klein zu kriegen. Nachdem ich in H. meine VMTA-Ausbildung beendet hatte, empfahl er mir, arbeiten zu gehen - dennoch habe ich mich gegen seinen Wunsch fürs Studium entschieden - nur als kleines Beispiel!

Ich schrieb:

Daß Rafa dir damals das Studium ausreden wollte, finde ich schauderhaft. Ich glaube, er war nur neidisch, daß du an deinem beruflichen Fortkommen gearbeitet hast, während er vor dem Fernseher lag.

Berenice schrieb:

Ich habe ihm das auch übel genommen, später. Als ich ihn nach Beenden meines Studiums noch mal darauf ansprach, wusste er davon nichts mehr. Ich weiß sowieso nicht, ob das eine bewusste Marotte von ihm ist oder ob er tatsächlich so "vergesslich" ist - er weiß auf einmal nichts mehr von unangenehmen Situationen. So ist ja auch jedes Konzert toll gelaufen - er setzt sich überhaupt nicht damit auseinander, dass auch Schlechtes im Leben passiert ...

Berenice kann ihrer Zeit bei W.E dennoch viel Positives abgewinnen:

Ich habe mir das Singen nie zugetraut. Doch jetzt, 1.5 Jahre nach Rafa, singe ich besser denn je, traue mir viel mehr zu und habe unendlichen Spaß daran, immer wieder Neues auszuprobieren!!! Ich fühle mich so befreit von all dem Bösen, das von ihm ausging!!!
Er hielt sich ja immer für DEN Sänger schlechthin - jetzt lerne ich immer mehr Musiker kennen, die über W.E nur lachen können, nicht zuletzt über Rafas Sangesqualitäten :)))
Er macht andere klein, damit er größer wirken kann - wie armselig!
Er hat zum Glück nie meinen Stolz gebrochen, auch nicht durch gebrochene Rippen, kaputte Zähne etc. Ich wusste immer, dass ich ihm überlegen bin. Heute sehe ich, dass er mit mir genauso sein Spiel spielen wollte wie mit allen anderen Menschen, und ich bin froh, dass er nicht gewonnen hat :)
Anscheinend bist Du gegen Rafas Entwertungen "immun". Das freut mich für Dich! Ich war es nicht ganz und musste mindestens ein Jahr lang hart an mir arbeiten, ich bin in dieser Zeit förmlich aufgeblüht und wieder ich geworden. Baryn hat das alles miterlebt und sich immer mehr für mich gefreut. Er hat mir aber auch geholfen ...

Zu Rafas Frauenbild schrieb Berenice:

Rafa hasst Frauen förmlich!!! Immer, wenn ich mal was dazu gesagt habe, verteidigte er seine Meinung damit, dass ich ja keine Frau, sondern seine Freundin sei! Lustig, oder?







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Tyra und ich trafen uns am Valentinstag im "Departure". Während ich auf sie wartete, trank ich Kakao mit Amaretto und übertrug Adressen aus einem meiner Kalender in mein Adreßbuch. Das "Departure" war passend zum Anlaß dekoriert. Auf jedem Tisch stand ein rotes Gelkerzlein in einen herzförmigen Glas, außerdem eine Vase, um die an einem Baststrick ein Tonherz hing. Es gab Servietten im Rosendekor, und an der Decke hingen rote herzförmige Luftballons. Die Bierreklame, die das ganze Jahr über im "Departure" hängt, paßte ebenfalls zum Valentinstag. Das Motiv ist in Rot und Schwarz gehalten und zeigt ineinander verschlungen Herz, Kreuz und Anker.
Tron rief an und fragte mich, wie ich den Valentinstag überstand. Ich erzählte, daß ich im "Departure" saß, Kakao mit Amaretto trank, Adressen übertrug und auf Tyra wartete.
"Tyra und Berenice haben ja jetzt Kontakt", wußte Tron. "Das tut Berenice sehr gut. Sie kann dadurch vieles verarbeiten."
"Für Tyra ist es auch sehr hilfreich", meinte ich.
Tron bat mich, Tyra von ihm zu grüßen. Er glaube nicht, daß sie wisse, wer er sei. Ich könne ja auch Berenice bitten, Tyra von ihm zu grüßen.
Als Tyra erschien, richtete ich ihr Trons Grüße aus. Sie wußte gleich, wer er war.
Tyra berichtete, vor etwa einer Woche habe Rafa mehrfach versucht, sie telefonisch zu erreichen und ihr gegen Abend gesimst, er hätte gerne mal wieder einen Zipfel von ihrer Seelendecke. Sie könne sich ja mal bei ihm melden, wenn sie wolle.
Rafa habe schon öfter zu ihr gesagt, sie wirke auf ihn so warmherzig, deshalb sei sie seine Seelendecke.
Tyra meldete sich bei Rafa. Er fragte sie, wie es ihr gehe. Sie erwiderte, ihr gehe es ganz gut, und wie es ihm denn gehe?
"Geht so", erwiderte er und fragte sie, ob sie kurz Zeit habe.
Sie besuchte ihn und hatte den Eindruck, daß es ihm nicht gut ging. Rafa erkundigte sich beiläufig, wie es bei ihr auf der Arbeit laufe und was sie sonst so mache. Er zeigte sich ausgeglichen und lachte ab und zu. Als Tyra sich erkundigte, wie es in ihm aussah, antwortete er:
"Weiß ich auch nicht. Irgendwie ziemlich leer."
"Ist es das, was du als 'Weltschmerz' bezeichnest?"
Er bejahte das und erzählte, vor einigen Tagen habe er Magenschmerzen gehabt und eine seltsame Unruhe gefühlt. Tyra fragte, ob es sich um eine körperliche Unruhe oder eine seelische handelte. Rafa antwortete, es sei eine seelische Unruhe gewesen.
"Und wo war Darienne?" fragte Tyra. "Warum war sie nicht an deiner Seite, als es dir schlecht ging?"
"In solchen Momenten will ich sie nicht an meiner Seite haben", gab Rafa zur Antwort. "Sie hat angerufen und wollte zu mir kommen, aber ich habe sie abgewimmelt."
Er sei zum Arzt gegangen und habe sich eine angstlösende Spritze geben lassen. Danach habe er andauernd versucht, Tyra zu erreichen. Tyra empfahl Rafa, zu Bett zu gehen. Sie richtete sein Sofa her. Auf ihr Bitten legte er sich hin. Sie streichelte ihm übers Haar. Er schlief ein, gegen halb elf. Sie legte ihm einen Zettel hin, auf den sie geschrieben hatte:

Bitte melde dich bei mir, wenn du aufwachst.
Warum hast du dir eigentlich Darienne ausgesucht, wenn sie ausgerechnet dann, wenn du eine Partnerin besonders nötig brauchst, nicht an deiner Seite sein soll? Willst du keine Echtheit haben?

Rafa meldete sich morgens gegen zehn Uhr bei Tyra. Ihre Frage beantwortete er nicht. Sie sprach ihn auch nicht darauf an. Einige Tage später meldete Rafa sich frühmorgens bei Tyra und fragte, ob sie zum Frühstück vorbeikommen wollte. Er habe schon Brötchen geholt. Tyra erzählte, daß sie noch in Bkb. bei Charlize war. Sie müsse von dort aus gleich zur Arbeit fahren. Sie habe Wochenendschicht. Am Montagabend jedoch habe sie Zeit. Rafa wirkte tief gekränkt. Er meldete sich am Montagabend bei Tyra und behauptete, er habe keine Zeit. Tyra nahm an, daß Darienne bei ihm war.
Früher sei es vorgekommen, daß Rafa sich beschwerte, als Tyra ihm übers Haar strich. Er habe erklärt, es nerve ihn. Eines Tages fragte er sie, warum sie ihm nicht mehr übers Haar strich. Sie antwortete, er habe doch gesagt, daß er das nicht wollte. Er entgegnete, jetzt wolle er wieder, daß sie es mache.
Über mich soll Rafa zu Tyra gesagt haben, er wäre bestimmt öfter bereit, mit mir zu sprechen, wenn ich ihn nicht dauernd anfassen würde.
"Ich habe Rafa erklärt, daß ich nie darauf verzichten werde, ihn anzufassen", erzählte ich. "Er kann das nur verhindern, indem er Abstand zu mir hält."
"Ja, aber wenn er dann nicht so gerne mit dir redet?" wandte Tyra ein.
"Meine Gesundheit ist mir wichtiger", erklärte ich. "Es ist für mein Immunsystem wichtig, daß ich ihn streichle, deshalb werde ich nie darauf verzichten."
Tyra zeigte mir ihr Diarium, in dem sie Buch führte über ihr Verhältnis mit Rafa. Vor Rafa habe sie nur eine einzige flüchtige Beziehung gehabt. Rafa habe es gestört, daß er nicht ihr erster Mann gewesen sei:
"Ih, das ist ja furchtbar, daß da noch ein anderer war."
"Rafa, soll ich dich mal an was erinnern?" gab Tyra zurück.
Rafa wechselte das Thema, kam aber später immer wieder darauf zurück und konnte sich nicht beruhigen.
Nun sprach ich Tyra darauf an, daß sie im Dezember geklagt hatte, das Gerücht, daß sie mit Rafa ein Verhältnis habe, sei wohl nie aus der Welt zu schaffen:
"Das war doch gar kein Gerücht. Du hattest doch tatsächlich etwas mit Rafa."
Tyra erklärte, sie habe deshalb so geredet, weil sie die Wahrheit vertuschen wollte. Sie habe nicht über alles sprechen können.
"Die Unwahrheit hat so lange die Oberhand, wie man sich selbst gegenüber nicht ehrlich sein kann", meinte ich. "Ich denke, Berenice hat auch über vieles so lange nicht gesprochen, wie sie mit sich selbst darüber nicht im Reinen war. Je ehrlicher du mit dir selbst sein kannst, desto leichter wird es dir fallen, die Wahrheit auszusprechen."
"Über der ganzen Zeit meiner Beziehung mit Rafa liegt ein schwarzer Balken mit der Aufschrift 'zensiert'. Über ein Jahr lang war ich fast vierundzwanzig Stunden am Tag bei Rafa. Ich habe zu fast niemand anderem mehr Kontakt gehabt. Meine Ausbildung wäre fast gescheitert."
"Rafa hat dich regelrecht kaserniert", meinte ich. "Er hat dich als Mutter-Attrappe verwendet, ohne Rücksicht darauf, daß du auch noch ein Privatleben brauchst und ausreichend Zeit, um das, was du mit ihm erlebst und besprichst, zu verarbeiten und mit dir allein zu sein."
In Tyras Diarium war zu erkennen, daß ihr Verhältnis mit Rafa bis mindestens zum August des vergangenen Jahres fortdauerte, also auch noch, als Rafa bereits mit Darienne liiert war. Tyra hat nämlich jeden Tag, an dem sie mit Rafa etwas hatte, mit einem Herz markiert - und das war alle ein bis zwei Wochen der Fall. Rafa behauptete in dieser Zeit immer wieder, nicht mit Tyra zusammen zu sein. Er behauptete das sogar, wenn er mit Tyra allein war.
"Wir stecken fast jeden Tag zusammen, wir sind miteinander im Bett", entgegnete Tyra, "was ist das denn sonst?"
"Nein, nein, was heißt schon 'zusammen'?", wehrte Rafa ab.
Tyra erinnerte sich, ehe sie ihr Verhältnis mit Rafa begonnen habe, habe er gewarnt, nun würden sie in einen Sumpf geraten.
"Rafa hat so getan, als würde eine dunkle Schicksalswoge auf euch zurollen", meinte ich. "Es ist rücksichtslos von ihm, seine eigene Verantwortung für die Beziehung beiseitezuschieben. Er tut so, als sei er eben so und könnte nichts dafür, daß er sich verantwortungslos und asozial verhält."
"So habe ich mir das noch gar nicht vor Augen geführt."
"Wenn du ihm wirklich helfen willst, kannst du das nur, indem du ihn darauf hinweist, daß sich sein Befinden nur bessern kann, wenn er bereit ist, an sich zu arbeiten und sein eigenes Verschulden an dem, was ihm geschehen ist und was er erlebt, anzuerkennen. Rafa geht es so schlecht, weil er das Gebot mißachtet hat:
'Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst.'
Wenn er danach handeln würde und die Bibel nicht nur als sein Lieblingsbuch bezeichnen, sondern auch verinnerlichen würde, wäre er nicht so unglücklich. Was Rafa fehlt, sind Demut und Bescheidenheit. Ihm fehlt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung ist nichts Theoretisches, Verantwortung ist ein Gefühl. Es geht um die Hinwendung zu den Menschen, die Sorge um andere."
In Tyras Diarium war immer wieder zu lesen, daß sie sich mit Rafa verabredet hatte - und immer wieder war zu lesen, daß er Verabredungen abgesagt oder nicht eingehalten hatte. Als Begründungen gab Rafa an, er habe keine Zeit, er brauche seine Freiheit oder er wolle Tyra nicht sehen. In ihrem Diarium wechselten sich lachende und traurige Smileys ab, je nachdem, ob Rafa ihr gerade zugetan war oder sie wieder einmal weggestoßen hatte. Auf einer Seite stand:

Heute gehe ich mit meinem Schatz schwimmen.

Darunter war ein trauriger Smiley gemalt, und daneben stand:

Doch nicht.

Meistens hielt Rafa die Verabredungen nicht ein, ohne sie abzusagen.
Rafas Verhalten Tyra gegenüber ist ein stetiger Wechsel von Zuwendung und Entwertung. Tyra nennt diesen Wechsel "Zuckerbrot und Peitsche", ein System, nach dem Sklaven gefügig gemacht werden. Auch "Teile und herrsche" gehört zu Rafas Prinzipien der Machtausübung. Wenn er jemanden isoliert und gegen dessen mitmenschliches Umfeld aufbringt, schwächt er ihn und kann ihn manipulieren.
Tyra ordnete ihr Leben Rafas Launen unter. Sie nahm jede Laune von ihm hin wie eine Schicksalsgabe. Sie scheint Rafa regelrecht hörig gewesen zu sein. Daß sie darunter litt, brachte sie nicht dazu, sich von Rafa zu lösen, sondern sie wendete sich gegen sich selbst. Im März des vergangenen Jahres, am Tag nach Ivcos Geburtstagsfeier, sah Tyra Rafa mit Darienne durch die Fußgängerzone von SHG. schlendern.
"Es hat mir das Herz gebrochen, die beiden schon wieder zusammen zu sehen", erzählte sie.
Tyra hatte sich in den letzten Jahren nur nach Rafas Tagesablauf gerichtet. Sie hatte ihre Ausbildung vernachlässigt und ihre Freundschaften. Inzwischen drohte die Ausbildung zu scheitern. Tyra hatte einen hohen Preis gezahlt und feststellen müssen, daß sie nichts dafür bekommen hatte. Am 15. März schrieb sie in ihr Diarium:

Paracetamol. Tschüß.

Sie schluckte 15 Gramm Paracetamol, brach die Tabletten aber wieder aus. Für eine Woche war sie im Krankenhaus und wurde erst entlassen, nachdem sie hoch und heilig versprochen hatte, sich nichts mehr anzutun. Vorübergehend zog Tyra zu ihrer Mutter.
"Als du das mit dem Paracetamol gemacht hast, hast du da an deine Mutter gedacht?" erkundigte ich mich. "Wie sie leidet, wenn sie dich nicht mehr hat?"
"Nein, überhaupt nicht", antwortete Tyra. "Rafa stand für mich sooo weit oben, und tief darunter standen meine Mutter, meine Schwester und mein Vater ... und darunter stand ich. Ich habe gedacht, ich habe mein Leben der Liebe gewidmet, und wenn ich von meiner Liebe verstoßen werde, dann hat mein Leben seinen Sinn verfehlt."
"Dann hast du dich nur über Rafa definiert, nicht über deinen eigenen Selbstwert", meinte ich.
Auf Tyras Diarium-Seite vom 21. März fiel mir ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen auf. Tyra erklärte:
"Da wollte ich es wieder machen."
Sie habe nur deshalb von diesem Plan abgelassen, weil sie nicht wollte, daß es ihr wieder so schlecht ging wie nach der Einnahme der lebensgefährlichen Dosis Paracetamol.
"Das ist eigentlich alles völlig lächerlich", meinte Tyra.
"Ich finde das überhaupt nicht lächerlich", hielt ich dagegen. "Ich nehme das absolut ernst. Und wenn ich dann noch daran denke, daß wegen Rafa beinahe eine Mutter ihr Kind verloren hätte, dann bin ich vollkommen wütend."
"Wieso, ich war doch so blöd, mich umbringen zu wollen."
"Aber seinetwegen - weil er sich so entwertend verhalten hat. Wenn das nicht gewesen wäre, wärst du nicht auf die Idee gekommen, dich umzubringen."
"Bevor ich mit Rafa zu tun gehabt habe, war ich ein fröhlicher Mensch."
"Es kommt häufig vor, daß Opfer die Täter entlasten und glauben, selbst der Täter zu sein", meinte ich. "Viele Opfer nehmen die Schuld des Täters auf sich. Damit unterstützen sie die Täter dabei, immer wieder die Schuld von sich zu weisen. Es geht jetzt darum, Opfer und Täter nicht miteinander zu vertauschen."
Anfang April plante Tyra ein weiteres Mal, sich umzubringen. Sie ließ davon ab, weil ihre besorgte Mutter engen Kontakt zu ihr hielt.
Tyra erinnerte sich an das vorletzte Silvester, kurz vor Rafas Beziehung mit Darienne. Damals sei Rafa bei Tyras Familie zu Besuch gewesen. Er habe gestrahlt vor Glück und sich gefreut, weil er Tyras Verwandten Zaubertricks vorführen durfte. Sten, der auch dort war, habe nach der Feier zu Tyra gesagt, so kenne er Rafa gar nicht mehr, daß er so strahle. Allein, diese Erlebnisse schienen bei Rafa keinen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Er beschäftigte sich in den folgenden Tagen mit One Night Stands und machte sich an Darienne heran.
Tyra erzählte, Anfang Januar des letzten Jahres sei Eden das Mädchen gewesen, mit dem ich Rafa im "Maximum Volume" lange Zeit an einer Bar habe sitzen sehen. Tyra war ebenfalls im "Maximum Volume" und beobachtete die beiden. Rafa flirtete mit Eden, sie küßten sich. Später sprach Tyra Rafa auf Eden an, und er behauptete, er sei morgens nicht mit Eden mitgegangen, sondern er sei mit dem ersten Zug nach SHG. gefahren.
"Da bin ich mir nicht so sicher, ob das stimmt", meinte ich.
Eden soll nach dieser Begebenheit für einige Monate mit Dolf zusammen gewesen sein.
Ich kam darauf zu sprechen, daß Rafa auf seiner Geburtstagsfeier im vergangenen Jahr in keiner Weise erkennen ließ, daß er mit Tyra eine Beziehung hatte. Er tat so, als wenn er zu haben war.
"Offiziell waren wir ja auch nicht zusammen", erklärte Tyra. "Rafa hat immer gesagt, wir sind nicht zusammen."
"Daß er dich verleugnet hat, war dir gegenüber eine Frechheit."
"Und ich habe Darienne noch zu Rafas Geburtstagsparty gefahren", hielt Tyra sich vor, "damit sie auf der Party etwas trinken konnte."
Darienne habe früher zu Tyras Bekanntenkreis gehört. Seit dem Sommer 2004 habe Darienne sich Rafa angenähert, fast unmerklich. Eigentlich, so meinte Tyra, hätte Darienne klar sein müssen, daß zwischen Tyra und Rafa etwas lief. Mitte Januar des letzten Jahres habe Tyra das "Byzanz" mit Rafa und Darienne verlassen und Darienne nach Hause gebracht. Darienne habe Tyra und Rafa als Paar erlebt und beobachtet, wie sie sich küßten.
"Ihr seid ja süß", habe Darienne kommentiert.
Kaum zwei Wochen später erhielt Tyra von Darius die Nachricht:
"Rafa will Darienne f...en."
Mitte Februar - vor fast genau einem Jahr also - sagte Tyra auf der Tanzveranstaltung im "Keller" zu Darienne:
"Mensch, Darienne, du bist doch auch in Rafa verliebt."
Darienne erwiderte nichts darauf.
Am Montag nach der Party im "Keller" sagte Rafa zu Tyra, er liebe sie, sie sei ihm so wichtig.
Rafa umwarb abwechselnd Darienne und Tyra, wobei er den Fortgang seiner Beziehung mit Tyra vor Darienne verheimlichte und von Tyra erwartete, daß sie ihn dabei unterstützte.
Rafa schmeichelte Tyra immer wieder, um sie gefügig zu halten. Er bezeichnete sie als "Geschenk". Mit Sicherheit folgte darauf die Entwertung, früher oder später; er nannte Tyra "Du Dreck" oder Ähnliches. Rafa erklärte, er sei eben so. Tyra sei ein Geschenk, aber er sei halt jemand, der mit Geschenken schlecht umgehe.
"Dein Leben ist tatsächlich ein Geschenk", sagte ich zu Tyra. "Mein Leben sehe ich auch als Geschenk an. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, gut damit umzugehen. Dazu gehört, zu mir selbst zu stehen. Das ist mir vor allem wichtig. Rafa versucht, andere Menschen genauso abhängig, genauso gelähmt und genauso handlungsunfähig zu machen, wie er selber ist. Er verhält sich wie ein Suchtkranker, der seine Pflanzen mit Wodka gießt und dem Hund Wodka in den Napf schüttet - was wirklich vorkommt."
"Rafa hat die Angewohnheit, einen immer dann, wenn man mit sich zufrieden ist, bis hinunter in den tiefsten Keller zu entwerten."
"Rafa kann es nicht ertragen, wenn sich jemand wertschätzt", meinte ich. "Deshalb muß er den 'runtermachen."
Rafa fand zwischen seinen Bettgeschichten mit Tyra und Darienne noch genügend Zeit für ein Schäferstündchen mit Tyras damaliger WG-Genossin Charlize. In Tyras Diarium war dokumentiert, wie Charlize ihr eröffnete, daß sie mit Rafa im Bett gewesen war.
"Ich hasse sie", schrieb Tyra. "Ich will sie nie mehr sehen."
Im April zog Tyra bei Charlize aus. Sie suchte sich eine Wohnung in SHG. in Rafas unmittelbarer Nachbarschaft. Charlize blieb in der Wohnung in Bkb. Das Verhältnis zwischen Tyra und Charlize hat sich mittlerweile entspannt.
Tyra erzählte, daß die Wohnung im Dachgeschoß von Rafas Elternhaus leersteht und daß Rafa jederzeit dort einziehen könnte. Offenbar ist es ihm aber lieber, zur Hälfte im Keller und zur Hälfte im Kinderzimmer bei seiner Mutter zu wohnen.
Das Verhältnis zwischen Rafa und seiner Mutter habe etwas Geschäftsmäßiges. Wenn Rafa sich in der Küche ein größeres Stück Salami abschneide, sage die Mutter:
"He, Rafa, das kostet aber 50 Cent extra."
Sie sorge dafür, daß er das Haus nicht zu verlassen brauche. Ansonsten kümmere sie sich wenig um ihn.
Tyra erinnerte sich an Rafas Auftritt zu Pfingsten in L. Darienne habe nicht wie eine glückliche Lebensgefährtin gewirkt. Sie habe in schlichter Kleidung ohne Styling hinten gesessen und sich nicht von der Stelle gerührt. Am Pfingstmontag sei Darienne vorzeitig nach Hause gefahren. Tyra sei danach mit Rafa im Bett gewesen.
Im Juni habe Rafa Tyra umarmt und mit Verzweiflungs-Miene geseufzt:
"Ich bin so hin- und hergerissen. ich weiß nicht, für wen ich mich entscheiden soll, für Darienne oder für dich."
Was seine Entschlußlosigkeit für die beiden Mädchen bedeutete und wie es ihnen damit ging, war für Rafa nie ein Thema, es kümmerte ihn wohl auch nicht.
Tyra hat in ihrem Diarium mehrmals vermerkt, daß sie versucht hat, sich durch "Frustsaufen" zu helfen. Unter anderem stand da:

Heute wieder Sekt gesoffen mit Vivia.

Eine Freundin schrieb in Tyras Diarium, sie wünsche sich, daß Tyra Rafa endlich fallenließ und sich um sich selber kümmerte. Tyra verdiene es nicht, sich von so einem Menschen kleinmachen zu lassen. Sie solle leben und glücklich sein.
Im Juli soll Rafa mit einer Bekannten von Tyra im Bett gewesen sein. Die habe sich deshalb mit Rafa eingelassen, weil sie geglaubt habe, zwischen Tyra und Rafa laufe nichts mehr. Das Verhältnis soll etwa einen Monat gedauert haben.
Am Donnerstag vor der Tanzveranstaltung im "Keller" im August sei Tyra mit Rafa im Bett gewesen. Auf der Party habe sie beobachtet, wie Rafa Darienne ausgiebig und in theatralischer Weise abküßte.
"Ich will jetzt auch so einen Kuß", verlangte Tyra von Rafa.
Er gab ihr ein hingehauchtes Küßchen. Tyra war wütend und sagte zu Darienne:
"Ich habe am Donnerstag mit Rafa geschlafen, und es war geil."
Darienne glaubte ihr zuerst nicht. Sie stellte Rafa zur Rede. Rafa log, er sei nur einmal mit Tyra im Bett gewesen, zu Pfingsten in L. Dies aber reichte schon, um bei Darienne einen Gefühlsausbruch hervorzurufen, der die ganze Nacht andauerte.
Tyra erzählte, sie sei nach dieser Party nur noch einmal mit Rafa im Bett gewesen. Wann genau das war, bleibt offen. Sie erklärte, sie habe sich von Rafa getrennt. Sie habe erkannt, daß er nicht der Richtige für sie sei.
Die Servierkräfte des "Departure" brachten allen Gästen rote Rosen, erst den Damen und dann auch den Herren. Im "Departure" gab es große rote Herzen als Dekoration. Ein Fotograf ging herum und fotografierte die Gäste mit den roten Herzen und den Rosen, auch Tyra und mich. Das Foto kommt auf die Internet-Präsenz des "Departure".
Was mich betrifft, soll Rafa Tyra kürzlich gefragt haben:
"Was willst'n mit der?"
"Wieso, die ist doch nett", erwiderte Tyra.
Rafa krächzte etwas Unverständliches in sich hinein.
"Rafa haßt mich mehr als alles andere auf der Welt", meinte ich.
"Vielleicht liegt es doch an dir?" überlegte Tyra. "Er hat ja gesagt, wenn du ihn nicht immer anfassen würdest, würde er vielleicht lieber mit dir reden."
"Das hat aber nichts mit Haß zu tun. Das klingt doch nicht nach dem Wunsch, mich als Mensch komplett zu zerstören. Haß ist immer umgewandelter Selbsthaß. Haß und Wut sind nicht das Gleiche. Wut ist ein sinnvolles, konstruktives Gefühl, das der Verteidigung dient. Haß ist sinnlos und destruktiv. Es gibt keinen vernünftigen Grund, jemanden zu hassen. Wer haßt, hat ein Problem mit sich selber."
"Wieso, aber ... ich habe Darienne auch gehaßt."
"Ja, aber in der Zeit stand es mit deinem Selbstwertgefühl auch nicht gerade zum Besten."
"Stimmt."
"Ich hasse Darienne nicht."
"Ich hasse sie ..."
"Wenn ich auf jemanden wirklich wütend bin, dann auf Rafa, denn er ist der Übeltäter. Darienne ist lediglich seine Marionette. Sie kann nicht selbst entscheiden, was mit ihr passiert, weil sie es nicht durchschaut."
So sehr Tyra ihre Selbstsorge vernachlässigte, so sehr war sie stets um Rafas Wohlergehen bemüht. Sie erzählte, bereits Anfang September des vergangenen Jahres habe sie ihre Mitgliedschaft bei der Band W.E schriftlich gekündigt. Daraufhin habe Rafa sie zu sich bestellt und mit ihr verhandelt. Er habe sie angefleht, bis Mitte Oktober in der Band zu bleiben. Sie habe nachgegeben, weil die Bands Rafas einziges berufliches Standbein seien und sie das nicht gefährden wolle. Daß durch ihre Beziehung mit Rafa ihr eigenes berufliches Vorankommen erheblich gefährdet wurde, spielte für sie in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Rafa schuldet Tyra bis heute Geld für mehrere Auftritte, bei denen sie auf der Bühne stand.
"Sich selbst zu verleugnen ist nie gut", mahnte ich. "Damit hilft man weder sich selbst noch den anderen. Wenn man nicht zu sich steht, hat man nicht die Kraft, wirklich für jemand anderen da zu sein. Deshalb muß der Selbstschutz immer obenan stehen."
Tyra meinte, die Zeit mit Rafa sei früher "perfekt" gewesen.
"Das stimmt nicht", widersprach ich. "Erstens hat Rafa die ganze Zeit Berenice als Freundin nebenher gehabt, und zweitens hat er dich immer verleugnet. Und drittens hat er außer Berenice und dir noch viele andere Frauen gehabt. Und viertens hat er dich völlig abgeschirmt und dir keine Privatsphäre zugestanden."
Tyra gegenüber behauptete Rafa damals, er sei mit Berenice nur noch deshalb liiert, weil sie ihm in finanziellen Dingen Schaden zufügen könne; sie wisse einige Dinge, durch die er erpreßbar sei. Und sie werde sich bestimmt rächen wollen, wenn er sie verlasse.
"Das ist totaler Unsinn", meinte ich. "So, wie ich Berenice einschätze, würde sie das auf keinen Fall machen. Sie würde nie jemandem mit Berechnung Schaden zufügen. Das ist gar nicht ihre Art. Vielmehr würde ich Rafa so etwas zutrauen. Er neigt ohnehin dazu, anderen Leuten etwas vorzuwerfen, was er selber tut. Berenice hat ein moralisches Gerüst. Bei Rafa kann ich kein moralisches Gerüst erkennen."
Wir kamen auf Rafas Neigung zur Gewalttätigkeit zu sprechen. Tyra hatte gehört, daß Rafa Darienne geschlagen haben soll. Darienne soll behauptet haben, es handele sich nur um ein Gerücht, das Bibian in die Welt gesetzt habe.
"Joujou hat die blauen Flecken auf Dariennes Handgelenken selbst gesehen", erzählte ich.
"Können das nicht auch Abdrücke von Handschellen gewesen sein?" fragte Tyra.
"Wenn es Handschellen gewesen wären, dann wären das ringförmige Einschnitte gewesen", erwiderte ich. "Es waren aber Flecken. Und die können nur entstehen, wenn jemand die Handgelenke quetscht. Joujou hat nicht von ringförmigen Abdrücken gesprochen, sondern von Flecken. Außerdem, als Joujou Darienne gefragt hat, wie die entstanden sind, soll Darienne nach Ausreden gesucht haben."
Ich erzählte Tyra, daß Berenice in einer E-Mail angedeutet hat, Rafa habe ihr Rippen gebrochen und Zähne ausgeschlagen.
"Von der gebrochenen Rippe habe ich gehört", erinnerte sich Tyra. "Rafa hat behauptet, daß das ein Versehen war."
"Das kann ich mir nicht vorstellen", meinte ich. "Eher kann ich mir vorstellen, daß das eine Ausrede von ihm ist. Daß Rafa gegenüber seinen Freundinnen gewalttätig ist, ist lange bekannt."
Tyra erzählte, sie habe Rafa mit heiklen Themen - etwa seiner Gewalttätigkeit - nicht konfrontieren wollen, weil sie befürchtete, Rafa könnte sich danach nie wieder bei ihr melden. Dann wäre die "schöne Freundschaft" verloren.
"Deine Verlustängste sind Rafas Machtmittel", deutete ich. "Er sucht sich gezielt Menschen mit Verlustängsten aus. Es ist die Frage, ob man sich von Rafa erpressen lassen sollte oder ihm doch lieber einen Strich durch die Rechnung machen sollte. Manchmal ist es sinnvoll, Ängste zu ignorieren, nämlich wenn sie dem eigenen freien Willen im Wege stehen. Daß man Angst empfindet, ist ein Warnsignal. Es geht darum, zu bewerten, inwiefern diese Angst sinnvoll ist und inwiefern nicht. Wenn Rafa sich vor mir aufbauen würde, würde ich zu ihm sagen:
'Räum' erstmal dein Zimmer auf, dann sehen wir weiter.'
Rafa hat mein Selbstwertgefühl nie demontieren können - im Gegenteil, es ist kontinuierlich gestiegen. Das liegt auch daran, daß ich hinter allem stehe, was ich tue - zumindest gebe ich mir Mühe, daß es so ist. Ich wäre nicht bereit, die Rolle zu spielen, die Rafa seinen Freundinnen zuweist. Ich wäre nicht bereit, den lieben langen Tag bei ihm in der Bude herumzusitzen. Letzten Endes füllt eine Frau, die willenlos ergeben bei ihm herumsitzt, nur scheinbar eine Lücke in seinem Leben aus. Rafas Altersgenossen gehen arbeiten in der Zeit, in der er in seinem Keller sitzt. Und wenn da ein Wesen sitzt, daß ihm zuhört und tut, was er will, wird er über diese Lücke hinweggetäuscht. Auf diese Weise verhindert er bei beiden die Weiterentwicklung, die sozialen Kontake und die Auseinandersetzung mit den eigenen Erlebnissen. Ich glaube zwar nicht, die Weisheit gepachtet zu haben, aber vom Gefühl her denke ich, daß sich an Rafas Verhalten nur dann etwas ändern kann, wenn er mit der Realität unentrinnbar konfrontiert wird. Ich befürchte allerdings, egal wie hart Rafa mit der Realität konfrontiert wird, es wird bei ihm nicht zu einer Verhaltensänderung führen. Aber wenn überhaupt irgendetwas zu einer Verhaltensänderung führen könnte, dann müßte es so etwas sein."
Tyra meinte, Darienne sei mit Rafa nur zusammen, weil sie glaube, sich mit ihm wichtigmachen zu können. Tyra hatte ein Gedicht verfaßt, das von Darienne und Rafa handelte:


Er & Sie

Er macht's ihr vor
sie macht's ihm nach
er führt sie an
wo er nur kann

sie malt sich an
er schaut sie an
sie haben sich gern
so dann und wann

er schreit sie an
weil er es kann
er führt sie vor
sie ist Dekor

er will Prestige
sie will nur sich
bietet sich an
er liebt sie nicht

sie wird besungen
er ist gezwungen
es so zu lassen
bleibt gelassen

beginnt, das Leben neu zu hassen
schreit danach, die Welt zu verlassen.

Angeführt und unberührt
vorgeführt bleibt ungekürt
wird verführt und bleibt geführt
leere Hülle, die nichts spürt.

Führer, Führer, merkst du nicht,
daß daran dein Herz zerbricht?!!


Tyra erzählte, daß sie Rafa vorhin ein Valentins-Geschenk vor die Tür gelegt hat: ein Schiebe-Puzzle, bei dem man ein Herzchen-Bild zusammenschieben muß. Sie meinte, wenn sie ihm ein Geschenk vor die Tür lege, melde er sich danach meistens bei ihr. Es sieht nicht danach aus, als wenn Tyra sich wirklich von Rafa getrennt hat.
Tyra hatte in den letzten Monaten zwei Liaisons, die ihr helfen sollten, Abstand zu Rafa zu gewinnen. Sie hat beide Liaisons nach wenigen Wochen beendet. Die jüngste Trennung hat sie Rafa bislang verschwiegen, damit er nicht triumphieren konnte nach dem Motto:
"Siehst du, du kommst nicht ohne mich aus."
Tyra hat den Eindruck gewonnen, bei Rafa vollziehe sich inzwischen eine Entwicklung zu mehr Offenheit, Nähe und Aufrichtigkeit. Ich entgegnete, Rafa habe die Angewohnheit, immer wieder auf die Menschen zuzugehen, um Hoffnungen zu wecken. Doch jedesmal folge darauf das umgekehrte Verhalten: er ziehe sich zurück, zeige sich verächtlich und entwertend. Dieses Wechselspiel bilde das Grundmuster von Rafas Verhalten, und das habe sich in den letzten fünfzehn Jahren nicht verändert.
"Oh, Hetty, nimm' mir nicht alle meine Hoffnungen", bat Tyra.
"Das ist einfach nur die Realität", erwiderte ich. "Rafa will sich nicht entscheiden. Und das geht zu Lasten anderer Menschen."
Tyra berichtete, Berenice habe ihr gemailt, ich hätte ihr einreden wollen, Rafa sei ihr untreu gewesen. Für sie habe während ihrer Beziehung mit Rafa immer festgestanden, daß sie die Einzige gewesen sei, der Rafa treu gewesen sei. Im Januar 1998 habe es eine kurze Trennung gegeben, in dieser Zeit habe Rafa etwas mit einer anderen Frau gehabt. Das habe Berenice jedoch nicht als Untreue betrachtet, da sie ja mit Rafa in jener Zeit nicht zusammen gewesen sei.
"Da hat es mir gereicht", erzählte Tyra. "Da habe ich Berenice endlich die Wahrheit gesagt."
Rafa, der jede seiner Freundinnen betrogen hat, soll darüber geklagt haben, daß immer er es sei, der verlassen werde. Ich erzählte Tyra, daß in der Mehrzahl der Fälle Rafa es war, der sich trennte. Vielleicht wollte Rafa sich daran nicht erinnern.
Gegen halb elf erschien Aiden im "Departure". Tyra erinnerte sich, daß sie als Sechzehnjährige bei Aiden im Auto saß und zum ersten Mal ein Stück von Rafa hörte.
"Den Typen, der das singt, würde ich gerne heiraten", sagte sie damals.
Aiden brachte für Tyra ein Valentins-Geschenk mit, das bestand aus weißen Schaumzucker-Mäusen und roten Fruchtgummi-Herzen in einer Cellophan-Verpackung, die mit roten Pappherzchen geschmückt war.
Tyra fragte Aiden, was er von den Themen halte, über die sie und ich sprachen. Er antwortete, er höre einfach nur zu, es unterhalte ihn gut. Tyra ermunterte ihn, seine Meinung zu äußern. Als ich davon sprach, daß Rafas Paarungsverhalten ziemlich wahllos abläuft - durchaus auch an Bushaltestellen und in Damenklos -, zählte Aiden auf:
"Hm - Bushaltestelle? Die hatten wir schon. Damenklo? Hatten wir auch schon."
"Flipperkasten auch?"
"Nein, den Flipperkasten gerade noch nicht. Aber die Waschmaschine."
Am Mittwoch aß ich mit Saara im "Rondo" zu Abend. Sie erzählte, daß ihre jüngere Schwester Danielle ihr zweites Kind erwartet. Es soll im Spätherbst zur Welt kommen. Danielles Mann Mike soll sich immer noch viel Mühe geben, sich gut zu benehmen. Er soll den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen haben, der ihm übel mitgespielt hat. Saaras ältere Schwester Mariana hat sich von ihrem Freund getrennt. Er habe nie wirklich zu ihr gepaßt.
Saara fühlt sich bei ihrem Freund Justin noch immer gut aufgehoben. Er sei stets fürsorglich und störe sich nicht daran, daß sie beruflich viel unterwegs sei. Daheim komme sie fast nicht mehr dazu, auszugehen, doch wenn sie in anderen Städten eingesetzt werde, um dort Schulungen zu halten, gehe sie mit Kollegen aus.
Als ich Saara von Rafas Machenschaften erzählte und davon, wie Tyra sich seinetwegen beinahe umgebracht hätte, meinte Saara:
"Das ist ja ein Mörder."
"In gewisser Weise schon ... ein Mörder, der nicht gegen geltendes Recht verstößt."
Als ich erzählte, daß Tyra für Rafa ein hübsch verpacktes Valentinsgeschenk vor die Tür gestellt hat, meinte Saara:
"Oh, Tyra will bestimmt noch was von Rafa, sonst würde sie ihm nicht so ein Geschenk machen. Die ist noch nicht darüber hinweg."
Saara erinnerte sich daran, wie Rafa ihr 1995 den Hof machte und wie sie von Daphne gefragt wurde:
"Na, hat dich das Fieber auch gepackt?"
Saara wußte damals nicht, was Daphne meinte. Jetzt erst sei ihr klar geworden, daß Daphne in Rafa verliebt war und glaubte, auch Saara sei in Rafa verliebt.
"Rafa ist überhaupt nicht mein Typ", erklärte Saara. "Ich mag große, schlanke Typen, wie Kappa, Svenson und Justin."
Als Saara vor etwa zehn Jahren bei Rafa übernachtete, fragte er sie, ob es jemanden gebe, den sie toll finde.
"Ja, den gibt's", antwortete sie.
Rafa erkundigte sich, wer das sei.
"Das wird nicht verraten" entgegnete Saara, "aber du bist es nicht."
Im Bett habe Rafa Annäherungsversuche gemacht, die sie abgewehrt habe. Sie habe darauf bestanden, daß er sich von ihr wegdrehte.
Am Donnerstag telefonierte ich mit Heloise. Sie erzählte, Joujou habe am letzten Wochenende mit Darienne ins "Zone" gehen wollen. Auch Heloise wollte hin. Als Heloise jedoch mit ihrer Familie ins "Zone" gekommen sei, habe sie Joujou allein dort angetroffen.
"Es ist wie immer", seufzte Joujou. "Darienne hat kurzfristig abgesagt."
Vermutlich hatte Rafa Darienne zu sich herbeordert, und sie hatte sich folgsam gezeigt.
"Joujou sollte sich nicht zu sehr aufreiben in ihrer Sorge um Darienne", meinte Heloise. "Sie sollte sich auch um ihre eigenen Belange kümmern. Wir unterstützen sie dabei."
Am Freitag war ich im "Byzanz". Ich erzählte Joujou, daß Rafa neuerdings Tyra herbeizitiert, wenn es ihm schlecht geht, und Darienne herbeizitiert, wenn es ihm gut geht. Ich setzte Joujou über Rafas parallel laufende Beziehungen mit Darienne und Tyra in Kenntnis.
Joujou erzählte, daß Darienne in ihrer Wohnung viele Fotos von sich selbst aufgehängt hat, auch Fotos von Auftritten, bei denen sie mitgewirkt hat.
Herr Lehmann soll in letzter Zeit bei mehreren Auftritten von H.F. nicht dabei gewesen sein. Rafa soll deshalb ziemlich wütend geworden sein. Inzwischen soll Herr Lehmann bei seiner Freundin in K. wohnen.
Joujou beschrieb die Verletzungen, die ihr bei Darienne im August aufgefallen waren. Am rechten Oberarm und am Handgelenk habe Darienne starke Druckspuren gehabt, wie sie nur durch Quetschen mit Händen erzeugt werden können. Am linken Handgelenk habe Darienne eine offene und entzündete Verletzung gehabt, deren Herkunft sich nicht zuverlässig klären ließ.
"Dazu sage ich nichts", habe Darienne abgewehrt, als Joujou sie auf die Verletzungen ansprach.
In letzter Zeit habe Darienne sich nicht mehr bei Joujou gemeldet.
In einer E-Mail schilderte ich Berenice die Ereignisse im "Departure" und schickte ihr das Foto von Tyra und mir, das jetzt auf der Website des "Departure" zu finden ist. Zu Tyras Berichten schrieb ich:

Tyra zeigte mir ihr Diarium von 2005, und ich fand es erschütternd. Es macht mich traurig, wenn die Opfer seelischer Grausamkeit glauben, selbst schuld zu sein an dem, was ihnen angetan wurde.

Berenice schrieb:

Nettes Photo von Euch :)))
Ich hoffe sehr, dass Tyra es schafft, ihre furchtbaren Erlebnisse mit Rafa bald verarbeiten zu können! Sehr gerne würde ich ihr helfen, denn sie hat es geschafft, dass Rafa mir so fremd ist wie jeder andere Mensch, den ich auf der Straße sehe. Und ich bin ihr unendlich dankbar dafür!!!!

Ich schrieb:

Wenn man einen selbstunsicheren Menschen entwertet und kränkt, kann man ihn ganz legal umbringen, indem man ihn in den Suizid treibt. Das läßt mich erschauern.

Berenice schrieb:

Diese Tatsache an sich ist ja schon schlimm, aber dass es Menschen gibt, die das bewusst betreiben!!!! Nicht genug: ich war mit solch einem Menschen jahrelang zusammen und habe es nicht mal bemerkt!!!!

Ich schrieb:

Was deinen Bericht betrifft, so geht mir durch den Sinn: wenn Rafa mir Rippen brechen oder Zähne ausschlagen würde, ich glaube, ich würde ihn anzeigen, ungeachtet dessen, wie eng ich mich emotional an ihn gebunden fühle. Ich denke, für seine Schuld muß er einstehen, nicht ich. Und Körperverletzung ist eine Straftat, schon gar bei solchen Verletzungen. Seelische Grausamkeit ist straffrei, aber körperliche ist strafbewehrt.

Berenice schrieb:

Ausgeschlagen hat er mir keinen Zahn, eine kleine Ecke fehlt. Ich habe auch darüber nachgedacht, aber wie gesagt, es gehören immer zwei Leute dazu. Ich suche nicht den Fehler bei mir, ich denke da eher an ein Zusammenspiel ... Und er war nicht der erste Mann, der das getan hat in meinem Leben - aber sicherlich der Letzte!!!

Ich schrieb:

Ob Rafa dir einen Zahn abbricht oder ausschlägt, ich sehe da keinen großen Unterschied. Und ich denke, es gehören nur insofern zwei Leute dazu, als es einen Täter und ein Opfer gibt, wie bei anderen Straftaten auch. Für Gewalt gibt es keine Entschuldigung. Egal wie heftig ein Streit ist, Körperverletzung - schon gar in diesem Ausmaß - ist durch nichts zu rechtfertigen. Und wenn es um gebrochene Rippen geht (Rafa soll Tyra gegenüber doch tatsächlich behauptet haben, das sei nur ein Versehen gewesen!), ist die Verletzung sogar potentiell lebensgefährlich.

Berenice schrieb:

Das ist wohl richtig, das hat mir der Arzt am nächsten Tag auch gesagt ...

Ich schrieb:

Du hast dir weder aus Versehen selbst eine Rippe gebrochen noch dir aus Versehen selbst einen Zahn abgebrochen. Der Täter ist Rafa, das kann man drehen und wenden, wie man will. Nur möchte Rafa gern den Eindruck erwecken, seine Opfer seien an den zugefügten Verletzungen selbst schuld. Solche perfiden Einfälle passen zu Gewohnheitsschlägern ohne Gewissen.
Zur Zeit soll es Rafa ganz besonders schlecht gehen. Wenn er mit mir reden dürfte (was ich ihm ja nicht gestatte, wenn er eine Freundin hat), dann würde ich ihm sagen:
"Wenn du entspannt, angstfrei und erfüllt leben willst, dann richte dich nach dem Grundsatz:
'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.'"
Er hingegen lebt nach dem Grundsatz:
"Hasse deinen Nächsten wie dich selbst."
oder
"Sorge für deinen Nächsten genauso wenig wie für dich selbst."
Ohne soziale Verantwortung wird ein Mensch nicht glücklich.

Berenice schrieb:

Wer so vielen Menschen so viel Leid zufügt, kann nur irgendwann seine Strafe in Empfang nehmen.
Im übrigen denke ich nicht, dass Rafa Dir zuhören würde - mit dem Herzen, meine ich. Er würde nicht verstehen, was Du sagst. Wer weiß, ob er es jemals in seinem Leben verstehen kann ...

Ich schrieb:

Erstaunlich finde ich, wie tiefunglücklich Rafa sich in Magenkrämpfen krümmen kann, wie er in Panikattacken nach Luft ringt - um dann nahezu übergangslos frohgemut über alle möglichen Frauen drüberzusteigen. Was in diesem Gehirn vorgeht, ist mir noch nicht ganz klar. Leid läutert? Bei Rafa: Fehlanzeige!
Ja, ich denke, Rafa versteht nicht, was ich zu ihm sage. Er begreift es nicht.
Hast du Rafa mal gefragt, warum er die Frauen verachtet?

Berenice schrieb:

Nein, ich weiß es auch nicht. So ein dummes Geschwätz hat mich nie interessiert. Er findet sie dumm und geschwätzig - ich dachte mir immer, er fühlt sich ihnen unterlegen. Aber das hätte er ja sowieso nie so gesagt ;)

Ich schrieb:

Ich glaube, Rafa fühlt sich den Frauen tatsächlich unterlegen.

Berenice schrieb:

Ich bin davon fest überzeugt. Man erniedrigt nur andere Menschen, um sich selber überlegen zu fühlen.

Ich schrieb:

Daß Rafa seelische und körperliche Grausamkeiten begeht, ist deshalb nicht immer und für jeden erkennbar, weil er es hinter einer Unschuldsfassade verbirgt. Er gaukelt anderen Menschen vor, stets im Recht und moralisch unangreifbar zu sein.

Ich schilderte Berenice, was Joujou mir über Dariennes Verletzungen an den Armen erzählt hatte. Berenice schrieb dazu:

Na ja, wer weiß, auf was für Sexpraktiken die beiden stehen ;) Hetty, es gehören immer zwei Leute dazu - wenn Darienne das mit sich machen lässt, dann ist es ihre Sache! Vielleicht ist sie es genauso wie ich gewohnt, geschlagen zu werden - und dann macht es ihr einfach nichts aus!!! Das kann sicher nicht jeder verstehen.

Ich schrieb:

Verletzungen wie diese können mehr als nur eine Geldbuße nach sich ziehen, wenn sie zur Anzeige gebracht werden.

Berenice schrieb:

Beweis mal, dass es nicht im Einvernehmen geschehen ist (Beispiel Sex).

Ich erinnerte in diesem Zusammenhang wieder an die Gewalttaten, die Rafa an Berenice verübt hat:

Gebrochene Rippen haben nichts mehr mit Sexualpraktiken zu tun, finde ich.
Viele Frauen, die nichts anderes kennen, als geschlagen zu werden - oft schon von klein auf -, glauben, der Täter hätte ein Recht dazu, oder sie - die Frauen - seien selbst schuld, oder sie hätten kein Recht, sich zu wehren. Dies nutzen die Täter aus. Rafa, der als Kind sinnlos verprügelt wurde, glaubt, Schläge seien eine normale Kommunikationsform. Daß es sich um eine Straftat handelt, ist ihm wahrscheinlich nicht bewußt.

Berenice schrieb:

Ach, mag sein. Ich habe genug mit Schlägen erlebt, dass ich mittlerweile für mich weiß, dass ich das nicht mehr dulden werde. Nie mehr. Und das ist doch ein schöner Lernerfolg ;)

Rafa schreibt auf der Website von H.F., daß es ihm darum geht, "den Fehler Mensch zu beseitigen". Das wirft für mich einige Fragen auf. In das Online-Gästebuch von H.F. schrieb ich als "neutralizer":

Zitat H.F.:
"Den Fehler Mensch zu beseitigen"
... wie soll das in praxi aussehen? Ist damit gemeint, daß alle Menschen ermordet werden sollen?

Rafas Fanclub-Betreiber Valerien schrieb:

??? Was sind Sie denn für eine(r)? Natürlich nicht "ermordet", Quatsch! ASSIMILIERT natürlich ... und Widerstand ist zwecklos ...
Es sei denn, der Herr wirft Hirn vom Himmel ... dann könnte u. U. alles noch gut werden ...
*Kopfschüttel*

Ich schrieb:

@Valerien:
Assimiliert ... und wie und an was sollten 6 Mrd. Menschen assimiliert werden?

Femto schrieb:

Assimiliert an die Natur, assimiliert an die Verhaltensweisen, die langfristig eine Zukunftschance bieten, assimiliert an gute menschliche Eigenschaften, die schlechten mögen neutralized werden!
Bitte nicht die Frage stellen, was gute und schlechte Eigenschaften und / oder Verhaltensweisen sind, das kannst du dann im Forum diskutieren!

Ich schrieb:

Was gute und schlechte Eigenschaften sind, ist sicher subjektiv. Die einen finden z. B., daß Untreue und Unehrlichkeit gute Eigenschaften sind, die anderen sehen das nicht so.

Einige Tage später schrieb Delete in das Gästebuch von H.F.:

ein weg ist, den menschen zu modifizieren, zu assimilieren. und da müsste man einen schritt zurück gehen, um den menschen wieder an natürlicheres heranzuführen, von diesem level aus sei es dann möglich, völlig neues, an "futura" angepasstes zu schaffen. wobei die ausrottung des menschen ebenso seinen reiz hat.

Ich schrieb als "glasshouse":

Wer die Menschheit ausrotten möchte, dem steht es frei, mit sich selbst anzufangen.

Als "neutralizer" schrieb ich:

... btw, da war's wohl doch nicht so weit her mit der Selbstkritik ...? Ansonsten wäre ich gespannt, wie die erneuerte Menschheit aussehen wird, wenn ihre Erneuerer sich Hetzparolen an die Tür nageln, ihre Freundinnen betrügen und verprügeln und unsichere junge Menschen in den Suizid treiben ... Daß es noch (fast) keinen Todesfall gab, war eher dem Zufall zu verdanken, wie ich neulich erfuhr. Anderenfalls hätte man, denke ich, mit dem "Säubern" am falschen Ende begonnen.
Tut mir leid, aber wenn Menschenleben in Gefahr sind, verstehe ich keinen Spaß mehr.

Rafa löschte diesen letzten Eintrag.



Am Samstag war ich mit Merle und Elaine in der Ausstellung "Erzähl mir was vom Tod". Die Ausstellung ist kindgerecht und interaktiv. Es gab ein "Gänsespiel" auf dem Fußboden, wo man mit großen Schaumstoff-Würfeln und großen Spielfiguren eine spiralförmige Strecke bewältigen konnte. Auf Feld 58 lauerte der Tod, und das bedeutete, wer auf dieses Feld kam, mußte von vorne anfangen. In Regalfächern stand Spielzeug, das sich mit dem Tod befaßte, auch Zubehör für Modelleisenbahnen, das es erst seit Kurzem gibt - Trauergesellschaft, Friedhof, Leichenwagen. Erst in den letzten Jahren werden Tod und Sterben nach und nach wieder enttabuisiert.
Ein Erinnerungs-Raum war eingerichtet wie ein Wohnzimmer mit Erinnerungen an einen Verstorbenen. Ein Zimmer zeigte auf Fotos die letzte Lebensphase eines alten Mannes, der friedlich zu Hause starb, gepflegt von seiner Frau. In einem Raum war das Märchen "Gevatter Tod" auf großen Posterseiten zum Blättern modern illustriert wie eine Bildgeschichte zu lesen. Man sah Hochhausarmut, brennende Ölfässer im Hof, zugeparkte Straßen, ramponierte Bushaltestellen, den lieben Gott als sprechendes Jesusbild, den Teufel als schwerreichen Mann im Fond einer Luxuskarosse und den Tod als unauffällig gekleideten Durchschnittsbürger, der zu allen Menschen gleich ist. Als in dem Märchen das Patenkind des Todes Menschen heilen darf oder auch nicht, je nachdem, ob der Tod zu Häupten oder zu Füßen des Kranken steht, sieht man ihn auf einer Intensivstation, an einer Unfallstelle und im Lazarett.
In einem dunklen Raum mit Kinosesseln lief ein Strichmännchen-Animationsfilm, wo mit einfachen und anrührenden Bildern Interviews mit Kindern illustriert waren, die über ihre Erfahrungen mit dem Tod berichteten.
Es gab einen Raum, in dem stand ein leuchtend bunter Altar für ein mexikanisches Totenfest, wo man anscheinend weit weniger Berührungsängste mit dem Thema hat als in Europa.
Es gab einen Raum, der war mit Todesanzeigen tapeziert. Dort standen ein halboffener Sarg und ein Tisch mit einem Totenschein darauf. Ich erzählte Merle, daß ich schon einige Totenscheine ausgefüllt habe.
"Aber ich denke, das macht immer der Arzt", wandte Merle ein.
"Ja, ich", erinnerte ich sie an meinen Beruf.
In einem Raum konnte man ein "Unsterblichkeitselixier" mischen aus Wasser, Kamille und Zitronensaft. Elaine zog sich einen Kittel in Kindergröße an und machte sich ans Werk. Merle, Elaine und ich stießen mit dem "Unsterblichkeitselixier" an.
Ein erhöht angelegter Raum war in Weiß gehalten und mit dickflauschigem weißem Teppichboden ausgelegt, das war der Himmel, der sollte nur ohne Schuhe betreten werden. Unter der Decke war ein feines Drahtnetz gespannt, daran waren weiße Zettel geklemmt, auf denen die Besucher geschrieben hatten, wie sie sich das Jenseits vorstellen. Es gab auch zwei weiß lackierte Bäumchen, an denen solche Zettel klemmten. Auf einem Zettel stand:
"Dann komme ich zu meinem 4-jährigen Sohn."
Auf meinen Zettel schrieb ich:
"Solang man selbst nicht verlorengeht ..."
An einer Seitenwand schaute man in Regalfächer mit Grabbeigaben, aus Stein- und Bronzezeit und auch aus heutiger Zeit. Plüschtiere und Matchbox-Autos waren darunter.
In der Nähe des Ausgangs vertieften Merle, Elaine und ich uns in ausgelegte Bilderbücher, in denen versucht wurde, kindgerecht mit dem Thema Tod umzugehen. Oben waren in einer Galerie die Ergebnisse einer Malstunde zu betrachten, wo Kinder Bilder über den Tod malten, nachdem sie eine Geschichte zu dem Thema gehört hatten.
Als ich Tyra am Telefon von der Ausstellung erzählte, war sie begeistert, zumal für sie als angehende Erzieherin diese Ausstellung Anleitung und Anregung gibt.
Tyra berichtete, daß sie Rafa in den letzten Tagen mehrmals besucht hat. Er spielte ihr ein neues Stück von, "1000 Tage Teil 2", und fragte sie, wie es ihr gefalle.
"Es ist für dich", setzte er etwas verschämt hinzu.
Tyra freute sich sehr, und sie fand, daß Rafa ihr gegenüber wieder sehr aufmerksam war. Sie verzichtete freilich darauf, ihn auf sein betrügerisches Beziehungsverhalten anzusprechen. Dabei hatte es eben erst wieder ein Beispiel für dieses Verhalten gegeben. Am vergangenen Wochenende hatte Rafa in Dariennes Beisein das Stück "1000 Tage Teil 2" aufgenommen, und Darienne mußte assistieren, indem sie im richtigen Moment das Aufnahmeknöpfchen drückte. Daß dieses Lied für Tyra war, verschwieg Rafa wohlweislich.
"Rafa hat seine Freundin assistieren lassen, als er ein Liebeslied für eine andere Frau aufgenommen hat", faßte ich zusammen. "Und das ist eine Gemeinheit Darienne gegenüber. Ja, schon allein die Tatsache, daß er Liebeslieder für andere Frauen schreibt, anstatt sie für seine Freundin zu schreiben, ist eine Gemeinheit."
Tyra erklärte, sie wage nicht, Rafa mit seinem verantwortungslosen Verhalten zu konfrontieren, da sie befürchte, daß er dann nichts mehr von ihr wissen wolle.
"Deine Verlustängste sind sein Machtmittel", wiederholte ich. "Solange du dein Selbstwertgefühl darüber definierst, daß Rafa dir wohlgesonnen ist, hat er dich in der Hand."
Tyra erzählte, Berenice habe ihr gemailt, wie schlecht Rafa in Berenices Gegenwart über Tyra geredet habe. Er habe behauptet, Tyra sei eine Stalkerin, die wolle etwas von ihm, und er werde die einfach nicht los, die nerve ihn nur. Zu Tyra hingegen sagte er über Berenice, mit der habe er nur deshalb nicht Schluß gemacht, weil er befürchte, daß sie ihn aus Rache in finanzielle Schwierigkeiten stürzen werde. Wenn er mit Berenice sprach, betonte er, wie wichtig ihm Berenice sei und wie sehr er sie liebe, und wenn er mit Tyra sprach, betonte er, wie wichtig ihm Tyra sei und wie sehr er sie liebe.
"Als ich erfahren habe, wie schlecht Rafa über mich redet, hatte ich das Gefühl, daß er mich überhaupt nicht mag", sagte Tyra verstört. "Wie kriege ich nur heraus, ob er mich mag oder nicht?"
"Rafa mag sich selbst nicht, das ist alles", deutete ich. "Weiter ist das nichts."
Ich erzählte von den seelischen und körperlichen Verletzungen, die Rafa seinen Freundinnen zufügt. Tyra verwies darauf, daß Rafa sie nie geschlagen habe.
"Rafa hat dich nie als seine Freundin bezeichnet", wandte ich ein. "Er hat sich nie zu dir bekannt. Rafa schlägt nur die Frauen, denen er die Rolle 'Freundin' zuweist."
"Aber warum?"
"Meine Hypothese lautet, daß Rafa die Frauen, denen er den Stempel 'Freundin' aufdrückt, als Teil seiner selbst erlebt und daß er sie ebenso schlecht behandelt, wie er sich selbst behandelt."
Ich erkundigte mich, ob Tyra mit Rafa eine Freundschaft oder eine Beziehung will. Sie antwortete, das wisse sie selbst nicht recht.
"Du solltest dir das genau überlegen", riet ich, "denn nur dann kannst du Bedingungen und Forderungen stellen. Wenn du mit ihm nur eine Freundschaft haben willst, mußt du jede Freundin an seiner Seite akzeptieren. Wenn du mit ihm eine Beziehung haben willst, darfst du keine Freundin an seiner Seite akzeptieren. Eine Dreiecksbeziehung funktioniert nicht, das hast du selbst schon durchlebt."
Ich setzte hinzu, es sei erforderlich, Rafa gegenüber Selbstbewußtsein zu zeigen, um sich vor Entwertungen zu schützen.
"Rafa würde dich auch betrügen, wenn er mit dir zusammen wäre", war ich sicher. "Der betrügt einfach alle. Daran kann sich nur etwas ändern, wenn Rafa seine Schandtaten bereut und vor allem tätige Reue zeigt. Ohne einen inneren Entwicklungsprozeß ist bei ihm keine Beziehungsfähigkeit zu erreichen. Es geht darum, ihn Schritt für Schritt mit der Wirklichkeit in Kontakt zu bringen. So etwas kannst du nur schaffen, wenn du so selbstsicher bist, daß Rafa dich nicht mehr entwerten kann. Du kannst ihm nur helfen, wenn du deinen Selbstwert unabhängig von ihm definieren kannst. Nur dann kann er dich nicht mehr demontieren."
"Und was erreiche ich dadurch?"
"Daß er dich nicht kaputtmachen kann", erklärte ich. "Dein Selbstschutz muß obenan stehen. Du kannst ihm ja auch keine Stütze sein, wenn er dich zerreiben kann wie Parmesan. Rafa ist aggressiv, und man kann ihm nur entgegentreten, wenn einem seine Aggressivität nichts anhaben kann. Rafa versucht, seinen Mitmenschen vorzugaukeln, er sei immer im Recht und moralisch unangreifbar. Und er spielt das so glaubwürdig, daß es schwer ist, darauf nicht hereinzufallen." "Ja, er sagt wirklich:
'Rafa hat immer recht.'"
"Eben", nickte ich. "Und er bringt das so überzeugend, weil er selbst daran glaubt. Man kann diese Rolle nur brechen, wenn man selbst die Rolle wechselt. Wenn er behauptet, das Recht und die Wahrheit gepachtet zu haben, kann man ihn auf sein Aussehen verweisen:
'Guck' dich mal an. Deine Hose ist überall zerrissen, deine Socken will ich gar nicht sehen, dein Unterhemd - hast du überhaupt eins? Dein Hemd hat Brandlöcher, deine Haare sehen aus wie tausend Jahre nicht geschnitten, auf deinen Möbeln liegt Staub, und so einer, der es noch nicht einmal schafft, sein Aussehen in Ordnung zu halten und sein Zimmer aufzuräumen, der will mir erzählen, was Recht und Wahrheit ist?'"
Rafas Sachen sollen sich in einem erbärmlichen Zustand befinden. Er habe eine Hose, die im Schritt immer wieder reiße, und Tyra habe die Hose unzählige Male geflickt.
Tyra meinte, sie sei Rafa gegenüber auch deshalb nachgiebig, weil er ihr leidtue. Ich entgegnete, wirkliche Hilfe bedeute für Rafa in jedem Fall, daß er sich mit seiner Schuld auseinandersetzen müsse. Dies werde bei ihm auf Widerstand stoßen und zwangsweise Aggressionen in ihm wecken. Ein liebevolles und warmherziges Verhalten allein führe bei Rafa nicht zu einer Verhaltensänderung.
Heute gab es eine Party im "Nachtbarhaus". Sie ist Teil einer neuen Partyreihe, die ins Leben gerufen wurde, um das "Elizium" wiederauferstehen zu lassen - wenigstens ein Stück weit.
Im Eingangsbereich des "Nachtbarhaus" traf ich einen alten Bekannten wieder, den ich zuletzt vor zwanzig Jahren gesehen hatte. Er heißt Joshua, und ich war damals mit ihm und ein paar anderen Feierwütigen nachts unterwegs, in Glitzer-Cafés und Glitzer-Discotheken. Er wollte das Theater zu seinem Berufsfeld machen und begann ein Studium in Graz, woraufhin wir uns aus den Augen verloren. Joshua ist inzwischen nach H. zurückgekehrt.
Toro ging herum und schenkte jedem Gast ein Fruchtgummi-Auge, das gar gruselig aussah. Ich brachte es nicht über mich, das Auge zu essen, obwohl ich mir scher war, daß es sich wirklich um Fruchtgummi handelte.
Im "Nachtbarhaus" traf ich auch Wave. Ich erkundigte mich, was ihn bedrückt habe, als er mir seine letzte E-Mail schrieb. Er berichtete, damals habe er gerade erfahren, daß seine Schwester sich scheiden lasse. Sie habe ein vierjähriges Kind.
Auf dem Podest im vorderen Teil des "Nachtbarhaus" saß Rafa mit Darienne an einem Tisch. Dolf saß bei ihnen. Am Nebentisch, ganz am Ende des Podests, entdeckte ich Clarice, Leander und Leanders Bruder. Ich kletterte über das Geländer zu ihnen aufs Podest und setzte mich neben Clarice auf eine Bank. Sie aß das Fruchtgummi-Auge und gab an, damit keine Schwierigkeiten zu haben.
Rafa setzte seine Spiegelbrille nie ab, so daß es nie möglich war, zu beurteilen, wohin er blickte. Ich hatte jedoch den Eindruck, daß er mich durchaus beobachtete, an seiner Zigarette ziehend, mit leicht erhobenem Kinn. Darienne saß meistens bewegungslos auf ihrem Stuhl, mager, knochig und grell geschminkt, mit pinkfarbenem Rouge, das wie angeklebt wirkte, mehreren Lagen Makeup, mehreren Lagen künstlicher Wimpern und breiten schwarzen Rändern um die Augen. In den schwarz gefärbten Haaren trug sie eine pinkfarbene Kunstblume. Ihre Kleidung war schlicht und sportlich, ein rosa gemustertes Leibchen und eine enge Hose. "Die sieht wirklich wie eine Plastikpuppe aus", fand Clarice, "wie mit Plastik überzogen. Ich frage mich, wie sie diesen Plastik-Look hinkriegt."
Zeitweise hielt Rafa Händchen mit Darienne.
"Gestern war er noch bei Tyra", bemerkte ich, "und heute hält er Händchen mit Darienne."
Als Rafa ans DJ-Pult ging, folgte Darienne ihm nicht. Dreimal sah ich sie tanzen, auch zu "Das Modell" von Kraftwerk. Sie schien beim Tanzen überheblich und gleichzeitig sexy wirken zu wollen.
Rafa spielte unter anderem "Los ni–os del parque" von Liaisons dangereuses, "Being boiled" von Human League und Stücke von sich selbst.
Um Darienne kümmerte sich vorwiegend Dolf. Für kurze Zeit sah ich auch Wave bei ihr sitzen. An einem Nebentisch unterhielt ich mich mit Shannon, die von ihrem Studium der Tiermedizin erzählte. Ihr gefalle es; sie sei froh, in H. zu studieren. Das Studium lasse ihr jedoch kaum Zeit, um nebenher arbeiten zu gehen.
Auf einer Bank am Rand der Tanzfläche sprach mich Zane an, der mit Shannon und Wave bekannt ist. Zane fragte mich, ob ich dieses Jahr beim Sommerfestival in HI. bin. Ich erwiderte, daß ich dort nicht bin, aber zum Pfingstfestival nach L. fahre. Zane meinte, das Festival in L. gefalle ihn nicht, weil er da schon Prügel eingesteckt habe. Die Leute seien dort aggressiver als beim Sommerfestival. In HI. könne man auf dem Festivalgelände betrunken herumlärmen, ohne daß sich jemand provoziert fühle.
"Mich hat beim Pfingstfestival noch niemand angegriffen", erzählte ich.
"Du bist eine hübsche Frau", sagte Zane, "und keiner schlägt eine hübsche Frau, es sei denn, er ist ein Idiot."
"Rafa ist ein Idiot", folgerte ich. "Der schlägt seine Freundinnen."
Ich schilderte, wie Rafa mit seinen Freundinnen umgeht. Außerdem erzählte ich eine Geschichte, die ich von Joujou gehört habe: Ein Mann schlug seine Freundin so heftig auf den Kopf, daß sie beinahe einen Schädelbruch erlitt. Sie mußte ins Krankenhaus und danach in eine Reha-Klinik und ist erst vor Kurzem entlassen worden. Von ihrem Freund hat sie sich getrennt.
Meistens ist es der "Freund", von dem Frauen geschlagen werden. Der Begriff "Freund" hat in diesem Fall mit seiner ursprünglichen Bedeutung nichts mehr zu tun.
Auran stellte sich mir vor, ein Italiener im langen schwarzen Rock, der zur Zeit als Austauschstudent in HB. wohnt. Auran erinnerte sich an ein W.E-Konzert in der Schweiz, wo er die Gelegenheit hatte, sich mit Tyra zu unterhalten. Er fand sie sehr nett.
Ich erzählte, daß Rafa seine Freundin Darienne mit Tyra betrogen hat. Auran hatte Darienne im "Nachtbarhaus" beobachtet und erkundigte sich: "Ist die nicht auch jünger als er?"
"Er ist fünfunddreißig, sie ist neunzehn."
"Ja, dann hat er es einfacher."
"Der sucht sich immer so junge Mädchen, weil er mit denen spielen kann."
Als Auran fragte, weshalb Rafa so verächtlich und gefühlskalt mit anderen Menschen umgeht, antwortete ich:
"Selbstwertstörung. Das ist der Grund für alles. Rafa lebt seinen Selbsthaß an anderen Menschen aus."
Rafa zog seine Jacke über und setzte sich mit Darienne und Dolf an einen Tisch am Rand der Tanzfläche. Rafa schien auf etwas zu warten. Er drehte sich zu mir und blickte mich durch seine Brillengläser an. Ich lächelte ihm beim Tanzen ins Gesicht. Er zeigte ebenfalls den Anflug eines Lächelns. Schließlich mußte ich kichern. Das schien ihm zu genügen. Er zog mit seinem Gefolge von dannen.
Der verbliebene Co-DJ spielte "Is it you" von :wumpscut:. Hagan und ich tanzten dazu. Danach umarmte mich Hagan und rief:
"Wir haben miteinander getanzt, süße Maus!"
"Ja!" rief ich und hängte mich in seine Arme, mit den Füßen über dem Boden.
Am Morgen fuhr ich Auran zum Bahnhof. Er meinte, er wolle mir unbedingt noch sagen, daß meine Kleider sehr hübsch seien. Ich erzählte, daß ich ganz verrückt nach Kleidern bin und mir immerzu neue kaufe.
Auran erzählte, daß es in Italien viel weniger Szene-Discotheken gibt als hierzulande und daß dort überwiegend populärer Gothic-Rock läuft. Eine Discothek soll es geben, vor der regelmäßig alle Fiat punto geknackt werden.
"Wer in Italien wenig Geld hat, fährt Fiat punto", erklärte Auran. "Und wenn ein Fiat punto vor dieser Discothek parkt, ist der nachher auf."
"Dann muß das ja sehr einfach sein, einen Fiat punto zu knacken", vermutete ich.
Am Montagabend war ich bei Tyra zu Besuch. Sie hatte eine brennende Kerze ins Fenster gestellt. In ihrer Ein-Zimmer-Wohnung hat sie den meisten Platz einem wuchtigen, in Rottönen gehaltenen Himmelbett zugestanden, einer Art "Traum-Höhle". Auf dem Organza-Himmel lagen phosphorisierte Leuchtsterne. Über dem Kopfende brannte eine Wandlampe aus dem fünfziger Jahren. Ein braunrotes Organzatuch war darumgebunden. Tyra erzählte, eine ihrer Freundinnen habe gefragt, ob die Lampe Zahnschmerzen hat. Ich gestand, diese Assoziation hätte ich auch gehabt, als ich das Arrangement sah.
Tyra erzählte, daß sie viele Einrichtungsgegenstände von ihrer Großmutter bekommen hat. Sie stammen alle aus den fünfziger Jahren. Tyra gefällt dieser Stil.
Der Stuhl an Tyras Computertisch ist modern, er ist rot gepolstert und hat eine Lehne in Herzchenform. Auf dem Monitor lief ein Bildschirmschoner, der wechselnde Fotografien zeigte. Darunter war ein Bild, auf dem Rafa in Tyras Bett lag. Außerdem gab es mehrere Portraits von Tyra, Aufnahmen von ihren Auftritten mit W.E und zwei Bilder, die Tyra mit ihrem Handy in meiner Wohnung aufgenommen hatte: das Bild, das Rafa in Sarolyns Bett zeigt, und eines, auf dem man ihn in meiner Eßecke am Tisch sitzen sieht, als ich meinen dreißigsten Geburtstag feierte.
Neben dem Computer hingen weitere Fotografien. Tyra zeigte mir ein Bild ihrer Mutter, das aus neuerer Zeit stammt.
"Sie ist vierundvierzig", erzählte Tyra. "Es gab eine Zeit, da wollte sie mir Rafa ausspannen, und wir hatten voll den Streit. Aber dann hat sie eingesehen, daß er nicht der Richtige für sie ist, und wir haben uns wieder vertragen. Sie hat gesagt, er hat ihr das Gefühl gegeben, jung zu sein."
"Oh - ich brauche keinen Rafa, um mich jung zu fühlen. Ich habe das nicht nöig."
"Meine Mutter hat eine andere Vergangenheit als du", wandte Tyra ein. "Die ist als Kind furchtbar verprügelt worden von ihrem Vater. Die ist manisch-depressiv. Die hat immer wieder Depressionen und Ängste. Die ist empfindlicher als andere Menschen."
"Rafa hat das ausgenutzt", vermutete ich. "Der hat ihr bestimmt voll die Komplimente gemacht."
"Nein, das war ja so, daß sie auf ihn stand, so herum."
"Wie ich Rafa kenne, hat er ihr den Hof gemacht."
"Na ja ... Komplimente wird er ihr schon gemacht haben."
"Der kann überhaupt nicht anders. Der muß allen Frauen den Hof machen, das ist ein Reflex von ihm."
Wenn die psychische Erkrankung von Tyras Mutter auf Gewalterfahrungen in der Kindheit zurückgeht, stellt sich die Frage, ob es sich wirklich um eine manisch-depressive Störung im engeren Sinne handelt oder nicht doch um eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung.
Tyra servierte Blutorangen-Tee und reichte mir eine Tasse, die sie von Rafa geschenkt bekommen hat. Es war eine große rote Tasse in Herzform. Als ich mir den heißen Blutorangen-Tee einschenkte, zersprang die Tasse in zwei Teile.
"Ich habe Rafa das Herz gebrochen", kommentierte ich.
"Was für eine Symbolik", staunte Tyra. "Ich würde mich nicht wundern, wenn Rafa genau in diesem Moment 'aua' sagen würde."
"Wenn Rafa klagt, daß er sich innerlich so leer fühlt, liegt es daran, daß er an seine Gefühle nicht herankommt", meinte ich. "Dabei will er genau das. In einem Interview hat er gesagt, daß er der Mensch ist, dem er nie im Leben begegnen will. Er will gar nicht an seine Gefühle herankommen. Im Grunde genommen hat er sich nur das eingehandelt, was er angestrebt hat. Man könnte ihn darauf hinweisen, daß er eigentlich wunschlos glücklich sein müßte, eben weil er seine Gefühle nicht mehr merkt. Es erstaunt mich sehr, daß Rafa Leiden äußert, aber völlig übergangslos sucht er sich frohgemut irgendwelche Frauen, die er mit ins Bett nimmt. Das paßt für mich nicht zu seinem angeblichen Leiden."
"Er lenkt sich durch diese Abenteuer von seinen Gefühlen ab."
"In meinen Augen bedeutet es, daß Rafa in der Lage ist, Gefühle völlig auszuschalten."
"Das singt er auch in seinen Texten, daß er alle Gefühle abstellt."
"Es wundert mich, daß er das kann", überlegte ich. "Leiden erfüllt einen doch ganz und gar, und wenn man traurig ist, fühlt man sich bleischwer ..."
"Nein", entgegnete Tyra, "ich fühle mich dann ganz anders. Ich habe das Gefühl, ich werde völlig zerrissen, auseinandergerissen, ich bin gar nicht mehr da, ich schwebe irgendwo in der Luft, ich weiß gar nicht mehr, wo ich bin."
"Das ist ja seltsam", meinte ich. "Bei mir ist das nie so. Ich bin immer ganz in mir, aber ich werde zu Boden gezogen. Trauer ist wie Bleigewichte."
"Nein, ich habe immer das Gefühl, ich bin gar nicht mehr da."
"Das erinnert mich an die Dissoziation."
Ich erzählte die Geschichte eines jungen Patienten in Kingston, der als kleines Kind vom Vater in schwerster Form mißhandelt wurde und wie durch ein Wunder überlebte. Er berichtete, irgendwann habe er es nicht mehr gespürt, wenn jemand ihn verletzte. Er habe seinen Körper nicht mehr wahrgenommen. Als Erwachsener habe er sich überlegt, eigentlich könnte er sich umbringen. Er habe sich ein Messer in den Leib gerammt und das nicht gemerkt. Gerade noch rechtzeitig wurde ihm die Sache unheimlich, er bekam es mit der Angst zu tun und rief den Rettungsdienst. So konnte er gerettet werden und kam danach in die Psychiatrie, wo er sich gut aufgehoben fühlte.
Das fehlende Wahrnehmen des eigenen Körpers gehört zu dem Phänomen der Dissoziation, einem Schutzmechanismus, der das Überleben in ansonsten aussichtslosen Situationen ermöglicht. Dauern die Gefahren zu lange an, kann sich die Dissoziation verselbständigen und das ganze weitere Leben überschatten. Besonders schlimm trifft es Kinder, die den Tätern wehrlos ausgeliefert sind.
"Mißhandelte Kinder opfern einen Teil ihrer Persönlichkeit, um das Überleben zu sichern", erklärte ich. "Wenn sich später die Dissoziation verselbständigt, spalten sich immer wieder Teile ihrer Persönlichkeit ab, ohne daß sie es beeinflussen können. Sie fühlen sich wie außerhalb von sich, wie überall und nirgends. Sie können sich selbst nicht definieren. Dann fangen sie an, sich selbst zu zerstören. Das kommt häufig bei der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vor."
"Ja ... ich habe mich früher immer am Oberschenkel geschnitten. Jetzt verstehe ich das."
"Es gibt Traumata, die zum natürlichen Lebensweg gehören, wie der Tod eines nahen Angehörigen. Diese Traumata lassen die Persönlichkeit intakt. Es gibt aber auch existenzielle Traumata, die den Menschen in seiner Grundstuktur angreifen. Sie demontieren die Persönlichkeit. Jede Art der Folter gehört dazu."
"Rafa hat mich gefoltert."
"Ja", nickte ich. "Und er ist gefoltert worden. Fast jeder, der dissoziiert, hat Erlebnisse dieser Art gehabt. Rafa muß also irgendetwas in dieser Form erlebt haben."
"Ich finde seine Mutter so furchtbar kalt. Die macht auf mich einen ganz frostigen, unterkühlten, zurückweisenden Eindruck."
Rafa hat Tyra manchmal von seiner Kindheit erzählt. Er sei immer der Letzte gewesen, der vom Kindergarten abgholt wurde. Manchmal habe er bis zum Abend auf seine Mutter gewartet, weil sie vergessen hatte, ihn abzuholen.
Rafa soll bisher nur einmal Hilfe bei einem Psychiater gesucht haben. Nach wenigen Sitzungen habe er die Therapie abgebrochen und Tyra gegenüber erklärt:
"Der war zu gut. Der hat mich fast geknackt, da bin ich weggelaufen."
Tyra konnte sich nicht an belastende Erlebnisse in ihrer eigenen Kindheit erinnern. Sie konnte sich ihr dissoziatives Erleben nicht erklären. Sie stand vor der herzförmigen Tasse und staunte:
"Die ist ja wirklich von oben bis unten gesprungen."
"Mir ist noch nie eine Tasse zersprungen."
"Was schenkt der mir für einen billigen Sch...?"
Tyra zeigte mir eine Spieluhr, von der ich ebenso begeistert war wie sie. Auf der Spieluhr steht in der Mitte ein böse blickender Junge im roten Anzug, und rechts und links von ihm stehen Mädchen. Die beiden Mädchen sehen gleich aus, sie sind blond und tragen blaue Kleider. Alle Münder sind magnetisch, alle Köpfe drehbar. Wenn die Spieluhr aufgezogen wird, ertönt eine Melodie, und der Junge dreht sich um die eigene Achse. Hieraus ergibt sich, daß der Junge abwechselnd mal das eine und mal das andere Mädchen küßt.
Rafa soll zu der Spieluhr nicht mehr gesagt haben als:
"Ha, ha, ha."
Aus Tyras Schilderungen ging nach und nach hervor, daß sie mit Rafa seit etwa drei Jahren ein Verhältnis hat. Die "schöne Freundschaft" mit Rafa ist in Wirklichkeit ein Dasein als Geliebte eines Mannes, der sie als Zweitfrau hält. Tyra lernte Rafa im Jahre 2002 in einer Kneipe kennen. Sie war mit einer Freundin dort, Rafa mit Darius. Rafa traf sich von da an immer wieder mit Tyra und machte Annäherungsversuche. Ein halbes Jahr dauerte es, bis er erfolgreich war. Rafa verschwieg Tyra zunächst, daß er mit Berenice zusammen war. Als er es nicht mehr verheimlichen konnte, wollte Tyra ihr Verhältnis mit ihm beenden. Rafa machte unbeeindruckt weitere Annäherungsversuche. Tyra wurde deshalb manchmal wütend, woraufhin er für ein Weilchen Ruhe gab. Letztlich war sie ihm aber doch zu Willen. Rafa schien dieses Spiel reizvoll zu finden. Er entwickelte Rituale, Tyra ins Bett zu ziehen. Er sagte Sätze wie:
"Wollen wir beide oben schlafen?"
- oder:
"Wollen wir beide unten schlafen?"
Kürzlich, als sie ihn besuchte, wollte er schon wieder mit ihr ins Bett gehen und umschrieb das mit:
"Wollen wir duschen gehen?"
Sie antwortete:
"Nein, ich werde jetzt 'rübergehen."
- und verabschiedete sich.
Rafa scheint es zu genießen, daß Tyras Widerstand nur von kurzer Dauer ist. Er scheint sich dadurch mächtig zu fühlen.
Tyra erzählte, neulich habe Rafa sich an sie gekuschelt und erklärt, er schwelge gerade in der Vergangenheit. Er erinnere sich daran, wie schön es gewesen sei, als sie beide sich in den Armen gehalten hätten.
"Wieso? Jetzt sitze ich doch neben dir und halte dich im Arm", gab Tyra zu bedenken. "Jetzt."
Rafa gehe es darum, nicht im Hier und Jetzt zu leben. Er ziehe es vor, in einer vermeintlich vergangenen, vermeintlich heilen Scheinwelt zu leben.
Tyra erinnerte sich an ein Konzert, das Rafa im Oktober 2003 im "Mute" gab. Als er nach dem Konzert im Zuschauerraum Tyra begegnete, sagte er zu ihr:
"Na? Was machst du so?"
"Ich gucke mir deine Show an."
"Wie findest du es?"
"Na ja ... geht so."
"Ach ... ja?" zeigte er sich gekränkt. "Nur?"
"Ja ... geht so."
"Ah ja."
Er ging weg.
Berenice stand neben dem DJ-Pult, wo Rafa auflegte. Tyra ging zu Rafa hinauf, beugte sich zu ihm und wollte ein Küßchen. Widerwillig gab er ihr eines und wandte sich eilig wieder dem DJ-Pult zu. Tyra war enttäuscht, weil Rafa sich nicht zu ihr bekannte, obwohl er angeblich plante, sich von Berenice zu trennen. In den Tagen nach der Veranstaltung im "Mute" beteuerte Rafa immer wieder, er wolle Tyra unbedingt behalten. Er vermied es jedoch, sich für eine der beiden Frauen zu entscheiden.
Rafa soll behaupten, er leide darunter, sich nicht für eine Frau entscheiden zu können.
"Die nächste Frage an ihn müßte sein, ob er sich Gedanken darüber macht, daß die Frauen unter seinem Verhalten leiden könnten", meinte ich.
Tyra erinnerte sich, wie sie bei dem W.E-Konzert im vergangenen September in KR. wieder einmal unter Rafas Beleidigungen so litt, daß sie verweinte Augen hatte. Sie setzte sich deshalb eine Sonnenbrille auf. Rafa fragte hämisch grinsend:
"Na, heulst du schon wieder?"
"Rafa ist sadistisch", urteilte ich. "Er genießt es, andere Menschen zu quälen. Er fügt absichtlich anderen Menschen Leid zu, um sich daran zu ergötzen."
"Aber warum macht er das?"
"Es ist eine Art Machtgefühl, daß er dadurch bekommt", vermutete ich.
Tyra erinnerte sich an einen Dialog mit Rafa im Februar 2005. Damals war er gerade mit Darienne zusammengekommen, wollte jedoch gleichzeitig die Beziehung mit Tyra aufrechterhalten. Er verglich die Mädchen mit Gemüse:
"Tyra, wenn du eine Kartoffel bist, ist Darienne eine Erbse."
"Du magst doch gar keine Erbsen", wandte Tyra ein.
"Das ist doch nur sinnbildlich gesprochen."
"Aber wenn du einen Sack Kartoffeln haben kannst, wozu brauchst du dann noch die Erbse?"
"Na, ich esse ja auch bei 'McGlutamat'."
Tyra erzählte, daß sie häufig Blasenentzündungen bekommt, seit sie mit Rafa ein Verhältnis hat. Vorher sei das nie der Fall gewesen. Schließlich habe sich ihr Arzt darüber gewundert und sie gefragt:
"Haben Sie vielleicht irgendeinen Kummer?"
Da habe sie losgeweint, und er habe erklärt, daß körperliche Krankheiten oft psychische Ursachen hätten.
Eine ihrer vielen Unterleibsinfekte wurde durch einen Keim ausgelöst, der nur durch intime Kontakte übertragen wird. Der Arzt empfahl, ihr Partner solle sich mitbehandeln lassen. Tyra teilte Rafa das mit, der wollte aber nichts davon wissen. Er habe behauptet, ihm tue nichts weh, also sei er auch nicht krank und müsse nicht zum Arzt.
Darienne litt im vergangenen Herbst an Blasenentzündung. Tyra las damals heimlich die SMS-Nachrichten auf Rafas Handy und fand eine von Darienne, die schrieb:

Nachdem ich zwei Liter getrunken habe und mir den Finger in die M... gesteckt habe, denke ich noch schnell an dich und gehe dann schlafen.

Ich erkundigte mich, ob Rafa Kondome verwendet. Tyra verneinte das. Rafa behaupte, Kondome seien ihm zu eng. Daß der hochgradig promiskuitive Rafa durch den Verzicht auf Kondome sich selbst und andere Menschen gefährdet, scheint ihm gleichgültig zu sein.
Ich erzählte, daß Berenice das Kleinkarierte und Ungepflegte an Rafa furchtbar findet.
"Spießig und ungepflegt, ja, das ist er wirklich", meinte Tyra.
"Eigentlich gehört zum Spießertum auch Sauberkeit", meinte ich. "Die läßt bei Rafa aber zu wünschen übrig."
Tyra erzählte, Rafas Kellerraum sei verdreckt und verwahrlost, auch wenn man das nicht unbedingt auf den ersten Blick erkenne. Rafa lege eine Decke auf das Sofa, wenn er Gäste empfange. Das Sofa sei mit Sperma regelrecht vollgesogen. Der sich daraus ergebende Geruch werde allerdings durch den beißenden Zigarettenqualm teilweise übertüncht. Rafa wasche seine verschwitzte Bühnengarderobe nur selten. Meistens bearbeite er die Sachen lediglich mit geruchsbindendem Spray. Mit dieser Sprühflasche hantiere er viel herum, auch in seinem Keller. Er behaupte, mit dem Spray könne man jeden Geruch beseitigen. Der Keller werde selten gelüftet und sei gammelig und muffig. Vielleicht liege das auch an Rafas muffigem Charakter, setzte Tyra hinzu.
Rafas gesamte Garderobe sei ungepflegt. Manches Kleidungsstück müsse lange durchhalten, ehe es in die Waschmaschine gehe. Übrigens habe Rafa keinen Kleiderschrank, nur einen Kleiderständer. Da hänge er alles auf.
"Auch die Unterhosen?" fragte ich. "Oder wo läßt der die?"
"Das wäre eine spannende Frage", meinte Tyra. "Das weiß ich auch nicht."
Einmal habe Tyra mit Rafa auf dem Sofa gelegen und zu ihren Füßen eine Ratte gesehen.
"Ah!" habe sie gerufen. "Eine Ratte!"
"Quatsch", habe Rafa entgegnet und sich weggedreht. "Das bildest du dir ein. Da ist keine Ratte."
Wenig später aber rief er:
"Ah! Eine Ratte!"
Tyra äffte ihn nach:
"Ach, Quatsch, da ist doch keine Ratte, das bildest du dir ein. Das ist doch nur eine Illusion."
"Da ist wohl eine Ratte", gab Rafa zurück. "Da war doch eben eine Ratte."
"Ja, aber das hast du dir doch bloß eingebildet."
Rafa habe Tyras Ironie nicht verstanden. Schließlich sei er aber losgezogen und habe die Ratte mit Hilfe eines Rohrstücks und einer davorgehaltenen CD eingefangen und im Garten ausgesetzt.
Neulich erkundigte Tyra sich bei Rafa:
"Und, was machen die Ratten?"
Er antwortete, er sei wieder einmal mit Bauschaum herumgegangen und habe den Keller abgedichtet.
Über das Sofa erzählte Tyra, Rafa verwende es vor allem für seine Abenteuer zwischendurch - die "F...-Schlampen", wie Tyra diese Mädchen nennt. Rafa lasse die Mädchen nicht nach oben in sein Bett im Kinderzimmer, sondern er fertige sie unten im Keller ab.
"Früher hat Rafa die Mädchen noch oben im Schlafzimmer vernascht", wußte ich. "Das Zimmer ist nur durch eine dünne Holztür von der Küche seiner Mutter getrennt. Das kann man ja auch nicht als Privatleben bezeichnen."
"Oh, hör' bloß auf", stöhnte Tyra. "Einmal, da hatte seine Mutter Geburtstag und hatte Gäste, und Rafa sagte zu mir:
'Laß' uns duschen gehen.'
'Bist du verrückt?' habe ich gemeint. 'Da sind überall Gäste.'
'Ja, macht doch nichts.'
Ich habe das aber abgelehnt."
Als Tyra neulich bei Rafa zu Besuch war, setzte sie sich auf einen Stuhl vor dem Computer, weil sie sich vor dem Sofa ekelte.
"Vor zwanzig Jahren war ich noch toleranter gegenüber Dreck", erinnerte ich mich. "Nur deshalb habe ich es damals in der Chaos-WG bei Henk in BS. ausgehalten."
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum Rafa sehr junge Mädchen bevorzugt: sie sind eher bereit, den Dreck in seinem Keller in Kauf zu nehmen.
"Es gibt keinen objektiven Grund, Rafa zu lieben", meinte ich. "Für Liebe gibt es keinen rationalen Grund."
"Endlich ... ich habe schon gedacht, mich versteht gar keiner."
Tyra erzählte, sie sei schon von so vielen Leuten gefragt worden, warum sie Rafa liebe. Sie habe sich abgemüht, den Leuten zu erklären, daß es für Liebe keinen rationalen Grund gibt. Das hätten die Leute aber nicht verstanden. Sie suchten immer nach einem Grund, warum man jemanden liebt.
Tyra erinnerte sich an einen Zettel, den sie vor einiger Zeit in Rafas Keller gefunden hat. Es war ein Brief von Darienne an Rafa. Darienne hatte mit rosa Lippenstift einen Kußmund auf das Papier gestempelt und geschrieben:

Falls du dich mal wieder nicht genug geliebt fühlst ...

Zwischen Rafa und Darienne schien es Auseinandersetzungen gegeben zu haben, weil Rafa an Dariennes Liebe zweifelte. Das wundert mich nicht. Rafa vermeidet tiefe Gefühle und sucht seine Freundinnen entsprechend aus. Da ihm dies nicht bewußt ist, regt er sich darüber auf, wenn offensichtlich wird, daß ihm von seiner Freundin keine tiefen Gefühle entgegengebracht werden.
Darienne schrieb weiter in ihrem Kußmund-Brief:

Ich liebe dich,

- weil ich mich bei dir so geborgen fühle
- weil ich mit dir so viel lachen kann
- weil wir so viele schöne Sachen zusammen machen

"Das sind alles Dinge, die auch in einer guten Freundschaft stattfinden", meinte Tyra, "und die mit partnerschaftlicher Liebe nichts zu tun haben."
Gegen Abend gingen Tyra und ich zum Italiener im nahegelegenen Einkaufszentrum und holten uns Pizza. Der Weg führte an Rafas Elternhaus vorbei. Tyra zeigte mir, daß Rafa die Fenster seines Kellerraums mit schwarzer Folie verklebt hat, so daß man weder hinein- noch herausschauen kann. Zu Beginn seiner Beziehung mit Darienne habe Rafa die Fenster verklebt.
Das italienische Restaurant im Einkaufszentrum ist mit zwei aufwendigen, großflächigen Wandgemälden verziert. Es sind Darstellungen mediterraner Landschaften und Bauwerke, vorwiegend in Hellbeige- und Blautönen gehalten. In einer Ecke steht:
"Honey 1996"
Rafa hat die Bilder als Auftragsarbeit für das Restaurant gemalt. Auf einem Bild sieht man das Forum Romanum und im Hintergrund das Colosseum. Ich erzählte Tyra, daß ich beides im Jahre 1984 besichtigt habe, als ich auf der Durchreise in Rom war.
Das andere Wandgemälde zeigt eine große Brücke mit Fußgängern darauf. Unter der Brücke geht ein Pärchen hindurch. Sie hatte lange blonde Haare und trug einen Sonnenhut, er trug einen schwarzen Anzug und hatte eine Brille auf.
"Es ist doch traurig, daß ein Mensch, der so feinsinnig und kreativ ist, daß der anderen Menschen so viele schlimme Sachen antut", sagte ich über Rafa.
"Das finde ich auch traurig", meinte Tyra.
Als wir mit der Pizza zu Tyras Wohnung zurückgingen, erzählte Tyra, Berenice habe ihr gemailt, sie habe eigentlich in all der Zeit, die sie mit Rafa zusammen war - von 1997 bis 2004 - nur neben ihm hergelebt. Tyra fragte sich:
"Wie kann man neben einem so wunderbaren Menschen einfach nur so herleben?"
"Indem man ihn nicht liebt", meinte ich. "Rafa hat keine von seinen Freundinnen jemals geliebt und sie ihn auch nicht."
Tyra hat ihre Erinnerungen an Rafa verbrannt und in einer Schachtel in die Küche gestellt.
"Das hätte ich nie und nimmer verbrannt", war ich entgeistert. "Das hätte ich aufgehoben."
"Ich mußte das verbrennen", erklärte Tyra. "Sonst hätte ich vielleicht noch einmal versucht, mich umzubringen."
Ich erzählte von einigen Erlebnissen mit Rafa, etwa wie er auf seiner Geburtstagsfeier im Jahre 1996 seine gesamte Partygesellschaft im Stich ließ und mit Lara im Gebüsch verschwand. Tyra sagte dazu, wenn sie an meiner Stelle gewesen wäre, hätte sie sich auf Rafas Bett gesetzt und gewartet, bis er wieder nach Hause kam.
"Das kam für mich nicht infrage", erzählte ich. "Er ist mit einer anderen Frau abgehauen, da war es klar für mich, daß ich nicht auf ihn warte."
Ich erinnerte mich an einem Traum im Jahre 1998. In dem Traum stand Rafa vor meiner Tür und erzählte, bei ihm sei es so unaufgeräumt, deshalb wolle er zu mir kommen.
"Eigentlich kann Rafa aufräumen", wußte ich. "Anfang 1993 war es bei ihm so sauber und ordentlich wie in einer Kunstausstellung. Es kann etwas mit seinem Seelenleben zu tun haben, daß er dazu nicht mehr in der Lage ist."
Tyra hat Rafa auf den Dreck in seinem Keller nie angesprochen - mit der Begründung, bei ihr sehe es auch nicht ordentlich aus. Ich meinte, bei ihr herrsche immerhin eine gewisse Sauberkeit. Tyra wandte ein, bei ihr stehe Schmutzwäsche herum, weil ihre Mutter die nicht abhole und sie selbst keine Waschmaschine habe.
"Du kannst dafür nichts", gab ich zu bedenken. "Du hast wenig Platz und wenig Möglichkeiten, Ordnung herzustellen. Rafa aber hätte die Möglichkeiten und schafft es trotzdem nicht, Ordnung herzustellen. Außerdem ist sein Keller nicht einfach vollgestellt wie deine Wohnung. Sein Keller ist verwahrlost."
"Rafa kann sein Sofa nicht einfach 'rauswerfen. Da müßte er sich ja ein neues kaufen."
Tyra erzählte, daß Rafa Schwierigkeiten hat, mit seinem Geld auszukommen. Oft bleibe Rafa seinen Bandmitgliedern die Gage schuldig. Schriftliche Verträge habe er mit den Bandmitgliedern noch nie gemacht. Doch er verlange jedesmal, daß sie eine Quittung unterschrieben, wenn er ihnen ihre Gage zahlte.
"Wenn er mit euch keinen Vertrag gemacht hat, könnt ihr nichts einklagen", merkte ich an.
Rafa schuldet sowohl Lucy als auch Tyra noch mehrere hundert Euro.
Rafa habe immer zuerst die gesamte Gage eingestrichen und sich davon etwas Großes geleistet wie einen Computer. Erst einen oder zwei Monate später habe er den anderen Bandmitgliedern das versprochene Geld gegeben.
Als wir wieder in Tyras Wohnung waren, zeigte mir Tyra den Karton mit der Asche ihrer Erinnerungsstücke an Rafa.
"Das Verbrennen war für mich wichtig, um zu überleben", betonte sie.
Wenn sie wieder einmal vergebens darauf wartete, daß Rafa sich bei ihr meldete oder eine Verabredung einhielt, stürzte sie in tiefste Verzweiflung ab und glaubte, nicht mehr vorhanden und nicht lebenswert zu sein. Tyra zeigte mir eine Seite in ihrem Diarium, auf die sie mit großen Lettern geschrieben hatte:
"Ich sterbe ohne dich!"
Tyra wunderte sich darüber, daß es ihr im Berufsleben leicht fällt, sich durchzusetzen und sich abzugrenzen, daß sie jedoch Rafa gegenüber unsicher und willensschwach ist. Sie konnte sich diese Ungereimtheit nicht erklären.
Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist die Aktualisierung: Bestimmte Situationen ähneln früher erlebten Situationen so sehr, daß der, der sie erlebt, sich wieder so fühlt wie damals und auf dieselbe Ebene zurückfällt. Erwachsene, die als Kinder beleidigt und entwertet wurden, können sich in Situationen, die den damaligen Erlebnissen ähneln, unvermittelt wieder als hilfloses Kind wahrnehmen und sind wieder genauso handlungsunfähig wie damals. Bei Tyra könnte Rafas Verhalten ebenfalls frühe Erinnerungen an Ohnmacht und Hilflosigkeit aufwecken und in Gegenwart verwandeln, so daß Tyra sich in seiner Gegenwart als hilflos erlebt und handlungsunfähig ist.
Tyra meinte, es sei seltsam, daß wir uns hier trafen und uns gut verstanden, obwohl wir eigentlich Konkurrentinnen sein müßten.
"Konkurrenz hat keinen Sinn", meinte ich. "Wenn Frauen sich um einen Mann streiten oder Männer sich um eine Frau streiten, hat das keinen Sinn. Wenn zum Beispiel fünf Männer sich um eine Frau streiten, geht sie weg und nimmt den sechsten. Entscheiden muß es doch letztlich der, um den gestritten wird. Es können nicht mehrere Frauen die Männer unter sich verteilen, und Männer können auch nicht die Frauen unter sich verteilen. Wenn jeder ganz bei sich selbst ist und sich selbst wahrnimmt, laufen die Leute schon in die richtige Richtung."
Tyra riet mir, mich nach einem anderen Mann umzusehen. Ich erwiderte, daß ich längst dabei sei, denn Rafa verdiene mich nicht. Jedoch sei die Wahrscheinlichkeit gering, daß ich einen Mann finde, dem ich mich so nahe fühle wie Rafa. Je komplexer ein Puzzleteilchen geformt sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, daß ein anderes dazu passe. Und Rafa passe genau.
Tyra und ich kamen auf die Zukunft der Band H.F. zu sprechen. Herr Lehmann hat angekündigt, zu seiner Freundin nach K. zu ziehen. Tyra erkundigte sich per SMS bei ihm, wie der Stand der Dinge sei. Herr Lehmann simste, daß er seit Januar in K. wohnt. Er habe dort Arbeit, eine Wohnung und seine Freundin. Tyra simste schöne Grüße, auch von mir. Sie erkundigte sich:

Und, was macht H.F.?

Er antwortete:

Geht weiter.

Sie fragte:

Mit dir oder ohne dich?

Er antwortete:

Mit mir. Aber ich weiß nicht, wie sicher mein Posten da noch ist.

Tyra schrieb:

Wohnung, Arbeit und Freundin sind wichtiger.

Es soll Konflikte geben zwischen Herrn Lehmann und Rafa, weil Rafa ihm auf der Website von H.F. nicht die Funktionen in der Band zugeteilt hat, die er sich erhofft hatte. Rafa hat seine eigene Rolle in der Band hervorgehoben, auf Kosten der anderen Bandmitglieder.
Tyra freute sich, zu hören, daß ihre Fans sie nicht vergessen haben. Ich erzählte ihr von Auran, der sie ganz besonders nett findet.
"Natürlich", fiel ihr ein, "an den erinnere ich mich! Das war auf einem Konzert in der Schweiz! Wir haben uns nur vier Minuten unterhalten, aber ich fand den gleich so nett. Ich mochte den so gut leiden."
"Ja, das war gegenseitig. Der fand dich auch total nett. Und er hat sich gefreut, sich mit dir so gut unterhalten zu können."
"Ja, wirklich?"
"Das hat er extra betont."
Tyra zeigte mir eine liebevoll gebastelte Zigarettenschachtel mit der Aufschrift:
"Tyras persönliche Kippenschachtel"
Unten, wo gewöhnlich die Warnungen stehen, war stattdessen zu lesen:
"Mit besten Wünschen vom W.E-Fanclub"
Tyra erzählte, W.O.L.F. habe diese Schachtel für sie gebastelt. Über der Widmung klebte ein Bild, das Rafa und Tyra nebeneinander zeigte, Wange an Wange, fotografiert mit dem Handy von W.O.L.F. Das Geschenk habe sie von W.O.L.F. zum Abschied von W.E erhalten. Auch Artemis habe sich bestürzt gezeigt über Tyras Abschied und sie innig umarmt.
Über das Verhältnis von Rafa und Tyra schrieb ich in einer E-Mail an Berenice:

Endkrass finde ich, daß Rafa vor längerer Zeit zu Tyra gesagt haben soll, es störe ihn, daß außer ihm noch ein anderer Mann sie hatte. Sowas kommt von einem, der wahllos herum..., im Damenklo und hinter der Zeltplane, egal wo, egal wen.

Berenice war entsetzt:

WAS? Welch eine Frechheit von ihm!!! Er will sie wohl komplett beherrschen. Sie soll sehen, dass sie da rauskommt!!!!! Ich meine, wenn sie so wäre wie ich, würde ich mir keine Gedanken machen - aber sie ist schon an ihm zerbrochen, sie ist nicht so stark!!!!
Machst Du Dir keine Sorgen???

Ich schrieb:

Ja, Sorgen mache ich mir, ich habe lange mit Tyra geredet, und sie meint, sie will sich nicht wieder auf das Doppelspiel einlassen, in das Rafa sie vor einem Jahr eingebunden hat. Aber ihre Verlustängste hat sie noch nicht vollständig im Griff. Und Rafa spielt immer mit den Verlustängsten anderer Menschen. Immerhin redet Tyra über diese Dinge und bemüht sich um eine möglichst objektive Sichtweise.

Berenice schrieb:

Ich verstehe Tyra nicht: sie weiß doch, was für ein Mensch Rafa ist! Er wird sich doch nicht ändern - oder denkt sie, er wird anders nur für sie oder durch sie??? Sie kann doch nur verlieren ...

Wir unterhielten uns darüber, daß Rafa bisher nur einmal den Versuch einer Psychotherapie unternommen hat. Berenice erzählte, Rafa sei damals noch ein Jugendlicher gewesen. Sie meinte, nicht nur ihm, sondern auch anderen Menschen hätte Einiges erspart bleiben können, wenn Rafa den Therapieversuch nicht abgebrochen hätte.
Berenice bestätigte Tyras Bericht, daß Rafa schon seit langer Zeit sich selbst und sein Wohnumfeld verwahrlosen läßt. Sie schrieb:

Wie Du ja weißt, war ich, wenn überhaupt, nur am Wochenende bei Rafa. Zudem bin ich ein extrem reinlicher Mensch. Kannst Du Dir vorstellen, wie sehr ich gelitten habe??? Man kann mich verspotten, dass ich mich fast jedes Wochenende hingestellt habe und sowohl sein Hauptzimmer oben als auch das Studiozimmer unten geputzt habe. Anders hätte ich die Zeit bei ihm nicht ertragen können.
Rafa hat kein Gefühl für Sauberkeit ...
Die Fenster sind abgeklebt, damit keiner von außen sehen kann, was innen ist und auf die Idee kommt, seine Geräte zu stehlen - aber natürlich tun sie jetzt einen weiteren Dienst ;)

Ich fragte:

War Rafa schon immer so verwahrlost?

Berenice schrieb:

Ja. Nur gibt er sich anfangs natürlich mehr Mühe. Da ich aber nun wirklich lange mit ihm zusammen war, habe ich so einiges mitbekommen.

Sie benannte einige Details und setzte hinzu:

Warum ich dann bei Rafa blieb? Er hat mir das Gefühl gegeben, dass wir zusammengehören. Er hat sich um mich gekümmert, bemüht etc. - bis seine negativen Seiten überwogen und ich mich trennte.

"Salix"-Organisator Zen mailte über Berenices Trennung von Rafa:

Berenice ist es schwer gefallen, den Absprung von Rafa zu schaffen. Sie meinte, sie habe sich an einen Traum geklammert. Rafa spielt gerne etwas vor, was er nicht ist.

Wie ein Paar haben Rafa und Berenice auf Zen nicht gewirkt:

Rafa ist mit Berenice eigentlich immer umgegangen, als wäre sie ein Kumpel und nicht seine Freundin. Keine Zärtlichkeiten, nicht mal ein flüchtiger Kuss. Nach Liebe hat das nie ausgesehen ...

Zu Rafas Umgang mit sich selbst schrieb Zen:

Zigaretten ohne Ende und Kaffee, genau die richtige Zusammensetzung, um seinem Leben ein schnelles Ende zu bereiten, oder sehe ich das falsch?

Zen hat seit langer Zeit nichts mehr von Rafa gehört. Er schrieb:

Rafa und ich hatten lange einen recht guten und häufigen E-Mail-Austausch, auf einmal war das schlagartig vorbei. Keine Ahnung, warum. Ich halte den Kontakt zu ihm jetzt auch recht kurz. Das war kein feiner Zug von ihm.

Am Donnerstag war ich in der "Spieluhr", wo Les auflegte. Besonders gefielen mir "Achtung" von Terrorfakt und "Die Tamtams klopfen nicht mehr" von Noisuf-X.
Auf der Tanzfläche sah ich Darienne, in schlichtem Schwarz, mit offenen Haaren und Brille, kaum geschminkt. Ihr Aussehen wirkte ungewohnt natürlich. Ich sehe sie sonst nie ungestylt. Joujou erzählte mir, daß Darienne heute mit ihrem Ex-Freund hier war. Darienne schien ausnahmsweise nichts darstellen zu wollen, sondern sich nur amüsieren zu wollen. Vielleicht wollte sie sich auch von Rafa erholen.
Darienne unterhielt sich längere Zeit mit Ivco. Später berichtete mir Ivco, er habe sich Darienne gegenüber recht deutlich ausgedrückt. Anscheinend hatte er sich, entgegen seiner Gewohnheit, kritisch über Rafa geäußert.
Als ich Ivco erzählte, daß Tyras Liaison mit Rafa sie beinahe in den Selbstmord getrieben hat, zeigte er sich erstaunt. Das hatte er sich nicht vorstellen können.
Barnet zeigte mir Dimo, einen seiner Bekannten. 2004 beim Sommerfestival in HI. hat Dimo mit W.E auf der Bühne gestanden, als einer von siebzehn blau angemalten Statisten für das Kraftwerk-Cover "Schaufensterpuppen". Keiner der siebzehn Statisten will mit Rafa heute noch etwas zu tun haben.
Am Telefon fragte Giulietta mich über Persönlichkeitsstörungen aus. Sie hätte gerne eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung. Da mußte ich sie enttäuschen.
"Du hast stabile zwischenmenschliche Bindungen", erklärte ich, "du führst ein geordnetes, zukunftsorientiertes Leben, du bist eine Persönlichkeit mit ausgeformtem Charakter. Nein, eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung hast du nicht. Aber eine hysterische Neurose hast du. Dein Jammern paßt zu dem dritten Akt einer tragischen Oper."
Giulietta kicherte und fühlte sich ertappt.
"Du klagst professionell und dramaturgisch gelungen", setzte ich hinzu. "Du bist viel stärker und gesünder, als du glaubst."
Am Samstag fuhr ich mit Barnet und Heloise nach MD. Ich erzählte den beiden von der Unordnung in Rafas Keller und von seinem "Sperma-Sofa", der "Samenbank". In Rafas Keller wimmele es vor lauter Keimen. Die Ratten gingen dort ein und aus. Gerne würde ich Rafa fragen:
"Warum stehen deine Untermieter eigentlich nicht auf dem Klingelschild?"
Barnet meinte:
"Na, weil es zu viele sind."
"Über der Tür zu Rafas Keller steht 'Zutritt erst ab 180 I.Q.'", erinnerte ich mich. "Na, wenn man den IQ sämtlicher Bazillen in seinem Sofa zusammenzählt, kommt man vielleicht auf einen IQ von 180."
"Den Keller müßte man mal kärchern", schlug Barnet vor. "Dann wird er vielleicht sauber."
Barnet, der eine Autowerkstatt besitzt, kennt sich mit dem Reinigen von Industrieflächen aus. Kärcher-Druckwasserstrahlreiniger werden gegen ärgste Verschmutzungen eingesetzt.
"Ich hätte eher an einen Flammenwerfer gedacht", erzählte ich.
Seuchen hat man früher mit dem Ausflammen von Häusern eingedämmt.
Barnet und Heloise erzählten von den Auseinandersetzungen zwischen Rafa und Darius im Rahmen der Trennung von Das P., die vor einem Jahr stattgefunden hat. Darius könne zwar wütend werden, er könne sich aber schlecht zur Wehr setzen. Von seinem Vater habe Darius rettende Schützenhilfe gegen Rafa bekommen. Darius hatte zunächst geglaubt, Rafa habe ihn in dem Vertrag über die Rechte an der Band Das P. gut gestellt. Darius' Vater jedoch erkannte darin einen Knebelvertrag, der Darius so gut wie keine Rechte zugestand. Er sorgte dafür, daß Darius die Angelegenheit einem Anwalt übergab. Dieser erreichte, daß alle Rechte an Darius übergingen und daß Rafa den Namen "Das P." nicht mehr verwenden darf. Rafa, der ursprünglich Das P. als zweites Standbein verwenden wollte, hatte sich gründlich verrechnet.
"Kräckerbäcker" Evan bekam auch in diesem Winter "Katastrophen-Kekse" von mir, darunter "Strahlende Engel" und "Globale Verdunklungskekse". Er bedankte sich mit einem Gedicht, einem skandalösen Foto und weiteren Keks-Vorschlägen. Die Vorschläge lauteten: "Texaner Tornado-Spitzen" (längliche, spitz zulaufende Dreiecke), "Polkappenschmelz-Taler" (runder Keks mit weißem Zuckerguß in der Mitte) und "Titanic-Eisberg-Kräcker" (Keksklumpen mit weißer Zuckergußspitze). Sie sollen in den kommenden Jahren gebacken werden.
Das skandalöse Foto zeigt eine ältere Dame, die mit freundlicher Miene ein Blech voll frisch gebackener Kekse aus dem Ofen zieht. Die Kekse haben die Form von Hakenkreuzen. Ich reihte das Foto mit dem Untertitel "Schlimmste-Katastrophe-der-Menschheit-Kekse" in meine Bildersammlung auf der Keks-Rubrik meiner Website ein.
Evans Gedicht ist eine leckere, süß-klebrige Parodie auf den düster-kitschigen Tattoo-Clubhit "Rosen auf mein weißes Kleid" von Subway to Sally:


Kleid aus Keksen

Meister, Meister, gib mir Kekse,
Krümel auf mein weißes Kleid.
Stecht die Plätzchen aus dem süßen,
unberührten Mürbeteig.

Ein guter Bäcker lief einst fort,
verließ der Lehre schönen Ort,
verließ den Meister und sogar
das Brot, das ihm gebacken war.

Vor einer Stube, da blieb er stehn.
Darinnen war ein Mann zu sehn,
wie er Kekse mit Guß überzieht.
Da kam dem Bäcker Appetit.

Meister, Meister, gib mir Kekse,
Krümel auf mein weißes Kleid.
Stecht die Plätzchen aus dem süßen,
unberührten Mürbeteig.

Hast du es noch nicht kapiert?
Die Kekse sind grad frisch glasiert!
Werden an deinen Händen kleben,
will dir lieber keine geben.

Doch der Bäcker war vernarrt,
hat vor dem Ofen ausgeharrt,
bis er nicht mehr widerstand
und die Kekse nahm zur Hand.

Meister, Meister, gib mir Kekse,
Krümel auf mein weißes Kleid.
Stecht die Plätzchen aus dem süßen,
unberührten Mürbeteig.

Und von seinen großen Bissen
fielen Krümel, fielen Streusel,
fielen unbekannte Sorten
auf die ausgestellten Torten.

Später hat man ihn gesehn,
konnt vor Keksen kaum noch stehn.
Niemals hat man je erfahrn,
welchen Guß der Meister nahm.

Meister, Meister, gib mir Kekse,
Krümel auf mein weißes Kleid.
Stecht die Plätzchen aus dem süßen,
unberührten Mürbeteig.


Hier zum Vergleich das Original von Subway to Sally:


Rosen auf mein weißes Kleid

Ein gutes Mädchen lief einst fort,
verließ der Kindheit schönen Ort,
verließ die Eltern und sogar
den Mann, dem sie versprochen war.

Vor einem Haus, da blieb sie stehn,
darinnen war ein Mann zu sehn,
der Bilder stach in nackte Haut.
Da rief das gute Mädchen laut:

Meister, Meister, gib mir Rosen,
Rosen auf mein weißes Kleid.
Stech' die Blumen in den bloßen,
unberührten Mädchenleib.

Diese Rosen kosten Blut,
sprach der Meister sanft und gut.
Enden früh dein junges Leben,
will dir lieber keine geben.

Doch das Mädchen war vernarrt,
hat auf Knien ausgeharrt,
bis er nicht mehr widerstand
und die Nadel nahm zur Hand.

Meister, Meister, gib mir Rosen,
Rosen auf mein weißes Kleid.
Stech' die Blumen in den bloßen,
unberührten Mädchenleib.

Und aus seinen tiefen Stichen
wuchsen Blätter, wuchsen Blüten,
wuchsen unbekannte Schmerzen
in dem jungen Mädchenherzen.

Später hat man sie gesehn
einsam an den Wassern stehn.
Niemals hat man je erfahrn,
welchen Preis der Meister nahm.

Meister, Meister, gib mir Rosen,
Rosen auf mein weißes Kleid.
Stech' die Blumen in den bloßen,
unberührten Mädchenleib.



Auch Evans lyrische Konditor-Auslage kam in die Keks-Rubrik auf meiner Website.
In MD. gab es im "XXL" ein Festival mit mehreren EBM-Bands und Dive als Headliner. Von nah und fern waren EBM-Fans herbeigekommen. Ihr martialisches Äußeres wurde entschärft durch T-Shirt-Aufdrucke, mit denen sie sich von Neonazis abgrenzten:
"love music - hate fascism"
Mit Ginger, einer von Cyras Freundinnen, unterhielt ich mich lange. Ginger arbeitet im Krankenhaus in HE., das mit Kingston zusammenarbeitet. Sie erzählte, daß Amfortas - der leitende Oberarzt in Kingston - oft nach HE. kommt, um psychiatrische Konsile zu machen. Er paßt sehr auf seinen Aktenkoffer auf. Die Schwestern haben schon versucht, Amfortas den Koffer zu stehlen, um ihn zu ärgern. Es ist ihnen aber nicht gelungen.
In HE. werden viele Alkoholiker behandelt, vor allem in der Unfallchirurgie. Immer wieder rutschen einige von ihnen ins Alkoholentzugsdelir. Es ist belastend für die Mitpatienten, wenn ein verwirrter Alkoholiker auf ein Regal steigt und laut schreit. Solche Patienten werden mit Unterbringungsbeschluß in die Psychiatrie verlegt, nach Kingston.
Ginger kann sich nicht vorstellen, in der Psychiatrie zu arbeiten. Ihr genügt das, was sie an Verrücktheiten in der Unfallchirurgie erlebt. Psychiatrie-Patienten, die sich selbst verletzen, gehören dort zum Alltag. Auch die Patientin, die häufig und lange in Kingston war und mit Vorliebe Batterien verspeist, ist dort ein Begriff. Ginger hat einen zweijährigen Sohn. Mit ihrem Mann, dem Vater des Kindes, ist sie glücklich. Ihr vorheriger Freund ist gewalttätig. Er brach ihr einen Arm.
Ich erzählte von Rafas Gewalttätigkeit und von seinen Methoden, andere Menschen zu entwerten. Ginger vermutete, Rafa sei es wohl unheimlich, daß es ihm nicht gelinge, mein Selbstwertgefühl zu untergraben.
Ginger bedauerte, daß Cyra nicht mehr mit Maurice zusammen ist. Sie hätten so gut zueinander gepaßt. Ich erzählte, von Anfang an sei ich mir sicher gewesen, daß die Beziehung nicht halten könne. Cyra brauche einen Partner, der nicht kränkbar sei. Und Maurice sei kränkbar.
Ginger erzählte, sie habe zu Cyra gesagt, sie könne sich nicht für immer und ewig in Discotheken vergnügen, einmal müsse Schluß sein damit. Ich entgegnete, für Cyra sei nie Schluß damit, es sei ihre Leidenschaft, ebenso wie meine. Auch für mich sei nie Schluß damit. Musiker wie Tina Turner und David Bowie lebten uns vor, daß man in der Musikwelt bis ins Rentenalter unterwegs sein kann.
Ginger besann sich auf ihre eigene Leidenschaft und gestand zu, daß sie sich bestimmt auch noch im Rentenalter auf ein Pferd schwingen werde. Die Leidenschaft für das Reiten hat sie mit Cyra gemeinsam.
Im "XXL" traf ich einen Pfleger namens Jerry, den ich aus Kingston kenne. Wir sprachen darüber, daß alle Landeskrankenhäuser privatisiert werden sollen, mit Ausnahme der Maßregelvollzugseinrichtungen. Kingston sei noch nicht verkauft worden. Der Chefarzt versuche, die Privatisierung zu verhindern.
Jerry hat wie ich eine Domain. Er stellt Lyrik ins Internet. Ein anderer Kollege aus Kingston, der Psychologe Elvin, hat eine Domain, auf der Blaudruck-Kunstwerke zu bestaunen sind.
Avalon traf ich ebenfalls im "XXL". Er war wie gewohnt schrill gestylt und geschminkt, mit langem Haarteil und knappem Minirock. Er berichtete, seit Darienne Mitglied bei H.F. sei, komme sie sich als etwas Besseres vor. In der Online-Szene-Kontaktbörse lästere sie nur noch über andere Menschen und andere Bands und mache sich dadurch unbeliebt. Er finde inzwischen nicht einmal mehr ihr Äußeres attraktiv. Er wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Die Gäste waren von weit her ins "XXL" gekommen. Sogar Sirio traf ich hier. Während ich mich mit ihm unterhielt, kam Curtis angelaufen, den ich aus dem "Radiostern" kenne.
"Hase!" rief Curtis, umhalste mich, gab mir Bussis und lief weiter.
"Kennst du den?" fragte Sirio.
"Ja, den kenne ich", antwortete ich.
Am Merchandize-Stand traf ich Dirk I., der berichtete, er habe in den letzten zwei Wochen an einer Erkältung gelitten - "but not the bird's flu", versicherte er. Wegen seiner Krankheit sei er mit einem mulmigen Gefühl aufgetreten. Ich sagte ihm, daß ich seine Show wie immer hervorragend fand. Von einer Grippe sei ich in diesem Winter bislang verschont geblieben. Dirk fragte, ob ich schon aufbrechen wollte oder noch tanzen wollte, und ich antwortete, daß ich auf jeden Fall noch ein wenig tanzen wollte.
Zum Tanzen gab es reichlich Gelegenheit bei der Aftershow-Party.
Ende Februar erwischte mich dann doch eine Grippe. Constri kaufte für mich ein. Sie erzählte, daß sie für Denise ein Kinderbuch bestellt hat, das sich mit Ehescheidung befaßt. Denise soll vermittelt werden, daß sie keine Schuld an der Trennung ihrer Eltern hat und daß beide Eltern sie genauso lieb haben wie immer, auch wenn sie getrennt leben.
Mit Azura unterhielt ich mich in E-Mails über romantische Gegenden. Ich erzählte vom Harz:

1978 war ich mal im Harz in einer Skihütte. Ich war mit einer Kindergruppe da, wir waren lauter 10- bis 12-jährige, und der Gruppenleiter hat für uns aus einem Café lauter Windbeutel geholt, und in der Skihütte wurde Kaffee gekocht, echter Bohnenkaffee, und wir waren schön aufgekratzt davon, herrlich, und haben versucht, die Windbeutel aufzuessen. Ich habe die Hälfte der Sahne in meinen Kaffee getan und es doch nicht geschafft, alles zu essen, denn die Windbeutel bestehen ja in der Hauptsache aus Sahne, und da ist soviel drin, daß man das normalerweise nicht schafft. Es gibt eine Regel im Harz: wer sieben Windbeutel schafft, kriegt alle umsonst. Wer das schafft, den will ich mal sehen.
Vor zwei Jahren habe ich einen Pharma-Vertreter, der aus dem Harz stammt, nach dem Café gefragt, wo wir damals die Windbeutel geholt haben. Er kennt das Café und beschrieb mir, wo es liegt.

Durch die genaue Beschreibung fand ich das Café wieder, und Saara, Constri, Denise und ich kehrten dort ein.
Azura schrieb über Kekse und Vogelgrippe:

Ich hab mir Deine Kekskatastrophen, äh, Kreationen auf Deiner HP angeschaut. Ganz große Klasse! :D Wie hast Du denn die Selbstmordattentäterform hingekriegt? Jetzt mußt Du umsteigen auf österliche Vogelgrippe-Hühnchenkekse oder sowas ... aber ich finde die Seuche gar nicht lustig. Mir tut es immer weh, wenn ich wieder lesen muß, wieviele Vögel noch dran gestorben sind oder welche armen Hühner unschuldigerweise durch den Menschen sterben müssen. Du weißt ja, Vögel sind mein Ein und Alles, und ich bin sehr traurig darüber, daß sie nun überall sterben müssen.

Ich schrieb:

Die Selbstmordattentäter-Keksform habe ich aus einer Videokassetten-Weihnachtsedition mit drei Backförmchen in Gestalt dreier wild herumhüpfender Männchen. Dazu gehörte ein Rezeptbuch namens "Backwahn", ein Titel, der auf die Bhagwan-Sekte anspielt. Passend hierzu waren die drei Backförmchen rot, die Bhagwan-Jünger-Lieblingsfarbe.
Ja, hoffen wir mal, daß die Vogelgrippe nicht noch viel, viel mehr Menschen und Tiere das Leben kostet.

An Berenice schrieb ich:

Ja, es stimmt, Rafa verdrängt alles Negative systematisch, ob es sich um seine Schandtaten, seine Niederlagen oder die Ratten in seinem Keller handelt. Dadurch verblaßt aber auch alles Positive und wird schal, intensives emotionales Erleben gibt es für Rafa nicht, Oberflächlichkeit regiert seine Welt. Er klagt schon jahrelang über "Leere" in seinem Inneren, und eben diese kommt durch das Verdrängen sämtlicher Emotionen und der eigenen sozialen Verantwortung als Teil der Gemeinschaft zustande. Menschen sind Herdenwesen, für die Isolation sind sie nicht geschaffen, und wer gegen die Natur handelt, bekommt früher oder später die Quittung.
Wenn Rafa eure Zukunft in leuchtenden Farben ausgemalt hat, wie sah die aus? Wolkenschloß? Hat er Nahziele formuliert bzw. versucht, sie zu erreichen? Wie stellte er sich euer Zusammenleben vor? Zu zweit unten im Kellerloch?

Berenice schrieb:

Ausgemalt kann man das nicht nennen. Er meinte, wir würden ewig zusammenbleiben, irgendwann heiraten (ich habe dagegen nichts gesagt, ich will zwar nie heiraten, aber er wusste das ja sowieso), Kinder kriegen (äh, nun, Kinder werde ICH ganz sicher keine in die Welt setzen, auch das wusste er) und gemeinsam auf der Veranda in den Sonnenuntergang schauen.
Ich bin dann doch zu realistisch gewesen, um seinen Träumen zu folgen ... Denn es waren seine und niemals meine.

Ich schrieb:

Rafa ist spießig, aber zur Spießigkeit gehört eigentlich auch die Sauberkeit.
Das kann ich mir gut vorstellen, wie du versucht hast, gegen den Dreck in Rafas Räumlichkeiten anzuputzen. Wahrscheinlich hätte ich das auch gemacht, nicht seinetwegen, sondern meinetwegen.
In Rafas Keller würde ich wahrscheinlich andauernd auf den Dreck zu sprechen kommen und verlangen, daß sein Sofa in den Sperrmüll kommt. Und ich würde wahrscheinlich immer wieder zynische Sprüche machen.
Tyra hat erzählt, daß Rafa mit der Febrezeflasche herumläuft und behauptet, damit bekäme man jeden Geruch weg, was natürlich nicht stimmt.

Berenice schrieb:

Ja, richtig. Sein Lieblingsputzmittel: einmal draufgesprüht und schon ist alles sauber.

Zu Berenices Bericht, daß Rafa behauptet hat, Frauen zu hassen, schrieb ich:

Rafa haßt Frauen ... mit was schläft er denn? Wenn jemand seine Freundin ist und deshalb angeblich keine Frau, mit was schläft er dann?

Berenice schrieb:

Vielleicht ist das einfach seine Art, die Angst vor Frauen kurzfristig einzudämmen.
Den dummen Spruch mir gegenüber hat er doch wohl nur gemacht, weil ich im Laufe der Zeit Zeugin seines Hasses geworden bin.

Zu Rafas Störungsbild und der Möglichkeit einer Therapie schrieb ich:

Ja, zum Psychiater muß Rafa eigentlich, aber Menschen mit narzißtischen Störungen weichen störungsbedingt jeder Therapie aus, sie bringen sich einfach nur schnell oder langsam um.

Berenice schrieb:

Rafa würde nie zur Therapie gehen! Dafür ist er viel zu sehr von sich selbst überzeugt ... Traurig für Tyras und Co.!

Zu meiner Vermutung, daß Rafa sich musikalisch nicht weiterentwickeln kann, wenn er keine Gefühle zuläßt, schrieb Berenice:

Es wird ihm egal und unverständlich sein, denn in seinen Augen ist er einfach nur toll!!! Er hat doch Erfolg und denkt, dass jeder ihn umwerfend und beneidenswert findet ... Das reicht ihm doch.

Tyra erzählte in einer E-Mail von Rafas Versuchen, ihr beim Musikmachen zu helfen:

Hat leider nicht alles so geklappt, da an meinem Rechner irgendwelche Anschlüsse nicht stimmen. Aus diesem Grund hat unser Treffen auch lange gedauert. Ich wollte dann auch schlafen, da ich bereits um fünf Uhr wieder aufstehen musste. Rafa legte sich in voller Ausstattung auf mein Bett und schlief auch. Als ich aufstand, warf ich ihn hinaus.
Es war mal wieder ein netter, sehr platonischer, entspannter Abend. Ich wunderte mich über Rafa Fürsorge und Friedlichkeit mir gegenüber. Er hat viel gelacht und war relativ harmonisch. Zwar war er wie immer sehr nachdenklich, aber friedlich. Er hat mich sehr, sehr oft umarmt und mir gesagt, wie dankbar er dem lieben Gott sei, dass es mich gibt. Ich fand das recht schmeichelnd, habe mich dennoch nicht um den kleinen Finger wickeln lassen. Das hatte ich schließlich oft genug ...
Zwischendurch war Rafa drüben bei sich, da er zusammen mit Anwar ein Hörspiel aufnehmen wollte, danach kam er wieder rüber.

Ich erzählte Tyra von den neuesten Ereignissen in der "Spieluhr". Sie schrieb:

Darienne war mit ihrem Ex-Freund in der "Spieluhr"???
Ich glaube, Darienne leidet sehr unter dem "Zuckerbrot und Peitsche"-Spielchen, das Rafa ja regelmäßig mit seinen Freundinnen abzieht. Warum verlässt sie ihn dann nicht?!
Ivco hat also auch schon geäußert, dass Rafa der falsche Mann für sie sei? Das bedeutet ja, dass sie auf jeden Fall Beziehungsprobleme hat und Ivco als einen Vertrauten um Rat gebeten hat.
Oder?
Aber daß Ivco ihr abgeraten hat, wundert mich sehr. Mir gegenüber sagte Ivco damals immer, daß ich Rafa glücklich machen würde und daß er sich sehr für unser Glück freute. Er meinte, daß er Rafa noch nie so zufrieden und fröhlich über eine Frau und ihre Familie hat reden hören wie über mich und meine Familie.
Zwar sagte Ivco im Nachhinein, daß es so kommen mußte, da es bei Rafa nie anders verlief, andererseits gab er mir eher Tipps, wie ich mit Rafa in den schwierigen Zeiten hätte umgehen können. Denn Ivco sagte immer, daß er es sehr schade fände, wenn das mit ihm und mir in die Brüche ginge, da wir miteinander harmonieren würden.
Darienne hingegen rät er ab. Seltsam.
Aber nun gut. Für mich entpuppt sich dieses ganze Theater immer mehr als eine riesige Bühne mit einem Schauspiel darauf, das mich zur Weißglut bringt. Ich habe schon fast keine Lust mehr, mir über diesen Mann und sein Treiben Gedanken zu machen.
ES GEHT MIR AUF DIE NERVEN! DER SOLL ERSTMAL SEIN ZIMMER AUFRÄUMEN! ;)
Ich möchte gar nicht mehr mit ihm zusammen sein. Rafa ist mein bester Freund, und ich empfinde nichts weiter als platonische Liebe für ihn. Ich sehne mich nicht danach, ihn körperlich zu spüren oder, wie damals, ihn Tag und Nacht um mich zu haben. Ich will nur, daß dieser Mann glücklich wird, weil er es mehr als jeder andere durch seine widerwärtige Vergangenheit verdient hätte.

Ich schrieb:

Ja, ich finde es nett von Rafa, daß er dir beim Musikmachen hilft ... wenn er dabei nur uneigennützig ist und bleibt. Mir scheint aber vielmehr, daß er darauf spekuliert, dich wieder ins Bett zu ziehen.
Inwiefern man Darienne helfen kann, weiß ich nicht. Bisher wollte sie ja die unangenehmen Wahrheiten über Rafa gar nicht wissen, dabei wären genau sie es, die ihr am meisten helfen würden.
Rafa müßte an Grenzen stoßen, nur wer ihm die setzen soll, weiß das Schicksal allein. Ich will Rafa gern helfen, zumal ich damit nicht nur ihm, sondern auch seinen Opfern helfen würde. Um jeden, der von Rafas Machenschaften verschont bleibt, ist es das wert.

An Berenice mailte ich:

Rafa, der sich angeblich nicht für eine Frau entscheiden kann, hat in Wirklichkeit das Problem, sich nicht einmal für sich selbst entscheiden zu können.
Damals, als ich Rafa im Februar 1993 zum ersten Mal besucht habe, war ich erstaunt über die Sauberkeit und Ordnung bei ihm zu Hause und das designerhafte Styling seiner Zimmer. Das hatte ich nicht erwartet. Vielleicht war jene Zeit die einzige in seinem Leben, in der überhaupt mal Sauberkeit und Ordnung bei ihm geherrscht haben.

Berenice schrieb:

Er hat ja sein Zimmer als Gesellenprüfung hergerichtet - vielleicht hast Du ihn gerade zu dieser Zeit kennengelernt? Weiß allerdings nicht mehr, wann die Prüfung gewesen ist ...

Ich schrieb:

Ja, Rafa hat 1989 im Alter von 18 Jahren die Realschule abgeschlossen und seine Lehre als Maler/Lackierer begonnen, und diese Lehre hat er 1992 abgeschlossen. So ist es nachvollziehbar, daß seine Zimmer Anfang 1993 noch ordentlich waren, um dann nach und nach (wieder) zu verwahrlosen.
Schade, daß Rafa, der durchaus in der Lage ist, Ordnung zu halten, hierzu fast keine Motivation besitzt.
Rafa und das Febreze ... am Ende glaubt Rafa, mit Febreze auch sein Gewissen reinigen zu können. Einmal draufgesprüht, und schon ist alles sauber.

Berenice schrieb:

Schöne Vorstellung. Gibt es auch ein Febreze gegen Stress? ;)

Ich erzählte von Rafas Panikzuständen, gegen die Febreze anscheinend nicht viel bringt. Berenice schrieb:

Kommen alle seine ausgesandten Dämonen zu ihm zurück?

Sie setzte hinzu, daß sie Panikattacken bei Rafa nicht kennt; das sei wohl neu.
Berenice erzählte, daß nicht nur Rafas Umfeld, sondern auch seine Bühnenutensilien in einem hilfsbedürftigen Zustand sind:

Ist doch alles nur Schein, da muss kaum was funktionieren ... Selten wird mal wirklich ein Ton gespielt ... Es ist alles nur bühnentauglich, wenn überhaupt - aus der Nähe sollte man nichts betrachten ...

Das neue W.E-Album kommt später heraus als geplant. Evan mailte über W.E und H.F.:

habe mich mal mit H.F. und in diesem rahmen auch mit darienne beschäftigt, sie wirkt völlig hilflos und unpassend in diesem trio
würde rafa die energie, welche er für frauengeschichten und H.F. verschwendet, in w.e stecken, wäre seine platte schon längst fertig

Ich mailte:

Ja, wenn Rafa seine Energie positiv nutzen würde, hätten alle was davon.

Im W.E-Forum gibt es ein Plakat mit der neuen Band-Besetzung zu sehen: Rafa, Dolf und Darienne. Die drei wurden auf ein Schachbrett gestellt, als Schachfiguren. Jeder wurde auf die gleiche Größe gebracht. Hinten stehen Rafa und Darienne, einander abgewandt. Die magere Darienne mit ihrer strengen Steckfrisur wirkt auf mich wie eine Häkelnadel im Kleid. Vorne steht der zwergenhafte Dolf, der durch die Anpassung an die Größe von Rafa und Darienne und durch seine Position im Bild übergroß wirkt. Dolf schaut nach vorn, aber am Betrachter vorbei. Alle drei Bandmitglieder stehen herum mit bemüht ausdruckslosen Gesichtern, die Augen hinter Sonnenbrillen versteckt. Das soll vermutlich "cool" und überlegen wirken, erreicht aber die Grenze zur unfreiwilligen Komik.
Forummitglied Dany schrieb zu dem Plakat:

auf alle Fälle schick! - der DOLF wirkt so riesig

Ich schrieb als "moonsoon":

Man könnte Dolf skalieren, anstatt ihn nur zu vergrößern. Das könnte sich z. B. vorteilhaft auf die Proportionen auswirken.

Im W.E-Forum gibt es einem Thread zu dem Thema, worauf man bei seinen Mitmenschen Wert legt. Herr Lehmann schrieb:

1) Sympathie
2) gleiche Wellenlänge
3) Ehrlichkeit / Vertrauenswürdigkeit

Genau in dieser Reihenfolge. Wenn bei einer Person diese drei Kriterien positiv abgehakt werden können, gehört die Person zu den mir wichtigen Menschen. Ansonsten ist sie nur menschlicher Ballast, der es nicht wert ist, weiter beachtet zu werden.

Ich schrieb als "moonsoon":

Ehrlichkeit finde ich besonders wichtig.
Allerdings sind mir schon chronische Lügner begegnet, die sich selbst für den ehrlichsten aller Menschen hielten, und mir sind auch schon arrogante Menschen begegnet, die sich für tolerant und offen hielten, und mir sind auch schon Menschen begegnet, die die gesamte Menschheit belehren wollten und selbst ohne moralische Grundsätze durchs Leben gingen. Das Leben bringt immer wieder Überraschungen.
Freilich bezeichne ich niemanden als "menschlichen Ballast", das verbietet mir meine christliche Grundhaltung. Auch ein Sünder kommt in den Himmel, wenn er bereut. (Aber das ist ja alles Glaubenssache.)

Am ersten Freitag im März war ich nachts für eineinhalb Stunden im "Mute". Ich war noch nicht gesund, wollte aber wenigstens einige Leute sehen.
Als ich vor der Bühne an der Tanzfläche entlangging, stürmte aus der Mitte der Tanzenden ein Junge in tarnfarbener Hose auf mich zu, küßte mich auf die Wange und mischte sich wieder unter die Tanzenden. Ich setzte meinen Weg fort und fragte mich, was in dem Jungen vorgegangen war. Vielleicht hatte er eine Wette abgeschlossen, daß er sich traute.
Am Samstag fuhr Constri nach längerer Zeit wieder mit zu "Stahlwerk". Sie mußte ans Steuer, weil ich mich noch nicht völlig erholt hatte.
Sirio machte wieder viele Fotos und drehte Filmchen.
Diddo wird immer femininer - und immer schlanker. Heute erschien sie in einem zarten cremefarbenen Kleid mit plissiertem Volant, die Haare aufgesteckt, weiß und glitzernd dekoriert.
Joujou und ich unterhielten uns im Foyer. Joujou erzählte, nachdem sie Constri, Derek und Denise bei meiner Geburtstagsfeier kennengelernt hatte, habe sie geträumt, daß Constri und Derek sich getrennt hätten. Das sei doch Unsinn, die beiden seien verheiratet und hätten eine Tochter. Ich erzählte Joujou, daß ihr Traum der Wahrheit entspricht und daß Constri und Derek tatsächlich getrennt sind, weil Derek eine Geliebte hat. Joujou staunte sehr, und auch Constri staunte, als sie erfuhr, daß Joujou von ihrer Trennung geträumt hatte, ohne die Hintergründe zu kennen.
Darien unterhielt sich lange mit Constri. Er erzählte, daß er in Abständen von mehreren Wochen mit Dera in eine Beziehungskrise gerät, so daß sie kurz vor der Trennung stehen. Um der Kinder willen bleiben sie dann doch zusammen.
Darien meinte, dort draußen in HST., wo er mit seiner Familie lebt, könne er nicht heimisch werden. Dera sei in HST. verwurzelt, er jedoch sehne sich nach einer Stadt, in der er mehr kulturelles Leben vorfinde und mehr Vertrautes.
Constri hat von unserer Cousine Vivien erfahren, daß Vivien und ihr Mann Alban auch schon eine ernsthafte Ehekrise durchgemacht haben. Alban hatte sich in eine andere Frau verliebt. Die ist aber in festen Händen und singt außerdem im selben Chor wie Vivien und Alban. Sie ließ sich nicht auf ein Verhältnis mit Alban ein. Nur so wurde ein Seitensprung verhindert.
Clara ist seit Kurzem verheiratet und will mit ihrem bisherigen Bekanntenkreis nichts mehr zu tun haben. Das war bei ihrem Verlöbnis vor einigen Jahren auch schon so. Als sich das Verlöbnis als Mißgriff herausstellte und die Beziehung scheiterte, fing Clara eines Tages wieder an, mit uns zu reden. Nun ist sie nicht nur verlobt, sondern verheiratet, und es entsteht der Eindruck, daß sie sich endgültig zu fein für uns ist. Ihr Mann Seward stammt nicht aus Adelskreisen, er ist kein Prominenter, er hat kein großes Vermögen, er ist nur ein gewöhnlicher Ehemann wie viele andere, mit Haus, Garten und Auto. Dennoch reicht das für Clara aus, um ihre Freunde von oben zu betrachten - obwohl diese zu einem Teil ebenfalls verheiratet sind. Die beiden Einzigen aus ihrem Bekanntenkreis, die noch mit ihr reden dürfen, sind Ray und Terry. Vielleicht hat Claras Auswahl etwas damit zu tun, daß Ray und Terry übergewichtig sind. Claras Gewicht steigt und steigt. Auch Seward ist übergewichtig. Vielleicht will Clara den Kontakt zu schlanken Leuten abbrechen, damit sie nicht so oft an ihr Übergewicht erinnert wird. Vordergründig behauptete Clara, sie wolle nichts mehr mit uns zu tun haben, weil wir in "verschiedenen Welten" leben.
Constri sagte zu mir, Clara brauche nie mehr zu versuchen, die Freundschaft mit ihr wiederaufleben zu lassen. Claras Verhalten belege, daß auf sie kein Verlaß sei. Constri fragte Clara in einer E-Mail, was der Unterschied ihrer beiden "Welten" sei, außer daß sie, Constri, es sich nie erlauben würde, einfach ohne Grund ihre Freunde zu verstoßen. Clara drückte sich um eine Antwort herum.
Sarolyn berichtete, daß ihr Sohn Matthew zur Welt gekommen ist - an Ivcos Geburtstag. Ivco wollte dieses Jahr seinen Geburtstag nicht feiern. Er meinte, ihm werde das zuviel, er habe anstrengende Monate hinter sich.
Am Dienstag habe ich Folgendes geträumt:

In Rafas Kellerraum saß ich ganz links außen auf seinem berüchtigten Sofa. Rafa kam herein, setzte sich ganz rechts außen auf das Sofa und begann betont sachlich - dabei nett und etwas verlegen - ein Gespräch mit mir. Er erkundigte sich, wie weit ich mit meiner Facharztweiterbildung bin. Ich wollte etwas ausführlicher antworten und wurde unterbrochen, weil Isis Rafa zu sich herrief. Isis war unter den vielen Gästen, die Rafa hatte, die sich jedoch nicht im Keller, sondern im Obergeschoß aufhielten. Rafa ging zu Isis hinauf und kam gleich wieder herunter. Da ging aber schon der Wecker, und ich wachte auf.

Im "Nachtkuss"-Gästebuch hat Rafa meine "Nicht-Gratulation" zu seinem Geburststag stehenlassen. Ich schrieb als "frühjahrsputz":

Sauberkeit von außen hängt zusammen mit Sauberkeit von innen, das heißt, mit Febreze kann man kein Sakko reinigen und schon gar kein Sofa, auf dem man jahrelang unzählige Frauen ge... hat. Und man kann mit Febreze kein Gewissen reinigen.

Diesen Eintrag löschte Rafa. Ich schrieb als "sagrotan":

Nur dadurch, daß man Gästebucheinträge löscht, kann man weder sein Zimmer aufräumen noch sein Gewissen reinigen.

Dies löschte Rafa ebenfalls.
Am Mittwoch war ich mit Highscore und Ceno im "Ausspann". Wir bestellten das Tagesgericht, Spare Ribs. Highscore erzählte vom letzten Wochenende, das er in HE. verbracht hat. Er traf sich mit einigen Leuten zum Paintball. Es habe viele Pannen gegeben, die Schiedsrichter seien parteiisch gewesen und hätten diejenigen bevorzugt, deren Kleidung vom Hallensponsor stammte.
Highscore erinnerte sich an ein besonders schönes Paintball-Vereins-Erlebnis. Als er sich eine neue Paintball-Waffe bestellte, fragte ihn ein Vereinskamerad, wie er über eine 1000 Euro teure Luxuswaffe denken würde. Highscore antwortete, eine solche Waffe in Blau wäre nicht schlecht, das würde zu den Vereinsfarben passen. Als ein Paket ankam, sollte Highscore es öffnen und fand nicht seine bestellte günstige Waffe darin, sondern die blaue Luxuswaffe. Er wollte fragen, wem die gehöre, da teilten ihm die Vereinskameraden mit, das sei seine, die hätten sie für ihn bestellt, sie hätten nämlich gesammelt. Dieses Erlebnis rührte Highscore zu Tränen.
Ceno erzählte, daß er gerade seine letzten Arbeitsstunden abgeleistet hatte. Er hatte eine Geldstrafe abgearbeitet für eine Autofahrt mit 1,1 Promille. Seinen Führerschein werde er zurückbekommen, wenn die Sperrfrist vorüber sei. Sam hingegen müsse zur MPU, sonst bekomme er seinen Führerschein nicht wieder.
Highscore erzählte, daß einer seiner Brüder früher häufig Sauftouren gemacht hat und dreimal zur MPU mußte. Einmal sei er mit 120 km/h durch einen Ort gerast und habe dabei einen Unfall mit Sachschaden verursacht. Als die Polizei ihn an einer Bushaltestelle stoppte, habe er das Fenster heruntergelassen und gefragt:
"Hat jemand von euch einen Dosenöffner? Von meiner Tuborg-Dose ist mir der Ring abgerissen."
Er habe 2,89 Promille gehabt.
Highscores Neffe Jerome steigt in Vaters Fußstapfen. Jerome ist sechzehn und hat schon einige Sauftouren hinter sich. Einmal wurde sein Fahrrad von einer Streife in einem Straßengraben gefunden, daneben schlafend Jerome, bei mehreren Grad unter null. Als er geweckt wurde, wollte Jerome davonlaufen mit der Erklärung:
"Ich laufe zum Krankenhaus, da bringt ihr mich sowieso gleich hin."
Jerome hat ein Auto, mit dem er an Crashrennen teilnimmt. Dieses Auto ist für den öffentlichen Straßenverkehr untauglich. Rennen fahren dürfen schon Sechzehnjährige. Highscore kann sich ebenfalls für Crashrennen begeistern. Auf Stoppelfeldern jagen fast völlig entkernte Schrottautos mit angeschweißten Überrollbügeln im Kreis, und die Fahrer sind meistens betrunken. Das Anfahren der Gegner gehört zum Sport. Manch einer muß vorzeitig ausscheiden, weil das Auto streikt oder weil es aus der Bahn geschleudert wird. Die Sanitäter sind stets vor Ort.
Wave mailte, er sei am vergangenen Samstag in L. im "Memento Mori" gewesen, wo Rafa auflegte. Wave wechselte kaum ein Wort mit Rafa. Er schrieb:

Mit mir unterhält Rafa sich doch nie länger als 5 Minuten ... doch, ich glaube, einmal hat er es geschafft, im "Keller" ...

Darienne habe meistens bei Rafa hinterm DJ-Pult gestanden.
Wave erkundigte sich nach dem Namen, den er in "Im Netz" hat. Er ist gespannt, ob und in welcher Form die Gespräche, die wir miteinander führen, dort auftauchen.
Was das verschwundene Pferd Max betrifft, so gibt es mittlerweile in der Lokalpresse von DD. kaum noch Artikel darüber; seine Spur verliert sich im Dunkel.
Am Donnerstagabend war ich bei Deon. Er erzählte, daß er kürzlich bei Berry zu Besuch war. Sie hatte außer ihm noch mehr Gäste. Berry behauptete, mit Drogen nichts mehr im Sinn zu haben. Ihre Gäste jedoch unterhielten sich ausführlich darüber, was auf welche Art breit mache und welche Mischung welcher Substanzen besonders breit mache und derlei mehr.
In dem Viertel, wo Deon wohnt, gibt es ein häßliches Hochhaus, das "Spermabunker" genannt wird. Warum es aber so heißt, weiß Deon auch nicht.
Am Samstag waren Constri, Rikka, Domian und ich im "Radiostern". Domian setzte sich ohne erkennbaren Grund ab und versuchte, Rikka ein schlechtes Gewissen zu vermitteln. Ein solches Verhalten zeigte er nicht zum ersten Mal. Constri konnte Rikka davon überzeugen, daß es ihr besser bekam, wenn sie Domians provokantes Verhalten ignorierte. Es gelang ihr schließlich, die Party zu genießen. Sie tanzte häufig und unterhielt sich lange mit Constri im Foyer.
Türsteher Solvar strahlte, als er Constri wiedersah. Sie erzählte ihm von ihrem Ärger mit Derek. Solvar deutete an, daß er Constri am liebsten vom Fleck weg heiraten würde.
Am Sonntagnachmittag waren Constri, Denise und ich bei meinem Vater, der Geburtstag hatte. Constri erzählte, daß Denise einen Freund namens "Schwacke" erfunden hat, der es immer gewesen ist, wenn Denise etwas angestellt hat.
"Der Schwacke war's!" behauptet Denise, wenn ihr etwas kaputtgegangen oder verlorengegangen ist.
Kürzlich reichte Constri ihr mehrere Plüsch-Schnecken auf die Rückbank und bat sie, die kleinen Schildchen nicht abzumachen. Am Ende der Autofahrt waren die Schildchen ab, und Denise erklärte:
"Da kamen ein böser Mann und eine böse Frau, die haben die kleinen Schildchen abgemacht."
"Dann mußt du mit dem Mann und der Frau schimpfen", meinte Constri.
"Hab' ich doch schon!" berichtete Denise.
Abends telefonierte ich mit Tyra. Sie berichtete, am gestrigen Tag habe sie von Rafa verlangt:
"Räum' endlich dein Zimmer auf!"
"Welches Zimmer?" fragte er.
"Das da oben, in deinem Kopf", erklärte Tyra. "Das kann man bestimmt schon gar nicht mehr sehen vor lauter Gerümpel."
"Kann man das denn aufräumen?"
"Ja, das kann man, und der Psychologe kann dir dabei helfen."
"Was redest du wieder für ein Psycho-Zeug ..."
Tyra legte ihm Tabletten hin und meinte, mit diesen könne er seine Aufräum-Aktion beginnen. Jeden Tag müsse er eine nehmen, um die Infektionsgefahr für seine Bettgespielinnen zu verringern.
"Ich bin nicht krank", wehrte Rafa ab.
"Das würde ich an deiner Stelle erst behaupten, wenn du beim Arzt warst", gab Tyra zurück und ging.
Neulich hat Tyra in das Gästebuch auf Rafas "Nachtkuss"-Website geschrieben:

"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das WESENTLICHE ist für die Augen unsichtbar!" Lieben Gruss und dicken Kuss, mein Schatz

Daraufhin schrieb Darienne an Tyra eine SMS:
"Man sieht nur mit dem Herzen gut, blabla. Kuss, mein Schatz? Wie armselig, haha."
Tyra simste zurück:
"Du kennst wohl den Unterschied zwischen armselig und tiefsinnig nicht."
Sie warf Darienne vor, sie zu beschimpfen, ohne die Hintergründe des Gästebucheintrags zu kennen, und sie warf ihr Eifersucht vor.
Darienne erwiderte:
"Eifersucht worauf denn? Nur weil du den Kleinen Prinzen zitieren kannst und des Internet Explorers mächtig bist? Schön gemacht! Amusement :)"
Tyra fragte, warum Darienne sich überhaupt auf sie stürzte, wenn sie nicht eifersüchtig war. Darienne antwortete nicht darauf.
Als Tyra Rafa erzählte, daß Berenice sie näher kennenlernen möchte und sie zu sich eingeladen hat, wollte Rafa wissen, woher sie das habe. Tyra antwortete, das wisse sie von mir.
"Wenn's von Elobe kommt, kann's sowieso nicht stimmen", behauptete Rafa.
Tyra verschwieg Rafa, daß sie mit Berenice E-Mails austauscht. Sie ist es gewohnt, daß Rafa ihr vorschreiben will, zu wem sie Kontakt hat. Unter anderem will Rafa ihr den Kontakt zu mir verbieten. Kürzlich erst soll er befohlen haben:
"Ich sage dir noch einmal, und ich meine das, wie ich das sage: Laß die Finger von der Frau."
"Nein", antwortete Tyra.
Außer einem ärgerlichen "hm" kam da nichts mehr von ihm.
Vor zwei Tagen hat Rafa abends bei Tyra angerufen und gefragt, ob sie Zeit habe. Sie erzählte, daß sie am nächsten Morgen früh aufstehen mußte und den ganzen Tag arbeiten mußte, ebenso wie am Sonntag.
"Ach, dann hat das eh keinen Sinn", winkte Rafa ab.
"Wieso, was wolltest du denn von mir?" erkundigte sich Tyra.
"Ach, ich dachte, wir könnten mal wieder spazieren gehen."
Tyra erinnerte sich, daß sie vor zwei Jahren mit Rafa fünf Stunden lang spazieren ging. Das sei ein bewegendes Erlebnis für beide gewesen. Rafa wollte anscheinend die Erinnerung daran wieder aufleben lassen. Tyra erklärte sich einverstanden, mit ihm spazierenzugehen, wenn auch nicht so lange wie damals. Rafa soll eingefallen und unglücklich gewirkt haben und sich erstaunt darüber gezeigt haben, daß Tyra sich ihm gegenüber zwar freundlich, aber distanziert verhielt.
"Was ist mit dir los?" fragte er sie.
"Nicht ist los", erwiderte sie, "wir gehen nur eben mal eine Stunde spazieren wie gute Freunde."
"Find' ich nicht so gut", meinte Rafa, erklärte das aber nicht weiter.
Rafa zeigte sich enttäuscht, weil nicht alles so lief, wie er es gewohnt war. Er läßt keine Verabredungen zu, sondern setzt voraus, daß Tyra stets auf Abruf für ihn bereitsteht. Bisher war das auch überwiegend der Fall. Tyra wartete ab, bis Rafa Lust bekam, sich bei ihr zu melden, anstatt darauf zu bestehen, daß er die Treffen mit ihr plante.
Tyra berichtete mir, daß sie seit einem Monat einen Freund hat, in der Hoffnung, Rafa dadurch vergessen zu können. Sie habe mittlerweile kaum noch Verlangen nach Rafa.
Tyra erzählte, Rafa habe ihr ein W.E-Stück vorgespielt, in dem er Darienne singen läßt.
"Darienne kann gar nicht so singen", meinte Tyra dazu, "das sind nur Effekte." "Wieso, sie kann doch singen", entgegnete Rafa.
"Was ist das denn für ein Widerspruch?" bemerkte Tyra. "Vor Kurzem hast du noch gesagt, Darienne kann nicht singen, aber die Effekte sind gut."
"Das habe ich nie gesagt", log Rafa.
Tyra hat Geldsorgen, weil ihr das Amt immer noch nicht ihr Kindergeld gezahlt hat. Ich erinnerte sie an die Schulden, die Rafa bei ihr hat, weil er ihr noch immer nicht die Entlohnung für ihre letzten Auftritte gegeben hat.
"Es kann nicht angehen, daß du am Hungertuch nagst, während Rafa zwei Häuser weiter sitzt und dir mehrere hundert Euro schuldet", meinte ich.
Tyra hat Rafa auf dieses Geld bisher nicht angesprochen, weil sie nicht als Bittstellerin auftreten wollte. Ich entgegnete, sie sei keine Bittstellerin, sondern eine Gläubigerin, und Rafa stehe in der Pflicht.
Tyra war sicher, daß Rafa sie an der Tür wegscheuchte, wenn sie zu ihm ging, um das Geld einzutreiben. Er fertige sie immer an der Tür ab, wenn Darienne bei ihm sei.
Im "Keller" kann Tyra nicht mehr arbeiten, weil sie ein Praktikum macht.
Am Montag simste Tyra, daß sie Rafa gesimst hat, er möge ihr zehn Euro von dem geschuldeten Geld bringen. Er sei zu dem von ihr festgesetzten Zeitpunkt erschienen und habe ihr das Geld gegeben. Ich simste:

COOL

Tyra simste:

Ich rechne ihm hoch an, daß er meine Not erkannte. Das hatte ich von ihm längst NICHT MEHR ERWARTET!!! GANZ abgedroschen ist er doch noch nicht ... ;)

Freilich sind, wie ich finde, zehn Euro viel zu wenig angesichts der mehreren hundert Euro, die Rafa ihr außerdem schuldet. Also simste ich einige Tage später an Tyra, Rafa werde aus Spanien Geld mitbringen, davon könne er ihr gleich die nächste Rate bezahlen. Rafa plant Auftritte in Spanien.
Darienne schwärmt inzwischen auf ihrem Profil bei der Online-Szene-Kontaktbörse nicht mehr von "diesem einen ganz besonders speziellen Menschen". So hat sie Rafa längere Zeit betitelt. In ihrem Profil gibt es kaum noch Text. Ihre eigene Website befindet sich "im Umbau".
Auf der Website von H.F. gibt es eine Grafik, die sich in jeder Rubrik auf der linken Seite befindet. Es handelt sich um einen stilisierten Embryo. Neu ist eine gif-Animation: Der Embryo wird immer wieder rot durchgestrichen.
Als "steinberg" schrieb ich ins Gästebuch:

Auf der Animation auf der H.F.-Seite wird der Embryo ja jetzt durchgestrichen. Bedeutet das, daß ihr keinen neuen Menschen mehr erschaffen wollt?

Es gab keine Antwort, der Eintrag wurde aber stehengelassen.
Mitte März waren Saara und ich im "Rondo". Sie schwärmte von ihrem jetzigen Freund Justin und verglich ihn mit Svenson, mit dem sie etliche Jahre zusammen war. Saara erzählte, Svenson habe sich wenig zuvorkommend und keineswegs ritterlich verhalten. Seit sie sich jedoch von ihm getrennt habe, schreibe Svenson ihr schmachtende Briefe, in denen er betone, sie sei seine einzige große Liebe. Saara lehnt es ab, die Beziehung mit Svenson weiterzuführen. Sie erklärte ihm, sie beide hätten zu unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben.
Am Freitag war ich im "Roundhouse". Felicity erzählte von ihrem Schülerpraktikum bei einer Zeitung. Sie hätte sich mehr Möglichkeiten zum kreativen Arbeiten gewünscht. Heloise, Barnet und Joujou erzählten, daß Darius in der Szene-Presse gute Bewertungen für seine neuesten Werke bekommt und einen sehr guten Plattenvertrag unterschrieben hat.
Als ich von Tyras Feststellung erzählte, daß die Mädchen, die öfter mit Rafa ins Bett gehen, Unterleibsinfektionen bekommen, konnte Joujou beisteuern:
"Das ist das, was Darienne jetzt immer hat! Blasenentzündung, Nierenbeckenentzündung ..."
"Das ist genau das, was Tyra auch immer hatte, als sie mit Rafa noch zusammen war. Ich glaube, Darienne ist sich nicht im Klaren darüber, wie sehr Rafa andere Menschen beschädigt."
"Darienne will halt in ihrer Erdbeerwelt leben und auf ihre Art damit glücklich sein."
"Glücklich ist sie aber nicht."
"Nein, das ist sie auch nicht, aber sie will es sich einbilden."
Joujou hatte die Idee, eine Foto-Lovestory zu machen mit Tyra, Darienne und Rafa in den Hauptrollen. Gemeinsam überlegten wir, wie man diese Idee umsetzen konnte.
Als "hase" schrieb ich in Rafas "Nachtkuss"-Gästebuch:

war schön mit dir auf dem sofa, bis nächstes mal *küsschen*

Als "schatzi" schrieb ich einen Tag später:

c u <3

Als "AIDS-Beratungszentrum Nord" schrieb ich einen Tag später:

Wer ungeschützt ein promiskuitives Sexualverhalten betreibt, stellt ein Infektionsrisiko für sich und andere dar.

Das war Rafa wohl zuviel. Er stellte das "Nachtkuss"-Gästebuch offline.
Tyra erzählte am Telefon, daß sie eines Morgens gegen acht Uhr Rafa beim Ausparken gesehen hat. Sie kam mit dem Fahrrad an seinem Elternhaus vorbei, als Rafa versuchte, den gemieteten weißen Kleintransporter mit dem W.E-Equipment vom Grundstück zu manövrieren. Schon von Weitem hörte sie sein Geschrei. Er schrie Darienne an, die ihn herauswinken sollte und auch eifrig winkte und mit den Armen ruderte, jedoch mit der Aufgabe überfordert schien. Nicht nur ließ sie Rafa beinahe mit einem Außenspiegel an der Hauswand entlangschrammen, auch rief Darienne so spät "Stop!", daß Rafa beinahe in den fließenden Verkehr geraten wäre. Der Kleintransporter stand quer auf Bürgersteig und Radweg. Tyra stand gemeinsam mit anderen Radfahrern davor und wartete. Darienne lächelte triumphierend. Sie war es, die an der Tour nach HD. und Spanien teilnehmen und für Rafa auf der Bühne stehen würde. Rafa schaute Tyra lächelnd durch das geöffnete Wagenfenster an und rief ihr zu:
"Ich meld' mich, wenn ich wieder da bin!"
Darienne lächelte nicht mehr ganz so triumphierend.
Um die Situation abzukürzen, fuhr Tyra um den Wagen herum und über Rafas elterliches Grundstück, so daß sie ihren Weg fortsetzen konnte.
Tyra schrieb an Rafa später eine SMS, in der sie ihm eine gute Reise wünschte und bat, er möge sich gleich nach seiner Rückkehr bei ihr melden, da sie sich sonst Sorgen mache, weil die Reise dieses Mal doch recht weit sei.
Tyra meinte, sie rechne es Rafa hoch an, daß er in der Nacht zum Montag sofort zu ihr gekommen sei, um ihr die gewünschten zehn Euro zu bringen, und daß, obwohl Darienne gerade bei ihm gewesen sei. Er habe nicht viel gesagt außer:
"Bargeld lacht."
Mitte März gab ich ein Osterkränzchen, mit Waffeln und gefärbten Eiern. Bertine brachte Osterglocken für die Tischdekoration mit. Joujou erschien mit ihrer Tochter Jeanne, die schon krabbelt und zu Hause die Regale ausleert. Denise und Jeanne betrachteten sich neugierig und tasteten sich aufeinander zu. Sarolyn erschien mit ihrem neugeborenen Sohn Matthew. Das Baby schlief die meiste Zeit. Clarice setzte sich neben Sarolyn und hielt das Baby in den Armen. Merle und Elaine waren auch da. Die elfjährige Elaine kauft inzwischen in Girlie-Boutiquen ein. Sie trägt Größe XS.
Layana erzählte von ihrer Stelle in HH., wo sie auf einem Grafiktablett Entwürfe für Landschaftsgestaltung zeichnet. Sie macht viele Überstunden, doch die Leute findet sie nett, ihr gefällt das Klima am Arbeitsplatz.
Joujou erzählte, ihr Traumberuf sei Profiler. Auf der Polizeischule habe man sie jedoch nicht genommen, weil sie eine Lebensmittelallergie habe.
Bertine erzählte, ihr Mann sei eine Spaßbremse. Wenn sie sich Gedanken über eine vergnügliche Freizeitgestaltung mache, komme von ihm zuerst eine Anmerkung über die möglichen Kosten. Alles rechne er ihr vor.
Clarice erzählte, daß ihr Mann Leander "zu 40 %" noch bei ihr lebe. Seine Sachen seien noch da, er selbst nicht mehr. Leander hat ein neues Studium begonnen.
Marie-Julia freut sich auf ihr Baby. Ich gab ihr die Fotos, die ich von ihr in den Katakomben der Hochschule gemacht habe, kurz nach der Operation, die ihr die Schwangerschaft ermöglichte.
"Die kannst du später deinem Kind zeigen", schlug ich vor, "und ihm sagen: 'Guck', so habe ich dafür gesorgt, daß es dich gibt.'"
Joujou machte sich Sorgen um Tyra, weil sie befürchtete, daß Tyra langfristig in einer Dreiecksbeziehung mit Rafa und Darienne hängenblieb. Joujou schrieb an Tyra eine SMS, in der sie sie bat, auf sich aufzupassen. Tyra war erstaunt. Sie hatte Joujou für eine Gegnerin gehalten, weil diese mit Darienne befreundet ist. Ich meinte, Joujou wolle sich gegen niemanden wenden außer gegen die Liaison zwischen Rafa und Darienne, weil sie den Eindruck habe, daß es Darienne nicht bekommt, mit Rafa zusammenzusein.
Am Dienstag war Carl bei mir zu Besuch. Er berichtete, daß er neulich seine alte Liebe Saverio in der Innenstadt getroffen hat. Saverio freute sich offensichtlich über das Wiedersehen. Auf eine Beziehung mit Carl hat er sich allerdings bisher nie einlassen wollen.
Am Donnerstag war ich in der "Spieluhr". Joujou hatte ihren Freund Marian nicht mitgebracht. Die beiden liegen im Streit. Joujou fühlt sich von Marian im Stich gelassen. Die Verantwortung für Jeanne habe sie allein. Er stehe nicht nachts auf, wenn Jeanne weine.
Joujou berichtete, neulich habe sie Darienne wiedergesehen. Darienne habe über ihre letzte Tour mit W.E erzählt, man habe "durchgesoffen". Was ihre beruflichen Pläne betrifft - insbesondere ihre schauspielerischen Ambitionen -, hat Darienne noch keine Neuigkeiten verlauten lassen.
Joujou und ich sammelten Ideen für die Foto-Lovestory, die wir mit Tyra planen. Im Sommer wollen wir die Aufnahmen machen.
Am Freitagabend waren Constri und ich in einem Freizeitheim, wo Gesa in einer gerafften, experimentellen Version von "Andorra" auftrat. Gesa spielte Andris Mutter. Sie hatte nicht viel Text. Nach dem Stück klopfte ihr der Regisseur auf die Schulter und lobte sie:
"Gesa, du warst gut! Du warst laut!"
Gesa war schon immer das "stille Wasser" in unserem Bekanntenkreis - und wir kennen sie seit über dreißig Jahren. Gesa scheint mit sich grundsätzlich zufrieden zu sein, springt aber zwischendurch gerne über ihren Schatten.
In der "Andorra"-Inszenierung wurde mit einfachen Mitteln eine beklemmende Stimmung erzeugt. Bühne und Kostüme waren in Schwarz und Weiß gehalten, gelegentlich gab es Schwarzlicht-Effekte, und es gab Schatten-Effekte hinter einer Leinwand. Einige Textstellen wurden mehrfach wiederholt, um sie besonders hervorzuheben, darunter der Satz, in dem die Bewohner Andorras ihre Verantwortung leugnen:
"Wir haben keine Schuld."
Spätabends war ich bei Constri. Dort entdeckte ich ein Bilderbuch über die Trotzphase, das genau Denises jetziges Verhalten beschreibt. Ein kleines Mädchen geht seiner Mutter auf die Nerven, bis sie weinend ruft:
"Ich kann nicht mehr!"
Das Mädchen will nicht, daß die Mutter traurig ist. Es tröstet sie und sagt:
"Mama, nicht weinen, ich bin ja bei dir."
Auf dem nächsten Bild sieht man Mutter und Tochter mit winzigen Teetassen in den Händen nebeneinander sitzen. Die Mutter hält ihren Jüngsten auf dem Schoß, die Tochter hat ihren Teddy im Arm und guckt stolz, als wollte sie sagen:
"Ich bin Mamas beste Freundin und eigentlich schon groß."
Denise will, daß Constri immer wieder aufmalt, wie Denise sich in ihren Trotzphasen verhält und wie Constri darauf reagiert. Da sieht man lauter schreiende Kinder in Blümchenhosen und lauter weinende, gestreßte Mütter, die an Magenschmerzen leiden und versuchen, ihr schreiendes Kind zu bändigen.
Berenice gab in ihren E-Mails ihrer Freude Ausdruck, daß Tyra, sie und ich untereinander Kontakt haben. Zu Rafas Versuchen, Tyra den Kontakt zu mir zu verbieten, weil ich "irre" sei, schrieb Berenice:

Kann ich mir denken! Alles andere hätte mich auch nur gewundert. Rafa sagt jedem Menschen, dass Du irre bist.

Über Rafas Gewohnheiten schrieb Berenice:

Darienne soll wirklich alles für ihn machen, alle seine Anweisungen befolgen.
Kann mir das so richtig vorstellen: während ich ihn ja wenigstens am Wochenende zu gesundem Essen gezwungen habe und auch zu Spaziergängen (wie er das hasst), wird jetzt nur noch das gemacht, was er mag. Und das ist dann eben vor der Glotze hängen, Computerspiele, viel, viel rauchen (konnte ihn nur dazu bringen, wenigstens oben nicht zu rauchen, wo wir schlafen), Alkohol, keine Bewegung, keine Sonne, ungesundes Fast Food. Und das scheint sich ja sowohl auf die Psyche als auch auf sein äußeres Erscheinungsbild auszuwirken! Mich wundert diesbezüglich gar nichts mehr.
Rafa hat mich in einem längeren Traum (er hat sich mal wieder Mühe gegeben, mich zu überraschen, mich zu erfreuen) gefragt, ob ich zu ihm zurückkommen würde. Er hat sich über Darienne ausgelassen und darüber, wie schlecht es ihm geht und und und. Ich habe vollkommen offen und ehrlich gesagt: Nein. Ich hatte kein Mitleid, aber auch sonst kein Gefühl. Es war ein sachliches Nein.
Ein schönes Gefühl beim Aufwachen.

Ich schrieb:

Der Traum, den du von Rafa hattest, wirkt sehr aussagekräftig. Es scheint ein intensiver Traum gewesen zu sein, in dem man sich selbst und seinen eigenen Gefühlen sehr nahe ist. Solche Träume können einem sehr helfen, u. a. bei der Entwicklung von Perspektiven und bei Entscheidungen.
Wenn ich von Rafa intensive Träume hatte, hatte ich immer wieder das Gefühl einer äußerst engen Bindung an ihn, so eng wie an einen ausgelagerten Teil meiner selbst.
Joujou, Tyra und ich machen, wenn alles klappt, eine satirische Foto-Lovestory über die Dreiecksbeziehung Tyra - Rafa - Darienne im Jahr 2005. Wir wollen minimalistisch arbeiten, mit reduzierten Kostümen, reduzierter Kulisse und reduzierter Story. Joujou hatte die Idee. Tyra hatte die Idee, sich selbst zu spielen. Sie fragte immer wieder, ob Joujou und ich die Story wirklich machen wollen oder das nur so gesagt haben. Ja, wollen wir!

Berenice schrieb:

Viel Arbeit, aber wenn es Euch Spaß macht :) Freue mich, sie hoffentlich sehen zu dürfen ;)
Wer spielt Darienne und wer Rafa? Bin gespannt :))))

Inzwischen rufe ich außerdem eine Comic-Serie ins Leben mit dem Titel "Sulos Tonnenwelt". Die Serie handelt von der unerklärlichen, gleichwohl unzerstörbaren Liebe zu einer Mülltonne.
Fast alle Menschen sind überzeugt, daß man sich aussuchen kann, wen man liebt - das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder gemacht habe, seit ich Rafa kenne. Bedingungslose Liebe wird nicht als solche anerkannt, sondern als etwas Krankhaftes und Widernatürliches betrachtet, weil sie etwas Seltenes und Ungewohntes ist, das kaum jemand kennt.



Am letzten Samstag im März kamen nachmittags Constri, Denise, Ted, sein junger Verwandter Sylvain, Teds Nachbarin Blanca und deren Freund Andres zum Kaffee. Ted stemmte Denise in die Höhe und spielte "Flugzeug" mit ihr, was sie herrlich fand. Ted warf Denise in die Höhe und fing sie wieder auf. Als er ankündigte, in die Hände zu klatschen, während Denise über ihm in der Luft schwebte, war Constri damit nicht einverstanden.
Ted erzählte, Cyans Witwe Catherine wisse noch immer nicht, daß ihr verstorbener Mann ein homosexuelles Doppelleben führte. Sie scheine es nicht einmal zu ahnen. Er habe es ihr auch beim jüngsten Besuch nicht erzählt, da er den Zeitpunkt nicht für geeignet gehalten habe. Irgendwann einmal werde er es ihr erzählen.
Abends war ich auf Revils Geburtstagsfeier. In der Küche wurde von einer Website erzählt, auf der der "Darwin Award" verliehen wird an alle, die die Evolution fördern, indem sie sich aus dem Leben verabschieden und damit ihre Gene aus dem Genpool entfernen. Beschrieben werden die dümmsten Selbstmorde, vor allem die unfreiwilligen. Beispielsweise starb ein Jugendlicher, als er mit einem anderen Jugendlichen wettete, wer am längsten einen Feuerwerkskörper mit brennender Zündschnur im Mund behalten konnte.
Nachts kam ich gegen halb zwölf ins "Lost Sounds", wo Gavin auflegte. Auran begrüßte mich. Außerdem traf ich Ivco, Xenon, Wave, Shannon und Cyris. Wave erzählte von seinen Geburtstagen. Er müsse nachdenken, bis ihm einfalle, wie alt er sei. Die Geburtsdaten seiner Eltern kenne er gar nicht. In seiner Familie würden Geburtstage nichts gelten. Einmal habe Waves Großvater an Waves Geburtstag angerufen. Der Vater habe gefragt, weshalb er sich melde. Der Vater hatte vergessen, daß sein Sohn Geburtstag hatte.
Wave ist Programmierer von Beruf und hat eine befristete Stelle beim TÜV. Seit Kurzem hat er eine Dachwohnung in DD., die ihm sehr gefällt. Unter einem Dachtürmchen gibt es ein kleines Zimmer, wo Wave seine Legosammlung aufbauen will. Wave würde gern zu Shannon nach H. ziehen, möchte aber seine Stelle nicht aufgeben, um seine soziale Sicherheit nicht zu gefährden. Wenn er in H. beim TÜV arbeiten könnte, würde er zu Shannon ziehen.
Ivco ist in M. eingesetzt und sieht seine Familie nur am Wochenende.
Als ich Ivco erzählte, daß Derek eine Geliebte hat und Constri und Derek getrennt sind, meinte er:
"Uns geht es viel zu gut, so daß wir nicht mehr schätzen können, was wir haben."
Ivco hat inzwischen regen E-Mail-Kontakt zu Berenice. Es wundert ihn, daß Berenice so lange in ihrer unglücklichen Beziehung mit Rafa geblieben ist.
"Ich dachte immer, eine hübsche Frau kann sich ihre Männer aussuchen", sagte er.
"Das kann sie auch", bestätigte ich. "Aber wenn das Selbstbewußtsein fehlt, entstehen Abhängigkeiten wie die zwischen Rafa und Berenice. Und dann bleiben auch hübsche Frauen in unglücklichen Beziehungen. Und Rafa hat ein untrügliches Gespür dafür, wenn eine Frau ein nicht ausreichend entwickeltes Selbstwertgefühl hat. Solche Frauen bevorzugt er. Die kann er benutzen, betrügen und mißhandeln."
Ich erzählte von Rafas Aggressivität und daß er Berenice eine Rippe gebrochen und einen Zahn abgebrochen hat. Ivco sagte dazu:
"Für mich ist es so abwegig, eine Frau zu schlagen, daß es mir auch schwerfällt, es mir bei Rafa vorzustellen."
"Es ist aber so, und sie ist nicht die Einzige, die er mißhandelt hat."
"Wo hast du das mit der Rippe gehört?"
"Von Berenice. Das hat sie mir selbst erzählt."
"Ach, das hat sie dir selbst erzählt", wunderte sich Ivco.
"Ja, in einer E-Mail", bestätigte ich. "Sie hat Rafa damals nicht angezeigt, weil sie dachte, sie wäre selber schuld daran. Ihr jetziger Freund ist der erste, der sie nicht schlägt. Von allen vorherigen Freunden wurde sie geschlagen, und sie hat das für normal gehalten. Wenn sie Rafa angezeigt hätte, hätte der sicher eine Geldstrafe aufgebrummt bekommen. Dann wäre der jetzt vorbestraft."
Der heutige Live Act im "Lost Sounds" war H.F. Auran erzählte, daß Rafa gegen zehn Uhr eine Runde durchs "Lost Sounds" gemacht habe und alle begrüßt habe, die er dessen für wert befunden habe. Auran hatte den Eindruck, daß Rafa sich wichtig machen wollte, auch dadurch, daß er andere durch die Begrüßung "wichtig machte". Später zeigte Rafa sich nicht mehr im Tanzsaal.
Auf der Bühne war die Dekoration aufgebaut, die schon bei den Konzerten von Das P. verwendet wurde. Es handelte sich um drei große Zylinder aus Plastikfolie, rosa und grün angeleuchtet. In dem linken stand ein punkig zurechtgemachter Junge, in dem rechten stand ein Mädchen, in dem mittleren stand Darienne, mit mehreren Lagen künstlicher Wimpern und mehreren Lagen Makeup. Das Rouge drang spitz und grell pinkfarben von den Schläfen in das Weiß der Beschichtung. Die schwarz gefärbten Haare waren toupiert. Darienne trug eine hellrosa Schleife darin, die an Minnie Mouse erinnerte.
Als das Konzert begann, mußte Darienne aus ihrem Zylinder herausklettern. Bei dieser Unternehmung mußte Herr Lehmann ihr helfen, weil der Mechanismus nicht so funktionierte, wie es vorgesehen war. Darienne hatte einen Arztkittel an, einen Minirock und hohe Schnallenstiefel. Am linken Keyboard stand Herr Lehmann mit sorgsam gestylter Irokesenfrisur. In der Mitte schlug Darienne gelegentlich auf eine Trommel ein. Zwischendurch wedelte sie mit den Armen. Am rechten Keyboard stand Rafa mit Mundschutz, Fensterglasbrille, Arztkittel und umgehängtem Stethoskop. Gespielt wurden überwiegend Stücke von Das P., dann eines von W.E und eine Coverversion von "Geile Tiere" ... es ist beinahe überflüssig, anzumerken, daß mir das Original von der Band Geile Tiere besser gefällt.
"Ein dürftiges Output für ein Jahr H.F.", dachte ich.
Darienne sang kaum und wenn, dann verfremdet oder playback. Wie eine Schülerin an der Tafel machte sie mit "äh's" und "hihi's" die auswendig gelernte Begrüßungsansage und erklärte, daß die Band vorhat, einen neuen Menschen zu erschaffen. Welche Eigenschaften der haben soll, erfuhr man nicht.
Im Hintergrund wurden Dias aus einem Anatomieatlas gezeigt.
Das "Lost Sounds" war heute eher schwach besucht. Die W.E-Fans aber, die vor der Bühne standen, klatschten eine Zugabe herbei. Darienne zwitscherte durchs Mikrophon:
"Mal hören, was der Chef sagt."
"Der Chef sagt 'ja'", kam es von Rafa.
Er suchte in seinen Datenträgern herum und fand den gesuchten Titel. Darienne und er hatten eine kurze Diskussion über die Frage, ob ihr Mikrophon eingeschaltet war. Rafa gab sich herablassend und wirkte ein wenig ungeduldig.
Nach der Zugabe wurde wieder lange geklatscht, und Darienne fragte:
"Wollt ihr noch eins?"
"Nein!" rief ihr "Chef".
Darienne mußte sich nun beim Publikum bedanken und sich für die Band verabschieden. Sie wirkte auf mich wie eine sorgsam programmierte Sprechpuppe.
Ted, Sylvain, Blanca, Andres und Constri waren mittlerweile erschienen. Constri stöhnte, als sie feststellte, daß ein Konzert lief. Sie freute sich aber, als sie Ivco entdeckte. Ivco und Constri unterhielten sich angeregt, als das Konzert vorbei war.
Rafa half ein wenig beim Abbauen der Bühne. Er hatte sich umgezogen und trug sein langärmeliges blaues Batik-T-Shirt. Die Fensterglasbrille hatte er immer noch auf. Darienne lief einige Male durch den Tanzraum, ebenfalls umgezogen. Sie hatte ein schlichtes T-Shirt und eine schwarze Schlaghose an. Das Bühnenoutfit schien nicht sonderlich bequem zu sein.
Mit Cyris unterhielt ich mich über ihren noch immer fehlenden Text für Berenices Homepage zu dem Thema "Musikbands und Ehrlichkeit". Cyris war davon ausgegangen, daß ihr Text sich auf den meinigen beziehen sollte, und auf den wollte sie nicht Bezug nehmen, weil er in ihren Augen zu deutlich auf Rafa anspielte. Ich erklärte, daß ihr Text sich nicht auf meinen beziehen sollte, sondern lediglich auf das von Berenice vorgegebene Thema "Musikbands und Ehrlichkeit".
Cyris ging davon aus, daß ich mit meiner kreativen Arbeit das Ziel verfolge, Rafas Privatleben zu zerstören und seine Karriere zu untergraben.
"Rafa zerstört sein Privatleben selbst", meinte ich. "Er hat ständig was mit irgendwelchen fremden Frauen. Sein Privatleben ist das einer öffentlichen Toilette. Intimsphäre kennt er nicht."
Ich merkte an, daß Rafas Karriere bisher unter meiner Internetseite nicht gelitten hat:
"Die meisten, die 'Im Netz' lesen, wissen gar nicht, um welchen Musiker es sich handelt, weil alle Namen geändert sind. Und die Fans, die die Seite kennen und wissen, von wem sie handelt, mögen seine Musik ebenso wie vorher."
Dies bestätigte Cyris. Ich versuchte, ihr zu vermitteln, daß es mir vor allem darum geht, meine Erfahrungen mit Rafa zu verarbeiten:
"Ich will meine Gedanken frei äußern. Ich will sagen, was mich beschäftigt. Das ist für mich ein Zeichen von Lebendigkeit."
"Warum muß das öffentlich sein?" fragte Cyris. "Warum kannst du nicht einfach Diarium schreiben?"
"Weil es Kunst ist", erklärte ich. "Es ist kein Diarium, sondern ein Kunstwerk. Und ein Künstler lebt immer für ein Publikum. Zur Kunst gehört immer ein Publikum."
Ich gab zu bedenken, daß ich über Rafa die Wahrheit schreibe, soweit ich sie kenne, und nicht bewußt die Unwahrheit verbreite. Rafa hingegen sage durchaus bewußt und mit Absicht die Unwahrheit, auch über mich. Er hetze gezielt gegen mich und versuche, anderen den Umgang mit mir zu verbieten. Cyris mochte dies nicht recht glauben und meinte, Rafa wehre sich doch nur.
"Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu wehren: sachliche und unsachliche", entgegnete ich. "Was ich bemängele, sind Rafas Methoden, sich zu wehren. Er arbeitet nicht mit sachlichen Argumenten, sondern betreibt gezielte Hetze. Er versucht absichtlich, mir zu schaden. Ich dagegen will ihn seinen Bekannten und Fans nicht abspenstig machen. Mir geht es darum, Rafa so darzustellen, wie er ist. Ich will ihn weder idealisieren noch schlecht machen. Natürlich ist eine vollkommene Objektivität nicht zu erreichen. Nicht einmal naturwissenschaftliche Texte sind frei von Subjektivität."
Dieses Letztere bestätigte Cyris.
Von der Tanzfläche aus schaute ich durch die offene Tür zum Backstage, wo Rafa seinen Fanclub empfing. Rafa lehnte in dem hell erleuchteten Raum an einer Wand. Über die Entfernung konnten wir uns in die Augen sehen, doch stand Rafa so weit weg, daß ich nicht sicher sein konnte, ob er mich wirklich ansah. Schließlich rutschte er an der Wand hinunter in die Hocke und plauderte mit Wave, der neben ihm hockte.
"Rafa und ich könnten sowieso nie ein Paar sein", sagte ich zu Cyris, als ich von der Tanzfläche kam. "Rafa will nur Frauen, die devot sind und die er benutzen kann, wie er schon immer alle seine Freundinnen benutzt hat."
Neben uns redete Darienne mit Ivco.
"Und wenn Rafa mir anbieten würde, daß ich mit ihm zusammen sein könnte, wenn ich devot wäre, dann würde ich antworten: 'Nein!'", fuhr ich fort. "Ich werde niemals devot sein, um keinen Preis. Ich verleugne mich niemals selbst."
Ich setzte hinzu, es sei wichtig, die Situation abstrakt zu betrachten, um sie sachlich bewerten und verarbeiten zu können. Um das Abstrahieren gehe es mir auch in meinem Feature. Es gehe nicht um bestimmte Personen, sondern um die Situation an sich.
Als ich Wave fragte, ob Rafa sich dieses Mal länger als fünf Minuten mit ihm unterhalten habe, antwortete Wave:
"Rafa unterhält sich nie länger als fünf Minuten mit mir."
Sylvain wollte wissen, wo er Rafa finden konnte. Schon lange war es sein Wunsch, einmal mit Rafa zu sprechen. Ich zeigte ihm Xenon, der auf die inzwischen geschlossene und deshalb fast unsichtbare Tür zum Backstage zuging, und ich sagte Sylvain, dem solle er nachgehen, der werde ihn geradewegs zu Rafa führen. Nach einem Schubs von mir tat Sylvain dies, und er blieb fast eine halbe Stunde im Backstage. Als er wieder herauskam, hatte er eine Bierflasche in der Hand und ein verzücktes Lächeln im Gesicht.
"Rafa hat mir ein Bier ausgegeben", verkündete er stolz. "Das war so toll!"
"Das war toll", wiederholten Wave und ich und kicherten. "Rafa hat dir ein Bier ausgegeben, toll!"
Ich erklärte Sylvain, daß die meisten Leute, die Rafa schon eine Weile kennen, ihn mit einer gewissen Nüchternheit betrachten.
Sylvain schilderte, was er im Backstage erlebt hatte. Als Rafa seiner gewahr wurde, fragte er:
"Wo kommst du denn her? Wer bist denn du?"
"Ich bin der Sylvain."
"Und woher kennst du mich?"
"Über Hetty."
Das ließ Rafa unkommentiert. Sylvain erzählte, daß er Rafas Musik gern mag und daß er im Juni zur Release-Party für das neue Album ins "Mute" kommen wollte. Rafa erzählte, es sei schlecht gelaufen, die Fußballweltmeisterschaft sei dazwischengekommen, weswegen das Album erst im September erscheinen und die Release-Party auch erst im September stattfinden werde.
Rafa bat Sylvain, sich ein Bier zu nehmen. Sylvain setzte sich mit seinem Bier und schaute Rafa zu, der redete und redete. Der Inhalt von Rafas "Vorträgen" entfiel Sylvains Gedächtnis. Eines nur hatte Sylvain in Erinnerung behalten, nämlich daß Rafa angekündigt hatte, man werde gleich zu Dolf fahren und das Bühnenequipment dorthin bringen.
Kurz nach Sylvains Aufenthalt im Backstage kamen Rafa, Darienne und Dolf bepackt aus dem Backstage und marschierten zum Ausgang. Rafa ging dicht an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

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